Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Paperling.
gestreift. Die Zügelgegend ist braun, ein Streifen über dem Auge gelb. Die Schwingen und die
Steuerfedern sind bedeutend lichter, als beim Männchen. Diesem Kleide ähnelt das Männchen in
seiner Wintertracht, und auch die Jungen stimmen im wesentlichen damit überein; jedoch sind bei ihnen
alle Farben blässer und graulicher.

Der Paperling ist in Nordamerika ein Sommervogel, welcher sehr regelmäßig erscheint und weg-
zieht. Auf seiner Reise nach Süden berührt er Mittelamerika und namentlich Westindien, vielleicht
auch die nördlichen Länder Südamerikas; doch scheint er nicht bis nach Brasilien vorzudringen. Jm
Staate Newyork trifft er Anfangs Mai in größeren und kleineren Trupps ein, welche sich bald durch
neue Zuzüge vermehren und nach kürzester Zeit das ganze Land im buchstäblichen Sinne des Wortes
erfüllen. Wie Audubon sagt, ist es unmöglich, ein von diesen Vögeln nicht bewohntes Feld aufzu-
finden. Für den Unbetheiligten gewährt die Beobachtung des von allen Landleuten bitter gehaßten
Paperlings viel Vergnügen. Die Geselligkeit der Thiere wird auch während der Brutzeit nicht auf-
gehoben; ein Paar wohnt und brütet dicht neben dem andern. Das Nest wird auf oder hart über
dem Boden ohne große Sorgfalt, jedoch immer zwischen Gras oder Getreidehalmen angelegt und
selbstverständlich zum Mittelpunkt des Wohngebietes eines Paares. Während nun die Weibchen sich
dem Fortpflanzungsgeschäft hingeben, treiben sich die Männchen im neckenden Wetteifer über dem
Halmenwalde umher. Eins und das andere erhebt sich singend in die Luft und schwingt sich hier in
eigenthümlichen Absätzen auf und nieder. Das Lied des Einen erregt alle Uebrigen, und bald sieht
man eine Menge aufsteigen und vernimmt von jedem die anmuthig heitere Weise. Mit Recht rühmen
die Nordamerikaner den Gesang dieses Vogels; er genügt selbst dem verwöhnten Ohre eines deutschen
Liebhabers. Die Töne sind reich an Wechsel, werden aber mit großer Schnelligkeit und anscheinender
Verwirrung ausgestoßen und so eifrig fortgesetzt, daß man zuweilen den Gesang von einem halben
Dutzend zu vernehmen glaubt, während doch nur ein einziger singt. Eine Vorstellung kann man sich
nach Wilson von diesem Gesange machen, wenn man auf einem Pianoforte rasch nach einander ver-
schiedene Töne anschlägt, hohe und tiefe durch einander, ohne eigentliche Regel. Aber die Wirkung
des Ganzen ist gut. Recht häufig singt das Männchen übrigens auch im Sitzen und dann unter leb-
hafter Begleitung mit den Flügeln nach Art unseres Staars. Jn seinen Bewegungen zeigt sich der
Paperling als ein sehr gewandter Vogel. Sein Gang auf dem Boden ist mehr ein Schreiten, als ein
Hüpfen; der Flug ist leicht und schön. Zudem versteht er es, in seinem Halmenwalde auf- und
niederzuklettern, trotz einem Rohrsänger.

Jn den letzten Tagen des Mai findet man in dem verhältnißmäßig großen Neste vier bis sechs
Eier, welche auf weißlichem Grunde dicht mit dunkelblauen und unregelmäßig mit schwärzlichen
Flecken gezeichnet sind. Jedes Paar brütet, falls ihm die ersten Eier nicht geraubt werden, nur ein-
mal im Jahre. Die Jungen werden hauptsächlich mit Kerbthieren aufgefüttert, wachsen rasch heran,
verlassen das Nest und schlagen sich sodann mit andern ihrer Art in zahlreiche Flüge zusammen. Nun-
mehr zeigt sich der Paperling von seiner andern Seite. Der anmuthige Gesang ist beendet, die
schmucke Tracht der männlichen Vögel bereits im Wechsel; das Paar hat keinen festen Standort mehr
und streift im Lande auf und nieder. Jetzt beginnen die Verwüstungen. Die Vögel fliegen von Feld zu
Feld, fallen in ungeheuren Schwärmen ein, fressen die noch milchigen Körner des Getreides ebenso
gern, als die bereits gereiften und fügen wegen ihrer ungeheuren Menge den Landleuten wirklich
erheblichen Schaden zu. Jedes Gewehr wird jetzt gegen sie in Bereitschaft gesetzt; Tausende und
Hunderttausende werden erlegt, jedoch vergeblich; denn die Verwüstungen währen demungeachtet fort.
Man vertreibt die Vögel höchstens von einem Felde, um sie in das andere zu jagen. Sobald sie ihr
Werk im Norden beendet haben, fallen sie in die südlichen Pflanzungen ein. So treiben sie sich
wochenlang umher, bei Tage in den Feldern hausend, nachts Rohrwälder zum Schlafen sich
erwählend. Dann wandern sie weiter und weiter nach Süden hin.

Ungeachtet der Verwüstungen, welche der Paperling zeitweilig im Felde anrichtet, fragt es sich
noch sehr, ob er als ein überwiegend schädlicher Vogel betrachtet werden darf. Bis zur Getreidereife

Paperling.
geſtreift. Die Zügelgegend iſt braun, ein Streifen über dem Auge gelb. Die Schwingen und die
Steuerfedern ſind bedeutend lichter, als beim Männchen. Dieſem Kleide ähnelt das Männchen in
ſeiner Wintertracht, und auch die Jungen ſtimmen im weſentlichen damit überein; jedoch ſind bei ihnen
alle Farben bläſſer und graulicher.

Der Paperling iſt in Nordamerika ein Sommervogel, welcher ſehr regelmäßig erſcheint und weg-
zieht. Auf ſeiner Reiſe nach Süden berührt er Mittelamerika und namentlich Weſtindien, vielleicht
auch die nördlichen Länder Südamerikas; doch ſcheint er nicht bis nach Braſilien vorzudringen. Jm
Staate Newyork trifft er Anfangs Mai in größeren und kleineren Trupps ein, welche ſich bald durch
neue Zuzüge vermehren und nach kürzeſter Zeit das ganze Land im buchſtäblichen Sinne des Wortes
erfüllen. Wie Audubon ſagt, iſt es unmöglich, ein von dieſen Vögeln nicht bewohntes Feld aufzu-
finden. Für den Unbetheiligten gewährt die Beobachtung des von allen Landleuten bitter gehaßten
Paperlings viel Vergnügen. Die Geſelligkeit der Thiere wird auch während der Brutzeit nicht auf-
gehoben; ein Paar wohnt und brütet dicht neben dem andern. Das Neſt wird auf oder hart über
dem Boden ohne große Sorgfalt, jedoch immer zwiſchen Gras oder Getreidehalmen angelegt und
ſelbſtverſtändlich zum Mittelpunkt des Wohngebietes eines Paares. Während nun die Weibchen ſich
dem Fortpflanzungsgeſchäft hingeben, treiben ſich die Männchen im neckenden Wetteifer über dem
Halmenwalde umher. Eins und das andere erhebt ſich ſingend in die Luft und ſchwingt ſich hier in
eigenthümlichen Abſätzen auf und nieder. Das Lied des Einen erregt alle Uebrigen, und bald ſieht
man eine Menge aufſteigen und vernimmt von jedem die anmuthig heitere Weiſe. Mit Recht rühmen
die Nordamerikaner den Geſang dieſes Vogels; er genügt ſelbſt dem verwöhnten Ohre eines deutſchen
Liebhabers. Die Töne ſind reich an Wechſel, werden aber mit großer Schnelligkeit und anſcheinender
Verwirrung ausgeſtoßen und ſo eifrig fortgeſetzt, daß man zuweilen den Geſang von einem halben
Dutzend zu vernehmen glaubt, während doch nur ein einziger ſingt. Eine Vorſtellung kann man ſich
nach Wilſon von dieſem Geſange machen, wenn man auf einem Pianoforte raſch nach einander ver-
ſchiedene Töne anſchlägt, hohe und tiefe durch einander, ohne eigentliche Regel. Aber die Wirkung
des Ganzen iſt gut. Recht häufig ſingt das Männchen übrigens auch im Sitzen und dann unter leb-
hafter Begleitung mit den Flügeln nach Art unſeres Staars. Jn ſeinen Bewegungen zeigt ſich der
Paperling als ein ſehr gewandter Vogel. Sein Gang auf dem Boden iſt mehr ein Schreiten, als ein
Hüpfen; der Flug iſt leicht und ſchön. Zudem verſteht er es, in ſeinem Halmenwalde auf- und
niederzuklettern, trotz einem Rohrſänger.

Jn den letzten Tagen des Mai findet man in dem verhältnißmäßig großen Neſte vier bis ſechs
Eier, welche auf weißlichem Grunde dicht mit dunkelblauen und unregelmäßig mit ſchwärzlichen
Flecken gezeichnet ſind. Jedes Paar brütet, falls ihm die erſten Eier nicht geraubt werden, nur ein-
mal im Jahre. Die Jungen werden hauptſächlich mit Kerbthieren aufgefüttert, wachſen raſch heran,
verlaſſen das Neſt und ſchlagen ſich ſodann mit andern ihrer Art in zahlreiche Flüge zuſammen. Nun-
mehr zeigt ſich der Paperling von ſeiner andern Seite. Der anmuthige Geſang iſt beendet, die
ſchmucke Tracht der männlichen Vögel bereits im Wechſel; das Paar hat keinen feſten Standort mehr
und ſtreift im Lande auf und nieder. Jetzt beginnen die Verwüſtungen. Die Vögel fliegen von Feld zu
Feld, fallen in ungeheuren Schwärmen ein, freſſen die noch milchigen Körner des Getreides ebenſo
gern, als die bereits gereiften und fügen wegen ihrer ungeheuren Menge den Landleuten wirklich
erheblichen Schaden zu. Jedes Gewehr wird jetzt gegen ſie in Bereitſchaft geſetzt; Tauſende und
Hunderttauſende werden erlegt, jedoch vergeblich; denn die Verwüſtungen währen demungeachtet fort.
Man vertreibt die Vögel höchſtens von einem Felde, um ſie in das andere zu jagen. Sobald ſie ihr
Werk im Norden beendet haben, fallen ſie in die ſüdlichen Pflanzungen ein. So treiben ſie ſich
wochenlang umher, bei Tage in den Feldern hauſend, nachts Rohrwälder zum Schlafen ſich
erwählend. Dann wandern ſie weiter und weiter nach Süden hin.

Ungeachtet der Verwüſtungen, welche der Paperling zeitweilig im Felde anrichtet, fragt es ſich
noch ſehr, ob er als ein überwiegend ſchädlicher Vogel betrachtet werden darf. Bis zur Getreidereife

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0303" n="281"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Paperling.</hi></fw><lb/>
ge&#x017F;treift. Die Zügelgegend i&#x017F;t braun, ein Streifen über dem Auge gelb. Die Schwingen und die<lb/>
Steuerfedern &#x017F;ind bedeutend lichter, als beim Männchen. Die&#x017F;em Kleide ähnelt das Männchen in<lb/>
&#x017F;einer Wintertracht, und auch die Jungen &#x017F;timmen im we&#x017F;entlichen damit überein; jedoch &#x017F;ind bei ihnen<lb/>
alle Farben blä&#x017F;&#x017F;er und graulicher.</p><lb/>
          <p>Der Paperling i&#x017F;t in Nordamerika ein Sommervogel, welcher &#x017F;ehr regelmäßig er&#x017F;cheint und weg-<lb/>
zieht. Auf &#x017F;einer Rei&#x017F;e nach Süden berührt er Mittelamerika und namentlich We&#x017F;tindien, vielleicht<lb/>
auch die nördlichen Länder Südamerikas; doch &#x017F;cheint er nicht bis nach Bra&#x017F;ilien vorzudringen. Jm<lb/>
Staate Newyork trifft er Anfangs Mai in größeren und kleineren Trupps ein, welche &#x017F;ich bald durch<lb/>
neue Zuzüge vermehren und nach kürze&#x017F;ter Zeit das ganze Land im buch&#x017F;täblichen Sinne des Wortes<lb/>
erfüllen. Wie <hi rendition="#g">Audubon</hi> &#x017F;agt, i&#x017F;t es unmöglich, ein von die&#x017F;en Vögeln nicht bewohntes Feld aufzu-<lb/>
finden. Für den Unbetheiligten gewährt die Beobachtung des von allen Landleuten bitter gehaßten<lb/>
Paperlings viel Vergnügen. Die Ge&#x017F;elligkeit der Thiere wird auch während der Brutzeit nicht auf-<lb/>
gehoben; ein Paar wohnt und brütet dicht neben dem andern. Das Ne&#x017F;t wird auf oder hart über<lb/>
dem Boden ohne große Sorgfalt, jedoch immer zwi&#x017F;chen Gras oder Getreidehalmen angelegt und<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich zum Mittelpunkt des Wohngebietes eines Paares. Während nun die Weibchen &#x017F;ich<lb/>
dem Fortpflanzungsge&#x017F;chäft hingeben, treiben &#x017F;ich die Männchen im neckenden Wetteifer über dem<lb/>
Halmenwalde umher. Eins und das andere erhebt &#x017F;ich &#x017F;ingend in die Luft und &#x017F;chwingt &#x017F;ich hier in<lb/>
eigenthümlichen Ab&#x017F;ätzen auf und nieder. Das Lied des Einen erregt alle Uebrigen, und bald &#x017F;ieht<lb/>
man eine Menge auf&#x017F;teigen und vernimmt von jedem die anmuthig heitere Wei&#x017F;e. Mit Recht rühmen<lb/>
die Nordamerikaner den Ge&#x017F;ang die&#x017F;es Vogels; er genügt &#x017F;elb&#x017F;t dem verwöhnten Ohre eines deut&#x017F;chen<lb/>
Liebhabers. Die Töne &#x017F;ind reich an Wech&#x017F;el, werden aber mit großer Schnelligkeit und an&#x017F;cheinender<lb/>
Verwirrung ausge&#x017F;toßen und &#x017F;o eifrig fortge&#x017F;etzt, daß man zuweilen den Ge&#x017F;ang von einem halben<lb/>
Dutzend zu vernehmen glaubt, während doch nur ein einziger &#x017F;ingt. Eine Vor&#x017F;tellung kann man &#x017F;ich<lb/>
nach <hi rendition="#g">Wil&#x017F;on</hi> von die&#x017F;em Ge&#x017F;ange machen, wenn man auf einem Pianoforte ra&#x017F;ch nach einander ver-<lb/>
&#x017F;chiedene Töne an&#x017F;chlägt, hohe und tiefe durch einander, ohne eigentliche Regel. Aber die Wirkung<lb/>
des Ganzen i&#x017F;t gut. Recht häufig &#x017F;ingt das Männchen übrigens auch im Sitzen und dann unter leb-<lb/>
hafter Begleitung mit den Flügeln nach Art un&#x017F;eres <hi rendition="#g">Staars.</hi> Jn &#x017F;einen Bewegungen zeigt &#x017F;ich der<lb/>
Paperling als ein &#x017F;ehr gewandter Vogel. Sein Gang auf dem Boden i&#x017F;t mehr ein Schreiten, als ein<lb/>
Hüpfen; der Flug i&#x017F;t leicht und &#x017F;chön. Zudem ver&#x017F;teht er es, in &#x017F;einem Halmenwalde auf- und<lb/>
niederzuklettern, trotz einem <hi rendition="#g">Rohr&#x017F;änger.</hi></p><lb/>
          <p>Jn den letzten Tagen des Mai findet man in dem verhältnißmäßig großen Ne&#x017F;te vier bis &#x017F;echs<lb/>
Eier, welche auf weißlichem Grunde dicht mit dunkelblauen und unregelmäßig mit &#x017F;chwärzlichen<lb/>
Flecken gezeichnet &#x017F;ind. Jedes Paar brütet, falls ihm die er&#x017F;ten Eier nicht geraubt werden, nur ein-<lb/>
mal im Jahre. Die Jungen werden haupt&#x017F;ächlich mit Kerbthieren aufgefüttert, wach&#x017F;en ra&#x017F;ch heran,<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en das Ne&#x017F;t und &#x017F;chlagen &#x017F;ich &#x017F;odann mit andern ihrer Art in zahlreiche Flüge zu&#x017F;ammen. Nun-<lb/>
mehr zeigt &#x017F;ich der Paperling von &#x017F;einer andern Seite. Der anmuthige Ge&#x017F;ang i&#x017F;t beendet, die<lb/>
&#x017F;chmucke Tracht der männlichen Vögel bereits im Wech&#x017F;el; das Paar hat keinen fe&#x017F;ten Standort mehr<lb/>
und &#x017F;treift im Lande auf und nieder. Jetzt beginnen die Verwü&#x017F;tungen. Die Vögel fliegen von Feld zu<lb/>
Feld, fallen in ungeheuren Schwärmen ein, fre&#x017F;&#x017F;en die noch milchigen Körner des Getreides eben&#x017F;o<lb/>
gern, als die bereits gereiften und fügen wegen ihrer ungeheuren Menge den Landleuten wirklich<lb/>
erheblichen Schaden zu. Jedes Gewehr wird jetzt gegen &#x017F;ie in Bereit&#x017F;chaft ge&#x017F;etzt; Tau&#x017F;ende und<lb/>
Hunderttau&#x017F;ende werden erlegt, jedoch vergeblich; denn die Verwü&#x017F;tungen währen demungeachtet fort.<lb/>
Man vertreibt die Vögel höch&#x017F;tens von einem Felde, um &#x017F;ie in das andere zu jagen. Sobald &#x017F;ie ihr<lb/>
Werk im Norden beendet haben, fallen &#x017F;ie in die &#x017F;üdlichen Pflanzungen ein. So treiben &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
wochenlang umher, bei Tage in den Feldern hau&#x017F;end, nachts Rohrwälder zum Schlafen &#x017F;ich<lb/>
erwählend. Dann wandern &#x017F;ie weiter und weiter nach Süden hin.</p><lb/>
          <p>Ungeachtet der Verwü&#x017F;tungen, welche der Paperling zeitweilig im Felde anrichtet, fragt es &#x017F;ich<lb/>
noch &#x017F;ehr, ob er als ein überwiegend &#x017F;chädlicher Vogel betrachtet werden darf. Bis zur Getreidereife<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0303] Paperling. geſtreift. Die Zügelgegend iſt braun, ein Streifen über dem Auge gelb. Die Schwingen und die Steuerfedern ſind bedeutend lichter, als beim Männchen. Dieſem Kleide ähnelt das Männchen in ſeiner Wintertracht, und auch die Jungen ſtimmen im weſentlichen damit überein; jedoch ſind bei ihnen alle Farben bläſſer und graulicher. Der Paperling iſt in Nordamerika ein Sommervogel, welcher ſehr regelmäßig erſcheint und weg- zieht. Auf ſeiner Reiſe nach Süden berührt er Mittelamerika und namentlich Weſtindien, vielleicht auch die nördlichen Länder Südamerikas; doch ſcheint er nicht bis nach Braſilien vorzudringen. Jm Staate Newyork trifft er Anfangs Mai in größeren und kleineren Trupps ein, welche ſich bald durch neue Zuzüge vermehren und nach kürzeſter Zeit das ganze Land im buchſtäblichen Sinne des Wortes erfüllen. Wie Audubon ſagt, iſt es unmöglich, ein von dieſen Vögeln nicht bewohntes Feld aufzu- finden. Für den Unbetheiligten gewährt die Beobachtung des von allen Landleuten bitter gehaßten Paperlings viel Vergnügen. Die Geſelligkeit der Thiere wird auch während der Brutzeit nicht auf- gehoben; ein Paar wohnt und brütet dicht neben dem andern. Das Neſt wird auf oder hart über dem Boden ohne große Sorgfalt, jedoch immer zwiſchen Gras oder Getreidehalmen angelegt und ſelbſtverſtändlich zum Mittelpunkt des Wohngebietes eines Paares. Während nun die Weibchen ſich dem Fortpflanzungsgeſchäft hingeben, treiben ſich die Männchen im neckenden Wetteifer über dem Halmenwalde umher. Eins und das andere erhebt ſich ſingend in die Luft und ſchwingt ſich hier in eigenthümlichen Abſätzen auf und nieder. Das Lied des Einen erregt alle Uebrigen, und bald ſieht man eine Menge aufſteigen und vernimmt von jedem die anmuthig heitere Weiſe. Mit Recht rühmen die Nordamerikaner den Geſang dieſes Vogels; er genügt ſelbſt dem verwöhnten Ohre eines deutſchen Liebhabers. Die Töne ſind reich an Wechſel, werden aber mit großer Schnelligkeit und anſcheinender Verwirrung ausgeſtoßen und ſo eifrig fortgeſetzt, daß man zuweilen den Geſang von einem halben Dutzend zu vernehmen glaubt, während doch nur ein einziger ſingt. Eine Vorſtellung kann man ſich nach Wilſon von dieſem Geſange machen, wenn man auf einem Pianoforte raſch nach einander ver- ſchiedene Töne anſchlägt, hohe und tiefe durch einander, ohne eigentliche Regel. Aber die Wirkung des Ganzen iſt gut. Recht häufig ſingt das Männchen übrigens auch im Sitzen und dann unter leb- hafter Begleitung mit den Flügeln nach Art unſeres Staars. Jn ſeinen Bewegungen zeigt ſich der Paperling als ein ſehr gewandter Vogel. Sein Gang auf dem Boden iſt mehr ein Schreiten, als ein Hüpfen; der Flug iſt leicht und ſchön. Zudem verſteht er es, in ſeinem Halmenwalde auf- und niederzuklettern, trotz einem Rohrſänger. Jn den letzten Tagen des Mai findet man in dem verhältnißmäßig großen Neſte vier bis ſechs Eier, welche auf weißlichem Grunde dicht mit dunkelblauen und unregelmäßig mit ſchwärzlichen Flecken gezeichnet ſind. Jedes Paar brütet, falls ihm die erſten Eier nicht geraubt werden, nur ein- mal im Jahre. Die Jungen werden hauptſächlich mit Kerbthieren aufgefüttert, wachſen raſch heran, verlaſſen das Neſt und ſchlagen ſich ſodann mit andern ihrer Art in zahlreiche Flüge zuſammen. Nun- mehr zeigt ſich der Paperling von ſeiner andern Seite. Der anmuthige Geſang iſt beendet, die ſchmucke Tracht der männlichen Vögel bereits im Wechſel; das Paar hat keinen feſten Standort mehr und ſtreift im Lande auf und nieder. Jetzt beginnen die Verwüſtungen. Die Vögel fliegen von Feld zu Feld, fallen in ungeheuren Schwärmen ein, freſſen die noch milchigen Körner des Getreides ebenſo gern, als die bereits gereiften und fügen wegen ihrer ungeheuren Menge den Landleuten wirklich erheblichen Schaden zu. Jedes Gewehr wird jetzt gegen ſie in Bereitſchaft geſetzt; Tauſende und Hunderttauſende werden erlegt, jedoch vergeblich; denn die Verwüſtungen währen demungeachtet fort. Man vertreibt die Vögel höchſtens von einem Felde, um ſie in das andere zu jagen. Sobald ſie ihr Werk im Norden beendet haben, fallen ſie in die ſüdlichen Pflanzungen ein. So treiben ſie ſich wochenlang umher, bei Tage in den Feldern hauſend, nachts Rohrwälder zum Schlafen ſich erwählend. Dann wandern ſie weiter und weiter nach Süden hin. Ungeachtet der Verwüſtungen, welche der Paperling zeitweilig im Felde anrichtet, fragt es ſich noch ſehr, ob er als ein überwiegend ſchädlicher Vogel betrachtet werden darf. Bis zur Getreidereife

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/303
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/303>, abgerufen am 14.05.2024.