Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Knacker. Rabenvögel. Stärlinge.
macht auch er sich wie unser Sperling durch Aufzehren von Kerbthieren ungemein nützlich, und des-
halb verdient er wenigstens bis zu dem Zeitpunkte, wo er als schädlicher Vogel auftritt, geschont
zu werden.

Es scheint, als ob der Haß, mit welchem der Landmann den Paperling betrachtet, wesentlich dazu
beitrüge, daß man den so unterhaltenden Vogel selten im Käfig hält. Erst in den letzten Jahren ist
er wiederholt lebend nach Europa herübergekommen und gegenwärtig wohl in jedem Thiergarten oder
bei jedem Händler zu finden. Jch darf ihn allen Liebhabern als einen höchst angenehmen, unterhal-
tenden Stubenvogel empfehlen. Er singt sehr eifrig, nur während der eigentlichen Mauser nicht, sonst
das ganze Jahr hindurch und gewährt durch seine Lebendigkeit und Regsamkeit viel Freude. Für
einen größeren Gesellschaftsbauer ist er nach meinen Ansichten geradezu unentbehrlich.



Fast ebenso häufig ist der Rothflügel, ein bei aller Einfachheit sehr schöner Vogel. Er bildet
mit Verwandten die Sippe der Sumpftrupiale (Agelaius). Der Schnabel ist lang, gestreckt-
kegelförmig, sehr spitzig und etwas zusammengedrückt, der Leib kräftig, der Flügel mittellang, die
zweite und dritte Schwinge über den andern verlängert, der Schwanz ziemlich lang und abgerundet,
das Gefieder weich und glänzend. Jm Hochzeitskleid ist der männliche Rothflügel (Agelaius phoeni-
ceus
) tief schwarz, auf der Schulter aber prächtig scharlachroth. Das Auge ist dunkelbraun, der
Schnabel und die Füße sind bläulichschwarz. Die Länge beträgt 81/2 Zoll, die Breite 131/2 Zoll, die
Fittiglänge 41/2 Zoll, die Schwanzlänge 31/4 Zoll. Das Weibchen ist auf der Oberseite schwärzlich-
braun, auf der Unterseite graulichbraun, jede Feder hier mehr oder weniger gilblichgrau gesäumt;
die Kehle und die Wangen sind auf lichtgraufahlem Grunde dunkler in die Länge gestrichelt.

Die Lebensgeschichte des Rothflügels ähnelt in vieler Hinsicht der seiner beschriebenen Verwandten.
Auch er ist über ganz Nordamerika verbreitet und wo er vorkommt, häufig. Jn den nördlichen Thei-
len der vereinigten Staaten ist er ein regelmäßiger Sommergast, in den südlichen hingegen ein nur
zeitweilig massenhaft auftretender Vogel. Audubon's Schilderung gibt ein so vortreffliches Bild
seiner Lebensweise, daß es genügt, wenn ich das Wesentlichste derselben hier folgen lasse.

Wenn der Frühling erscheint, verläßt der Rothflügel die südlichen Staaten, in denen er während
der kalten Jahreszeit Herberge genommen, und wandert in kleineren oder größeren Flügen dem Norden
zu. Die Männchen ziehen singend voran, gleichsam als wollten sie durch ihre Lieder die Weibchen
einladen, ihnen zu folgen. Die Wandergäste verweilen unterwegs nicht selten auf mittelhohen Bäu-
men, spreizen ihren Schwanz, lüften das Gefieder und lassen ihre klaren und wohlklingenden Laute
vernehmen, namentlich am frühen Morgen, bevor sie die Plätze verlassen, auf denen sie die Nacht
verbrachten; denn sie wandern nur bei Tage.

Sobald die Weibchen angekommen sind, beginnt das Brutgeschäft. Mehrere Männchen verfol-
gen ein Weibchen, bis dieses den Rechten sich erwählt und mit ihm zum Bau des Nestes schreitet.
Das glückliche Paar zieht sich vom Hausen zurück und sucht am Rande eines einsamen Teiches oder
einer sumpfigen Wiese nach einem geeigneten Nestplatze. Ein niedriger Strauch, ein dichter Rohr-
oder Grasbusch wird erkoren und hier eine Menge trockenes Rohr zusammen getragen, die Nestmulde
in ihm geformt und das Jnnere dann mit feineren Gräsern oder Pferdehaaren ausgekleidet. Hier
findet man die vier bis sechs auf lichtbraunem Grunde sparsam dunkler gefleckten Eier. "Jetzt", sagt
Audubon, "kann man alle Treue und allen Muth beobachten, welche in dem Herzen des Männchens
wohnt. Es bewacht ängstlich seine brütende Gattin. Jeder Eindringling, welcher dem Neste sich
nähert, wird unter lautem Rufen, welches Furcht und Verwünschungen auszudrücken scheint, ange-
griffen, und gar nicht selten stößt der Vogel dicht selbst neben dem Menschen vorbei, welcher wissentlich
oder unwissentlich den Frieden stören wollte, oder er setzt sich auf einen Zweig über dem Nest und
stößt so klägliche Töne aus, daß nur ein Gefühlloser daran denken kann, das Paar weiter zu stören."

Die Knacker. Rabenvögel. Stärlinge.
macht auch er ſich wie unſer Sperling durch Aufzehren von Kerbthieren ungemein nützlich, und des-
halb verdient er wenigſtens bis zu dem Zeitpunkte, wo er als ſchädlicher Vogel auftritt, geſchont
zu werden.

Es ſcheint, als ob der Haß, mit welchem der Landmann den Paperling betrachtet, weſentlich dazu
beitrüge, daß man den ſo unterhaltenden Vogel ſelten im Käfig hält. Erſt in den letzten Jahren iſt
er wiederholt lebend nach Europa herübergekommen und gegenwärtig wohl in jedem Thiergarten oder
bei jedem Händler zu finden. Jch darf ihn allen Liebhabern als einen höchſt angenehmen, unterhal-
tenden Stubenvogel empfehlen. Er ſingt ſehr eifrig, nur während der eigentlichen Mauſer nicht, ſonſt
das ganze Jahr hindurch und gewährt durch ſeine Lebendigkeit und Regſamkeit viel Freude. Für
einen größeren Geſellſchaftsbauer iſt er nach meinen Anſichten geradezu unentbehrlich.



Faſt ebenſo häufig iſt der Rothflügel, ein bei aller Einfachheit ſehr ſchöner Vogel. Er bildet
mit Verwandten die Sippe der Sumpftrupiale (Agelaius). Der Schnabel iſt lang, geſtreckt-
kegelförmig, ſehr ſpitzig und etwas zuſammengedrückt, der Leib kräftig, der Flügel mittellang, die
zweite und dritte Schwinge über den andern verlängert, der Schwanz ziemlich lang und abgerundet,
das Gefieder weich und glänzend. Jm Hochzeitskleid iſt der männliche Rothflügel (Agelaius phoeni-
ceus
) tief ſchwarz, auf der Schulter aber prächtig ſcharlachroth. Das Auge iſt dunkelbraun, der
Schnabel und die Füße ſind bläulichſchwarz. Die Länge beträgt 8½ Zoll, die Breite 13½ Zoll, die
Fittiglänge 4½ Zoll, die Schwanzlänge 3¼ Zoll. Das Weibchen iſt auf der Oberſeite ſchwärzlich-
braun, auf der Unterſeite graulichbraun, jede Feder hier mehr oder weniger gilblichgrau geſäumt;
die Kehle und die Wangen ſind auf lichtgraufahlem Grunde dunkler in die Länge geſtrichelt.

Die Lebensgeſchichte des Rothflügels ähnelt in vieler Hinſicht der ſeiner beſchriebenen Verwandten.
Auch er iſt über ganz Nordamerika verbreitet und wo er vorkommt, häufig. Jn den nördlichen Thei-
len der vereinigten Staaten iſt er ein regelmäßiger Sommergaſt, in den ſüdlichen hingegen ein nur
zeitweilig maſſenhaft auftretender Vogel. Audubon’s Schilderung gibt ein ſo vortreffliches Bild
ſeiner Lebensweiſe, daß es genügt, wenn ich das Weſentlichſte derſelben hier folgen laſſe.

Wenn der Frühling erſcheint, verläßt der Rothflügel die ſüdlichen Staaten, in denen er während
der kalten Jahreszeit Herberge genommen, und wandert in kleineren oder größeren Flügen dem Norden
zu. Die Männchen ziehen ſingend voran, gleichſam als wollten ſie durch ihre Lieder die Weibchen
einladen, ihnen zu folgen. Die Wandergäſte verweilen unterwegs nicht ſelten auf mittelhohen Bäu-
men, ſpreizen ihren Schwanz, lüften das Gefieder und laſſen ihre klaren und wohlklingenden Laute
vernehmen, namentlich am frühen Morgen, bevor ſie die Plätze verlaſſen, auf denen ſie die Nacht
verbrachten; denn ſie wandern nur bei Tage.

Sobald die Weibchen angekommen ſind, beginnt das Brutgeſchäft. Mehrere Männchen verfol-
gen ein Weibchen, bis dieſes den Rechten ſich erwählt und mit ihm zum Bau des Neſtes ſchreitet.
Das glückliche Paar zieht ſich vom Hauſen zurück und ſucht am Rande eines einſamen Teiches oder
einer ſumpfigen Wieſe nach einem geeigneten Neſtplatze. Ein niedriger Strauch, ein dichter Rohr-
oder Grasbuſch wird erkoren und hier eine Menge trockenes Rohr zuſammen getragen, die Neſtmulde
in ihm geformt und das Jnnere dann mit feineren Gräſern oder Pferdehaaren ausgekleidet. Hier
findet man die vier bis ſechs auf lichtbraunem Grunde ſparſam dunkler gefleckten Eier. „Jetzt‟, ſagt
Audubon, „kann man alle Treue und allen Muth beobachten, welche in dem Herzen des Männchens
wohnt. Es bewacht ängſtlich ſeine brütende Gattin. Jeder Eindringling, welcher dem Neſte ſich
nähert, wird unter lautem Rufen, welches Furcht und Verwünſchungen auszudrücken ſcheint, ange-
griffen, und gar nicht ſelten ſtößt der Vogel dicht ſelbſt neben dem Menſchen vorbei, welcher wiſſentlich
oder unwiſſentlich den Frieden ſtören wollte, oder er ſetzt ſich auf einen Zweig über dem Neſt und
ſtößt ſo klägliche Töne aus, daß nur ein Gefühlloſer daran denken kann, das Paar weiter zu ſtören.‟

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0304" n="282"/><fw place="top" type="header">Die Knacker. Rabenvögel. Stärlinge.</fw><lb/>
macht auch er &#x017F;ich wie un&#x017F;er <hi rendition="#g">Sperling</hi> durch Aufzehren von Kerbthieren ungemein nützlich, und des-<lb/>
halb verdient er wenig&#x017F;tens bis zu dem Zeitpunkte, wo er als &#x017F;chädlicher Vogel auftritt, ge&#x017F;chont<lb/>
zu werden.</p><lb/>
          <p>Es &#x017F;cheint, als ob der Haß, mit welchem der Landmann den Paperling betrachtet, we&#x017F;entlich dazu<lb/>
beitrüge, daß man den &#x017F;o unterhaltenden Vogel &#x017F;elten im Käfig hält. Er&#x017F;t in den letzten Jahren i&#x017F;t<lb/>
er wiederholt lebend nach Europa herübergekommen und gegenwärtig wohl in jedem Thiergarten oder<lb/>
bei jedem Händler zu finden. Jch darf ihn allen Liebhabern als einen höch&#x017F;t angenehmen, unterhal-<lb/>
tenden Stubenvogel empfehlen. Er &#x017F;ingt &#x017F;ehr eifrig, nur während der eigentlichen Mau&#x017F;er nicht, &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
das ganze Jahr hindurch und gewährt durch &#x017F;eine Lebendigkeit und Reg&#x017F;amkeit viel Freude. Für<lb/>
einen größeren Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftsbauer i&#x017F;t er nach meinen An&#x017F;ichten geradezu unentbehrlich.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Fa&#x017F;t eben&#x017F;o häufig i&#x017F;t der <hi rendition="#g">Rothflügel,</hi> ein bei aller Einfachheit &#x017F;ehr &#x017F;chöner Vogel. Er bildet<lb/>
mit Verwandten die Sippe der <hi rendition="#g">Sumpftrupiale</hi> (<hi rendition="#aq">Agelaius</hi>). Der Schnabel i&#x017F;t lang, ge&#x017F;treckt-<lb/>
kegelförmig, &#x017F;ehr &#x017F;pitzig und etwas zu&#x017F;ammengedrückt, der Leib kräftig, der Flügel mittellang, die<lb/>
zweite und dritte Schwinge über den andern verlängert, der Schwanz ziemlich lang und abgerundet,<lb/>
das Gefieder weich und glänzend. Jm Hochzeitskleid i&#x017F;t der männliche Rothflügel (<hi rendition="#aq">Agelaius phoeni-<lb/>
ceus</hi>) tief &#x017F;chwarz, auf der Schulter aber prächtig &#x017F;charlachroth. Das Auge i&#x017F;t dunkelbraun, der<lb/>
Schnabel und die Füße &#x017F;ind bläulich&#x017F;chwarz. Die Länge beträgt 8½ Zoll, die Breite 13½ Zoll, die<lb/>
Fittiglänge 4½ Zoll, die Schwanzlänge 3¼ Zoll. Das Weibchen i&#x017F;t auf der Ober&#x017F;eite &#x017F;chwärzlich-<lb/>
braun, auf der Unter&#x017F;eite graulichbraun, jede Feder hier mehr oder weniger gilblichgrau ge&#x017F;äumt;<lb/>
die Kehle und die Wangen &#x017F;ind auf lichtgraufahlem Grunde dunkler in die Länge ge&#x017F;trichelt.</p><lb/>
          <p>Die Lebensge&#x017F;chichte des Rothflügels ähnelt in vieler Hin&#x017F;icht der &#x017F;einer be&#x017F;chriebenen Verwandten.<lb/>
Auch er i&#x017F;t über ganz Nordamerika verbreitet und wo er vorkommt, häufig. Jn den nördlichen Thei-<lb/>
len der vereinigten Staaten i&#x017F;t er ein regelmäßiger Sommerga&#x017F;t, in den &#x017F;üdlichen hingegen ein nur<lb/>
zeitweilig ma&#x017F;&#x017F;enhaft auftretender Vogel. <hi rendition="#g">Audubon&#x2019;s</hi> Schilderung gibt ein &#x017F;o vortreffliches Bild<lb/>
&#x017F;einer Lebenswei&#x017F;e, daß es genügt, wenn ich das We&#x017F;entlich&#x017F;te der&#x017F;elben hier folgen la&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>Wenn der Frühling er&#x017F;cheint, verläßt der Rothflügel die &#x017F;üdlichen Staaten, in denen er während<lb/>
der kalten Jahreszeit Herberge genommen, und wandert in kleineren oder größeren Flügen dem Norden<lb/>
zu. Die Männchen ziehen &#x017F;ingend voran, gleich&#x017F;am als wollten &#x017F;ie durch ihre Lieder die Weibchen<lb/>
einladen, ihnen zu folgen. Die Wandergä&#x017F;te verweilen unterwegs nicht &#x017F;elten auf mittelhohen Bäu-<lb/>
men, &#x017F;preizen ihren Schwanz, lüften das Gefieder und la&#x017F;&#x017F;en ihre klaren und wohlklingenden Laute<lb/>
vernehmen, namentlich am frühen Morgen, bevor &#x017F;ie die Plätze verla&#x017F;&#x017F;en, auf denen &#x017F;ie die Nacht<lb/>
verbrachten; denn &#x017F;ie wandern nur bei Tage.</p><lb/>
          <p>Sobald die Weibchen angekommen &#x017F;ind, beginnt das Brutge&#x017F;chäft. Mehrere Männchen verfol-<lb/>
gen ein Weibchen, bis die&#x017F;es den Rechten &#x017F;ich erwählt und mit ihm zum Bau des Ne&#x017F;tes &#x017F;chreitet.<lb/>
Das glückliche Paar zieht &#x017F;ich vom Hau&#x017F;en zurück und &#x017F;ucht am Rande eines ein&#x017F;amen Teiches oder<lb/>
einer &#x017F;umpfigen Wie&#x017F;e nach einem geeigneten Ne&#x017F;tplatze. Ein niedriger Strauch, ein dichter Rohr-<lb/>
oder Grasbu&#x017F;ch wird erkoren und hier eine Menge trockenes Rohr zu&#x017F;ammen getragen, die Ne&#x017F;tmulde<lb/>
in ihm geformt und das Jnnere dann mit feineren Grä&#x017F;ern oder Pferdehaaren ausgekleidet. Hier<lb/>
findet man die vier bis &#x017F;echs auf lichtbraunem Grunde &#x017F;par&#x017F;am dunkler gefleckten Eier. &#x201E;Jetzt&#x201F;, &#x017F;agt<lb/><hi rendition="#g">Audubon,</hi> &#x201E;kann man alle Treue und allen Muth beobachten, welche in dem Herzen des Männchens<lb/>
wohnt. Es bewacht äng&#x017F;tlich &#x017F;eine brütende Gattin. Jeder Eindringling, welcher dem Ne&#x017F;te &#x017F;ich<lb/>
nähert, wird unter lautem Rufen, welches Furcht und Verwün&#x017F;chungen auszudrücken &#x017F;cheint, ange-<lb/>
griffen, und gar nicht &#x017F;elten &#x017F;tößt der Vogel dicht &#x017F;elb&#x017F;t neben dem Men&#x017F;chen vorbei, welcher wi&#x017F;&#x017F;entlich<lb/>
oder unwi&#x017F;&#x017F;entlich den Frieden &#x017F;tören wollte, oder er &#x017F;etzt &#x017F;ich auf einen Zweig über dem Ne&#x017F;t und<lb/>
&#x017F;tößt &#x017F;o klägliche Töne aus, daß nur ein Gefühllo&#x017F;er daran denken kann, das Paar weiter zu &#x017F;tören.&#x201F;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0304] Die Knacker. Rabenvögel. Stärlinge. macht auch er ſich wie unſer Sperling durch Aufzehren von Kerbthieren ungemein nützlich, und des- halb verdient er wenigſtens bis zu dem Zeitpunkte, wo er als ſchädlicher Vogel auftritt, geſchont zu werden. Es ſcheint, als ob der Haß, mit welchem der Landmann den Paperling betrachtet, weſentlich dazu beitrüge, daß man den ſo unterhaltenden Vogel ſelten im Käfig hält. Erſt in den letzten Jahren iſt er wiederholt lebend nach Europa herübergekommen und gegenwärtig wohl in jedem Thiergarten oder bei jedem Händler zu finden. Jch darf ihn allen Liebhabern als einen höchſt angenehmen, unterhal- tenden Stubenvogel empfehlen. Er ſingt ſehr eifrig, nur während der eigentlichen Mauſer nicht, ſonſt das ganze Jahr hindurch und gewährt durch ſeine Lebendigkeit und Regſamkeit viel Freude. Für einen größeren Geſellſchaftsbauer iſt er nach meinen Anſichten geradezu unentbehrlich. Faſt ebenſo häufig iſt der Rothflügel, ein bei aller Einfachheit ſehr ſchöner Vogel. Er bildet mit Verwandten die Sippe der Sumpftrupiale (Agelaius). Der Schnabel iſt lang, geſtreckt- kegelförmig, ſehr ſpitzig und etwas zuſammengedrückt, der Leib kräftig, der Flügel mittellang, die zweite und dritte Schwinge über den andern verlängert, der Schwanz ziemlich lang und abgerundet, das Gefieder weich und glänzend. Jm Hochzeitskleid iſt der männliche Rothflügel (Agelaius phoeni- ceus) tief ſchwarz, auf der Schulter aber prächtig ſcharlachroth. Das Auge iſt dunkelbraun, der Schnabel und die Füße ſind bläulichſchwarz. Die Länge beträgt 8½ Zoll, die Breite 13½ Zoll, die Fittiglänge 4½ Zoll, die Schwanzlänge 3¼ Zoll. Das Weibchen iſt auf der Oberſeite ſchwärzlich- braun, auf der Unterſeite graulichbraun, jede Feder hier mehr oder weniger gilblichgrau geſäumt; die Kehle und die Wangen ſind auf lichtgraufahlem Grunde dunkler in die Länge geſtrichelt. Die Lebensgeſchichte des Rothflügels ähnelt in vieler Hinſicht der ſeiner beſchriebenen Verwandten. Auch er iſt über ganz Nordamerika verbreitet und wo er vorkommt, häufig. Jn den nördlichen Thei- len der vereinigten Staaten iſt er ein regelmäßiger Sommergaſt, in den ſüdlichen hingegen ein nur zeitweilig maſſenhaft auftretender Vogel. Audubon’s Schilderung gibt ein ſo vortreffliches Bild ſeiner Lebensweiſe, daß es genügt, wenn ich das Weſentlichſte derſelben hier folgen laſſe. Wenn der Frühling erſcheint, verläßt der Rothflügel die ſüdlichen Staaten, in denen er während der kalten Jahreszeit Herberge genommen, und wandert in kleineren oder größeren Flügen dem Norden zu. Die Männchen ziehen ſingend voran, gleichſam als wollten ſie durch ihre Lieder die Weibchen einladen, ihnen zu folgen. Die Wandergäſte verweilen unterwegs nicht ſelten auf mittelhohen Bäu- men, ſpreizen ihren Schwanz, lüften das Gefieder und laſſen ihre klaren und wohlklingenden Laute vernehmen, namentlich am frühen Morgen, bevor ſie die Plätze verlaſſen, auf denen ſie die Nacht verbrachten; denn ſie wandern nur bei Tage. Sobald die Weibchen angekommen ſind, beginnt das Brutgeſchäft. Mehrere Männchen verfol- gen ein Weibchen, bis dieſes den Rechten ſich erwählt und mit ihm zum Bau des Neſtes ſchreitet. Das glückliche Paar zieht ſich vom Hauſen zurück und ſucht am Rande eines einſamen Teiches oder einer ſumpfigen Wieſe nach einem geeigneten Neſtplatze. Ein niedriger Strauch, ein dichter Rohr- oder Grasbuſch wird erkoren und hier eine Menge trockenes Rohr zuſammen getragen, die Neſtmulde in ihm geformt und das Jnnere dann mit feineren Gräſern oder Pferdehaaren ausgekleidet. Hier findet man die vier bis ſechs auf lichtbraunem Grunde ſparſam dunkler gefleckten Eier. „Jetzt‟, ſagt Audubon, „kann man alle Treue und allen Muth beobachten, welche in dem Herzen des Männchens wohnt. Es bewacht ängſtlich ſeine brütende Gattin. Jeder Eindringling, welcher dem Neſte ſich nähert, wird unter lautem Rufen, welches Furcht und Verwünſchungen auszudrücken ſcheint, ange- griffen, und gar nicht ſelten ſtößt der Vogel dicht ſelbſt neben dem Menſchen vorbei, welcher wiſſentlich oder unwiſſentlich den Frieden ſtören wollte, oder er ſetzt ſich auf einen Zweig über dem Neſt und ſtößt ſo klägliche Töne aus, daß nur ein Gefühlloſer daran denken kann, das Paar weiter zu ſtören.‟

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/304
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/304>, abgerufen am 23.11.2024.