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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Singvögel. Grasmücken.
geschäfts beobachtet. Die Jungen lassen sie nie im Stich; auch die ihnen untergeschobenen jungen
Kukuke, bei denen sie sehr häufig Pflegeelterustellen vertreten müssen, ziehen sie mit Auf-
opferung heran.

Wie die meisten Grasmücken läßt sich das Müllerchen leicht berücken, ohne sonderliche Mühe
an ein Ersatzfutter gewöhnen und dann lange Zeit im Käfig halten. Bei guter Behandlung wird es
sehr zahm und erwirbt sich dadurch ebenfalls die Gunst des Liebhabers.

Der Vogel, "welcher von allen anderen der kanarischen Jnseln den schönsten Gesang hat, der
Capirote, ist in Europa unbekannt. Er liebt so sehr die Freiheit, daß er sich niemals zähmen
läßt. Jch bewunderte seinen weichen, melodischen Schlag in einem Garten bei Orotava, konnte ihn
aber nicht nahe genug zu Gesicht bekommen, um zu bestimmen, welcher Gattung er angehörte". So
sagt A. von Humboldt, und es sind nach des großen Forschers Besuch auf den Jnseln noch Jahre
vergangen, bevor wir ersuhren, welchen Vogel er meinte. "Seltsames Mißverständniß eines großen
Mannes", fügt Bolle den von ihm angezogenen Worten Humboldt's hinzu, "seltenes Mißver-
ständniß, welches wenige Tage längeren Verweilens aufgeklärt haben würden! Eigenthümliche
Ungewißheit, in welcher der Genius des damals im Anbrechen begriffenen Jahrhunderts eine Vogel-
stimme verkannte, die er an den Ufern seines heimatlichen Teglersees so oft vernommen haben
mußte, auf deren Wiederholung aber an dem Fuße des Teyde längs den Küsten einer entlegenen
Küste er schwerlich gefaßt sein konnte."

Jetzt wissen wir, daß der so hochgefeierte Capirote, welchen der Canarier mit Stolz seine Nachti-
gall nennt, kein anderer ist, als unser allbekannter Mönch, das Schwarzblättchen, die Schwarz-
kappe,
der Schwarz-, Mohren- oder Mauskopf, das Kardinälchen, der Kloster-
wenzel
u. s. w., die schwarzköpfige Grasmücke (Curruca atricapilla), einer der begabtesten,
liebenswürdigsten und gefeiertesten Sänger unserer Wälder und Gärten. Der Mönch, wie wir ihn
der Kürze wegen nennen wollen, kennzeichnet sich vor allen andern deutschen Grasmücken durch seine
Kopfzeichnung. Das Gefieder der Oberseite ist grauschwarz, das der Unterseite lichtgrau, das der
Kehle weißlichgrau; der Scheitel aber ist beim alten Männchen tiefschwarz, beim Weibchen und jungen
Männchen rothbraun gefärbt. Das Auge ist braun, der Schnabel schwarz, der Fuß bleigrau. Die
Länge beträgt 5 Zoll 10 Linien, die Breite 8 Zoll, die Fittiglänge 21/2, die Schwanzlänge 21/4 Zoll.
Das Weibchen ist ebenso groß, wie das Männchen.

Zur Zeit ist es noch nicht ausgemacht, ob eine Grasmücke, deren Männchen auch im Alter eine
rostrothe Kopfplatte besitzt, der rostscheitlige Mönch (Curruca ruficapilla) als besondere Art
angesprochen oder nur als Spielart des Plattmönchs angesehen werden darf. Genaue Beobachter
haben nicht blos in der Färbung, sondern auch im Gesang der beiden Vögel Unterschiede wahr-
genommen; ihre Forschungen bedürfen aber noch der Bestätigung.

Der Mönch bewohnt ganz Mitteleuropa, Südskandinavien und Südrußland, Polen, Ungarn
und Norditalien, aber auch, und zwar sehr häufig, die kanarischen Jnseln, während er in Griechenland
wie in Spanien nur auf dem Zuge erscheint. Seine Wanderung dehnt er, soviel ich erforschen konnte,
bis nach dem Sudahn aus; in Jndien dagegen scheint er nicht vorzukommen. Er trifft bei uns ein
gegen die Mitte des April, nimmt in Waldungen, Gärten und im Gebüsch seinen Wohnsitz und ver-
läßt uns im September wieder.

Ueber die Lebensweise liegen viele Mittheilungen vor. Für uns wird es genügen, wenn ich
die von meinem Vater gegebene Beschreibung hier folgen lasse. "Der Mönch ist ein munterer,
gewandter und vorsichtiger Vogel. Er ist in steter Bewegung, hüpft unaufhörlich und mit großer
Geschicklichkeit in den dichtesten Büschen herum, trägt dabei seinen Leib gewöhnlich wagrecht und die
Füße etwas angezogen, legt die Federn fast immer glatt an und hält sich sehr schmuck und schön. Auf
die Erde kommt er selten. Sitzt er frei, und man nähert sich ihm, so sucht er sich sogleich in dichten
Zweigen zu verbergen oder rettet sich durch die Flucht. Er weiß Dies so geschickt einzurichten, daß

Die Fänger. Singvögel. Grasmücken.
geſchäfts beobachtet. Die Jungen laſſen ſie nie im Stich; auch die ihnen untergeſchobenen jungen
Kukuke, bei denen ſie ſehr häufig Pflegeelteruſtellen vertreten müſſen, ziehen ſie mit Auf-
opferung heran.

Wie die meiſten Grasmücken läßt ſich das Müllerchen leicht berücken, ohne ſonderliche Mühe
an ein Erſatzfutter gewöhnen und dann lange Zeit im Käfig halten. Bei guter Behandlung wird es
ſehr zahm und erwirbt ſich dadurch ebenfalls die Gunſt des Liebhabers.

Der Vogel, „welcher von allen anderen der kanariſchen Jnſeln den ſchönſten Geſang hat, der
Capirote, iſt in Europa unbekannt. Er liebt ſo ſehr die Freiheit, daß er ſich niemals zähmen
läßt. Jch bewunderte ſeinen weichen, melodiſchen Schlag in einem Garten bei Orotava, konnte ihn
aber nicht nahe genug zu Geſicht bekommen, um zu beſtimmen, welcher Gattung er angehörte‟. So
ſagt A. von Humboldt, und es ſind nach des großen Forſchers Beſuch auf den Jnſeln noch Jahre
vergangen, bevor wir erſuhren, welchen Vogel er meinte. „Seltſames Mißverſtändniß eines großen
Mannes‟, fügt Bolle den von ihm angezogenen Worten Humboldt’s hinzu, „ſeltenes Mißver-
ſtändniß, welches wenige Tage längeren Verweilens aufgeklärt haben würden! Eigenthümliche
Ungewißheit, in welcher der Genius des damals im Anbrechen begriffenen Jahrhunderts eine Vogel-
ſtimme verkannte, die er an den Ufern ſeines heimatlichen Teglerſees ſo oft vernommen haben
mußte, auf deren Wiederholung aber an dem Fuße des Teyde längs den Küſten einer entlegenen
Küſte er ſchwerlich gefaßt ſein konnte.‟

Jetzt wiſſen wir, daß der ſo hochgefeierte Capirote, welchen der Canarier mit Stolz ſeine Nachti-
gall nennt, kein anderer iſt, als unſer allbekannter Mönch, das Schwarzblättchen, die Schwarz-
kappe,
der Schwarz-, Mohren- oder Mauskopf, das Kardinälchen, der Kloſter-
wenzel
u. ſ. w., die ſchwarzköpfige Grasmücke (Curruca atricapilla), einer der begabteſten,
liebenswürdigſten und gefeierteſten Sänger unſerer Wälder und Gärten. Der Mönch, wie wir ihn
der Kürze wegen nennen wollen, kennzeichnet ſich vor allen andern deutſchen Grasmücken durch ſeine
Kopfzeichnung. Das Gefieder der Oberſeite iſt grauſchwarz, das der Unterſeite lichtgrau, das der
Kehle weißlichgrau; der Scheitel aber iſt beim alten Männchen tiefſchwarz, beim Weibchen und jungen
Männchen rothbraun gefärbt. Das Auge iſt braun, der Schnabel ſchwarz, der Fuß bleigrau. Die
Länge beträgt 5 Zoll 10 Linien, die Breite 8 Zoll, die Fittiglänge 2½, die Schwanzlänge 2¼ Zoll.
Das Weibchen iſt ebenſo groß, wie das Männchen.

Zur Zeit iſt es noch nicht ausgemacht, ob eine Grasmücke, deren Männchen auch im Alter eine
roſtrothe Kopfplatte beſitzt, der roſtſcheitlige Mönch (Curruca ruficapilla) als beſondere Art
angeſprochen oder nur als Spielart des Plattmönchs angeſehen werden darf. Genaue Beobachter
haben nicht blos in der Färbung, ſondern auch im Geſang der beiden Vögel Unterſchiede wahr-
genommen; ihre Forſchungen bedürfen aber noch der Beſtätigung.

Der Mönch bewohnt ganz Mitteleuropa, Südſkandinavien und Südrußland, Polen, Ungarn
und Norditalien, aber auch, und zwar ſehr häufig, die kanariſchen Jnſeln, während er in Griechenland
wie in Spanien nur auf dem Zuge erſcheint. Seine Wanderung dehnt er, ſoviel ich erforſchen konnte,
bis nach dem Sudahn aus; in Jndien dagegen ſcheint er nicht vorzukommen. Er trifft bei uns ein
gegen die Mitte des April, nimmt in Waldungen, Gärten und im Gebüſch ſeinen Wohnſitz und ver-
läßt uns im September wieder.

Ueber die Lebensweiſe liegen viele Mittheilungen vor. Für uns wird es genügen, wenn ich
die von meinem Vater gegebene Beſchreibung hier folgen laſſe. „Der Mönch iſt ein munterer,
gewandter und vorſichtiger Vogel. Er iſt in ſteter Bewegung, hüpft unaufhörlich und mit großer
Geſchicklichkeit in den dichteſten Büſchen herum, trägt dabei ſeinen Leib gewöhnlich wagrecht und die
Füße etwas angezogen, legt die Federn faſt immer glatt an und hält ſich ſehr ſchmuck und ſchön. Auf
die Erde kommt er ſelten. Sitzt er frei, und man nähert ſich ihm, ſo ſucht er ſich ſogleich in dichten
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[844/0892] Die Fänger. Singvögel. Grasmücken. geſchäfts beobachtet. Die Jungen laſſen ſie nie im Stich; auch die ihnen untergeſchobenen jungen Kukuke, bei denen ſie ſehr häufig Pflegeelteruſtellen vertreten müſſen, ziehen ſie mit Auf- opferung heran. Wie die meiſten Grasmücken läßt ſich das Müllerchen leicht berücken, ohne ſonderliche Mühe an ein Erſatzfutter gewöhnen und dann lange Zeit im Käfig halten. Bei guter Behandlung wird es ſehr zahm und erwirbt ſich dadurch ebenfalls die Gunſt des Liebhabers. Der Vogel, „welcher von allen anderen der kanariſchen Jnſeln den ſchönſten Geſang hat, der Capirote, iſt in Europa unbekannt. Er liebt ſo ſehr die Freiheit, daß er ſich niemals zähmen läßt. Jch bewunderte ſeinen weichen, melodiſchen Schlag in einem Garten bei Orotava, konnte ihn aber nicht nahe genug zu Geſicht bekommen, um zu beſtimmen, welcher Gattung er angehörte‟. So ſagt A. von Humboldt, und es ſind nach des großen Forſchers Beſuch auf den Jnſeln noch Jahre vergangen, bevor wir erſuhren, welchen Vogel er meinte. „Seltſames Mißverſtändniß eines großen Mannes‟, fügt Bolle den von ihm angezogenen Worten Humboldt’s hinzu, „ſeltenes Mißver- ſtändniß, welches wenige Tage längeren Verweilens aufgeklärt haben würden! Eigenthümliche Ungewißheit, in welcher der Genius des damals im Anbrechen begriffenen Jahrhunderts eine Vogel- ſtimme verkannte, die er an den Ufern ſeines heimatlichen Teglerſees ſo oft vernommen haben mußte, auf deren Wiederholung aber an dem Fuße des Teyde längs den Küſten einer entlegenen Küſte er ſchwerlich gefaßt ſein konnte.‟ Jetzt wiſſen wir, daß der ſo hochgefeierte Capirote, welchen der Canarier mit Stolz ſeine Nachti- gall nennt, kein anderer iſt, als unſer allbekannter Mönch, das Schwarzblättchen, die Schwarz- kappe, der Schwarz-, Mohren- oder Mauskopf, das Kardinälchen, der Kloſter- wenzel u. ſ. w., die ſchwarzköpfige Grasmücke (Curruca atricapilla), einer der begabteſten, liebenswürdigſten und gefeierteſten Sänger unſerer Wälder und Gärten. Der Mönch, wie wir ihn der Kürze wegen nennen wollen, kennzeichnet ſich vor allen andern deutſchen Grasmücken durch ſeine Kopfzeichnung. Das Gefieder der Oberſeite iſt grauſchwarz, das der Unterſeite lichtgrau, das der Kehle weißlichgrau; der Scheitel aber iſt beim alten Männchen tiefſchwarz, beim Weibchen und jungen Männchen rothbraun gefärbt. Das Auge iſt braun, der Schnabel ſchwarz, der Fuß bleigrau. Die Länge beträgt 5 Zoll 10 Linien, die Breite 8 Zoll, die Fittiglänge 2½, die Schwanzlänge 2¼ Zoll. Das Weibchen iſt ebenſo groß, wie das Männchen. Zur Zeit iſt es noch nicht ausgemacht, ob eine Grasmücke, deren Männchen auch im Alter eine roſtrothe Kopfplatte beſitzt, der roſtſcheitlige Mönch (Curruca ruficapilla) als beſondere Art angeſprochen oder nur als Spielart des Plattmönchs angeſehen werden darf. Genaue Beobachter haben nicht blos in der Färbung, ſondern auch im Geſang der beiden Vögel Unterſchiede wahr- genommen; ihre Forſchungen bedürfen aber noch der Beſtätigung. Der Mönch bewohnt ganz Mitteleuropa, Südſkandinavien und Südrußland, Polen, Ungarn und Norditalien, aber auch, und zwar ſehr häufig, die kanariſchen Jnſeln, während er in Griechenland wie in Spanien nur auf dem Zuge erſcheint. Seine Wanderung dehnt er, ſoviel ich erforſchen konnte, bis nach dem Sudahn aus; in Jndien dagegen ſcheint er nicht vorzukommen. Er trifft bei uns ein gegen die Mitte des April, nimmt in Waldungen, Gärten und im Gebüſch ſeinen Wohnſitz und ver- läßt uns im September wieder. Ueber die Lebensweiſe liegen viele Mittheilungen vor. Für uns wird es genügen, wenn ich die von meinem Vater gegebene Beſchreibung hier folgen laſſe. „Der Mönch iſt ein munterer, gewandter und vorſichtiger Vogel. Er iſt in ſteter Bewegung, hüpft unaufhörlich und mit großer Geſchicklichkeit in den dichteſten Büſchen herum, trägt dabei ſeinen Leib gewöhnlich wagrecht und die Füße etwas angezogen, legt die Federn faſt immer glatt an und hält ſich ſehr ſchmuck und ſchön. Auf die Erde kommt er ſelten. Sitzt er frei, und man nähert ſich ihm, ſo ſucht er ſich ſogleich in dichten Zweigen zu verbergen oder rettet ſich durch die Flucht. Er weiß Dies ſo geſchickt einzurichten, daß

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 844. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/892>, abgerufen am 25.11.2024.