gedenken bemerkt worden. Nur die jüngeren Vögel lassen sich zuweilen außerhalb des Jagdgebiets der Alten sehen; sie müssen sich erst einen festen Wohnsitz erwerben: diesem Zweck gelten ihre größeren Ausflüge. Ueber Tags sitzen die Schleierkäuze ruhig in einem dunkeln Winkel der betreffenden Gebäude, auf dem Gebälk der Thürme oder Kirchboden, in Mauernischen, in Taubenschlägen und an ähnlichen Orten. Das Läuten der Glocken in unmittelbarer Nähe ihres Schlafplatzes, das Aus- und Einschwärmen der Tauben eines Schlags, in dem sie sich angesiedelt haben, stört sie nicht im Geringsten; sie haben sich an den Menschen und sein Treiben ebensogut gewöhnt, als an das Gelärm der Tauben, mit denen sie in bester Freundschaft verkehren. Wenn sie stille sitzen, haben sie mit andern Eulen Aehnlichkeit, fallen aber doch durch ihre schlanke, hohe Gestalt und namentlich durch
[Abbildung]
Der Schleierkauz (Strix flammea).
das unbeschreibliche, herzförmige Gesicht, welches die wunderbarsten Verzerrungen ermöglicht, Jeder- mann auf. Durch Beobachtung an Gefangenen wissen wir zur Genüge, daß ihr Schlaf ein sehr leiser ist. Es gelingt dem Menschen niemals, sie zu übertölpeln; das geringste Geräusch ist hinreichend, sie zu erwecken. Beim Anblick des Beschaners pflegen sie sich hoch aufzurichten und leise hin und her zu schaukeln, indem sie sich auf den Beinen wiegend seitlich hin und her bewegen. Einige Grimassen werden bei solchen Gelegenheiten auch geschnitten; alle Bewegungen aber sind stetiger und langsamer, als bei den meisten übrigen Eulen. Rückt ihnen eine vermeintliche Gefahr nahe auf den Hals, so fliegen sie weg und beweisen dann, daß sie auch bei Tage sehr gut sehen können. Nach Sonnen-
Die Fänger. Raubvögel. Nachtkäuze.
gedenken bemerkt worden. Nur die jüngeren Vögel laſſen ſich zuweilen außerhalb des Jagdgebiets der Alten ſehen; ſie müſſen ſich erſt einen feſten Wohnſitz erwerben: dieſem Zweck gelten ihre größeren Ausflüge. Ueber Tags ſitzen die Schleierkäuze ruhig in einem dunkeln Winkel der betreffenden Gebäude, auf dem Gebälk der Thürme oder Kirchboden, in Mauerniſchen, in Taubenſchlägen und an ähnlichen Orten. Das Läuten der Glocken in unmittelbarer Nähe ihres Schlafplatzes, das Aus- und Einſchwärmen der Tauben eines Schlags, in dem ſie ſich angeſiedelt haben, ſtört ſie nicht im Geringſten; ſie haben ſich an den Menſchen und ſein Treiben ebenſogut gewöhnt, als an das Gelärm der Tauben, mit denen ſie in beſter Freundſchaft verkehren. Wenn ſie ſtille ſitzen, haben ſie mit andern Eulen Aehnlichkeit, fallen aber doch durch ihre ſchlanke, hohe Geſtalt und namentlich durch
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Der Schleierkauz (Strix flammea).
das unbeſchreibliche, herzförmige Geſicht, welches die wunderbarſten Verzerrungen ermöglicht, Jeder- mann auf. Durch Beobachtung an Gefangenen wiſſen wir zur Genüge, daß ihr Schlaf ein ſehr leiſer iſt. Es gelingt dem Menſchen niemals, ſie zu übertölpeln; das geringſte Geräuſch iſt hinreichend, ſie zu erwecken. Beim Anblick des Beſchaners pflegen ſie ſich hoch aufzurichten und leiſe hin und her zu ſchaukeln, indem ſie ſich auf den Beinen wiegend ſeitlich hin und her bewegen. Einige Grimaſſen werden bei ſolchen Gelegenheiten auch geſchnitten; alle Bewegungen aber ſind ſtetiger und langſamer, als bei den meiſten übrigen Eulen. Rückt ihnen eine vermeintliche Gefahr nahe auf den Hals, ſo fliegen ſie weg und beweiſen dann, daß ſie auch bei Tage ſehr gut ſehen können. Nach Sonnen-
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Die Fänger. Raubvögel. Nachtkäuze.
gedenken bemerkt worden. Nur die jüngeren Vögel laſſen ſich zuweilen außerhalb des Jagdgebiets
der Alten ſehen; ſie müſſen ſich erſt einen feſten Wohnſitz erwerben: dieſem Zweck gelten ihre größeren
Ausflüge. Ueber Tags ſitzen die Schleierkäuze ruhig in einem dunkeln Winkel der betreffenden
Gebäude, auf dem Gebälk der Thürme oder Kirchboden, in Mauerniſchen, in Taubenſchlägen und an
ähnlichen Orten. Das Läuten der Glocken in unmittelbarer Nähe ihres Schlafplatzes, das Aus-
und Einſchwärmen der Tauben eines Schlags, in dem ſie ſich angeſiedelt haben, ſtört ſie nicht im
Geringſten; ſie haben ſich an den Menſchen und ſein Treiben ebenſogut gewöhnt, als an das
Gelärm der Tauben, mit denen ſie in beſter Freundſchaft verkehren. Wenn ſie ſtille ſitzen, haben ſie
mit andern Eulen Aehnlichkeit, fallen aber doch durch ihre ſchlanke, hohe Geſtalt und namentlich durch
[Abbildung Der Schleierkauz (Strix flammea).]
das unbeſchreibliche, herzförmige Geſicht, welches die wunderbarſten Verzerrungen ermöglicht, Jeder-
mann auf. Durch Beobachtung an Gefangenen wiſſen wir zur Genüge, daß ihr Schlaf ein ſehr leiſer
iſt. Es gelingt dem Menſchen niemals, ſie zu übertölpeln; das geringſte Geräuſch iſt hinreichend, ſie
zu erwecken. Beim Anblick des Beſchaners pflegen ſie ſich hoch aufzurichten und leiſe hin und her zu
ſchaukeln, indem ſie ſich auf den Beinen wiegend ſeitlich hin und her bewegen. Einige Grimaſſen
werden bei ſolchen Gelegenheiten auch geſchnitten; alle Bewegungen aber ſind ſtetiger und langſamer,
als bei den meiſten übrigen Eulen. Rückt ihnen eine vermeintliche Gefahr nahe auf den Hals, ſo
fliegen ſie weg und beweiſen dann, daß ſie auch bei Tage ſehr gut ſehen können. Nach Sonnen-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 622. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/658>, abgerufen am 22.11.2024.
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