groß. Der Schleier selbst unterscheidet sich dadurch wesentlich von dem anderer Eulen, daß er nicht rund, sondern herzförmig gestaltet ist. Jm Flügel ist die erste Schwinge ebenso lang als die zweite und nur wenig kürzer, als die dritte, welche die längste ist. Die schwachen und hohen Läufe sind spärlich befiedert, im untersten Drittel nur mit feinen Borstenfedern bekleidet, auf den Zehen fast nackt, nämlich blos mit einzelnen Borsten besetzt. Die Krallen sind lang, dünn und spitzig.
Die Schleierkäuze verbreiten sich über die ganze Erde. Jn angebauten und stark bevölkerten Gegenden bewohnen sie hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, menschliche Wohnungen, vorzugsweise Kirchthürme und Kirchboden, Nischen in alten Ritterburgen und andere Schlupfwinkel in Gebäuden, welche ihnen einen ruhigen Aufenthalt gewähren. Jn den dünn bevölkerten Gegenden verbergen sie sich bei Tage in Baumhöhlungen.
Alle Arten, welche man bis jetzt aufgestellt hat, ähneln sich außerordentlich, oder sie gehen, wie man zu sagen pflegt, ganz allgemach in einander über. Zur Zeit ist es noch vollkommen zweifelhaft, ob man die verschiedenen Ausprägungen ein und derselben Grundgestalt als eigene Arten oder nur als Spielarten zu betrachten hat. Jn dem Einen kommen alle überein: sie sind prachtvolle Vögel und neh- men in dieser Hinsicht nicht blos innerhalb ihrer Zunft, sondern innerhalb der ganzen Klasse eine hervor- ragende Stellung ein. Jn Spanien haben wir eine Schleiereule gefunden und einem werthen Freunde zu Ehren benannt (Strix Kirchhoffii), deren Pracht schwer beschrieben werden kann. Bei ihr ist der ganze Oberkörper schön rostgelb ohne aschgraue Mischung, nur längs der Rückenmitte, auf den Schultern und vor dem Handgelenk etwas aschgrau gewässert, zierlich mit schwarzen und weißen Flecken gezeichnet. Die ganze Unterseite dagegen ist blendend weiß, wie der kostbarste Atlasstoff. Blos der Schleier zeigt vor dem Auge einen dunkel rostfarbigen Fleck und eine rostbraune Einfassung. Betrachtet man diese Schleier- eule als Endglied einer Reihe verschieden gefärbter und gezeichneter Arten oder Spielarten der Sippe, so findet man, daß von ihr an bis zu den sehr dunkel gefärbten und stark gefleckten Schleiereulen alle Zwischenstufen vertreten sind. Auch hinsichtlich der Maße sind Unterschiede zu bemerken, und namentlich die australischen Arten fallen durch bedeutende Größe auf: allein auch in dieser Hinsicht ist ein allmähliches Jneinander übergehen nicht zu verkennen. Somit hat man entweder alle Schleiereulen der Erde als Spielarten ein und derselben Art oder die sämmtlichen verschiedenen Formen als beson- dere Arten anzusehen.
Unser deutsche Schleierkauz oder die Schleier-, Perl-, Gold-, Feuer-, Flammen-, Herz-, Perrücken-, Thurm-, Kirchen-, Klag-, Schläfer- und Schnarcheule (Strix flammea) ist 12 bis 14 Zoll lang und fast 36 bis 39 Zoll breit; der Fittig mißt 10 2/3 bis 11 Zoll, der Schwanz 41/2 bis 5 Zoll. Der Oberkörper ist auf dunkelaschgrauem, zu den Seiten des Hinter- kopfes und Nackens rothgelblichen Grunde durch äußerst kleine schwarze und weiße Längsflecken gezeichnet; die Oberflügeldeckfedern sind tief aschfarben, heller gewässert und mit schwarzen und weißen Längsspritzfleckchen geziert; die Unterseite ist auf dunkel rostgelbem Grunde braun und weiß gefleckt; der Schleier ist rostfarben oder rostfarben in der oberen Hälfte, rostfarbigweiß in der unteren; die Schwingen sind rostfarbig, auf der Jnnenfahne weißlich, drei- bis viermal dunkler gebändert und auf der Außenfahne dunkel gefleckt; die rostgelben Schwanzfedern zeigen drei bis vier schwärz- liche Schwanzbinden und ein tief aschgraues, weißlich gewässertes breites Spitzenband. Schnabel und Wachshaut sind röthlichweiß; der Fuß, so weit er nackt, ist schmuzig blaugrau, das Auge dunkelbraun. Das Weibchen zeigt regelmäßig eine etwas düstere Färbung als das Männchen. Vorstehende Be- schreibung genügt, weil es unmöglich sein dürfte, die Schleierkäuze mit andern Eulen zu verwechseln.
Kirchthürme, Schlösser, alte Gebäude und Ritterburgen sind auch bei uns zu Lande der bevor- zugte, wenn nicht ausschließliche Aufenthalt des Schleierkauzes, und so ist es im ganzen übrigen Europa, wo der Vogel vorkommt. Vom hohen Norden unseres Erdtheils an, wird man ihn nur in größeren Gebirgswaldungen vermissen, und ebenso meidet er das Hochgebirge über dem Pflanzen- gürtel. Er ist ein Standvogel im eigentlichen Sinne des Worts: so viel die Beobachtung bis jetzt festgestellt hat, streicht er nicht einmal. Da, wo wir heute Schleierkäuze finden, sind sie seit Menschen-
Rauchfuß- und Schleierkauz.
groß. Der Schleier ſelbſt unterſcheidet ſich dadurch weſentlich von dem anderer Eulen, daß er nicht rund, ſondern herzförmig geſtaltet iſt. Jm Flügel iſt die erſte Schwinge ebenſo lang als die zweite und nur wenig kürzer, als die dritte, welche die längſte iſt. Die ſchwachen und hohen Läufe ſind ſpärlich befiedert, im unterſten Drittel nur mit feinen Borſtenfedern bekleidet, auf den Zehen faſt nackt, nämlich blos mit einzelnen Borſten beſetzt. Die Krallen ſind lang, dünn und ſpitzig.
Die Schleierkäuze verbreiten ſich über die ganze Erde. Jn angebauten und ſtark bevölkerten Gegenden bewohnen ſie hauptſächlich, wenn nicht ausſchließlich, menſchliche Wohnungen, vorzugsweiſe Kirchthürme und Kirchboden, Niſchen in alten Ritterburgen und andere Schlupfwinkel in Gebäuden, welche ihnen einen ruhigen Aufenthalt gewähren. Jn den dünn bevölkerten Gegenden verbergen ſie ſich bei Tage in Baumhöhlungen.
Alle Arten, welche man bis jetzt aufgeſtellt hat, ähneln ſich außerordentlich, oder ſie gehen, wie man zu ſagen pflegt, ganz allgemach in einander über. Zur Zeit iſt es noch vollkommen zweifelhaft, ob man die verſchiedenen Ausprägungen ein und derſelben Grundgeſtalt als eigene Arten oder nur als Spielarten zu betrachten hat. Jn dem Einen kommen alle überein: ſie ſind prachtvolle Vögel und neh- men in dieſer Hinſicht nicht blos innerhalb ihrer Zunft, ſondern innerhalb der ganzen Klaſſe eine hervor- ragende Stellung ein. Jn Spanien haben wir eine Schleiereule gefunden und einem werthen Freunde zu Ehren benannt (Strix Kirchhoffii), deren Pracht ſchwer beſchrieben werden kann. Bei ihr iſt der ganze Oberkörper ſchön roſtgelb ohne aſchgraue Miſchung, nur längs der Rückenmitte, auf den Schultern und vor dem Handgelenk etwas aſchgrau gewäſſert, zierlich mit ſchwarzen und weißen Flecken gezeichnet. Die ganze Unterſeite dagegen iſt blendend weiß, wie der koſtbarſte Atlasſtoff. Blos der Schleier zeigt vor dem Auge einen dunkel roſtfarbigen Fleck und eine roſtbraune Einfaſſung. Betrachtet man dieſe Schleier- eule als Endglied einer Reihe verſchieden gefärbter und gezeichneter Arten oder Spielarten der Sippe, ſo findet man, daß von ihr an bis zu den ſehr dunkel gefärbten und ſtark gefleckten Schleiereulen alle Zwiſchenſtufen vertreten ſind. Auch hinſichtlich der Maße ſind Unterſchiede zu bemerken, und namentlich die auſtraliſchen Arten fallen durch bedeutende Größe auf: allein auch in dieſer Hinſicht iſt ein allmähliches Jneinander übergehen nicht zu verkennen. Somit hat man entweder alle Schleiereulen der Erde als Spielarten ein und derſelben Art oder die ſämmtlichen verſchiedenen Formen als beſon- dere Arten anzuſehen.
Unſer deutſche Schleierkauz oder die Schleier-, Perl-, Gold-, Feuer-, Flammen-, Herz-, Perrücken-, Thurm-, Kirchen-, Klag-, Schläfer- und Schnarcheule (Strix flammea) iſt 12 bis 14 Zoll lang und faſt 36 bis 39 Zoll breit; der Fittig mißt 10⅔ bis 11 Zoll, der Schwanz 4½ bis 5 Zoll. Der Oberkörper iſt auf dunkelaſchgrauem, zu den Seiten des Hinter- kopfes und Nackens rothgelblichen Grunde durch äußerſt kleine ſchwarze und weiße Längsflecken gezeichnet; die Oberflügeldeckfedern ſind tief aſchfarben, heller gewäſſert und mit ſchwarzen und weißen Längsſpritzfleckchen geziert; die Unterſeite iſt auf dunkel roſtgelbem Grunde braun und weiß gefleckt; der Schleier iſt roſtfarben oder roſtfarben in der oberen Hälfte, roſtfarbigweiß in der unteren; die Schwingen ſind roſtfarbig, auf der Jnnenfahne weißlich, drei- bis viermal dunkler gebändert und auf der Außenfahne dunkel gefleckt; die roſtgelben Schwanzfedern zeigen drei bis vier ſchwärz- liche Schwanzbinden und ein tief aſchgraues, weißlich gewäſſertes breites Spitzenband. Schnabel und Wachshaut ſind röthlichweiß; der Fuß, ſo weit er nackt, iſt ſchmuzig blaugrau, das Auge dunkelbraun. Das Weibchen zeigt regelmäßig eine etwas düſtere Färbung als das Männchen. Vorſtehende Be- ſchreibung genügt, weil es unmöglich ſein dürfte, die Schleierkäuze mit andern Eulen zu verwechſeln.
Kirchthürme, Schlöſſer, alte Gebäude und Ritterburgen ſind auch bei uns zu Lande der bevor- zugte, wenn nicht ausſchließliche Aufenthalt des Schleierkauzes, und ſo iſt es im ganzen übrigen Europa, wo der Vogel vorkommt. Vom hohen Norden unſeres Erdtheils an, wird man ihn nur in größeren Gebirgswaldungen vermiſſen, und ebenſo meidet er das Hochgebirge über dem Pflanzen- gürtel. Er iſt ein Standvogel im eigentlichen Sinne des Worts: ſo viel die Beobachtung bis jetzt feſtgeſtellt hat, ſtreicht er nicht einmal. Da, wo wir heute Schleierkäuze finden, ſind ſie ſeit Menſchen-
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[621/0657]
Rauchfuß- und Schleierkauz.
groß. Der Schleier ſelbſt unterſcheidet ſich dadurch weſentlich von dem anderer Eulen, daß er
nicht rund, ſondern herzförmig geſtaltet iſt. Jm Flügel iſt die erſte Schwinge ebenſo lang als die
zweite und nur wenig kürzer, als die dritte, welche die längſte iſt. Die ſchwachen und hohen Läufe
ſind ſpärlich befiedert, im unterſten Drittel nur mit feinen Borſtenfedern bekleidet, auf den Zehen faſt
nackt, nämlich blos mit einzelnen Borſten beſetzt. Die Krallen ſind lang, dünn und ſpitzig.
Die Schleierkäuze verbreiten ſich über die ganze Erde. Jn angebauten und ſtark bevölkerten
Gegenden bewohnen ſie hauptſächlich, wenn nicht ausſchließlich, menſchliche Wohnungen, vorzugsweiſe
Kirchthürme und Kirchboden, Niſchen in alten Ritterburgen und andere Schlupfwinkel in Gebäuden,
welche ihnen einen ruhigen Aufenthalt gewähren. Jn den dünn bevölkerten Gegenden verbergen ſie
ſich bei Tage in Baumhöhlungen.
Alle Arten, welche man bis jetzt aufgeſtellt hat, ähneln ſich außerordentlich, oder ſie gehen,
wie man zu ſagen pflegt, ganz allgemach in einander über. Zur Zeit iſt es noch vollkommen zweifelhaft,
ob man die verſchiedenen Ausprägungen ein und derſelben Grundgeſtalt als eigene Arten oder nur als
Spielarten zu betrachten hat. Jn dem Einen kommen alle überein: ſie ſind prachtvolle Vögel und neh-
men in dieſer Hinſicht nicht blos innerhalb ihrer Zunft, ſondern innerhalb der ganzen Klaſſe eine hervor-
ragende Stellung ein. Jn Spanien haben wir eine Schleiereule gefunden und einem werthen Freunde zu
Ehren benannt (Strix Kirchhoffii), deren Pracht ſchwer beſchrieben werden kann. Bei ihr iſt der ganze
Oberkörper ſchön roſtgelb ohne aſchgraue Miſchung, nur längs der Rückenmitte, auf den Schultern und
vor dem Handgelenk etwas aſchgrau gewäſſert, zierlich mit ſchwarzen und weißen Flecken gezeichnet. Die
ganze Unterſeite dagegen iſt blendend weiß, wie der koſtbarſte Atlasſtoff. Blos der Schleier zeigt vor dem
Auge einen dunkel roſtfarbigen Fleck und eine roſtbraune Einfaſſung. Betrachtet man dieſe Schleier-
eule als Endglied einer Reihe verſchieden gefärbter und gezeichneter Arten oder Spielarten der Sippe,
ſo findet man, daß von ihr an bis zu den ſehr dunkel gefärbten und ſtark gefleckten Schleiereulen alle
Zwiſchenſtufen vertreten ſind. Auch hinſichtlich der Maße ſind Unterſchiede zu bemerken, und namentlich
die auſtraliſchen Arten fallen durch bedeutende Größe auf: allein auch in dieſer Hinſicht iſt ein
allmähliches Jneinander übergehen nicht zu verkennen. Somit hat man entweder alle Schleiereulen
der Erde als Spielarten ein und derſelben Art oder die ſämmtlichen verſchiedenen Formen als beſon-
dere Arten anzuſehen.
Unſer deutſche Schleierkauz oder die Schleier-, Perl-, Gold-, Feuer-, Flammen-,
Herz-, Perrücken-, Thurm-, Kirchen-, Klag-, Schläfer- und Schnarcheule (Strix
flammea) iſt 12 bis 14 Zoll lang und faſt 36 bis 39 Zoll breit; der Fittig mißt 10⅔ bis 11 Zoll,
der Schwanz 4½ bis 5 Zoll. Der Oberkörper iſt auf dunkelaſchgrauem, zu den Seiten des Hinter-
kopfes und Nackens rothgelblichen Grunde durch äußerſt kleine ſchwarze und weiße Längsflecken
gezeichnet; die Oberflügeldeckfedern ſind tief aſchfarben, heller gewäſſert und mit ſchwarzen und
weißen Längsſpritzfleckchen geziert; die Unterſeite iſt auf dunkel roſtgelbem Grunde braun und weiß
gefleckt; der Schleier iſt roſtfarben oder roſtfarben in der oberen Hälfte, roſtfarbigweiß in der unteren;
die Schwingen ſind roſtfarbig, auf der Jnnenfahne weißlich, drei- bis viermal dunkler gebändert
und auf der Außenfahne dunkel gefleckt; die roſtgelben Schwanzfedern zeigen drei bis vier ſchwärz-
liche Schwanzbinden und ein tief aſchgraues, weißlich gewäſſertes breites Spitzenband. Schnabel und
Wachshaut ſind röthlichweiß; der Fuß, ſo weit er nackt, iſt ſchmuzig blaugrau, das Auge dunkelbraun.
Das Weibchen zeigt regelmäßig eine etwas düſtere Färbung als das Männchen. Vorſtehende Be-
ſchreibung genügt, weil es unmöglich ſein dürfte, die Schleierkäuze mit andern Eulen zu verwechſeln.
Kirchthürme, Schlöſſer, alte Gebäude und Ritterburgen ſind auch bei uns zu Lande der bevor-
zugte, wenn nicht ausſchließliche Aufenthalt des Schleierkauzes, und ſo iſt es im ganzen übrigen
Europa, wo der Vogel vorkommt. Vom hohen Norden unſeres Erdtheils an, wird man ihn nur in
größeren Gebirgswaldungen vermiſſen, und ebenſo meidet er das Hochgebirge über dem Pflanzen-
gürtel. Er iſt ein Standvogel im eigentlichen Sinne des Worts: ſo viel die Beobachtung bis jetzt
feſtgeſtellt hat, ſtreicht er nicht einmal. Da, wo wir heute Schleierkäuze finden, ſind ſie ſeit Menſchen-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/657>, abgerufen am 22.11.2024.
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