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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Knacker. Sperlingsvögel. Gimpel.

"Das helle Licht, in dem der zahme Kanarienvogel vor uns steht, die genaue und erschöpfende
Kenntniß, die wir von seinen Sitten und Eigenthümlichkeiten besitzen, scheint neben der Entfernung,
in welcher der wilde von uns lebt, die Hauptursache der ziemlich geringen Auskunft zu sein, die wir
über letzteren besitzen."

Es bedurfte wahrhaftig eines Bolle, um uns mit dem Freileben des so wichtigen Vogels be-
kannt zu machen; denn bis zu seiner Bearbeitung der Lebensgeschichte des Kanarienvogels wußten wir
herzlich wenig über ihn: wir kannten eigentlich nur den gezähmten Vogel. Die Naturforscher früherer
Jahrhunderte schmückten das Wenige, welches sie über das heimatliche Leben des Kanarienvogels uns
zu sagen wußten, wohl auch noch mit allerlei Zuthaten aus; sie irrten sich selbst über das Vaterland.
Der alte Konrad Geßner, welcher in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts schrieb, ist der erste
Naturforscher, welcher von dem Kanarienvogel spricht; er kannte ihn jedoch noch nicht aus eigener
Anschauung, sondern schilderte ihn nur nach dem Bericht eines Freundes. Nach ihm erwähnen meh-
rere unseres Vogels, immer aber nur beiläufig und mit geringer Ausführlichkeit. Die Schriftsteller
des vorigen Jahrhunderts berichten uns mehr, aber der große Büffon selbst trägt zur Verbreitung
von Jrrthümern bei. "Girlitz und Citronenfink", sagt Volle, "müssen sich bequemen, zu Spielarten
einer und derselben, über einen großen Theil Europas und Afrikas, sowie über die kanarischen Jnseln
verbreiteten Art herabzusteigen." Büffon glaubt nämlich, daß die gedachten Vögel nichts anderes
wären, als wilde, durch das Klima veränderte Kanarienvögel, und nimmt an, daß dieser in drei bestän-
digen Spielarten vorkomme. Erst Humboldt spricht mit der ihm eigenen Bestimmtheit von dem
wilden Kanarienvogel, welchen er im Jahre 1799 während seines Aufenthalts auf Teneriffa kennen
lernte. Spätere Naturforscher und selbst Vogelkundige behandeln ihn mit viel Geringschätzung; aber
Bolle widmet ihm eine ebenso anziehend geschriebene, als ausführliche Schilderung, und ihm danken
wir denn jetzt eine Kenntniß, welche wenig oder Nichts zu wünschen übrig läßt. Das Nachfolgende
ist eine Wiedergabe der von diesem Forscher veröffentlichten Beobachtungen.

Bolle fand den Vogel auf den fünf Waldinseln der kanarischen Gruppe, auf Grau Canaria,
Teneriffa, Gomera, Palma und Ferro, aber auch auf Madeira und glaubt, daß das Thierchen früher
noch auf mehreren andern, jetzt entwaldeten Jnseln vorgekommen sein mag. Er lebt nämlich an den
gedachten Orten überall, wo dicht wachsende Bäume mit Gestrüpp abwechseln, vorzugsweise also längs
der Wasserbetten jener Jnseln, welche während der Regenzeit Bäche sind, während der trockenen Zeit
aber versiegen, demungeachtet jedoch von einem üppig grünen Pflanzensaume eingefaßt sind. Nicht
minder häufig ist er in den Gärten um die Wohnungen des Menschen und zwar inmitten volkreicher
Städte ebensogut, wie an den abgelegensten stillsten Winkeln der Jnsel. Seine Verbreitung erstreckt
sich von der Meeresküste bis zu 5000 oder 6000 Fuß unbedingter Höhe am Gebirge hinauf, und wo
die Bedingungen zu seinem Wohlbefinden gegeben, ist er überall häufig; nur in dem dichten, schattigen
und feuchten Hochwalde, welcher auf den Kanaren aus Lorbeer und Stechpalmen besteht, hat Bolle
ihn nie beobachtet: er bewohnt höchstens deren äußere lichtere Ränder. Gemein ist er in den Wein-
bergen der Jnseln, nicht selten auch in den Kieferbeständen, welche die Abhänge des Gebirges beklei-
den. Noch nicht ausgemacht ist, ob er auch im Winter in bedeutenderen Höhen vorkommen mag; im
Spätherbst hat man ihn aber noch in einem Höhengürtel von 4000 Fuß über dem Meere angetroffen.

Der wilde Kanarienvogel, welcher auch in seiner Heimat von Spaniern und Portugiesen "Ca-
nario"
genannt wird (Dryospiza canaria), ist merklich kleiner und gewöhnlich auch etwas schlanker,
als derjenige, welcher in Europa gezähmt unterhalten wird. Diejenigen, welche auf den Kanaren
selbst in der Gefangenschaft leben, haben sich der vielfachen Kreuzungen mit wilden wegen ihre
ursprüngliche Gestalt vollkommener bewahrt. Bei dem alten Männchen ist der Rücken gelbgrün mit
schwärzlichen Schaftstrichen und sehr breiten, hellaschgrauen Federrändern, welche beinahe zur vorherr-
schenden Farbe werden. Der Bürzel ist gelbgrün, die Oberschwanzdeckfedern aber sind grün, aschgrau
gerandet; Kopf und Nacken sind gelbgrün mit schmalen grauen Rändern, die Stirn und ein breiter
Augenstreif, welcher nach dem Nacken zu kreisförmig verläuft, sind grünlich goldgelb, ebenso Kehle

Die Knacker. Sperlingsvögel. Gimpel.

„Das helle Licht, in dem der zahme Kanarienvogel vor uns ſteht, die genaue und erſchöpfende
Kenntniß, die wir von ſeinen Sitten und Eigenthümlichkeiten beſitzen, ſcheint neben der Entfernung,
in welcher der wilde von uns lebt, die Haupturſache der ziemlich geringen Auskunft zu ſein, die wir
über letzteren beſitzen.‟

Es bedurfte wahrhaftig eines Bolle, um uns mit dem Freileben des ſo wichtigen Vogels be-
kannt zu machen; denn bis zu ſeiner Bearbeitung der Lebensgeſchichte des Kanarienvogels wußten wir
herzlich wenig über ihn: wir kannten eigentlich nur den gezähmten Vogel. Die Naturforſcher früherer
Jahrhunderte ſchmückten das Wenige, welches ſie über das heimatliche Leben des Kanarienvogels uns
zu ſagen wußten, wohl auch noch mit allerlei Zuthaten aus; ſie irrten ſich ſelbſt über das Vaterland.
Der alte Konrad Geßner, welcher in der erſten Hälfte des 16. Jahrhunderts ſchrieb, iſt der erſte
Naturforſcher, welcher von dem Kanarienvogel ſpricht; er kannte ihn jedoch noch nicht aus eigener
Anſchauung, ſondern ſchilderte ihn nur nach dem Bericht eines Freundes. Nach ihm erwähnen meh-
rere unſeres Vogels, immer aber nur beiläufig und mit geringer Ausführlichkeit. Die Schriftſteller
des vorigen Jahrhunderts berichten uns mehr, aber der große Büffon ſelbſt trägt zur Verbreitung
von Jrrthümern bei. „Girlitz und Citronenfink‟, ſagt Volle, „müſſen ſich bequemen, zu Spielarten
einer und derſelben, über einen großen Theil Europas und Afrikas, ſowie über die kanariſchen Jnſeln
verbreiteten Art herabzuſteigen.‟ Büffon glaubt nämlich, daß die gedachten Vögel nichts anderes
wären, als wilde, durch das Klima veränderte Kanarienvögel, und nimmt an, daß dieſer in drei beſtän-
digen Spielarten vorkomme. Erſt Humboldt ſpricht mit der ihm eigenen Beſtimmtheit von dem
wilden Kanarienvogel, welchen er im Jahre 1799 während ſeines Aufenthalts auf Teneriffa kennen
lernte. Spätere Naturforſcher und ſelbſt Vogelkundige behandeln ihn mit viel Geringſchätzung; aber
Bolle widmet ihm eine ebenſo anziehend geſchriebene, als ausführliche Schilderung, und ihm danken
wir denn jetzt eine Kenntniß, welche wenig oder Nichts zu wünſchen übrig läßt. Das Nachfolgende
iſt eine Wiedergabe der von dieſem Forſcher veröffentlichten Beobachtungen.

Bolle fand den Vogel auf den fünf Waldinſeln der kanariſchen Gruppe, auf Grau Canaria,
Teneriffa, Gomera, Palma und Ferro, aber auch auf Madeira und glaubt, daß das Thierchen früher
noch auf mehreren andern, jetzt entwaldeten Jnſeln vorgekommen ſein mag. Er lebt nämlich an den
gedachten Orten überall, wo dicht wachſende Bäume mit Geſtrüpp abwechſeln, vorzugsweiſe alſo längs
der Waſſerbetten jener Jnſeln, welche während der Regenzeit Bäche ſind, während der trockenen Zeit
aber verſiegen, demungeachtet jedoch von einem üppig grünen Pflanzenſaume eingefaßt ſind. Nicht
minder häufig iſt er in den Gärten um die Wohnungen des Menſchen und zwar inmitten volkreicher
Städte ebenſogut, wie an den abgelegenſten ſtillſten Winkeln der Jnſel. Seine Verbreitung erſtreckt
ſich von der Meeresküſte bis zu 5000 oder 6000 Fuß unbedingter Höhe am Gebirge hinauf, und wo
die Bedingungen zu ſeinem Wohlbefinden gegeben, iſt er überall häufig; nur in dem dichten, ſchattigen
und feuchten Hochwalde, welcher auf den Kanaren aus Lorbeer und Stechpalmen beſteht, hat Bolle
ihn nie beobachtet: er bewohnt höchſtens deren äußere lichtere Ränder. Gemein iſt er in den Wein-
bergen der Jnſeln, nicht ſelten auch in den Kieferbeſtänden, welche die Abhänge des Gebirges beklei-
den. Noch nicht ausgemacht iſt, ob er auch im Winter in bedeutenderen Höhen vorkommen mag; im
Spätherbſt hat man ihn aber noch in einem Höhengürtel von 4000 Fuß über dem Meere angetroffen.

Der wilde Kanarienvogel, welcher auch in ſeiner Heimat von Spaniern und Portugieſen „Ca-
nario‟
genannt wird (Dryospiza canaria), iſt merklich kleiner und gewöhnlich auch etwas ſchlanker,
als derjenige, welcher in Europa gezähmt unterhalten wird. Diejenigen, welche auf den Kanaren
ſelbſt in der Gefangenſchaft leben, haben ſich der vielfachen Kreuzungen mit wilden wegen ihre
urſprüngliche Geſtalt vollkommener bewahrt. Bei dem alten Männchen iſt der Rücken gelbgrün mit
ſchwärzlichen Schaftſtrichen und ſehr breiten, hellaſchgrauen Federrändern, welche beinahe zur vorherr-
ſchenden Farbe werden. Der Bürzel iſt gelbgrün, die Oberſchwanzdeckfedern aber ſind grün, aſchgrau
gerandet; Kopf und Nacken ſind gelbgrün mit ſchmalen grauen Rändern, die Stirn und ein breiter
Augenſtreif, welcher nach dem Nacken zu kreisförmig verläuft, ſind grünlich goldgelb, ebenſo Kehle

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[120/0138] Die Knacker. Sperlingsvögel. Gimpel. „Das helle Licht, in dem der zahme Kanarienvogel vor uns ſteht, die genaue und erſchöpfende Kenntniß, die wir von ſeinen Sitten und Eigenthümlichkeiten beſitzen, ſcheint neben der Entfernung, in welcher der wilde von uns lebt, die Haupturſache der ziemlich geringen Auskunft zu ſein, die wir über letzteren beſitzen.‟ Es bedurfte wahrhaftig eines Bolle, um uns mit dem Freileben des ſo wichtigen Vogels be- kannt zu machen; denn bis zu ſeiner Bearbeitung der Lebensgeſchichte des Kanarienvogels wußten wir herzlich wenig über ihn: wir kannten eigentlich nur den gezähmten Vogel. Die Naturforſcher früherer Jahrhunderte ſchmückten das Wenige, welches ſie über das heimatliche Leben des Kanarienvogels uns zu ſagen wußten, wohl auch noch mit allerlei Zuthaten aus; ſie irrten ſich ſelbſt über das Vaterland. Der alte Konrad Geßner, welcher in der erſten Hälfte des 16. Jahrhunderts ſchrieb, iſt der erſte Naturforſcher, welcher von dem Kanarienvogel ſpricht; er kannte ihn jedoch noch nicht aus eigener Anſchauung, ſondern ſchilderte ihn nur nach dem Bericht eines Freundes. Nach ihm erwähnen meh- rere unſeres Vogels, immer aber nur beiläufig und mit geringer Ausführlichkeit. Die Schriftſteller des vorigen Jahrhunderts berichten uns mehr, aber der große Büffon ſelbſt trägt zur Verbreitung von Jrrthümern bei. „Girlitz und Citronenfink‟, ſagt Volle, „müſſen ſich bequemen, zu Spielarten einer und derſelben, über einen großen Theil Europas und Afrikas, ſowie über die kanariſchen Jnſeln verbreiteten Art herabzuſteigen.‟ Büffon glaubt nämlich, daß die gedachten Vögel nichts anderes wären, als wilde, durch das Klima veränderte Kanarienvögel, und nimmt an, daß dieſer in drei beſtän- digen Spielarten vorkomme. Erſt Humboldt ſpricht mit der ihm eigenen Beſtimmtheit von dem wilden Kanarienvogel, welchen er im Jahre 1799 während ſeines Aufenthalts auf Teneriffa kennen lernte. Spätere Naturforſcher und ſelbſt Vogelkundige behandeln ihn mit viel Geringſchätzung; aber Bolle widmet ihm eine ebenſo anziehend geſchriebene, als ausführliche Schilderung, und ihm danken wir denn jetzt eine Kenntniß, welche wenig oder Nichts zu wünſchen übrig läßt. Das Nachfolgende iſt eine Wiedergabe der von dieſem Forſcher veröffentlichten Beobachtungen. Bolle fand den Vogel auf den fünf Waldinſeln der kanariſchen Gruppe, auf Grau Canaria, Teneriffa, Gomera, Palma und Ferro, aber auch auf Madeira und glaubt, daß das Thierchen früher noch auf mehreren andern, jetzt entwaldeten Jnſeln vorgekommen ſein mag. Er lebt nämlich an den gedachten Orten überall, wo dicht wachſende Bäume mit Geſtrüpp abwechſeln, vorzugsweiſe alſo längs der Waſſerbetten jener Jnſeln, welche während der Regenzeit Bäche ſind, während der trockenen Zeit aber verſiegen, demungeachtet jedoch von einem üppig grünen Pflanzenſaume eingefaßt ſind. Nicht minder häufig iſt er in den Gärten um die Wohnungen des Menſchen und zwar inmitten volkreicher Städte ebenſogut, wie an den abgelegenſten ſtillſten Winkeln der Jnſel. Seine Verbreitung erſtreckt ſich von der Meeresküſte bis zu 5000 oder 6000 Fuß unbedingter Höhe am Gebirge hinauf, und wo die Bedingungen zu ſeinem Wohlbefinden gegeben, iſt er überall häufig; nur in dem dichten, ſchattigen und feuchten Hochwalde, welcher auf den Kanaren aus Lorbeer und Stechpalmen beſteht, hat Bolle ihn nie beobachtet: er bewohnt höchſtens deren äußere lichtere Ränder. Gemein iſt er in den Wein- bergen der Jnſeln, nicht ſelten auch in den Kieferbeſtänden, welche die Abhänge des Gebirges beklei- den. Noch nicht ausgemacht iſt, ob er auch im Winter in bedeutenderen Höhen vorkommen mag; im Spätherbſt hat man ihn aber noch in einem Höhengürtel von 4000 Fuß über dem Meere angetroffen. Der wilde Kanarienvogel, welcher auch in ſeiner Heimat von Spaniern und Portugieſen „Ca- nario‟ genannt wird (Dryospiza canaria), iſt merklich kleiner und gewöhnlich auch etwas ſchlanker, als derjenige, welcher in Europa gezähmt unterhalten wird. Diejenigen, welche auf den Kanaren ſelbſt in der Gefangenſchaft leben, haben ſich der vielfachen Kreuzungen mit wilden wegen ihre urſprüngliche Geſtalt vollkommener bewahrt. Bei dem alten Männchen iſt der Rücken gelbgrün mit ſchwärzlichen Schaftſtrichen und ſehr breiten, hellaſchgrauen Federrändern, welche beinahe zur vorherr- ſchenden Farbe werden. Der Bürzel iſt gelbgrün, die Oberſchwanzdeckfedern aber ſind grün, aſchgrau gerandet; Kopf und Nacken ſind gelbgrün mit ſchmalen grauen Rändern, die Stirn und ein breiter Augenſtreif, welcher nach dem Nacken zu kreisförmig verläuft, ſind grünlich goldgelb, ebenſo Kehle

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/138>, abgerufen am 06.05.2024.