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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Kranichgeier.
mit einem Schlage des kräftigen Fanges zerschmetterte; daraus scheint hervorzugehen, daß der
Räuber unter Umständen auch diese Waffe den Schlangen gegenüber gebraucht. Aeltere Beobachter
wollen gesehen haben, daß unser Vogel große Schlangen in die Luft hebt und sie aus bedeutender
Höhe zu Boden fallen läßt, um sie zu zerschmettern; die neueren Reisenden wissen hiervon zwar Nichts
zu berichten, doch ist die Angabe keineswegs unwahrscheinlich, weil auch andere Raubvögel in derselben
Weise verfahren.

Ob der Kranichgeier einem wirksamen Bisse größerer Giftschlangen unterliegt oder im gewissen
Sinne giftfest ist, kann zur Zeit mit Sicherheit noch nicht angegeben werden; so viel aber ist zweifellos,
daß er getödtete Giftschlangen sammt ihren Zähnen ohne Bedenken verschlingt, sich also rücksichtslos
der Gefahr aussetzt, durch die Zähne innerlich verwundet und bezüglich vergiftet zu werden.

Ueber die Fortpflanzung des Kranichgeiers liegen mehrfache, durchaus übereinstimmende Angaben
vor. Am ausführlichsten berichten Vaillant und Verreaur. Jm Juni oder Juli beginnen
eifersüchtige Kämpfe zwischen den Männchen um den Besitz einer Gattin, welche sodann mit dem glück-
lichen Sieger gemeinschaftlich den Bau des Horstes in Angriff nimmt. Letzterer steht fast immer auf
der Spitze eines hohen und dichten Busches, meist einer Mimose, sonst auch auf einzeln stehenden
Bäumen. Zusammengelegte Reiser, welche mit Lehm gedichtet sind, bilden die Grundlage; die
flache Mulde ist mit Pflanzenwolle, Federn und andern weichen Stoffen ausgefüttert. Der Horst
wird jahrelang von demselben Paare benutzt; man erkennt sein Alter leicht an den verschiedenen
Schichten, deren jedes Jahr eine neue bringt. Nicht selten ereignet es sich, daß die Zweige der
äußeren Bedeckung neue Schösse treiben, welche alsdann den ganzen Bau vollständig umgeben und
verdecken. Jeden Abend begibt sich das Paar zum Neste, um hier zu übernachten. Erst im August
legt das Weibchen seine Eier, zwei, ausnahmsweise drei an der Zahl. Diese haben beinah die Größe
eines Gänseeies, sind aber rundlicher, entweder reinweiß von Farbe oder spärlich mit röthlichen
Tüpfeln gezeichnet. Nach sechswöchentlicher Bebrütung entschlüpfen ihnen die Jungen in einem
schneeweißen Dunenkleide. Sie sind im hohen Grade hilflos und bleiben lange Zeit schwach auf den
Beinen, verlassen aus diesem Grunde das Nest auch selten vor Ablauf des sechsten Monats. Ent-
nimmt man sie dem Horste, so erfährt man, daß sie erst nach fünf bis sechs Monaten einigermaßen
laufen können, sich aber immer noch oft auf die Fersen niederlassen müssen.

Sorgsam gepflegt, werden sie bald ungemein zahm und sind dann außerordentlich liebenswürdig.
Man kann sie im Hofe unter dem zahmen Geflügel halten. Sie gewöhnen sich an dieses und leben in
Eintracht mit den Hühnern, vorausgesetzt, daß der Hunger sie nicht zu Uebergriffen verleitet. Jm
Nothfall freilich ergreifen sie gelegentlich ein junges Küchlein, um es zu verzehren. Es wird
behauptet, daß sie sich unter den Hühnern in ähnlicher Weise nützlich zu machen verständen, wie
gezähmte Kraniche: sie lieben den Frieden und dulden die beliebten Zweikämpfe der Hähne durch-
aus nicht, laufen vielmehr, wenn sie zwei im ernsten Streit begriffen sehen, augenblicklich herbei
und jagen die Kämpen mit Schnabelhieben aus einander. Zudem sollen sie die Ratten vertreiben
und die einschleichenden Schlangen vertilgen. Aus diesem Grunde hält man sie am Vorgebirge der
guten Hoffnung gern als Hofvögel. Nach Europa kommen solche Gefangene seltener als den Vor-
stehern der Thiergärten lieb ist. Jch habe bis jetzt nur einen einzigen Kranichgeier lebend gesehen und
zwar im Thiergarten zu Amsterdam. Hier ist er schon seit Jahren der Gegenstand der Bewunderung
aller Besucher. Er macht wenig Ansprüche, nimmt vielmehr mit der gewöhnlichen Nahrung anderer
Raubvögel vorlieb.

Man hat den Versuch gemacht, den überaus nützlichen Vogel, dessen Tödtung am Vorgebirge der
guten Hoffnung bei harter Strafe verboten ist, auf Martinique einzubürgern, um die überaus
gefährlichen Lauzenschlangen, die Geisel jener Jnsel, zu vertilgen; der Versuch scheint aber mißlungen
zu sein; wenigstens hat man nie wieder etwas von den dort ausgesetzten Vögeln vernommen.

Die Jagd des Kranichgeiers hat ihre Schwierigkeiten. Der Vogel ist schwer zu entdecken und
noch schwerer zu beschleichen. Heuglin sagt, daß man ihn mit Pferden hetzen und dann lebend ein-

Kranichgeier.
mit einem Schlage des kräftigen Fanges zerſchmetterte; daraus ſcheint hervorzugehen, daß der
Räuber unter Umſtänden auch dieſe Waffe den Schlangen gegenüber gebraucht. Aeltere Beobachter
wollen geſehen haben, daß unſer Vogel große Schlangen in die Luft hebt und ſie aus bedeutender
Höhe zu Boden fallen läßt, um ſie zu zerſchmettern; die neueren Reiſenden wiſſen hiervon zwar Nichts
zu berichten, doch iſt die Angabe keineswegs unwahrſcheinlich, weil auch andere Raubvögel in derſelben
Weiſe verfahren.

Ob der Kranichgeier einem wirkſamen Biſſe größerer Giftſchlangen unterliegt oder im gewiſſen
Sinne giftfeſt iſt, kann zur Zeit mit Sicherheit noch nicht angegeben werden; ſo viel aber iſt zweifellos,
daß er getödtete Giftſchlangen ſammt ihren Zähnen ohne Bedenken verſchlingt, ſich alſo rückſichtslos
der Gefahr ausſetzt, durch die Zähne innerlich verwundet und bezüglich vergiftet zu werden.

Ueber die Fortpflanzung des Kranichgeiers liegen mehrfache, durchaus übereinſtimmende Angaben
vor. Am ausführlichſten berichten Vaillant und Verreaur. Jm Juni oder Juli beginnen
eiferſüchtige Kämpfe zwiſchen den Männchen um den Beſitz einer Gattin, welche ſodann mit dem glück-
lichen Sieger gemeinſchaftlich den Bau des Horſtes in Angriff nimmt. Letzterer ſteht faſt immer auf
der Spitze eines hohen und dichten Buſches, meiſt einer Mimoſe, ſonſt auch auf einzeln ſtehenden
Bäumen. Zuſammengelegte Reiſer, welche mit Lehm gedichtet ſind, bilden die Grundlage; die
flache Mulde iſt mit Pflanzenwolle, Federn und andern weichen Stoffen ausgefüttert. Der Horſt
wird jahrelang von demſelben Paare benutzt; man erkennt ſein Alter leicht an den verſchiedenen
Schichten, deren jedes Jahr eine neue bringt. Nicht ſelten ereignet es ſich, daß die Zweige der
äußeren Bedeckung neue Schöſſe treiben, welche alsdann den ganzen Bau vollſtändig umgeben und
verdecken. Jeden Abend begibt ſich das Paar zum Neſte, um hier zu übernachten. Erſt im Auguſt
legt das Weibchen ſeine Eier, zwei, ausnahmsweiſe drei an der Zahl. Dieſe haben beinah die Größe
eines Gänſeeies, ſind aber rundlicher, entweder reinweiß von Farbe oder ſpärlich mit röthlichen
Tüpfeln gezeichnet. Nach ſechswöchentlicher Bebrütung entſchlüpfen ihnen die Jungen in einem
ſchneeweißen Dunenkleide. Sie ſind im hohen Grade hilflos und bleiben lange Zeit ſchwach auf den
Beinen, verlaſſen aus dieſem Grunde das Neſt auch ſelten vor Ablauf des ſechſten Monats. Ent-
nimmt man ſie dem Horſte, ſo erfährt man, daß ſie erſt nach fünf bis ſechs Monaten einigermaßen
laufen können, ſich aber immer noch oft auf die Ferſen niederlaſſen müſſen.

Sorgſam gepflegt, werden ſie bald ungemein zahm und ſind dann außerordentlich liebenswürdig.
Man kann ſie im Hofe unter dem zahmen Geflügel halten. Sie gewöhnen ſich an dieſes und leben in
Eintracht mit den Hühnern, vorausgeſetzt, daß der Hunger ſie nicht zu Uebergriffen verleitet. Jm
Nothfall freilich ergreifen ſie gelegentlich ein junges Küchlein, um es zu verzehren. Es wird
behauptet, daß ſie ſich unter den Hühnern in ähnlicher Weiſe nützlich zu machen verſtänden, wie
gezähmte Kraniche: ſie lieben den Frieden und dulden die beliebten Zweikämpfe der Hähne durch-
aus nicht, laufen vielmehr, wenn ſie zwei im ernſten Streit begriffen ſehen, augenblicklich herbei
und jagen die Kämpen mit Schnabelhieben aus einander. Zudem ſollen ſie die Ratten vertreiben
und die einſchleichenden Schlangen vertilgen. Aus dieſem Grunde hält man ſie am Vorgebirge der
guten Hoffnung gern als Hofvögel. Nach Europa kommen ſolche Gefangene ſeltener als den Vor-
ſtehern der Thiergärten lieb iſt. Jch habe bis jetzt nur einen einzigen Kranichgeier lebend geſehen und
zwar im Thiergarten zu Amſterdam. Hier iſt er ſchon ſeit Jahren der Gegenſtand der Bewunderung
aller Beſucher. Er macht wenig Anſprüche, nimmt vielmehr mit der gewöhnlichen Nahrung anderer
Raubvögel vorlieb.

Man hat den Verſuch gemacht, den überaus nützlichen Vogel, deſſen Tödtung am Vorgebirge der
guten Hoffnung bei harter Strafe verboten iſt, auf Martinique einzubürgern, um die überaus
gefährlichen Lauzenſchlangen, die Geiſel jener Jnſel, zu vertilgen; der Verſuch ſcheint aber mißlungen
zu ſein; wenigſtens hat man nie wieder etwas von den dort ausgeſetzten Vögeln vernommen.

Die Jagd des Kranichgeiers hat ihre Schwierigkeiten. Der Vogel iſt ſchwer zu entdecken und
noch ſchwerer zu beſchleichen. Heuglin ſagt, daß man ihn mit Pferden hetzen und dann lebend ein-

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[533/0565] Kranichgeier. mit einem Schlage des kräftigen Fanges zerſchmetterte; daraus ſcheint hervorzugehen, daß der Räuber unter Umſtänden auch dieſe Waffe den Schlangen gegenüber gebraucht. Aeltere Beobachter wollen geſehen haben, daß unſer Vogel große Schlangen in die Luft hebt und ſie aus bedeutender Höhe zu Boden fallen läßt, um ſie zu zerſchmettern; die neueren Reiſenden wiſſen hiervon zwar Nichts zu berichten, doch iſt die Angabe keineswegs unwahrſcheinlich, weil auch andere Raubvögel in derſelben Weiſe verfahren. Ob der Kranichgeier einem wirkſamen Biſſe größerer Giftſchlangen unterliegt oder im gewiſſen Sinne giftfeſt iſt, kann zur Zeit mit Sicherheit noch nicht angegeben werden; ſo viel aber iſt zweifellos, daß er getödtete Giftſchlangen ſammt ihren Zähnen ohne Bedenken verſchlingt, ſich alſo rückſichtslos der Gefahr ausſetzt, durch die Zähne innerlich verwundet und bezüglich vergiftet zu werden. Ueber die Fortpflanzung des Kranichgeiers liegen mehrfache, durchaus übereinſtimmende Angaben vor. Am ausführlichſten berichten Vaillant und Verreaur. Jm Juni oder Juli beginnen eiferſüchtige Kämpfe zwiſchen den Männchen um den Beſitz einer Gattin, welche ſodann mit dem glück- lichen Sieger gemeinſchaftlich den Bau des Horſtes in Angriff nimmt. Letzterer ſteht faſt immer auf der Spitze eines hohen und dichten Buſches, meiſt einer Mimoſe, ſonſt auch auf einzeln ſtehenden Bäumen. Zuſammengelegte Reiſer, welche mit Lehm gedichtet ſind, bilden die Grundlage; die flache Mulde iſt mit Pflanzenwolle, Federn und andern weichen Stoffen ausgefüttert. Der Horſt wird jahrelang von demſelben Paare benutzt; man erkennt ſein Alter leicht an den verſchiedenen Schichten, deren jedes Jahr eine neue bringt. Nicht ſelten ereignet es ſich, daß die Zweige der äußeren Bedeckung neue Schöſſe treiben, welche alsdann den ganzen Bau vollſtändig umgeben und verdecken. Jeden Abend begibt ſich das Paar zum Neſte, um hier zu übernachten. Erſt im Auguſt legt das Weibchen ſeine Eier, zwei, ausnahmsweiſe drei an der Zahl. Dieſe haben beinah die Größe eines Gänſeeies, ſind aber rundlicher, entweder reinweiß von Farbe oder ſpärlich mit röthlichen Tüpfeln gezeichnet. Nach ſechswöchentlicher Bebrütung entſchlüpfen ihnen die Jungen in einem ſchneeweißen Dunenkleide. Sie ſind im hohen Grade hilflos und bleiben lange Zeit ſchwach auf den Beinen, verlaſſen aus dieſem Grunde das Neſt auch ſelten vor Ablauf des ſechſten Monats. Ent- nimmt man ſie dem Horſte, ſo erfährt man, daß ſie erſt nach fünf bis ſechs Monaten einigermaßen laufen können, ſich aber immer noch oft auf die Ferſen niederlaſſen müſſen. Sorgſam gepflegt, werden ſie bald ungemein zahm und ſind dann außerordentlich liebenswürdig. Man kann ſie im Hofe unter dem zahmen Geflügel halten. Sie gewöhnen ſich an dieſes und leben in Eintracht mit den Hühnern, vorausgeſetzt, daß der Hunger ſie nicht zu Uebergriffen verleitet. Jm Nothfall freilich ergreifen ſie gelegentlich ein junges Küchlein, um es zu verzehren. Es wird behauptet, daß ſie ſich unter den Hühnern in ähnlicher Weiſe nützlich zu machen verſtänden, wie gezähmte Kraniche: ſie lieben den Frieden und dulden die beliebten Zweikämpfe der Hähne durch- aus nicht, laufen vielmehr, wenn ſie zwei im ernſten Streit begriffen ſehen, augenblicklich herbei und jagen die Kämpen mit Schnabelhieben aus einander. Zudem ſollen ſie die Ratten vertreiben und die einſchleichenden Schlangen vertilgen. Aus dieſem Grunde hält man ſie am Vorgebirge der guten Hoffnung gern als Hofvögel. Nach Europa kommen ſolche Gefangene ſeltener als den Vor- ſtehern der Thiergärten lieb iſt. Jch habe bis jetzt nur einen einzigen Kranichgeier lebend geſehen und zwar im Thiergarten zu Amſterdam. Hier iſt er ſchon ſeit Jahren der Gegenſtand der Bewunderung aller Beſucher. Er macht wenig Anſprüche, nimmt vielmehr mit der gewöhnlichen Nahrung anderer Raubvögel vorlieb. Man hat den Verſuch gemacht, den überaus nützlichen Vogel, deſſen Tödtung am Vorgebirge der guten Hoffnung bei harter Strafe verboten iſt, auf Martinique einzubürgern, um die überaus gefährlichen Lauzenſchlangen, die Geiſel jener Jnſel, zu vertilgen; der Verſuch ſcheint aber mißlungen zu ſein; wenigſtens hat man nie wieder etwas von den dort ausgeſetzten Vögeln vernommen. Die Jagd des Kranichgeiers hat ihre Schwierigkeiten. Der Vogel iſt ſchwer zu entdecken und noch ſchwerer zu beſchleichen. Heuglin ſagt, daß man ihn mit Pferden hetzen und dann lebend ein-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/565>, abgerufen am 20.05.2024.