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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Geier.
fangen könne; ich habe von solcher Jagd nie Etwas vernommen und würde sie bezweifeln, wenn der
genannte Forscher nicht ausdrücklich hinzugefügt hätte, daß er selbst auf diese Weise in Zeit von zwei
Tagen sechs Stück erbeutete. Alle Kranichgeier, welche ich im Freien beobachten konnte, waren
ungemein scheu und erhoben sich rechtzeitig in die Luft, vereitelten also von vornherein jede Verfolgung
zu Pferde.

Der Kranichgeier führt von altersher den auffallenden Namen Sekretär, dessen Bedeutung
man erst begreift, wenn man erfährt, daß er seines Federbusches halber mit einem Schreiber verglichen
wird, welcher die Feder hinter das Ohr gesteckt hat. Die arabischen Namen, welche der Vogel trägt,
sind dichterischer, aber noch unverständlicher. Jm Westen des Sudahn wird er das "Roß des Teu-
fels
" genannt, im Nordosten heißt er "Schicksalsvogel." Jeder Eingeborene weiß Etwas von
ihm zu erzählen; die Berichte gehören jedoch größtentheils der Fabel an und haben für die Natur-
geschichte des Kranichgeiers nicht den geringsten Werth. Jch habe niemals erfahren können, was er
eigentlich mit dem, in der Anschauung aller Mahammedaner so bedeutsamen Geschick zu thun hat; nicht
einmal das sonst so lebendige Märchen konnte mir hierüber Aufschluß geben.



Die zweite Hauptabtheilung der Raubvögel wird durch die Geier gebildet. Jch habe oben bereits
angedeutet, warum ich sie, welche unzweifelhaft als die unedelsten ihrer Ordnung angesehen werden
müssen, auf die Falkenvögel folgen lasse und so den Eulen gewissermaßen bevorzuge: die gleichmäßigere
Ausbildung ihrer Sinne ist es, welche mich leitete.

Die Geier (Vulturidae) sind die größten aller Raubvögel: die kleinsten unter ihnen kommen
noch immer einem mittelgroßen Adler gleich. Sie sind kräftig gebaut, besitzen einen starken Schnabel,
aber schwache Fänge; ihre Flügel sind groß; der Schwanz ist mittellang. Das Gefieder besteht aus
großen und langen Federn, läßt aber gewöhnlich einzelne Theile des Kopfes frei und bekleidet niemals
die Fänge bis zu den Zehen herab. Der Leib ist kräftig, fast schwerfällig, sehr breit auf der Brust
und verhältnißmäßig kurz; der Hals ist mittel- oder (für Raubvögel) sehr lang, der Kopf groß oder
klein, der Schnabel länger oder mindestens eben so lang, als der Kopf, gerade, nur vor der Spitze des
Oberschnabels hakig herabgebogen, höher als breit, mit scharfen Schneiden und einer großen Wachshaut,
welche ein Dritttheil und bei schwächeren Arten sogar die Hälfte der Länge einnimmt. Ein eigentlicher
Zahn fehlt immer, er wird, wie bei den Adlern, durch eine hervorspringende Ausbuchtung der Schneide
des Oberkiefers ersetzt. Bei einigen Arten kommen auch Hautwucherungen auf dem Schnabel vor,
kammartige Erhöhungen namentlich. Die Flügel sind außerordentlich groß, dabei aber breit und meist
sehr abgerundet, weil die vierte Schwinge gewöhnlich die längste ist. Der Schwanz ist mittellang,
zugerundet und aus vierzehn steifen Federn gebildet. Ausnahmsweise kommt übrigens vor, daß im
Flügel die zweite Schwinge die längste ist und daß der stark abgestufte Schwanz nur aus zwölf Federn
besteht. Die Füße sind kräftig, die Zehen jedoch schwach, die Nägel kurz, wenig gebogen und immer
stumpf, so daß die Fänge als Angriffswerkzeug nicht gebraucht werden können. Hinsichtlich des
inneren Leibesbaues stimmen die Geier in allen wesentlichen Merkmalen mit den Falken überein; doch
haben einige, der Länge ihres Halses entsprechend, mehr Halswirbel als jene. Die Schwanzwirbel
sind breiter, das Brustbein ist verhältnißmäßig niedriger, die Armknochen sind länger, als bei den
Falken; der Schlund erweitert sich zu einem Kropfe von beträchtlicher Größe, welcher gefüllt wie ein
Sack aus dem Halse hervortritt; der Vormagen ist groß.

Wir nennen die Geier unedle Raubvögel, weil ihre Begabungen in der That nur als einseitige zu
betrachten sind; falsch aber würde es sein, wollten wir unedel mit unvollkommen für gleichbedeutend
halten. Jn gewisser Hinsicht müssen die Geier vielmehr als sehr hochstehende Vögel angesehen werden.
Jhre Begabungen sind theilweise ausgezeichnet. Sie halten sich lässig, auf dem Boden sitzend sehr
niedrig, tragen die Flügel abstehend vom Leibe und ordnen das Gesieder nur selten mit einiger Sorg-

Die Fänger. Raubvögel. Geier.
fangen könne; ich habe von ſolcher Jagd nie Etwas vernommen und würde ſie bezweifeln, wenn der
genannte Forſcher nicht ausdrücklich hinzugefügt hätte, daß er ſelbſt auf dieſe Weiſe in Zeit von zwei
Tagen ſechs Stück erbeutete. Alle Kranichgeier, welche ich im Freien beobachten konnte, waren
ungemein ſcheu und erhoben ſich rechtzeitig in die Luft, vereitelten alſo von vornherein jede Verfolgung
zu Pferde.

Der Kranichgeier führt von altersher den auffallenden Namen Sekretär, deſſen Bedeutung
man erſt begreift, wenn man erfährt, daß er ſeines Federbuſches halber mit einem Schreiber verglichen
wird, welcher die Feder hinter das Ohr geſteckt hat. Die arabiſchen Namen, welche der Vogel trägt,
ſind dichteriſcher, aber noch unverſtändlicher. Jm Weſten des Sudahn wird er das „Roß des Teu-
fels
‟ genannt, im Nordoſten heißt er „Schickſalsvogel.‟ Jeder Eingeborene weiß Etwas von
ihm zu erzählen; die Berichte gehören jedoch größtentheils der Fabel an und haben für die Natur-
geſchichte des Kranichgeiers nicht den geringſten Werth. Jch habe niemals erfahren können, was er
eigentlich mit dem, in der Anſchauung aller Mahammedaner ſo bedeutſamen Geſchick zu thun hat; nicht
einmal das ſonſt ſo lebendige Märchen konnte mir hierüber Aufſchluß geben.



Die zweite Hauptabtheilung der Raubvögel wird durch die Geier gebildet. Jch habe oben bereits
angedeutet, warum ich ſie, welche unzweifelhaft als die unedelſten ihrer Ordnung angeſehen werden
müſſen, auf die Falkenvögel folgen laſſe und ſo den Eulen gewiſſermaßen bevorzuge: die gleichmäßigere
Ausbildung ihrer Sinne iſt es, welche mich leitete.

Die Geier (Vulturidae) ſind die größten aller Raubvögel: die kleinſten unter ihnen kommen
noch immer einem mittelgroßen Adler gleich. Sie ſind kräftig gebaut, beſitzen einen ſtarken Schnabel,
aber ſchwache Fänge; ihre Flügel ſind groß; der Schwanz iſt mittellang. Das Gefieder beſteht aus
großen und langen Federn, läßt aber gewöhnlich einzelne Theile des Kopfes frei und bekleidet niemals
die Fänge bis zu den Zehen herab. Der Leib iſt kräftig, faſt ſchwerfällig, ſehr breit auf der Bruſt
und verhältnißmäßig kurz; der Hals iſt mittel- oder (für Raubvögel) ſehr lang, der Kopf groß oder
klein, der Schnabel länger oder mindeſtens eben ſo lang, als der Kopf, gerade, nur vor der Spitze des
Oberſchnabels hakig herabgebogen, höher als breit, mit ſcharfen Schneiden und einer großen Wachshaut,
welche ein Dritttheil und bei ſchwächeren Arten ſogar die Hälfte der Länge einnimmt. Ein eigentlicher
Zahn fehlt immer, er wird, wie bei den Adlern, durch eine hervorſpringende Ausbuchtung der Schneide
des Oberkiefers erſetzt. Bei einigen Arten kommen auch Hautwucherungen auf dem Schnabel vor,
kammartige Erhöhungen namentlich. Die Flügel ſind außerordentlich groß, dabei aber breit und meiſt
ſehr abgerundet, weil die vierte Schwinge gewöhnlich die längſte iſt. Der Schwanz iſt mittellang,
zugerundet und aus vierzehn ſteifen Federn gebildet. Ausnahmsweiſe kommt übrigens vor, daß im
Flügel die zweite Schwinge die längſte iſt und daß der ſtark abgeſtufte Schwanz nur aus zwölf Federn
beſteht. Die Füße ſind kräftig, die Zehen jedoch ſchwach, die Nägel kurz, wenig gebogen und immer
ſtumpf, ſo daß die Fänge als Angriffswerkzeug nicht gebraucht werden können. Hinſichtlich des
inneren Leibesbaues ſtimmen die Geier in allen weſentlichen Merkmalen mit den Falken überein; doch
haben einige, der Länge ihres Halſes entſprechend, mehr Halswirbel als jene. Die Schwanzwirbel
ſind breiter, das Bruſtbein iſt verhältnißmäßig niedriger, die Armknochen ſind länger, als bei den
Falken; der Schlund erweitert ſich zu einem Kropfe von beträchtlicher Größe, welcher gefüllt wie ein
Sack aus dem Halſe hervortritt; der Vormagen iſt groß.

Wir nennen die Geier unedle Raubvögel, weil ihre Begabungen in der That nur als einſeitige zu
betrachten ſind; falſch aber würde es ſein, wollten wir unedel mit unvollkommen für gleichbedeutend
halten. Jn gewiſſer Hinſicht müſſen die Geier vielmehr als ſehr hochſtehende Vögel angeſehen werden.
Jhre Begabungen ſind theilweiſe ausgezeichnet. Sie halten ſich läſſig, auf dem Boden ſitzend ſehr
niedrig, tragen die Flügel abſtehend vom Leibe und ordnen das Geſieder nur ſelten mit einiger Sorg-

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[534/0566] Die Fänger. Raubvögel. Geier. fangen könne; ich habe von ſolcher Jagd nie Etwas vernommen und würde ſie bezweifeln, wenn der genannte Forſcher nicht ausdrücklich hinzugefügt hätte, daß er ſelbſt auf dieſe Weiſe in Zeit von zwei Tagen ſechs Stück erbeutete. Alle Kranichgeier, welche ich im Freien beobachten konnte, waren ungemein ſcheu und erhoben ſich rechtzeitig in die Luft, vereitelten alſo von vornherein jede Verfolgung zu Pferde. Der Kranichgeier führt von altersher den auffallenden Namen Sekretär, deſſen Bedeutung man erſt begreift, wenn man erfährt, daß er ſeines Federbuſches halber mit einem Schreiber verglichen wird, welcher die Feder hinter das Ohr geſteckt hat. Die arabiſchen Namen, welche der Vogel trägt, ſind dichteriſcher, aber noch unverſtändlicher. Jm Weſten des Sudahn wird er das „Roß des Teu- fels‟ genannt, im Nordoſten heißt er „Schickſalsvogel.‟ Jeder Eingeborene weiß Etwas von ihm zu erzählen; die Berichte gehören jedoch größtentheils der Fabel an und haben für die Natur- geſchichte des Kranichgeiers nicht den geringſten Werth. Jch habe niemals erfahren können, was er eigentlich mit dem, in der Anſchauung aller Mahammedaner ſo bedeutſamen Geſchick zu thun hat; nicht einmal das ſonſt ſo lebendige Märchen konnte mir hierüber Aufſchluß geben. Die zweite Hauptabtheilung der Raubvögel wird durch die Geier gebildet. Jch habe oben bereits angedeutet, warum ich ſie, welche unzweifelhaft als die unedelſten ihrer Ordnung angeſehen werden müſſen, auf die Falkenvögel folgen laſſe und ſo den Eulen gewiſſermaßen bevorzuge: die gleichmäßigere Ausbildung ihrer Sinne iſt es, welche mich leitete. Die Geier (Vulturidae) ſind die größten aller Raubvögel: die kleinſten unter ihnen kommen noch immer einem mittelgroßen Adler gleich. Sie ſind kräftig gebaut, beſitzen einen ſtarken Schnabel, aber ſchwache Fänge; ihre Flügel ſind groß; der Schwanz iſt mittellang. Das Gefieder beſteht aus großen und langen Federn, läßt aber gewöhnlich einzelne Theile des Kopfes frei und bekleidet niemals die Fänge bis zu den Zehen herab. Der Leib iſt kräftig, faſt ſchwerfällig, ſehr breit auf der Bruſt und verhältnißmäßig kurz; der Hals iſt mittel- oder (für Raubvögel) ſehr lang, der Kopf groß oder klein, der Schnabel länger oder mindeſtens eben ſo lang, als der Kopf, gerade, nur vor der Spitze des Oberſchnabels hakig herabgebogen, höher als breit, mit ſcharfen Schneiden und einer großen Wachshaut, welche ein Dritttheil und bei ſchwächeren Arten ſogar die Hälfte der Länge einnimmt. Ein eigentlicher Zahn fehlt immer, er wird, wie bei den Adlern, durch eine hervorſpringende Ausbuchtung der Schneide des Oberkiefers erſetzt. Bei einigen Arten kommen auch Hautwucherungen auf dem Schnabel vor, kammartige Erhöhungen namentlich. Die Flügel ſind außerordentlich groß, dabei aber breit und meiſt ſehr abgerundet, weil die vierte Schwinge gewöhnlich die längſte iſt. Der Schwanz iſt mittellang, zugerundet und aus vierzehn ſteifen Federn gebildet. Ausnahmsweiſe kommt übrigens vor, daß im Flügel die zweite Schwinge die längſte iſt und daß der ſtark abgeſtufte Schwanz nur aus zwölf Federn beſteht. Die Füße ſind kräftig, die Zehen jedoch ſchwach, die Nägel kurz, wenig gebogen und immer ſtumpf, ſo daß die Fänge als Angriffswerkzeug nicht gebraucht werden können. Hinſichtlich des inneren Leibesbaues ſtimmen die Geier in allen weſentlichen Merkmalen mit den Falken überein; doch haben einige, der Länge ihres Halſes entſprechend, mehr Halswirbel als jene. Die Schwanzwirbel ſind breiter, das Bruſtbein iſt verhältnißmäßig niedriger, die Armknochen ſind länger, als bei den Falken; der Schlund erweitert ſich zu einem Kropfe von beträchtlicher Größe, welcher gefüllt wie ein Sack aus dem Halſe hervortritt; der Vormagen iſt groß. Wir nennen die Geier unedle Raubvögel, weil ihre Begabungen in der That nur als einſeitige zu betrachten ſind; falſch aber würde es ſein, wollten wir unedel mit unvollkommen für gleichbedeutend halten. Jn gewiſſer Hinſicht müſſen die Geier vielmehr als ſehr hochſtehende Vögel angeſehen werden. Jhre Begabungen ſind theilweiſe ausgezeichnet. Sie halten ſich läſſig, auf dem Boden ſitzend ſehr niedrig, tragen die Flügel abſtehend vom Leibe und ordnen das Geſieder nur ſelten mit einiger Sorg-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/566>, abgerufen am 22.11.2024.