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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Rohrdrossel.
er hat mich immer weidlich ergötzt. Und diese Ansicht theilen noch viele andere Forscher, selbst solche,
welche durch gute Sänger verwöhnt sind.

Geht man der singenden Rohrdrossel nach, und ist man so glücklich sie zu sehen, so gewinnt sie
und ihr Lied noch bedeutend an Anziehungskraft. Dem Männchen ist es Ernst mit seinem Singen:
es geberdet sich, als ob es mit einer Nachtigall wetteifern wolle. Hochaufgerichtet, mit hängenden
Flügeln und ausgebreitetem Schwanze, mit dick aufgeblasener Kehle, den Schnabel nach oben gewendet,
sitzt es auf seinem schwankenden Halme und sträubt und glättet abwechselnd die Scheitelfedern, ja
auch wohl das übrige Gefieder, so daß es viel größer erscheint, als übrigens. Nachts verändert es bei
dem Singen seinen Sitz nicht.

Die Rohrdrossel brütet, wie alle ihre Verwandten, erst wenn das neu aufschießende Röhricht die
geeignete Höhe erlangt hat, also selten vor der Mitte des Juni. Sie liebt Gesellschaft Jhresgleichen;
deshalb findet man gewöhnlich mehrere Paare in einem Brutplatze, auch wenn derselbe nur ein kleiner
Teich ist. Das Nest steht immer über dem Wasser und regelmäßig an, oder richtiger zwischen Rohr-
stengeln, welche in seine Wandungen eingewoben sind oder diese durchbohren. "Es hängt", wie
Naumann sagt, "zwischen fünf bis sechs schwankenden Säulen, an welche es aber doch so befestigt
ist, daß es nie herabgleitet, etwa 3 Fuß über dem Wasserspiegel, auch wohl etwas höher, aber seltener
tiefer, nie auf den äußersten Stengeln eines Rohrbusches, sondern regelmäßig tief in denselben, so daß
man es von außen nicht sehen kann, in kleinen Rohrteichen also beinahe stets in der Mitte. Wenn
die Rohrstengel nicht nahe genug beisammen stehen, so ziehen dieselben die Vögel wohl mit Gewalt so
weit zusammen, als erforderlich ist. Da aber, wo sich einige Rohrstengel durchkreuzen, sieht man
höchst selten ein Nest." Es ist merkwürdig genug, daß die bauenden Rohrsänger ihr Nest regelmäßig
in einer Höhe anlegen, bis zu welcher das Wasser nicht emporsteigt, auch wenn es ungewöhnlich
aufchwellen sollte. Wahrheitsliebende Forscher haben beobachtet, daß die Rohrsänger ihrer Umgegend
in gewissen Jahren, scheinbar ohne alle Veranlassung, ihre Nester viel höher anlegten, als sonst, und
sie haben anfangs darüber die Köpfe geschüttelt. Da mit einem Male, lange nachdem das Nest fertig
war, trat andauerndes Regenwetter ein, und der Wasserspiegel der Teiche oder Flüsse erhob sich hoch
über das gewöhnliche Maß, die Nester aber blieben verschont, während sie überflutet worden wären,
hätten die voraussehenden Vögel sie eben so niedrig aufgehängt wie sonst!

Das Nest gehört zu den Kunstbauten. Es ist viel höher als breit, dickwandig und der Rand
seiner Mulde einwärts gebogen. Die Wandungen bestehen aus dürren Grasblättern und Halmen,
welche nach innen feiner werden und mit einigen Würzelchen die Ausfütterung bilden. Je nach dem
Standort werden die Blätter verschieden gewählt, auch wohl mit Bastfaden von Nesseln, mit Weiderich,
mit Samenwolle und selbst mit Raupengespinnst, Hanf- und Wollfäden untermischt, oder das Jnnere
wird mit trockenen Grasrispen, Rosmarinkronen, Pferdehaaren und dergleichen ausgelegt. Das
Gelege, welches gewöhnlich aus vier bis fünf Eiern besteht, ist selten vor Mitte Junis vollzählig.
Die Eier sind auf bläulichem oder graugrünlichweißen Grunde mit sehr dunkelolivenbraunen, asch-
grauen und schieferfarbigen Flecken, Punkten und Schmitzen fast gleichmäßig bedeckt. Sie werden
vierzehn bis funfzehn Tage eifrig bebrütet; die Eltern sind aber sehr empfindlich gegen Störungen und
verlassen die Eier regelmäßig, wenn man das Nest wiederholt besucht. Die Jungen werden mit Kerb-
thieren groß gefüttert, von den Alten zärtlich geliebt und vor Gefahr gewarnt, auch nach dem Aus-
fliegen noch lange geleitet. Dieser Fürsorge bedürfen sie umsomehr, als sie, ehe sie ordentlich fliegen
können, das Nest zu verlassen pflegen und nun die ersten Tage ihres Lebens sich kletternd forthelfen.
Ende Julis sind sie selbständig geworden, und nunmehr denken sie schon an die Winterreise.

Gefangene Rohrdrosseln sind angenehme Zimmergenossen. Sie halten sich, wenn sie sich einmal
an das Stubenfutter gewöhnt haben, glatt und nett, erfreuen durch ihre außerordentliche Behendigkeit
und Gewandtheit, durch ihr geschicktes Klettern und singen auch recht eifrig. Wie vortrefflich sie sich
zu verstecken wissen, erfuhr Reichenbach, als er eine frischgefangene Rohrdrossel erhielt. Sie hatte
aus dem Käfig zu entschlüpfen gewußt und schien verschwunden, durch das offene Fenster entflohen zu

Rohrdroſſel.
er hat mich immer weidlich ergötzt. Und dieſe Anſicht theilen noch viele andere Forſcher, ſelbſt ſolche,
welche durch gute Sänger verwöhnt ſind.

Geht man der ſingenden Rohrdroſſel nach, und iſt man ſo glücklich ſie zu ſehen, ſo gewinnt ſie
und ihr Lied noch bedeutend an Anziehungskraft. Dem Männchen iſt es Ernſt mit ſeinem Singen:
es geberdet ſich, als ob es mit einer Nachtigall wetteifern wolle. Hochaufgerichtet, mit hängenden
Flügeln und ausgebreitetem Schwanze, mit dick aufgeblaſener Kehle, den Schnabel nach oben gewendet,
ſitzt es auf ſeinem ſchwankenden Halme und ſträubt und glättet abwechſelnd die Scheitelfedern, ja
auch wohl das übrige Gefieder, ſo daß es viel größer erſcheint, als übrigens. Nachts verändert es bei
dem Singen ſeinen Sitz nicht.

Die Rohrdroſſel brütet, wie alle ihre Verwandten, erſt wenn das neu aufſchießende Röhricht die
geeignete Höhe erlangt hat, alſo ſelten vor der Mitte des Juni. Sie liebt Geſellſchaft Jhresgleichen;
deshalb findet man gewöhnlich mehrere Paare in einem Brutplatze, auch wenn derſelbe nur ein kleiner
Teich iſt. Das Neſt ſteht immer über dem Waſſer und regelmäßig an, oder richtiger zwiſchen Rohr-
ſtengeln, welche in ſeine Wandungen eingewoben ſind oder dieſe durchbohren. „Es hängt‟, wie
Naumann ſagt, „zwiſchen fünf bis ſechs ſchwankenden Säulen, an welche es aber doch ſo befeſtigt
iſt, daß es nie herabgleitet, etwa 3 Fuß über dem Waſſerſpiegel, auch wohl etwas höher, aber ſeltener
tiefer, nie auf den äußerſten Stengeln eines Rohrbuſches, ſondern regelmäßig tief in denſelben, ſo daß
man es von außen nicht ſehen kann, in kleinen Rohrteichen alſo beinahe ſtets in der Mitte. Wenn
die Rohrſtengel nicht nahe genug beiſammen ſtehen, ſo ziehen dieſelben die Vögel wohl mit Gewalt ſo
weit zuſammen, als erforderlich iſt. Da aber, wo ſich einige Rohrſtengel durchkreuzen, ſieht man
höchſt ſelten ein Neſt.‟ Es iſt merkwürdig genug, daß die bauenden Rohrſänger ihr Neſt regelmäßig
in einer Höhe anlegen, bis zu welcher das Waſſer nicht emporſteigt, auch wenn es ungewöhnlich
aufchwellen ſollte. Wahrheitsliebende Forſcher haben beobachtet, daß die Rohrſänger ihrer Umgegend
in gewiſſen Jahren, ſcheinbar ohne alle Veranlaſſung, ihre Neſter viel höher anlegten, als ſonſt, und
ſie haben anfangs darüber die Köpfe geſchüttelt. Da mit einem Male, lange nachdem das Neſt fertig
war, trat andauerndes Regenwetter ein, und der Waſſerſpiegel der Teiche oder Flüſſe erhob ſich hoch
über das gewöhnliche Maß, die Neſter aber blieben verſchont, während ſie überflutet worden wären,
hätten die vorausſehenden Vögel ſie eben ſo niedrig aufgehängt wie ſonſt!

Das Neſt gehört zu den Kunſtbauten. Es iſt viel höher als breit, dickwandig und der Rand
ſeiner Mulde einwärts gebogen. Die Wandungen beſtehen aus dürren Grasblättern und Halmen,
welche nach innen feiner werden und mit einigen Würzelchen die Ausfütterung bilden. Je nach dem
Standort werden die Blätter verſchieden gewählt, auch wohl mit Baſtfaden von Neſſeln, mit Weiderich,
mit Samenwolle und ſelbſt mit Raupengeſpinnſt, Hanf- und Wollfäden untermiſcht, oder das Jnnere
wird mit trockenen Grasriſpen, Rosmarinkronen, Pferdehaaren und dergleichen ausgelegt. Das
Gelege, welches gewöhnlich aus vier bis fünf Eiern beſteht, iſt ſelten vor Mitte Junis vollzählig.
Die Eier ſind auf bläulichem oder graugrünlichweißen Grunde mit ſehr dunkelolivenbraunen, aſch-
grauen und ſchieferfarbigen Flecken, Punkten und Schmitzen faſt gleichmäßig bedeckt. Sie werden
vierzehn bis funfzehn Tage eifrig bebrütet; die Eltern ſind aber ſehr empfindlich gegen Störungen und
verlaſſen die Eier regelmäßig, wenn man das Neſt wiederholt beſucht. Die Jungen werden mit Kerb-
thieren groß gefüttert, von den Alten zärtlich geliebt und vor Gefahr gewarnt, auch nach dem Aus-
fliegen noch lange geleitet. Dieſer Fürſorge bedürfen ſie umſomehr, als ſie, ehe ſie ordentlich fliegen
können, das Neſt zu verlaſſen pflegen und nun die erſten Tage ihres Lebens ſich kletternd forthelfen.
Ende Julis ſind ſie ſelbſtändig geworden, und nunmehr denken ſie ſchon an die Winterreiſe.

Gefangene Rohrdroſſeln ſind angenehme Zimmergenoſſen. Sie halten ſich, wenn ſie ſich einmal
an das Stubenfutter gewöhnt haben, glatt und nett, erfreuen durch ihre außerordentliche Behendigkeit
und Gewandtheit, durch ihr geſchicktes Klettern und ſingen auch recht eifrig. Wie vortrefflich ſie ſich
zu verſtecken wiſſen, erfuhr Reichenbach, als er eine friſchgefangene Rohrdroſſel erhielt. Sie hatte
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[869/0917] Rohrdroſſel. er hat mich immer weidlich ergötzt. Und dieſe Anſicht theilen noch viele andere Forſcher, ſelbſt ſolche, welche durch gute Sänger verwöhnt ſind. Geht man der ſingenden Rohrdroſſel nach, und iſt man ſo glücklich ſie zu ſehen, ſo gewinnt ſie und ihr Lied noch bedeutend an Anziehungskraft. Dem Männchen iſt es Ernſt mit ſeinem Singen: es geberdet ſich, als ob es mit einer Nachtigall wetteifern wolle. Hochaufgerichtet, mit hängenden Flügeln und ausgebreitetem Schwanze, mit dick aufgeblaſener Kehle, den Schnabel nach oben gewendet, ſitzt es auf ſeinem ſchwankenden Halme und ſträubt und glättet abwechſelnd die Scheitelfedern, ja auch wohl das übrige Gefieder, ſo daß es viel größer erſcheint, als übrigens. Nachts verändert es bei dem Singen ſeinen Sitz nicht. Die Rohrdroſſel brütet, wie alle ihre Verwandten, erſt wenn das neu aufſchießende Röhricht die geeignete Höhe erlangt hat, alſo ſelten vor der Mitte des Juni. Sie liebt Geſellſchaft Jhresgleichen; deshalb findet man gewöhnlich mehrere Paare in einem Brutplatze, auch wenn derſelbe nur ein kleiner Teich iſt. Das Neſt ſteht immer über dem Waſſer und regelmäßig an, oder richtiger zwiſchen Rohr- ſtengeln, welche in ſeine Wandungen eingewoben ſind oder dieſe durchbohren. „Es hängt‟, wie Naumann ſagt, „zwiſchen fünf bis ſechs ſchwankenden Säulen, an welche es aber doch ſo befeſtigt iſt, daß es nie herabgleitet, etwa 3 Fuß über dem Waſſerſpiegel, auch wohl etwas höher, aber ſeltener tiefer, nie auf den äußerſten Stengeln eines Rohrbuſches, ſondern regelmäßig tief in denſelben, ſo daß man es von außen nicht ſehen kann, in kleinen Rohrteichen alſo beinahe ſtets in der Mitte. Wenn die Rohrſtengel nicht nahe genug beiſammen ſtehen, ſo ziehen dieſelben die Vögel wohl mit Gewalt ſo weit zuſammen, als erforderlich iſt. Da aber, wo ſich einige Rohrſtengel durchkreuzen, ſieht man höchſt ſelten ein Neſt.‟ Es iſt merkwürdig genug, daß die bauenden Rohrſänger ihr Neſt regelmäßig in einer Höhe anlegen, bis zu welcher das Waſſer nicht emporſteigt, auch wenn es ungewöhnlich aufchwellen ſollte. Wahrheitsliebende Forſcher haben beobachtet, daß die Rohrſänger ihrer Umgegend in gewiſſen Jahren, ſcheinbar ohne alle Veranlaſſung, ihre Neſter viel höher anlegten, als ſonſt, und ſie haben anfangs darüber die Köpfe geſchüttelt. Da mit einem Male, lange nachdem das Neſt fertig war, trat andauerndes Regenwetter ein, und der Waſſerſpiegel der Teiche oder Flüſſe erhob ſich hoch über das gewöhnliche Maß, die Neſter aber blieben verſchont, während ſie überflutet worden wären, hätten die vorausſehenden Vögel ſie eben ſo niedrig aufgehängt wie ſonſt! Das Neſt gehört zu den Kunſtbauten. Es iſt viel höher als breit, dickwandig und der Rand ſeiner Mulde einwärts gebogen. Die Wandungen beſtehen aus dürren Grasblättern und Halmen, welche nach innen feiner werden und mit einigen Würzelchen die Ausfütterung bilden. Je nach dem Standort werden die Blätter verſchieden gewählt, auch wohl mit Baſtfaden von Neſſeln, mit Weiderich, mit Samenwolle und ſelbſt mit Raupengeſpinnſt, Hanf- und Wollfäden untermiſcht, oder das Jnnere wird mit trockenen Grasriſpen, Rosmarinkronen, Pferdehaaren und dergleichen ausgelegt. Das Gelege, welches gewöhnlich aus vier bis fünf Eiern beſteht, iſt ſelten vor Mitte Junis vollzählig. Die Eier ſind auf bläulichem oder graugrünlichweißen Grunde mit ſehr dunkelolivenbraunen, aſch- grauen und ſchieferfarbigen Flecken, Punkten und Schmitzen faſt gleichmäßig bedeckt. Sie werden vierzehn bis funfzehn Tage eifrig bebrütet; die Eltern ſind aber ſehr empfindlich gegen Störungen und verlaſſen die Eier regelmäßig, wenn man das Neſt wiederholt beſucht. Die Jungen werden mit Kerb- thieren groß gefüttert, von den Alten zärtlich geliebt und vor Gefahr gewarnt, auch nach dem Aus- fliegen noch lange geleitet. Dieſer Fürſorge bedürfen ſie umſomehr, als ſie, ehe ſie ordentlich fliegen können, das Neſt zu verlaſſen pflegen und nun die erſten Tage ihres Lebens ſich kletternd forthelfen. Ende Julis ſind ſie ſelbſtändig geworden, und nunmehr denken ſie ſchon an die Winterreiſe. Gefangene Rohrdroſſeln ſind angenehme Zimmergenoſſen. Sie halten ſich, wenn ſie ſich einmal an das Stubenfutter gewöhnt haben, glatt und nett, erfreuen durch ihre außerordentliche Behendigkeit und Gewandtheit, durch ihr geſchicktes Klettern und ſingen auch recht eifrig. Wie vortrefflich ſie ſich zu verſtecken wiſſen, erfuhr Reichenbach, als er eine friſchgefangene Rohrdroſſel erhielt. Sie hatte aus dem Käfig zu entſchlüpfen gewußt und ſchien verſchwunden, durch das offene Fenſter entflohen zu

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 869. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/917>, abgerufen am 23.11.2024.