und lassen sich bis zu Ende Julis fleißig hören; doch gibt es wenige, welche im Käfig ebenso laut und schön singen, wie im Freien. Einzelne nehmen leicht von den Gesängen verschiedener Vögel an; andere sind ungelehrig.
Das allbekannte Müllerchen, die Zaun- oder Klappergrasmücke (Curruca garrula) ist der Gartengrasmücke nicht unähnlich gefärbt, aber bedeutend kleiner und deshalb auch dem Laien leicht kenntlich. Jhre Länge beträgt nur 5 1/3 , ihre Breite höchstens 8 Zoll; der Fittig mißt 21/2, der Schwanz 21/4 Zoll. Das Gefieder ist auf dem Oberkopfe aschgrau, auf dem Rücken bräunlichgrau, auf den Flügeln dunkelbraungrau, auf der Unterseite weiß, an den Brustseiten gelbröthlich überflogen; ein Zügelstreifen ist dunkelgrau; die Flügel- und Schwanzfedern sind wie gewöhnlich lichter gesäumt; das äußerste Paar der Steuerfedern ist weiß. Das Auge ist braun, der Schnabel dunkel-, der Fuß blaugrau.
Mitteleuropa scheint die eigentliche Heimat des Müllerchens zu sein. Vonhieraus ver- breitet es sich bis nach Südschweden und Rußland hin, gehört aber schon in Norwegen zu den seltenen Erscheinungen und kommt im Süden Europas, vielleicht mit Ausnahme Jtaliens, nur als Zugvogel vor. Jm mittleren Asien hat man es einzeln beobachtet, und in Jndien nimmt es, nach Jerdon, allwinterlich Herberge. Es trifft bei uns erst Anfangs Mai ein und verläßt uns schon im September wieder. Während seines kurzen Sommerlebens in der Heimat siedelt es sich vorzugsweise in Gärten, Gebüschen und Hecken an, neben den Ortschaften, wie zwischen den Wohnungen derselben, selbst sogar inmitten größerer Städte. Doch fehlt es auch dem Walde nicht, falls dieser nicht gar zu ausgedehnt und düster ist.
"Das Müllerchen ist", wie Naumann schildert, "ein außerordentlich munterer und anmuthiger Vogel, welcher fast niemals lange an einer Stelle verweilt, sondern immer in Bewegung ist, sich gern mit andern Vögeln neckt und mit Seinesgleichen herumjagt, dabei die Gegenwart des Menschen nicht achtet und ungescheut vor ihm sein Wesen treibt. Nur bei rauher oder nasser Witterung sträubt es zuweilen sein Gefieder, sonst sieht es immer glatt und schlank aus, schlüpft und hüpft behend von Zweig zu Zweig und entschwindet so schnell dem ihn verfolgenden Auge des Beobachters. So leicht und schnell es durchs Gebüsch hüpft, so schwerfällig geschieht Dies auf dem Erdboden, und es kommt deshalb auch nur selten zu ihm herab." Sein Flug ist leicht und schnell, wenn es gilt, größere Strecken zu durchmessen, sonst jedoch flatternd und unsicher. Die Lockstimme ist ein schnalzender oder schmatzender, der Angstruf ein quakender Ton. Der Gesang, welchen das Männchen sehr fleißig hören läßt, "besteht aus einem langen Piano aus allerlei abwechselnd zwitschernden und leise pfeifenden, mit- unter schirkenden Tönen, denen als Schluß ein kürzeres Forte angehängt ist": ein klingendes oder klapperndes Trillern, welches das Lied vor dem aller andern Grasmücken kennzeichnet.
Das Nest steht in dichtem Gebüsch, niedrig über dem Boden, im Walde vorzugsweise in Schwarz- und Weißdorngebüschen, auf Feldern in Dornhecken, im Garten hauptsächlich in Stachelbeerbüschen. Es ist überaus leicht gebaut, einfach auf Zweige gestellt, ohne mit ihnen verbunden zu sein, und ähnelt im übrigen den Nestern der Verwandten. Das Gelege besteht aus vier bis sechs rundlichen, zartschaligen Eiern, welche auf reinweißem oder bläulichgrünem Grunde mit asch- oder violettgrauen, gelbbraunen Flecken und Punkten bestreut sind, besonders am dickeren Ende. Beide Eltern brüten wechselsweise, zeitigen die Eier innerhalb dreizehn Tagen, lieben ihre Brut mit derselben Zärtlichkeit wie andere Grasmücken, brauchen auch dieselben Künste der Verstellung, wenn ihnen Gefahr droht und verfolgen noch außerdem den sich nähernden Feind mit ängstlichem Geschrei. Jm allgemeinen sind die Müllerchen während ihrer Fortpflanzungszeit äußerst mißtrauisch: sie lassen ein bereits ange- fangenes Nest oft liegen, wenn sie erfahren haben, daß es von einem Menschen auch nur gesehen wurde, und sie verlassen die Eier, sobald sie bemerken, daß diese berührt wurden; diejenigen aber, welche von dem Wohlwollen ihrer Gastfreunde überzeugt wurden, verlieren nach und nach ihr Miß- trauen und gestatten, daß man sie, wenn man vorsichtig dem Neste sich naht, während ihres Brut-
Gartengrasmücke. Müllerchen.
und laſſen ſich bis zu Ende Julis fleißig hören; doch gibt es wenige, welche im Käfig ebenſo laut und ſchön ſingen, wie im Freien. Einzelne nehmen leicht von den Geſängen verſchiedener Vögel an; andere ſind ungelehrig.
Das allbekannte Müllerchen, die Zaun- oder Klappergrasmücke (Curruca garrula) iſt der Gartengrasmücke nicht unähnlich gefärbt, aber bedeutend kleiner und deshalb auch dem Laien leicht kenntlich. Jhre Länge beträgt nur 5⅓, ihre Breite höchſtens 8 Zoll; der Fittig mißt 2½, der Schwanz 2¼ Zoll. Das Gefieder iſt auf dem Oberkopfe aſchgrau, auf dem Rücken bräunlichgrau, auf den Flügeln dunkelbraungrau, auf der Unterſeite weiß, an den Bruſtſeiten gelbröthlich überflogen; ein Zügelſtreifen iſt dunkelgrau; die Flügel- und Schwanzfedern ſind wie gewöhnlich lichter geſäumt; das äußerſte Paar der Steuerfedern iſt weiß. Das Auge iſt braun, der Schnabel dunkel-, der Fuß blaugrau.
Mitteleuropa ſcheint die eigentliche Heimat des Müllerchens zu ſein. Vonhieraus ver- breitet es ſich bis nach Südſchweden und Rußland hin, gehört aber ſchon in Norwegen zu den ſeltenen Erſcheinungen und kommt im Süden Europas, vielleicht mit Ausnahme Jtaliens, nur als Zugvogel vor. Jm mittleren Aſien hat man es einzeln beobachtet, und in Jndien nimmt es, nach Jerdon, allwinterlich Herberge. Es trifft bei uns erſt Anfangs Mai ein und verläßt uns ſchon im September wieder. Während ſeines kurzen Sommerlebens in der Heimat ſiedelt es ſich vorzugsweiſe in Gärten, Gebüſchen und Hecken an, neben den Ortſchaften, wie zwiſchen den Wohnungen derſelben, ſelbſt ſogar inmitten größerer Städte. Doch fehlt es auch dem Walde nicht, falls dieſer nicht gar zu ausgedehnt und düſter iſt.
„Das Müllerchen iſt‟, wie Naumann ſchildert, „ein außerordentlich munterer und anmuthiger Vogel, welcher faſt niemals lange an einer Stelle verweilt, ſondern immer in Bewegung iſt, ſich gern mit andern Vögeln neckt und mit Seinesgleichen herumjagt, dabei die Gegenwart des Menſchen nicht achtet und ungeſcheut vor ihm ſein Weſen treibt. Nur bei rauher oder naſſer Witterung ſträubt es zuweilen ſein Gefieder, ſonſt ſieht es immer glatt und ſchlank aus, ſchlüpft und hüpft behend von Zweig zu Zweig und entſchwindet ſo ſchnell dem ihn verfolgenden Auge des Beobachters. So leicht und ſchnell es durchs Gebüſch hüpft, ſo ſchwerfällig geſchieht Dies auf dem Erdboden, und es kommt deshalb auch nur ſelten zu ihm herab.‟ Sein Flug iſt leicht und ſchnell, wenn es gilt, größere Strecken zu durchmeſſen, ſonſt jedoch flatternd und unſicher. Die Lockſtimme iſt ein ſchnalzender oder ſchmatzender, der Angſtruf ein quakender Ton. Der Geſang, welchen das Männchen ſehr fleißig hören läßt, „beſteht aus einem langen Piano aus allerlei abwechſelnd zwitſchernden und leiſe pfeifenden, mit- unter ſchirkenden Tönen, denen als Schluß ein kürzeres Forte angehängt iſt‟: ein klingendes oder klapperndes Trillern, welches das Lied vor dem aller andern Grasmücken kennzeichnet.
Das Neſt ſteht in dichtem Gebüſch, niedrig über dem Boden, im Walde vorzugsweiſe in Schwarz- und Weißdorngebüſchen, auf Feldern in Dornhecken, im Garten hauptſächlich in Stachelbeerbüſchen. Es iſt überaus leicht gebaut, einfach auf Zweige geſtellt, ohne mit ihnen verbunden zu ſein, und ähnelt im übrigen den Neſtern der Verwandten. Das Gelege beſteht aus vier bis ſechs rundlichen, zartſchaligen Eiern, welche auf reinweißem oder bläulichgrünem Grunde mit aſch- oder violettgrauen, gelbbraunen Flecken und Punkten beſtreut ſind, beſonders am dickeren Ende. Beide Eltern brüten wechſelsweiſe, zeitigen die Eier innerhalb dreizehn Tagen, lieben ihre Brut mit derſelben Zärtlichkeit wie andere Grasmücken, brauchen auch dieſelben Künſte der Verſtellung, wenn ihnen Gefahr droht und verfolgen noch außerdem den ſich nähernden Feind mit ängſtlichem Geſchrei. Jm allgemeinen ſind die Müllerchen während ihrer Fortpflanzungszeit äußerſt mißtrauiſch: ſie laſſen ein bereits ange- fangenes Neſt oft liegen, wenn ſie erfahren haben, daß es von einem Menſchen auch nur geſehen wurde, und ſie verlaſſen die Eier, ſobald ſie bemerken, daß dieſe berührt wurden; diejenigen aber, welche von dem Wohlwollen ihrer Gaſtfreunde überzeugt wurden, verlieren nach und nach ihr Miß- trauen und geſtatten, daß man ſie, wenn man vorſichtig dem Neſte ſich naht, während ihres Brut-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0891"n="843"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Gartengrasmücke. Müllerchen.</hi></fw><lb/>
und laſſen ſich bis zu Ende Julis fleißig hören; doch gibt es wenige, welche im Käfig ebenſo laut und<lb/>ſchön ſingen, wie im Freien. Einzelne nehmen leicht von den Geſängen verſchiedener Vögel an;<lb/>
andere ſind ungelehrig.</p><lb/><p>Das allbekannte <hirendition="#g">Müllerchen,</hi> die <hirendition="#g">Zaun-</hi> oder <hirendition="#g">Klappergrasmücke</hi> (<hirendition="#aq">Curruca garrula</hi>) iſt<lb/>
der Gartengrasmücke nicht unähnlich gefärbt, aber bedeutend kleiner und deshalb auch dem Laien leicht<lb/>
kenntlich. Jhre Länge beträgt nur 5⅓, ihre Breite höchſtens 8 Zoll; der Fittig mißt 2½, der<lb/>
Schwanz 2¼ Zoll. Das Gefieder iſt auf dem Oberkopfe aſchgrau, auf dem Rücken bräunlichgrau,<lb/>
auf den Flügeln dunkelbraungrau, auf der Unterſeite weiß, an den Bruſtſeiten gelbröthlich überflogen;<lb/>
ein Zügelſtreifen iſt dunkelgrau; die Flügel- und Schwanzfedern ſind wie gewöhnlich lichter geſäumt;<lb/>
das äußerſte Paar der Steuerfedern iſt weiß. Das Auge iſt braun, der Schnabel dunkel-, der<lb/>
Fuß blaugrau.</p><lb/><p>Mitteleuropa ſcheint die eigentliche Heimat des Müllerchens zu ſein. Vonhieraus ver-<lb/>
breitet es ſich bis nach Südſchweden und Rußland hin, gehört aber ſchon in Norwegen zu den ſeltenen<lb/>
Erſcheinungen und kommt im Süden Europas, vielleicht mit Ausnahme Jtaliens, nur als Zugvogel<lb/>
vor. Jm mittleren Aſien hat man es einzeln beobachtet, und in Jndien nimmt es, nach <hirendition="#g">Jerdon,</hi><lb/>
allwinterlich Herberge. Es trifft bei uns erſt Anfangs Mai ein und verläßt uns ſchon im September<lb/>
wieder. Während ſeines kurzen Sommerlebens in der Heimat ſiedelt es ſich vorzugsweiſe in Gärten,<lb/>
Gebüſchen und Hecken an, neben den Ortſchaften, wie zwiſchen den Wohnungen derſelben, ſelbſt ſogar<lb/>
inmitten größerer Städte. Doch fehlt es auch dem Walde nicht, falls dieſer nicht gar zu ausgedehnt<lb/>
und düſter iſt.</p><lb/><p>„Das Müllerchen iſt‟, wie <hirendition="#g">Naumann</hi>ſchildert, „ein außerordentlich munterer und anmuthiger<lb/>
Vogel, welcher faſt niemals lange an einer Stelle verweilt, ſondern immer in Bewegung iſt, ſich gern<lb/>
mit andern Vögeln neckt und mit Seinesgleichen herumjagt, dabei die Gegenwart des Menſchen nicht<lb/>
achtet und ungeſcheut vor ihm ſein Weſen treibt. Nur bei rauher oder naſſer Witterung ſträubt es<lb/>
zuweilen ſein Gefieder, ſonſt ſieht es immer glatt und ſchlank aus, ſchlüpft und hüpft behend von<lb/>
Zweig zu Zweig und entſchwindet ſo ſchnell dem ihn verfolgenden Auge des Beobachters. So leicht<lb/>
und ſchnell es durchs Gebüſch hüpft, ſo ſchwerfällig geſchieht Dies auf dem Erdboden, und es kommt<lb/>
deshalb auch nur ſelten zu ihm herab.‟ Sein Flug iſt leicht und ſchnell, wenn es gilt, größere Strecken<lb/>
zu durchmeſſen, ſonſt jedoch flatternd und unſicher. Die Lockſtimme iſt ein ſchnalzender oder<lb/>ſchmatzender, der Angſtruf ein quakender Ton. Der Geſang, welchen das Männchen ſehr fleißig hören<lb/>
läßt, „beſteht aus einem langen Piano aus allerlei abwechſelnd zwitſchernden und leiſe pfeifenden, mit-<lb/>
unter ſchirkenden Tönen, denen als Schluß ein kürzeres Forte angehängt iſt‟: ein klingendes oder<lb/>
klapperndes Trillern, welches das Lied vor dem aller andern Grasmücken kennzeichnet.</p><lb/><p>Das Neſt ſteht in dichtem Gebüſch, niedrig über dem Boden, im Walde vorzugsweiſe in Schwarz-<lb/>
und Weißdorngebüſchen, auf Feldern in Dornhecken, im Garten hauptſächlich in Stachelbeerbüſchen.<lb/>
Es iſt überaus leicht gebaut, einfach auf Zweige geſtellt, ohne mit ihnen verbunden zu ſein, und<lb/>
ähnelt im übrigen den Neſtern der Verwandten. Das Gelege beſteht aus vier bis ſechs rundlichen,<lb/>
zartſchaligen Eiern, welche auf reinweißem oder bläulichgrünem Grunde mit aſch- oder violettgrauen,<lb/>
gelbbraunen Flecken und Punkten beſtreut ſind, beſonders am dickeren Ende. Beide Eltern brüten<lb/>
wechſelsweiſe, zeitigen die Eier innerhalb dreizehn Tagen, lieben ihre Brut mit derſelben Zärtlichkeit<lb/>
wie andere Grasmücken, brauchen auch dieſelben Künſte der Verſtellung, wenn ihnen Gefahr droht<lb/>
und verfolgen noch außerdem den ſich nähernden Feind mit ängſtlichem Geſchrei. Jm allgemeinen<lb/>ſind die Müllerchen während ihrer Fortpflanzungszeit äußerſt mißtrauiſch: ſie laſſen ein bereits ange-<lb/>
fangenes Neſt oft liegen, wenn ſie erfahren haben, daß es von einem Menſchen auch nur geſehen<lb/>
wurde, und ſie verlaſſen die Eier, ſobald ſie bemerken, daß dieſe berührt wurden; diejenigen aber,<lb/>
welche von dem Wohlwollen ihrer Gaſtfreunde überzeugt wurden, verlieren nach und nach ihr Miß-<lb/>
trauen und geſtatten, daß man ſie, wenn man vorſichtig dem Neſte ſich naht, während ihres Brut-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[843/0891]
Gartengrasmücke. Müllerchen.
und laſſen ſich bis zu Ende Julis fleißig hören; doch gibt es wenige, welche im Käfig ebenſo laut und
ſchön ſingen, wie im Freien. Einzelne nehmen leicht von den Geſängen verſchiedener Vögel an;
andere ſind ungelehrig.
Das allbekannte Müllerchen, die Zaun- oder Klappergrasmücke (Curruca garrula) iſt
der Gartengrasmücke nicht unähnlich gefärbt, aber bedeutend kleiner und deshalb auch dem Laien leicht
kenntlich. Jhre Länge beträgt nur 5⅓, ihre Breite höchſtens 8 Zoll; der Fittig mißt 2½, der
Schwanz 2¼ Zoll. Das Gefieder iſt auf dem Oberkopfe aſchgrau, auf dem Rücken bräunlichgrau,
auf den Flügeln dunkelbraungrau, auf der Unterſeite weiß, an den Bruſtſeiten gelbröthlich überflogen;
ein Zügelſtreifen iſt dunkelgrau; die Flügel- und Schwanzfedern ſind wie gewöhnlich lichter geſäumt;
das äußerſte Paar der Steuerfedern iſt weiß. Das Auge iſt braun, der Schnabel dunkel-, der
Fuß blaugrau.
Mitteleuropa ſcheint die eigentliche Heimat des Müllerchens zu ſein. Vonhieraus ver-
breitet es ſich bis nach Südſchweden und Rußland hin, gehört aber ſchon in Norwegen zu den ſeltenen
Erſcheinungen und kommt im Süden Europas, vielleicht mit Ausnahme Jtaliens, nur als Zugvogel
vor. Jm mittleren Aſien hat man es einzeln beobachtet, und in Jndien nimmt es, nach Jerdon,
allwinterlich Herberge. Es trifft bei uns erſt Anfangs Mai ein und verläßt uns ſchon im September
wieder. Während ſeines kurzen Sommerlebens in der Heimat ſiedelt es ſich vorzugsweiſe in Gärten,
Gebüſchen und Hecken an, neben den Ortſchaften, wie zwiſchen den Wohnungen derſelben, ſelbſt ſogar
inmitten größerer Städte. Doch fehlt es auch dem Walde nicht, falls dieſer nicht gar zu ausgedehnt
und düſter iſt.
„Das Müllerchen iſt‟, wie Naumann ſchildert, „ein außerordentlich munterer und anmuthiger
Vogel, welcher faſt niemals lange an einer Stelle verweilt, ſondern immer in Bewegung iſt, ſich gern
mit andern Vögeln neckt und mit Seinesgleichen herumjagt, dabei die Gegenwart des Menſchen nicht
achtet und ungeſcheut vor ihm ſein Weſen treibt. Nur bei rauher oder naſſer Witterung ſträubt es
zuweilen ſein Gefieder, ſonſt ſieht es immer glatt und ſchlank aus, ſchlüpft und hüpft behend von
Zweig zu Zweig und entſchwindet ſo ſchnell dem ihn verfolgenden Auge des Beobachters. So leicht
und ſchnell es durchs Gebüſch hüpft, ſo ſchwerfällig geſchieht Dies auf dem Erdboden, und es kommt
deshalb auch nur ſelten zu ihm herab.‟ Sein Flug iſt leicht und ſchnell, wenn es gilt, größere Strecken
zu durchmeſſen, ſonſt jedoch flatternd und unſicher. Die Lockſtimme iſt ein ſchnalzender oder
ſchmatzender, der Angſtruf ein quakender Ton. Der Geſang, welchen das Männchen ſehr fleißig hören
läßt, „beſteht aus einem langen Piano aus allerlei abwechſelnd zwitſchernden und leiſe pfeifenden, mit-
unter ſchirkenden Tönen, denen als Schluß ein kürzeres Forte angehängt iſt‟: ein klingendes oder
klapperndes Trillern, welches das Lied vor dem aller andern Grasmücken kennzeichnet.
Das Neſt ſteht in dichtem Gebüſch, niedrig über dem Boden, im Walde vorzugsweiſe in Schwarz-
und Weißdorngebüſchen, auf Feldern in Dornhecken, im Garten hauptſächlich in Stachelbeerbüſchen.
Es iſt überaus leicht gebaut, einfach auf Zweige geſtellt, ohne mit ihnen verbunden zu ſein, und
ähnelt im übrigen den Neſtern der Verwandten. Das Gelege beſteht aus vier bis ſechs rundlichen,
zartſchaligen Eiern, welche auf reinweißem oder bläulichgrünem Grunde mit aſch- oder violettgrauen,
gelbbraunen Flecken und Punkten beſtreut ſind, beſonders am dickeren Ende. Beide Eltern brüten
wechſelsweiſe, zeitigen die Eier innerhalb dreizehn Tagen, lieben ihre Brut mit derſelben Zärtlichkeit
wie andere Grasmücken, brauchen auch dieſelben Künſte der Verſtellung, wenn ihnen Gefahr droht
und verfolgen noch außerdem den ſich nähernden Feind mit ängſtlichem Geſchrei. Jm allgemeinen
ſind die Müllerchen während ihrer Fortpflanzungszeit äußerſt mißtrauiſch: ſie laſſen ein bereits ange-
fangenes Neſt oft liegen, wenn ſie erfahren haben, daß es von einem Menſchen auch nur geſehen
wurde, und ſie verlaſſen die Eier, ſobald ſie bemerken, daß dieſe berührt wurden; diejenigen aber,
welche von dem Wohlwollen ihrer Gaſtfreunde überzeugt wurden, verlieren nach und nach ihr Miß-
trauen und geſtatten, daß man ſie, wenn man vorſichtig dem Neſte ſich naht, während ihres Brut-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 843. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/891>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.