Mit Ausnahme der nördlichsten Gegenden Europas fehlt der Grünling nirgends in diesem Erd- theil, und ebenso verbreitet er sich weit über Asien, obwohl er in Sibirien, welches im wesentlichen dieselben Finken besitzt, wie Mitteleuropa, gänzlich fehlt. Jn Japan ersetzt ihn eine andere, nahe verwandte Art. Sehr häufig ist er in Südeuropa, namentlich in Spanien, aber auch bei uns gehört er zu den allbekannten Finken. Er bewohnt am liebsten fruchtbare Gegenden, wo kleine Gehölze mit Feldern, Wiesen und Gärten abwechseln, findet sich in allen Augegenden in Menge, hält sich in un- mittelbarer Nähe bewohnter Gebäude auf, meidet aber die größeren Wälder. Bei uns ist er eigentlich Wandervogel; wenigstens begibt sich der größte Theil von denen, welche im Sommer hier lebten, auf die Reise. Diese wird aber höchstens bis Spanien ausgedehnt; die dort einheimischen Grünlinge wandern nicht. Wahrscheinlich ist, daß diejenigen, welche bei uns überwintern, eigentlich im hohen Norden zu Haufe sind.
[Abbildung]
Der Grünling (Chloris hortensis).
Nur auf der Wanderschaft schlägt sich der Grünling mit verwandten Vögeln in zahlreiche Flüge zusammen, so mit Edel- und Buchfinken, Feldsperlingen, Goldammern, Bluthänflin- gen und andern. Sonst lebt er paar- oder familienweise. Er erwählt sich ein kleines Gehölz oder einen Garten zum Standorte, sucht sich hier einen dichtbelaubten Baum zum Schlafplatze aus und streift vonhieraus nach Nahrung umher. Während des Tages sieht man ihn gewöhnlich im Freien und zwar hauptsächlich auf dem Boden, wo er sich mit allerhand Sämereien zu schaffen macht. Bei Ge- fahr flüchtet er den nächstbesten Bäumen zu und verbirgt sich hier im Gelaube der Krone. Er ist ein munterer und rascher Vogel, so plump er auch auf den ersten Anblick hin erscheinen mag. Seine Bewegungen sind lebhaft und gewandt. Jm Sitzen trägt er den Leib gewöhnlich wagrecht und die Federn locker; oft aber stellt er sich aufgerichtet und legt das Gefieder so platt an, daß man ihn kaum erkennt. Sein Gang ist hüpfend, aber nicht ungeschickt, sein Flug ziemlich leicht, bogenförmig, weil die Schwingen bald stark ausgebreitet, bald sehr zusammengezogen werden, ror dem Niedersetzen
Grünling.
Mit Ausnahme der nördlichſten Gegenden Europas fehlt der Grünling nirgends in dieſem Erd- theil, und ebenſo verbreitet er ſich weit über Aſien, obwohl er in Sibirien, welches im weſentlichen dieſelben Finken beſitzt, wie Mitteleuropa, gänzlich fehlt. Jn Japan erſetzt ihn eine andere, nahe verwandte Art. Sehr häufig iſt er in Südeuropa, namentlich in Spanien, aber auch bei uns gehört er zu den allbekannten Finken. Er bewohnt am liebſten fruchtbare Gegenden, wo kleine Gehölze mit Feldern, Wieſen und Gärten abwechſeln, findet ſich in allen Augegenden in Menge, hält ſich in un- mittelbarer Nähe bewohnter Gebäude auf, meidet aber die größeren Wälder. Bei uns iſt er eigentlich Wandervogel; wenigſtens begibt ſich der größte Theil von denen, welche im Sommer hier lebten, auf die Reiſe. Dieſe wird aber höchſtens bis Spanien ausgedehnt; die dort einheimiſchen Grünlinge wandern nicht. Wahrſcheinlich iſt, daß diejenigen, welche bei uns überwintern, eigentlich im hohen Norden zu Haufe ſind.
[Abbildung]
Der Grünling (Chloris hortensis).
Nur auf der Wanderſchaft ſchlägt ſich der Grünling mit verwandten Vögeln in zahlreiche Flüge zuſammen, ſo mit Edel- und Buchfinken, Feldſperlingen, Goldammern, Bluthänflin- gen und andern. Sonſt lebt er paar- oder familienweiſe. Er erwählt ſich ein kleines Gehölz oder einen Garten zum Standorte, ſucht ſich hier einen dichtbelaubten Baum zum Schlafplatze aus und ſtreift vonhieraus nach Nahrung umher. Während des Tages ſieht man ihn gewöhnlich im Freien und zwar hauptſächlich auf dem Boden, wo er ſich mit allerhand Sämereien zu ſchaffen macht. Bei Ge- fahr flüchtet er den nächſtbeſten Bäumen zu und verbirgt ſich hier im Gelaube der Krone. Er iſt ein munterer und raſcher Vogel, ſo plump er auch auf den erſten Anblick hin erſcheinen mag. Seine Bewegungen ſind lebhaft und gewandt. Jm Sitzen trägt er den Leib gewöhnlich wagrecht und die Federn locker; oft aber ſtellt er ſich aufgerichtet und legt das Gefieder ſo platt an, daß man ihn kaum erkennt. Sein Gang iſt hüpfend, aber nicht ungeſchickt, ſein Flug ziemlich leicht, bogenförmig, weil die Schwingen bald ſtark ausgebreitet, bald ſehr zuſammengezogen werden, ror dem Niederſetzen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0191"n="171"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Grünling.</hi></fw><lb/><p>Mit Ausnahme der nördlichſten Gegenden Europas fehlt der Grünling nirgends in dieſem Erd-<lb/>
theil, und ebenſo verbreitet er ſich weit über Aſien, obwohl er in Sibirien, welches im weſentlichen<lb/>
dieſelben Finken beſitzt, wie Mitteleuropa, gänzlich fehlt. Jn Japan erſetzt ihn eine andere, nahe<lb/>
verwandte Art. Sehr häufig iſt er in Südeuropa, namentlich in Spanien, aber auch bei uns gehört<lb/>
er zu den allbekannten Finken. Er bewohnt am liebſten fruchtbare Gegenden, wo kleine Gehölze mit<lb/>
Feldern, Wieſen und Gärten abwechſeln, findet ſich in allen Augegenden in Menge, hält ſich in un-<lb/>
mittelbarer Nähe bewohnter Gebäude auf, meidet aber die größeren Wälder. Bei uns iſt er eigentlich<lb/>
Wandervogel; wenigſtens begibt ſich der größte Theil von denen, welche im Sommer hier lebten, auf<lb/>
die Reiſe. Dieſe wird aber höchſtens bis Spanien ausgedehnt; die dort einheimiſchen Grünlinge<lb/>
wandern nicht. Wahrſcheinlich iſt, daß diejenigen, welche bei uns überwintern, eigentlich im hohen<lb/>
Norden zu Haufe ſind.</p><lb/><figure><head><hirendition="#c"><hirendition="#g">Der Grünling</hi> (<hirendition="#aq">Chloris hortensis</hi>).</hi></head></figure><lb/><p>Nur auf der Wanderſchaft ſchlägt ſich der Grünling mit verwandten Vögeln in zahlreiche Flüge<lb/>
zuſammen, ſo mit <hirendition="#g">Edel-</hi> und <hirendition="#g">Buchfinken, Feldſperlingen, Goldammern, Bluthänflin-<lb/>
gen</hi> und andern. Sonſt lebt er paar- oder familienweiſe. Er erwählt ſich ein kleines Gehölz oder<lb/>
einen Garten zum Standorte, ſucht ſich hier einen dichtbelaubten Baum zum Schlafplatze aus und ſtreift<lb/>
vonhieraus nach Nahrung umher. Während des Tages ſieht man ihn gewöhnlich im Freien und<lb/>
zwar hauptſächlich auf dem Boden, wo er ſich mit allerhand Sämereien zu ſchaffen macht. Bei Ge-<lb/>
fahr flüchtet er den nächſtbeſten Bäumen zu und verbirgt ſich hier im Gelaube der Krone. Er iſt ein<lb/>
munterer und raſcher Vogel, ſo plump er auch auf den erſten Anblick hin erſcheinen mag. Seine<lb/>
Bewegungen ſind lebhaft und gewandt. Jm Sitzen trägt er den Leib gewöhnlich wagrecht und die<lb/>
Federn locker; oft aber ſtellt er ſich aufgerichtet und legt das Gefieder ſo platt an, daß man ihn kaum<lb/>
erkennt. Sein Gang iſt hüpfend, aber nicht ungeſchickt, ſein Flug ziemlich leicht, bogenförmig, weil<lb/>
die Schwingen bald ſtark ausgebreitet, bald ſehr zuſammengezogen werden, ror dem Niederſetzen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[171/0191]
Grünling.
Mit Ausnahme der nördlichſten Gegenden Europas fehlt der Grünling nirgends in dieſem Erd-
theil, und ebenſo verbreitet er ſich weit über Aſien, obwohl er in Sibirien, welches im weſentlichen
dieſelben Finken beſitzt, wie Mitteleuropa, gänzlich fehlt. Jn Japan erſetzt ihn eine andere, nahe
verwandte Art. Sehr häufig iſt er in Südeuropa, namentlich in Spanien, aber auch bei uns gehört
er zu den allbekannten Finken. Er bewohnt am liebſten fruchtbare Gegenden, wo kleine Gehölze mit
Feldern, Wieſen und Gärten abwechſeln, findet ſich in allen Augegenden in Menge, hält ſich in un-
mittelbarer Nähe bewohnter Gebäude auf, meidet aber die größeren Wälder. Bei uns iſt er eigentlich
Wandervogel; wenigſtens begibt ſich der größte Theil von denen, welche im Sommer hier lebten, auf
die Reiſe. Dieſe wird aber höchſtens bis Spanien ausgedehnt; die dort einheimiſchen Grünlinge
wandern nicht. Wahrſcheinlich iſt, daß diejenigen, welche bei uns überwintern, eigentlich im hohen
Norden zu Haufe ſind.
[Abbildung Der Grünling (Chloris hortensis).]
Nur auf der Wanderſchaft ſchlägt ſich der Grünling mit verwandten Vögeln in zahlreiche Flüge
zuſammen, ſo mit Edel- und Buchfinken, Feldſperlingen, Goldammern, Bluthänflin-
gen und andern. Sonſt lebt er paar- oder familienweiſe. Er erwählt ſich ein kleines Gehölz oder
einen Garten zum Standorte, ſucht ſich hier einen dichtbelaubten Baum zum Schlafplatze aus und ſtreift
vonhieraus nach Nahrung umher. Während des Tages ſieht man ihn gewöhnlich im Freien und
zwar hauptſächlich auf dem Boden, wo er ſich mit allerhand Sämereien zu ſchaffen macht. Bei Ge-
fahr flüchtet er den nächſtbeſten Bäumen zu und verbirgt ſich hier im Gelaube der Krone. Er iſt ein
munterer und raſcher Vogel, ſo plump er auch auf den erſten Anblick hin erſcheinen mag. Seine
Bewegungen ſind lebhaft und gewandt. Jm Sitzen trägt er den Leib gewöhnlich wagrecht und die
Federn locker; oft aber ſtellt er ſich aufgerichtet und legt das Gefieder ſo platt an, daß man ihn kaum
erkennt. Sein Gang iſt hüpfend, aber nicht ungeſchickt, ſein Flug ziemlich leicht, bogenförmig, weil
die Schwingen bald ſtark ausgebreitet, bald ſehr zuſammengezogen werden, ror dem Niederſetzen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/191>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.