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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Singvögel. Schilffänger.
bis zu Anfang Septembers. Dann tritt sie eine Winterreise an, welche sie bis nach Nord-, ja bis nach
Mittelafrika führt: sie ist noch am Gabun beobachtet worden.

Sofort nach ihrer Ankunft im Frühjahre vernimmt man den lauten, weitschallenden Gesang der
Männchen, ununterbrochen vom Morgen bis zum Abend, auch noch nach Sonnenuntergang oder schon,
wenn der erste graue Schimmer im Osten sich zeigt, während der ersten Zeit ihres Hierseins sogar zu
allen Stunden der Nacht. Dieser Gesang besteht aus mehreren, manchfach abwechselnden Strophen,
welche aus vollen, starken Tönen zusammengesetzt sind. Man merkt es ihm an, daß die Frösche von
der Rohrdrossel wohl beachtet worden sind; denn er erinnert ebensosehr an das Knarren und Quaken
derselben, als an das Lied irgend eines andern Vogels. Sanft flötende Töne sind unserm Sänger
fremd: das ganze Lied ist nichts Anderes, als ein Geknarr oder ein Quiken. "Dorre, dorre
dorre, karre karre karre, kerr kerr, kerr, kei kei kei kei, karre karre karre, kitt" sind die wichtigsten und

[Abbildung] Die Rohrdrossel (Acrocephalus turdoides).
wesentlichsten Theile dieses Liedes. Und dennoch spricht es an. Es liegt etwas ungemein Gemüth-
liches in diesen Lauten, etwas Lustiges in der Art und Weise, wie sie vorgetragen werden, und da
dort, wo die Rohrdrossel sich hören läßt, auf andern Vogelgesang kaum zu rechnen ist, sondern man
in der Nähe ihrer Wohnsitze gewöhnlich nur die unangenehme Stimme der Wasservögel vernimmt,
das Schnattern der Gänse und Enten, das Quaken der Reiher, das Knarren der Rothhühner u. s. w.,
wird es erklärlich, daß man bescheidene Anforderungen stellt und zu einem milden Urtheil geneigt ist.
Die Kenner von Vogelgesängen, welche in unmittelbarer Nähe eines Rohrteiches wohnen und vom
Morgen bis zum Abend das Geschwätz hören müssen, sind freilich anderer Ansicht, als diejenigen,
welche nur zuweilen mit der Rohrdrossel verkehren; aber jene können hier gewiß nicht in Betracht
kommen, da bekanntlich die Gewohnheit jeden Reiz abstumpft, und für Den, welcher tagtäglich Nachti-
gallen schlagen hört, selbst diese Klänge an Wohllaut verlieren. Jch muß gestehen, daß der Gesang
der Rohrdrossel mich stets außerordentlich angezogen hat. Er vermochte mich nicht zu entzücken, aber

Die Fänger. Singvögel. Schilffänger.
bis zu Anfang Septembers. Dann tritt ſie eine Winterreiſe an, welche ſie bis nach Nord-, ja bis nach
Mittelafrika führt: ſie iſt noch am Gabun beobachtet worden.

Sofort nach ihrer Ankunft im Frühjahre vernimmt man den lauten, weitſchallenden Geſang der
Männchen, ununterbrochen vom Morgen bis zum Abend, auch noch nach Sonnenuntergang oder ſchon,
wenn der erſte graue Schimmer im Oſten ſich zeigt, während der erſten Zeit ihres Hierſeins ſogar zu
allen Stunden der Nacht. Dieſer Geſang beſteht aus mehreren, manchfach abwechſelnden Strophen,
welche aus vollen, ſtarken Tönen zuſammengeſetzt ſind. Man merkt es ihm an, daß die Fröſche von
der Rohrdroſſel wohl beachtet worden ſind; denn er erinnert ebenſoſehr an das Knarren und Quaken
derſelben, als an das Lied irgend eines andern Vogels. Sanft flötende Töne ſind unſerm Sänger
fremd: das ganze Lied iſt nichts Anderes, als ein Geknarr oder ein Quiken. „Dorre, dorre
dorre, karre karre karre, kerr kerr, kerr, kei kei kei kei, karre karre karre, kitt‟ ſind die wichtigſten und

[Abbildung] Die Rohrdroſſel (Acrocephalus turdoides).
weſentlichſten Theile dieſes Liedes. Und dennoch ſpricht es an. Es liegt etwas ungemein Gemüth-
liches in dieſen Lauten, etwas Luſtiges in der Art und Weiſe, wie ſie vorgetragen werden, und da
dort, wo die Rohrdroſſel ſich hören läßt, auf andern Vogelgeſang kaum zu rechnen iſt, ſondern man
in der Nähe ihrer Wohnſitze gewöhnlich nur die unangenehme Stimme der Waſſervögel vernimmt,
das Schnattern der Gänſe und Enten, das Quaken der Reiher, das Knarren der Rothhühner u. ſ. w.,
wird es erklärlich, daß man beſcheidene Anforderungen ſtellt und zu einem milden Urtheil geneigt iſt.
Die Kenner von Vogelgeſängen, welche in unmittelbarer Nähe eines Rohrteiches wohnen und vom
Morgen bis zum Abend das Geſchwätz hören müſſen, ſind freilich anderer Anſicht, als diejenigen,
welche nur zuweilen mit der Rohrdroſſel verkehren; aber jene können hier gewiß nicht in Betracht
kommen, da bekanntlich die Gewohnheit jeden Reiz abſtumpft, und für Den, welcher tagtäglich Nachti-
gallen ſchlagen hört, ſelbſt dieſe Klänge an Wohllaut verlieren. Jch muß geſtehen, daß der Geſang
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[868/0916] Die Fänger. Singvögel. Schilffänger. bis zu Anfang Septembers. Dann tritt ſie eine Winterreiſe an, welche ſie bis nach Nord-, ja bis nach Mittelafrika führt: ſie iſt noch am Gabun beobachtet worden. Sofort nach ihrer Ankunft im Frühjahre vernimmt man den lauten, weitſchallenden Geſang der Männchen, ununterbrochen vom Morgen bis zum Abend, auch noch nach Sonnenuntergang oder ſchon, wenn der erſte graue Schimmer im Oſten ſich zeigt, während der erſten Zeit ihres Hierſeins ſogar zu allen Stunden der Nacht. Dieſer Geſang beſteht aus mehreren, manchfach abwechſelnden Strophen, welche aus vollen, ſtarken Tönen zuſammengeſetzt ſind. Man merkt es ihm an, daß die Fröſche von der Rohrdroſſel wohl beachtet worden ſind; denn er erinnert ebenſoſehr an das Knarren und Quaken derſelben, als an das Lied irgend eines andern Vogels. Sanft flötende Töne ſind unſerm Sänger fremd: das ganze Lied iſt nichts Anderes, als ein Geknarr oder ein Quiken. „Dorre, dorre dorre, karre karre karre, kerr kerr, kerr, kei kei kei kei, karre karre karre, kitt‟ ſind die wichtigſten und [Abbildung Die Rohrdroſſel (Acrocephalus turdoides).] weſentlichſten Theile dieſes Liedes. Und dennoch ſpricht es an. Es liegt etwas ungemein Gemüth- liches in dieſen Lauten, etwas Luſtiges in der Art und Weiſe, wie ſie vorgetragen werden, und da dort, wo die Rohrdroſſel ſich hören läßt, auf andern Vogelgeſang kaum zu rechnen iſt, ſondern man in der Nähe ihrer Wohnſitze gewöhnlich nur die unangenehme Stimme der Waſſervögel vernimmt, das Schnattern der Gänſe und Enten, das Quaken der Reiher, das Knarren der Rothhühner u. ſ. w., wird es erklärlich, daß man beſcheidene Anforderungen ſtellt und zu einem milden Urtheil geneigt iſt. Die Kenner von Vogelgeſängen, welche in unmittelbarer Nähe eines Rohrteiches wohnen und vom Morgen bis zum Abend das Geſchwätz hören müſſen, ſind freilich anderer Anſicht, als diejenigen, welche nur zuweilen mit der Rohrdroſſel verkehren; aber jene können hier gewiß nicht in Betracht kommen, da bekanntlich die Gewohnheit jeden Reiz abſtumpft, und für Den, welcher tagtäglich Nachti- gallen ſchlagen hört, ſelbſt dieſe Klänge an Wohllaut verlieren. Jch muß geſtehen, daß der Geſang der Rohrdroſſel mich ſtets außerordentlich angezogen hat. Er vermochte mich nicht zu entzücken, aber

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 868. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/916>, abgerufen am 18.05.2024.