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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Kirschkernbeißer.
den ihnen zur Nahrung dienenden Sämereien entblößt sind, sucht sie der Kernbeißer auf der Erde
auf. Deshalb sieht man ihn im Spätherbst und Winter oft auf dem Boden umherhüpfen. Außer-
dem frißt er auch Kornsämereien gern, geht deshalb im Sommer oft in die Gemüsegärten und thut
an den Sämereien großen Schaden. Es ist kaum glaublich, wie viel ein einziger solcher Vogel von
den verschiedenen Kohl- und Krautarten zu Grunde richten kann." Jm Winter geht er stark auf die
Vogelbeerbäume, ebenfalls nur der Kerne wegen. Außerdem verzehrt er Baumknospen und im Som-
mer sehr oft auch Kerbthiere, besonders Käfer und deren Larven. "Nicht selten", berichtet Nau-
mann,
"fängt er die fliegenden Maikäfer in der Luft und verzehrt sie dann, auf einer Baumspitze
sitzend, stückweise, nachdem er zuvor Flügel und Füße derselben als ungenießbar weggeworfen hat.
Jch habe ihn auch auf frischgepflügte Aecker, wohl einige hundert Schritt vom Gebüsch, fliegen, dort
Käfer auflesen und seinen Jungen bringen sehen."

Je nachdem die Witterung günstig oder ungünstig ist, nistet der Kernbeißer ein- oder zweimal
im Jahre, im Mai und Anfangs Juli. Jedes Paar erwählt sich ein umfangreiches Nistgebiet und
duldet in diesem kein anderes seiner Art. "Das Männchen hält deshalb immer oben auf den Baum-
spitzen Wache und wechselt seinen Sitz bald auf diesen, bald auf jenen hohen Baum, schreit und singt
dabei und zeigt eine außerordentliche Unruhe." Der Gefang selbst ist nicht viel werth. Naumann
rechnet ihn zu dem schlechtesten von allen ihm bekannten. Schwirrende und scharfe Töne, welche dem
wie "Zi" oder "Zick" klingenden Lockton sehr ähnlich sind, bilden ihn, und wenn mehrere Männchen
zugleich fingen, wird daraus, wie gedachter Forscher sagt, ein sonderbares, unangenehmes Geschwirr,
welches man auf weit hin hören kann. Zum Glück erfreut das singende Männchen durch sein Lied
sich und seine Gattin mehr, als den Menschen. Es singt stundenlang unter allerlei Wendungen und
Bewegungen seines Leibes, welche sein behagliches Selbstgefühl deutlich genug ausdrücken. Das Nest
steht hoch oder tief auf schwachen oder dünnen Zweigen, gewöhnlich aber gut versteckt. Seine erste Unter-
lage besteht aus dürren Reisern, starken Grashalmen, Würzelchen und dergleichen, die zweite Lage aus
gröberem oder feinerem Baummos und Flechten, die Ausfütterung aus Wurzelfasern, Schweins-
borsten, Pferdehaaren, Schafwolle und dergleichen. Das Gewebe seiner Wandungen ist nicht sehr dick;
doch gehört es unter die gut gebauten Vogelnester. Seine ansehnliche Breite macht es leicht kenntlich.
Die drei bis fünf Eier sind einen Zoll lang, ziemlich bauchig und auf schmuzig oder grünlich und gelb-
lich aschgrauem Grunde mit deutlichen und verwaschenen braunen, schwarzbraunen, dunkelaschgrauen,
hell- und ölbraunen Flecken, Strichen und Aederchen gezeichnet, um das stumpfe Ende herum am
dichtesten. Das Weibchen brütet mit Ausnahme der Mittagsstunden, um welche Zeit es das Männ-
chen ablöst. Die Jungen werden von beiden Eltern gefüttert, sehr geliebt und noch lange nach dem
Ausfliegen geführt, gewartet und geäzt; denn es vergehen Wochen, bevor sie selbst im Stande sind,
die harten Kirschkerne zu knacken.

Der Kernbeißer gehört durchaus nicht zu den beliebten Vögeln; ja, er macht sich einzelnen
Grundbesitzern sogar sehr verhaßt. Der Schaden, welchen er in Kirschpflanzungen anrichtet, ist durch-
aus nicht unbedeutend. "Eine Familie dieser Vögel", sagt Naumann, "wird bald mit einem Baum
voll reifer Kirschen fertig. Sind sie erst einmal in einer Anpflanzung gewesen, so kommen sie gewiß
immer wieder, so lange es noch daselbst Kirschen gibt, und alles Lärmen, Klappern, Peitschenknallen
und Pfeifen hält sie nicht ganz davon ab, alle aufgestellten Scheusale werden sie gewohnt. Schießen
ist das einzige Mittel, sie zu verscheuchen, und Dies darf nicht blind geschehen, sonst gewöhnen sie sich
auch hieran. Die gewöhnlichen sauren Kirschen sind ihren Aufällen am meisten ausgesetzt. Jn den
Gemüsegärten thun sie oft großen Schaden an den Sämereien und in den Erbsenbeeten an den grünen
Schoten. Sie zerschroten dem Jäger seine Beeren auf den Ebereschbäumen und richten andern Unfug
an. Weit weniger Schaden würden sie thun, wären sie nicht so unersättliche Fresser und hätten sie
nicht die Gewohnheit, einzelne Bäume, Beete und Pflanzungen immer wieder und so lange heimzu-
suchen, bis sie solche ihrer Früchte oder Samen gänzlich beraubt haben."

Kirſchkernbeißer.
den ihnen zur Nahrung dienenden Sämereien entblößt ſind, ſucht ſie der Kernbeißer auf der Erde
auf. Deshalb ſieht man ihn im Spätherbſt und Winter oft auf dem Boden umherhüpfen. Außer-
dem frißt er auch Kornſämereien gern, geht deshalb im Sommer oft in die Gemüſegärten und thut
an den Sämereien großen Schaden. Es iſt kaum glaublich, wie viel ein einziger ſolcher Vogel von
den verſchiedenen Kohl- und Krautarten zu Grunde richten kann.‟ Jm Winter geht er ſtark auf die
Vogelbeerbäume, ebenfalls nur der Kerne wegen. Außerdem verzehrt er Baumknoſpen und im Som-
mer ſehr oft auch Kerbthiere, beſonders Käfer und deren Larven. „Nicht ſelten‟, berichtet Nau-
mann,
„fängt er die fliegenden Maikäfer in der Luft und verzehrt ſie dann, auf einer Baumſpitze
ſitzend, ſtückweiſe, nachdem er zuvor Flügel und Füße derſelben als ungenießbar weggeworfen hat.
Jch habe ihn auch auf friſchgepflügte Aecker, wohl einige hundert Schritt vom Gebüſch, fliegen, dort
Käfer aufleſen und ſeinen Jungen bringen ſehen.‟

Je nachdem die Witterung günſtig oder ungünſtig iſt, niſtet der Kernbeißer ein- oder zweimal
im Jahre, im Mai und Anfangs Juli. Jedes Paar erwählt ſich ein umfangreiches Niſtgebiet und
duldet in dieſem kein anderes ſeiner Art. „Das Männchen hält deshalb immer oben auf den Baum-
ſpitzen Wache und wechſelt ſeinen Sitz bald auf dieſen, bald auf jenen hohen Baum, ſchreit und ſingt
dabei und zeigt eine außerordentliche Unruhe.‟ Der Gefang ſelbſt iſt nicht viel werth. Naumann
rechnet ihn zu dem ſchlechteſten von allen ihm bekannten. Schwirrende und ſcharfe Töne, welche dem
wie „Zi‟ oder „Zick‟ klingenden Lockton ſehr ähnlich ſind, bilden ihn, und wenn mehrere Männchen
zugleich fingen, wird daraus, wie gedachter Forſcher ſagt, ein ſonderbares, unangenehmes Geſchwirr,
welches man auf weit hin hören kann. Zum Glück erfreut das ſingende Männchen durch ſein Lied
ſich und ſeine Gattin mehr, als den Menſchen. Es ſingt ſtundenlang unter allerlei Wendungen und
Bewegungen ſeines Leibes, welche ſein behagliches Selbſtgefühl deutlich genug ausdrücken. Das Neſt
ſteht hoch oder tief auf ſchwachen oder dünnen Zweigen, gewöhnlich aber gut verſteckt. Seine erſte Unter-
lage beſteht aus dürren Reiſern, ſtarken Grashalmen, Würzelchen und dergleichen, die zweite Lage aus
gröberem oder feinerem Baummos und Flechten, die Ausfütterung aus Wurzelfaſern, Schweins-
borſten, Pferdehaaren, Schafwolle und dergleichen. Das Gewebe ſeiner Wandungen iſt nicht ſehr dick;
doch gehört es unter die gut gebauten Vogelneſter. Seine anſehnliche Breite macht es leicht kenntlich.
Die drei bis fünf Eier ſind einen Zoll lang, ziemlich bauchig und auf ſchmuzig oder grünlich und gelb-
lich aſchgrauem Grunde mit deutlichen und verwaſchenen braunen, ſchwarzbraunen, dunkelaſchgrauen,
hell- und ölbraunen Flecken, Strichen und Aederchen gezeichnet, um das ſtumpfe Ende herum am
dichteſten. Das Weibchen brütet mit Ausnahme der Mittagsſtunden, um welche Zeit es das Männ-
chen ablöſt. Die Jungen werden von beiden Eltern gefüttert, ſehr geliebt und noch lange nach dem
Ausfliegen geführt, gewartet und geäzt; denn es vergehen Wochen, bevor ſie ſelbſt im Stande ſind,
die harten Kirſchkerne zu knacken.

Der Kernbeißer gehört durchaus nicht zu den beliebten Vögeln; ja, er macht ſich einzelnen
Grundbeſitzern ſogar ſehr verhaßt. Der Schaden, welchen er in Kirſchpflanzungen anrichtet, iſt durch-
aus nicht unbedeutend. „Eine Familie dieſer Vögel‟, ſagt Naumann, „wird bald mit einem Baum
voll reifer Kirſchen fertig. Sind ſie erſt einmal in einer Anpflanzung geweſen, ſo kommen ſie gewiß
immer wieder, ſo lange es noch daſelbſt Kirſchen gibt, und alles Lärmen, Klappern, Peitſchenknallen
und Pfeifen hält ſie nicht ganz davon ab, alle aufgeſtellten Scheuſale werden ſie gewohnt. Schießen
iſt das einzige Mittel, ſie zu verſcheuchen, und Dies darf nicht blind geſchehen, ſonſt gewöhnen ſie ſich
auch hieran. Die gewöhnlichen ſauren Kirſchen ſind ihren Aufällen am meiſten ausgeſetzt. Jn den
Gemüſegärten thun ſie oft großen Schaden an den Sämereien und in den Erbſenbeeten an den grünen
Schoten. Sie zerſchroten dem Jäger ſeine Beeren auf den Ebereſchbäumen und richten andern Unfug
an. Weit weniger Schaden würden ſie thun, wären ſie nicht ſo unerſättliche Freſſer und hätten ſie
nicht die Gewohnheit, einzelne Bäume, Beete und Pflanzungen immer wieder und ſo lange heimzu-
ſuchen, bis ſie ſolche ihrer Früchte oder Samen gänzlich beraubt haben.‟

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[175/0195] Kirſchkernbeißer. den ihnen zur Nahrung dienenden Sämereien entblößt ſind, ſucht ſie der Kernbeißer auf der Erde auf. Deshalb ſieht man ihn im Spätherbſt und Winter oft auf dem Boden umherhüpfen. Außer- dem frißt er auch Kornſämereien gern, geht deshalb im Sommer oft in die Gemüſegärten und thut an den Sämereien großen Schaden. Es iſt kaum glaublich, wie viel ein einziger ſolcher Vogel von den verſchiedenen Kohl- und Krautarten zu Grunde richten kann.‟ Jm Winter geht er ſtark auf die Vogelbeerbäume, ebenfalls nur der Kerne wegen. Außerdem verzehrt er Baumknoſpen und im Som- mer ſehr oft auch Kerbthiere, beſonders Käfer und deren Larven. „Nicht ſelten‟, berichtet Nau- mann, „fängt er die fliegenden Maikäfer in der Luft und verzehrt ſie dann, auf einer Baumſpitze ſitzend, ſtückweiſe, nachdem er zuvor Flügel und Füße derſelben als ungenießbar weggeworfen hat. Jch habe ihn auch auf friſchgepflügte Aecker, wohl einige hundert Schritt vom Gebüſch, fliegen, dort Käfer aufleſen und ſeinen Jungen bringen ſehen.‟ Je nachdem die Witterung günſtig oder ungünſtig iſt, niſtet der Kernbeißer ein- oder zweimal im Jahre, im Mai und Anfangs Juli. Jedes Paar erwählt ſich ein umfangreiches Niſtgebiet und duldet in dieſem kein anderes ſeiner Art. „Das Männchen hält deshalb immer oben auf den Baum- ſpitzen Wache und wechſelt ſeinen Sitz bald auf dieſen, bald auf jenen hohen Baum, ſchreit und ſingt dabei und zeigt eine außerordentliche Unruhe.‟ Der Gefang ſelbſt iſt nicht viel werth. Naumann rechnet ihn zu dem ſchlechteſten von allen ihm bekannten. Schwirrende und ſcharfe Töne, welche dem wie „Zi‟ oder „Zick‟ klingenden Lockton ſehr ähnlich ſind, bilden ihn, und wenn mehrere Männchen zugleich fingen, wird daraus, wie gedachter Forſcher ſagt, ein ſonderbares, unangenehmes Geſchwirr, welches man auf weit hin hören kann. Zum Glück erfreut das ſingende Männchen durch ſein Lied ſich und ſeine Gattin mehr, als den Menſchen. Es ſingt ſtundenlang unter allerlei Wendungen und Bewegungen ſeines Leibes, welche ſein behagliches Selbſtgefühl deutlich genug ausdrücken. Das Neſt ſteht hoch oder tief auf ſchwachen oder dünnen Zweigen, gewöhnlich aber gut verſteckt. Seine erſte Unter- lage beſteht aus dürren Reiſern, ſtarken Grashalmen, Würzelchen und dergleichen, die zweite Lage aus gröberem oder feinerem Baummos und Flechten, die Ausfütterung aus Wurzelfaſern, Schweins- borſten, Pferdehaaren, Schafwolle und dergleichen. Das Gewebe ſeiner Wandungen iſt nicht ſehr dick; doch gehört es unter die gut gebauten Vogelneſter. Seine anſehnliche Breite macht es leicht kenntlich. Die drei bis fünf Eier ſind einen Zoll lang, ziemlich bauchig und auf ſchmuzig oder grünlich und gelb- lich aſchgrauem Grunde mit deutlichen und verwaſchenen braunen, ſchwarzbraunen, dunkelaſchgrauen, hell- und ölbraunen Flecken, Strichen und Aederchen gezeichnet, um das ſtumpfe Ende herum am dichteſten. Das Weibchen brütet mit Ausnahme der Mittagsſtunden, um welche Zeit es das Männ- chen ablöſt. Die Jungen werden von beiden Eltern gefüttert, ſehr geliebt und noch lange nach dem Ausfliegen geführt, gewartet und geäzt; denn es vergehen Wochen, bevor ſie ſelbſt im Stande ſind, die harten Kirſchkerne zu knacken. Der Kernbeißer gehört durchaus nicht zu den beliebten Vögeln; ja, er macht ſich einzelnen Grundbeſitzern ſogar ſehr verhaßt. Der Schaden, welchen er in Kirſchpflanzungen anrichtet, iſt durch- aus nicht unbedeutend. „Eine Familie dieſer Vögel‟, ſagt Naumann, „wird bald mit einem Baum voll reifer Kirſchen fertig. Sind ſie erſt einmal in einer Anpflanzung geweſen, ſo kommen ſie gewiß immer wieder, ſo lange es noch daſelbſt Kirſchen gibt, und alles Lärmen, Klappern, Peitſchenknallen und Pfeifen hält ſie nicht ganz davon ab, alle aufgeſtellten Scheuſale werden ſie gewohnt. Schießen iſt das einzige Mittel, ſie zu verſcheuchen, und Dies darf nicht blind geſchehen, ſonſt gewöhnen ſie ſich auch hieran. Die gewöhnlichen ſauren Kirſchen ſind ihren Aufällen am meiſten ausgeſetzt. Jn den Gemüſegärten thun ſie oft großen Schaden an den Sämereien und in den Erbſenbeeten an den grünen Schoten. Sie zerſchroten dem Jäger ſeine Beeren auf den Ebereſchbäumen und richten andern Unfug an. Weit weniger Schaden würden ſie thun, wären ſie nicht ſo unerſättliche Freſſer und hätten ſie nicht die Gewohnheit, einzelne Bäume, Beete und Pflanzungen immer wieder und ſo lange heimzu- ſuchen, bis ſie ſolche ihrer Früchte oder Samen gänzlich beraubt haben.‟

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/195>, abgerufen am 27.04.2024.