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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Singvögel. Grasmücken.
Männchen brüten hilft, singt es in den Mittagsstunden nicht, sonst zu jeder Tagzeit fast ununter-
brochen, bis es Junge hat; dann macht die Sorge für diese öftere Unterbrechungen nothwendig.
Während des Singens sitzt es blos am frühen Morgen, wenn eben die Dämmerung anbricht, still in
seiner Hecke oder Baumkrone, sonst selten und nur auf Augenblicke; es ist vielmehr immer in
Bewegung, hüpft singend von Zweig zu Zweig und sucht nebenbei seine Nahrung. Der Gesang hat
die längste Melodie von allen mir bekannten Grasmückengesängen und einige Aehnlichkeit mit dem
der Mönchgrasmücke, noch viel mehr aber mit dem der Sperbergrasmücke, dem er, bis auf einen durch-
gehends reineren Flötenton, vollkommen gleichen würde, wenn in jenem nicht einige weniger melodische
oder unsanftere Stellen vorkämen."

Das Nest steht bald tief, bald hoch über dem Boden, zuweilen in niederen Büschen, zuweilen auch
auf kleinen Bäumchen. Es ist unter allen Grasmückennestern am leichtfertigsten gebaut und
namentlich der Boden zuweilen so dünn, daß man kaum begreift, wie er die Eier festhält. Dabei
wird es sorglos zwischen die dünnen Aeste hingestellt, so daß es, wie Naumann versichert, kaum das
oftmalige Aus- und Einsteigen des Vogels aushält oder vom Winde umgestürzt wird. "Jn der
Wahl des Platzes sind die Gartengrasmücken so unbeständig, daß sie bald hier, bald da einen neuen
Bau anfangen, ohne einen zu vollenden, und zuletzt häufig den ausführen, welcher, nach menschlichem
Dafürhalten, gerade am unpassendsten Orte steht. Nicht allemal ist hieran ihre Vorsicht schuld.
Wenn sie einen Menschen in der Nähe, wo sie eben ihr Nest zu bauen anfangen, gewahr werden, lassen
sie den Bau gleich liegen; allein ich habe auch an solchen Orten, wo lange kein Mensch hingekommen
war, eine Menge unvollendeter Nester gefunden, welche öfters erst aus ein paar Dutzend kreuzweis
hingelegten Hälmchen bestanden, und wo das eine nur wenige Schritte vom andern entfernt war, und
so in einem sehr kleinen Bezirke viele gesehen, ehe ich an das fertige mit den Eiern u. s. w. kam. Die
vielen, mit wenigen Hälmchen umlegten Stellen zur Grundlage eines Nestes, die man beim Suchen
nach Nestern in den Büschen findet, rühren oft von einem einzigen Pärchen her." Das Gelege ist
erst zu Ende Mais vollzählig. Die fünf bis sechs Eier, welche es bilden, ändern in Farbe und Zeich-
nung außerordentlich ab. Gewöhnlich sind sie auf trübröthlichweißem Grunde mattbraun und asch-
grau, weiß gefleckt und marmorirt. Beide Geschlechter brüten, das Männchen aber nur in den
Mittagsstunden. Nach vierzehntägiger Bebrütung schlüpfen die Jungen aus, nach weiteren vierzehn
Tagen sind sie bereits so weit entwickelt, daß sie das Nest augenblicklich verlassen, wenn ein Feind sich
ihnen nähert. Allerdings können sie dann noch nicht fliegen; sie huschen und klettern aber mit so viel
Behendigkeit durchs Gezweig, daß sie dem Auge des Menschen bald entschwinden. Die Eltern
benehmen sich angesichts drohender Gefahr wie andere Mitglieder ihrer Familie, am ängstlichsten dann,
wenn die Jungen in ihrem kindischen Eifer sich selbst zu retten suchen. Ungestört brütet das Pärchen
nur einmal im Jahre.

Des ausgezeichneten Gesanges wegen wird die Gartengrasmücke häufig im Käfig gehalten. "An
die Gefangenschaft", sagt Naumann, "gewöhnt sich dieser geduldige Vogel bald, zumal, wenn man
ihm anfänglich die Flügel bindet und den Käfig mit einem grünen Tuche verhängt. Nachher wird er
gewöhnlich ungemein zahm und erfreut dadurch, wie durch sein fleißiges Singen außerordentlich.
Man kann ihn auch frei in die Stube, am besten in eine unbewohnte, unter andere Vögel fliegen
lassen, mit denen er sich sehr gut verträgt; er soll hier sogar eine besondere Liebe und Zärtlichkeit gegen
Seinesgleichen an den Tag legen." Jn einem geräumigen Käfig hält er sich übrigens doch besser, als
im Zimmer, wenn auch nicht so lange, wie der Mönch. Jung aus dem Neste genommene Garten-
grasmücken werden ungemein zahm. Jhre Erziehung kann man sich erleichtern, wenn man sie sammt
dem Neste in einen Käfig steckt und diesen da hinhängt, wo jenes stand; denn die Eltern verlassen ihre
Brut auch dann nicht, ja, sie äzen sogar, wenn sie selbst gefangen und mit ihren Kindern zusammen-
gesperrt wurden, mit demselben Eifer, wie in der Freiheit. Bei guter Pflege kann man die Gefangenen
zehn bis zwölf Jahre im Käfige erhalten. Mein Vater hat solche gesehen, welche funfzehn Jahre im
Zimmer ausgedauert hatten. Die Eingewohnten beginnen gewöhnlich schon im Dezember zu singen

Die Fänger. Singvögel. Grasmücken.
Männchen brüten hilft, ſingt es in den Mittagsſtunden nicht, ſonſt zu jeder Tagzeit faſt ununter-
brochen, bis es Junge hat; dann macht die Sorge für dieſe öftere Unterbrechungen nothwendig.
Während des Singens ſitzt es blos am frühen Morgen, wenn eben die Dämmerung anbricht, ſtill in
ſeiner Hecke oder Baumkrone, ſonſt ſelten und nur auf Augenblicke; es iſt vielmehr immer in
Bewegung, hüpft ſingend von Zweig zu Zweig und ſucht nebenbei ſeine Nahrung. Der Geſang hat
die längſte Melodie von allen mir bekannten Grasmückengeſängen und einige Aehnlichkeit mit dem
der Mönchgrasmücke, noch viel mehr aber mit dem der Sperbergrasmücke, dem er, bis auf einen durch-
gehends reineren Flötenton, vollkommen gleichen würde, wenn in jenem nicht einige weniger melodiſche
oder unſanftere Stellen vorkämen.‟

Das Neſt ſteht bald tief, bald hoch über dem Boden, zuweilen in niederen Büſchen, zuweilen auch
auf kleinen Bäumchen. Es iſt unter allen Grasmückenneſtern am leichtfertigſten gebaut und
namentlich der Boden zuweilen ſo dünn, daß man kaum begreift, wie er die Eier feſthält. Dabei
wird es ſorglos zwiſchen die dünnen Aeſte hingeſtellt, ſo daß es, wie Naumann verſichert, kaum das
oftmalige Aus- und Einſteigen des Vogels aushält oder vom Winde umgeſtürzt wird. „Jn der
Wahl des Platzes ſind die Gartengrasmücken ſo unbeſtändig, daß ſie bald hier, bald da einen neuen
Bau anfangen, ohne einen zu vollenden, und zuletzt häufig den ausführen, welcher, nach menſchlichem
Dafürhalten, gerade am unpaſſendſten Orte ſteht. Nicht allemal iſt hieran ihre Vorſicht ſchuld.
Wenn ſie einen Menſchen in der Nähe, wo ſie eben ihr Neſt zu bauen anfangen, gewahr werden, laſſen
ſie den Bau gleich liegen; allein ich habe auch an ſolchen Orten, wo lange kein Menſch hingekommen
war, eine Menge unvollendeter Neſter gefunden, welche öfters erſt aus ein paar Dutzend kreuzweis
hingelegten Hälmchen beſtanden, und wo das eine nur wenige Schritte vom andern entfernt war, und
ſo in einem ſehr kleinen Bezirke viele geſehen, ehe ich an das fertige mit den Eiern u. ſ. w. kam. Die
vielen, mit wenigen Hälmchen umlegten Stellen zur Grundlage eines Neſtes, die man beim Suchen
nach Neſtern in den Büſchen findet, rühren oft von einem einzigen Pärchen her.‟ Das Gelege iſt
erſt zu Ende Mais vollzählig. Die fünf bis ſechs Eier, welche es bilden, ändern in Farbe und Zeich-
nung außerordentlich ab. Gewöhnlich ſind ſie auf trübröthlichweißem Grunde mattbraun und aſch-
grau, weiß gefleckt und marmorirt. Beide Geſchlechter brüten, das Männchen aber nur in den
Mittagsſtunden. Nach vierzehntägiger Bebrütung ſchlüpfen die Jungen aus, nach weiteren vierzehn
Tagen ſind ſie bereits ſo weit entwickelt, daß ſie das Neſt augenblicklich verlaſſen, wenn ein Feind ſich
ihnen nähert. Allerdings können ſie dann noch nicht fliegen; ſie huſchen und klettern aber mit ſo viel
Behendigkeit durchs Gezweig, daß ſie dem Auge des Menſchen bald entſchwinden. Die Eltern
benehmen ſich angeſichts drohender Gefahr wie andere Mitglieder ihrer Familie, am ängſtlichſten dann,
wenn die Jungen in ihrem kindiſchen Eifer ſich ſelbſt zu retten ſuchen. Ungeſtört brütet das Pärchen
nur einmal im Jahre.

Des ausgezeichneten Geſanges wegen wird die Gartengrasmücke häufig im Käfig gehalten. „An
die Gefangenſchaft‟, ſagt Naumann, „gewöhnt ſich dieſer geduldige Vogel bald, zumal, wenn man
ihm anfänglich die Flügel bindet und den Käfig mit einem grünen Tuche verhängt. Nachher wird er
gewöhnlich ungemein zahm und erfreut dadurch, wie durch ſein fleißiges Singen außerordentlich.
Man kann ihn auch frei in die Stube, am beſten in eine unbewohnte, unter andere Vögel fliegen
laſſen, mit denen er ſich ſehr gut verträgt; er ſoll hier ſogar eine beſondere Liebe und Zärtlichkeit gegen
Seinesgleichen an den Tag legen.‟ Jn einem geräumigen Käfig hält er ſich übrigens doch beſſer, als
im Zimmer, wenn auch nicht ſo lange, wie der Mönch. Jung aus dem Neſte genommene Garten-
grasmücken werden ungemein zahm. Jhre Erziehung kann man ſich erleichtern, wenn man ſie ſammt
dem Neſte in einen Käfig ſteckt und dieſen da hinhängt, wo jenes ſtand; denn die Eltern verlaſſen ihre
Brut auch dann nicht, ja, ſie äzen ſogar, wenn ſie ſelbſt gefangen und mit ihren Kindern zuſammen-
geſperrt wurden, mit demſelben Eifer, wie in der Freiheit. Bei guter Pflege kann man die Gefangenen
zehn bis zwölf Jahre im Käfige erhalten. Mein Vater hat ſolche geſehen, welche funfzehn Jahre im
Zimmer ausgedauert hatten. Die Eingewohnten beginnen gewöhnlich ſchon im Dezember zu ſingen

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[842/0890] Die Fänger. Singvögel. Grasmücken. Männchen brüten hilft, ſingt es in den Mittagsſtunden nicht, ſonſt zu jeder Tagzeit faſt ununter- brochen, bis es Junge hat; dann macht die Sorge für dieſe öftere Unterbrechungen nothwendig. Während des Singens ſitzt es blos am frühen Morgen, wenn eben die Dämmerung anbricht, ſtill in ſeiner Hecke oder Baumkrone, ſonſt ſelten und nur auf Augenblicke; es iſt vielmehr immer in Bewegung, hüpft ſingend von Zweig zu Zweig und ſucht nebenbei ſeine Nahrung. Der Geſang hat die längſte Melodie von allen mir bekannten Grasmückengeſängen und einige Aehnlichkeit mit dem der Mönchgrasmücke, noch viel mehr aber mit dem der Sperbergrasmücke, dem er, bis auf einen durch- gehends reineren Flötenton, vollkommen gleichen würde, wenn in jenem nicht einige weniger melodiſche oder unſanftere Stellen vorkämen.‟ Das Neſt ſteht bald tief, bald hoch über dem Boden, zuweilen in niederen Büſchen, zuweilen auch auf kleinen Bäumchen. Es iſt unter allen Grasmückenneſtern am leichtfertigſten gebaut und namentlich der Boden zuweilen ſo dünn, daß man kaum begreift, wie er die Eier feſthält. Dabei wird es ſorglos zwiſchen die dünnen Aeſte hingeſtellt, ſo daß es, wie Naumann verſichert, kaum das oftmalige Aus- und Einſteigen des Vogels aushält oder vom Winde umgeſtürzt wird. „Jn der Wahl des Platzes ſind die Gartengrasmücken ſo unbeſtändig, daß ſie bald hier, bald da einen neuen Bau anfangen, ohne einen zu vollenden, und zuletzt häufig den ausführen, welcher, nach menſchlichem Dafürhalten, gerade am unpaſſendſten Orte ſteht. Nicht allemal iſt hieran ihre Vorſicht ſchuld. Wenn ſie einen Menſchen in der Nähe, wo ſie eben ihr Neſt zu bauen anfangen, gewahr werden, laſſen ſie den Bau gleich liegen; allein ich habe auch an ſolchen Orten, wo lange kein Menſch hingekommen war, eine Menge unvollendeter Neſter gefunden, welche öfters erſt aus ein paar Dutzend kreuzweis hingelegten Hälmchen beſtanden, und wo das eine nur wenige Schritte vom andern entfernt war, und ſo in einem ſehr kleinen Bezirke viele geſehen, ehe ich an das fertige mit den Eiern u. ſ. w. kam. Die vielen, mit wenigen Hälmchen umlegten Stellen zur Grundlage eines Neſtes, die man beim Suchen nach Neſtern in den Büſchen findet, rühren oft von einem einzigen Pärchen her.‟ Das Gelege iſt erſt zu Ende Mais vollzählig. Die fünf bis ſechs Eier, welche es bilden, ändern in Farbe und Zeich- nung außerordentlich ab. Gewöhnlich ſind ſie auf trübröthlichweißem Grunde mattbraun und aſch- grau, weiß gefleckt und marmorirt. Beide Geſchlechter brüten, das Männchen aber nur in den Mittagsſtunden. Nach vierzehntägiger Bebrütung ſchlüpfen die Jungen aus, nach weiteren vierzehn Tagen ſind ſie bereits ſo weit entwickelt, daß ſie das Neſt augenblicklich verlaſſen, wenn ein Feind ſich ihnen nähert. Allerdings können ſie dann noch nicht fliegen; ſie huſchen und klettern aber mit ſo viel Behendigkeit durchs Gezweig, daß ſie dem Auge des Menſchen bald entſchwinden. Die Eltern benehmen ſich angeſichts drohender Gefahr wie andere Mitglieder ihrer Familie, am ängſtlichſten dann, wenn die Jungen in ihrem kindiſchen Eifer ſich ſelbſt zu retten ſuchen. Ungeſtört brütet das Pärchen nur einmal im Jahre. Des ausgezeichneten Geſanges wegen wird die Gartengrasmücke häufig im Käfig gehalten. „An die Gefangenſchaft‟, ſagt Naumann, „gewöhnt ſich dieſer geduldige Vogel bald, zumal, wenn man ihm anfänglich die Flügel bindet und den Käfig mit einem grünen Tuche verhängt. Nachher wird er gewöhnlich ungemein zahm und erfreut dadurch, wie durch ſein fleißiges Singen außerordentlich. Man kann ihn auch frei in die Stube, am beſten in eine unbewohnte, unter andere Vögel fliegen laſſen, mit denen er ſich ſehr gut verträgt; er ſoll hier ſogar eine beſondere Liebe und Zärtlichkeit gegen Seinesgleichen an den Tag legen.‟ Jn einem geräumigen Käfig hält er ſich übrigens doch beſſer, als im Zimmer, wenn auch nicht ſo lange, wie der Mönch. Jung aus dem Neſte genommene Garten- grasmücken werden ungemein zahm. Jhre Erziehung kann man ſich erleichtern, wenn man ſie ſammt dem Neſte in einen Käfig ſteckt und dieſen da hinhängt, wo jenes ſtand; denn die Eltern verlaſſen ihre Brut auch dann nicht, ja, ſie äzen ſogar, wenn ſie ſelbſt gefangen und mit ihren Kindern zuſammen- geſperrt wurden, mit demſelben Eifer, wie in der Freiheit. Bei guter Pflege kann man die Gefangenen zehn bis zwölf Jahre im Käfige erhalten. Mein Vater hat ſolche geſehen, welche funfzehn Jahre im Zimmer ausgedauert hatten. Die Eingewohnten beginnen gewöhnlich ſchon im Dezember zu ſingen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 842. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/890>, abgerufen am 26.06.2024.