Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Murmelthiere.
rostgelb, am Kinn und Vorderhals weiß. Stirn und Scheitel sind röthlichgelb und braun gemischt,
die Augenkreise licht, die Füße rostgelb, gegen die Zehen hin heller. Das Wollhaar der Oberseite
ist schwarzgrau, das der Unterseite heller bräunlichgrau, das des Vorderhalses einfarbig weiß, die
Grannenhaare des Rückens sind in der Mitte braun geringelt. Die Nasenkuppe ist schwärzlich, die
Krallen und die Schnurren sind schwarz, die oberen Vorderzähne gelblich, die unteren weißlich, der
Augenstern ist schwarzbraun. Neugeborene Junge sind lichter, und die bereits herumlaufenden auf
dunklerem Grunde schärfer und gröber gefleckt, als die Alten. Mancherlei Abänderungen der Fär-
bung kommen vor; am hübschesten ist die Spielart, bei welcher die braunen Wellen des Rückens
durch eine große Anzahl kleiner rundlicher Flecken von weißlicher Farbe unterbrochen werden. Wie
die meisten anderen Höhlenthiere hat das Ziesel sehr kurze Ohren. Sie sehen fast wie abgeschnitten aus,
sind unter dem Pelze versteckt und bestehen blos in einem dickbehaarten Hautrande, der flach am
Kopfe anliegt. Die Wangenhaut ist hängend und schlaff, die Oberlippe tief gespalten. Ueber jedem
Auge stehen vier kurze Borstenhaare.

Der gemeine Ziesel findet sich hauptsächlich im Osten Europas und in einem Theile Asiens.
Albertus Magnus kennt ihn aus der Gegend von Regensburg, und Dies würde der Meinung
vieler Gelehrten, welche seine ursprüngliche Heimat in Asien suchen, widersprechen; doch berichtet
neuerdings Martin, daß der Ziesel sich in Schlesien immer weiter in westlicher Richtung verbreite.
Vor etwa dreißig Jahren kannte man ihn dort gar nicht, seit zwanzig Jahren aber ist er schon im
westlichen Theile der Provinz, und zwar im Regierungsbezirk Liegnitz, eingewandert und streift von
da aus immer weiter westlich. Wie es scheint, hat er von allen verwandten Arten die größte Ver-
breitung. Man kennt ihn mit Sicherheit aus dem ganzen südlichen und gemäßigten Rußland, Ga-
lizien, Schlesien und Ungarn, Steiermark, Mähren und Böhmen, Kärnthen, Krain, dem mitt-
leren Sibirien und der oberhalb des schwarzen Meeres gelegenen russischen Provinzen. Daß er in
Rußland häufiger ist, als bei uns, geht aus seinem Namen hervor; dieser ist eigentlich russischen
Ursprungs und lautet "Suslik". Hieraus entstand im Polnischen "Susel", und im Böhmischen
"Sisel", und daraus endlich machten wir Ziesel. Die Alten nannten das Thierchen "pontische
Maus
" oder "Simor". An den meisten Orten, wo sich der Ziesel findet, kommt er auch häufig vor
und fügt unter Umständen dem Ackerbau ziemlichen Schaden zu. Sein Aufenthalt sind trockene, baum-
leere Gegenden, und er liebt vor allem einen bindenden Sand- oder Lehmboden, also hauptsächlich Acker-
felder und weite Grasflächen. Wälder und Sumpfgegenden meidet er sorgfältig. Er lebt gesellig, aber
jeder einzelne gräbt sich seinen eigenen Bau in die Erde, das Männchen einen flacheren, das Weib-
chen einen tieferen. Der Kessel liegt vier bis sechs Fuß unter der Oberfläche des Bodens, ist von
länglichrunder Gestalt, hat ungefähr einen Fuß Durchmesser und wird mit trockenem Grase ausgefüttert.
Nach oben führt immer nur ein einziger, ziemlich enger und in mancherlei Krümmungen oft sehr flach
unter der Erdoberfläche hinlaufender Gang. Vor seiner Mündung liegt ein kleiner Haufen ausge-
worfener Erde. Der Gang wird nur ein Jahr lang benutzt; denn sobald es im Herbst anfängt, kalt
zu werden, verstopft der Ziesel die Zugangsöffnung, gräbt sich aber vom Lagerplatz aus eine neue
Röhre bis dicht unter die Oberfläche, welche dann im Frühjahre, sobald der Winterschlaf vorüber,
geöffnet und für das laufende Jahr als Zugang benutzt wird. Die Zahl der verschiedenen Gänge
gibt also genau das Alter der Wohnung an, nicht aber auch das Alter des in ihr wohnenden Thieres,
weil nicht selten ein anderer Ziesel eine noch gute Wohnung eines seiner Vorfahren benutzt, falls
dieser durch irgend einen Zufall zu Grunde ging. Nebenhöhlen finden sich auch im Baue; sie dienen
zur Aufspeicherung der Wintervorräthe, welche im Herbst eingetragen werden. Der Bau, in
welchem das Weibchen im Frühjahre, gewöhnlich im April oder Mai, seine drei bis acht nackten und
blinden, anfangs ziemlich unförmlichen Jungen wirft, ist immer tiefer, als alle übrigen, um den
zärtlich geliebten Kleinen hinlänglichen Schutz zu gewähren.

Alle Beobachter nennen den Ziesel ein niedliches, schmuckes Geschöpf, und sprechen mit einer
gewissen Liebe von ihm, trotz des Schadens, welcher durch ihn verursacht wird, während bekanntlich

Die Murmelthiere.
roſtgelb, am Kinn und Vorderhals weiß. Stirn und Scheitel ſind röthlichgelb und braun gemiſcht,
die Augenkreiſe licht, die Füße roſtgelb, gegen die Zehen hin heller. Das Wollhaar der Oberſeite
iſt ſchwarzgrau, das der Unterſeite heller bräunlichgrau, das des Vorderhalſes einfarbig weiß, die
Grannenhaare des Rückens ſind in der Mitte braun geringelt. Die Naſenkuppe iſt ſchwärzlich, die
Krallen und die Schnurren ſind ſchwarz, die oberen Vorderzähne gelblich, die unteren weißlich, der
Augenſtern iſt ſchwarzbraun. Neugeborene Junge ſind lichter, und die bereits herumlaufenden auf
dunklerem Grunde ſchärfer und gröber gefleckt, als die Alten. Mancherlei Abänderungen der Fär-
bung kommen vor; am hübſcheſten iſt die Spielart, bei welcher die braunen Wellen des Rückens
durch eine große Anzahl kleiner rundlicher Flecken von weißlicher Farbe unterbrochen werden. Wie
die meiſten anderen Höhlenthiere hat das Zieſel ſehr kurze Ohren. Sie ſehen faſt wie abgeſchnitten aus,
ſind unter dem Pelze verſteckt und beſtehen blos in einem dickbehaarten Hautrande, der flach am
Kopfe anliegt. Die Wangenhaut iſt hängend und ſchlaff, die Oberlippe tief geſpalten. Ueber jedem
Auge ſtehen vier kurze Borſtenhaare.

Der gemeine Zieſel findet ſich hauptſächlich im Oſten Europas und in einem Theile Aſiens.
Albertus Magnus kennt ihn aus der Gegend von Regensburg, und Dies würde der Meinung
vieler Gelehrten, welche ſeine urſprüngliche Heimat in Aſien ſuchen, widerſprechen; doch berichtet
neuerdings Martin, daß der Zieſel ſich in Schleſien immer weiter in weſtlicher Richtung verbreite.
Vor etwa dreißig Jahren kannte man ihn dort gar nicht, ſeit zwanzig Jahren aber iſt er ſchon im
weſtlichen Theile der Provinz, und zwar im Regierungsbezirk Liegnitz, eingewandert und ſtreift von
da aus immer weiter weſtlich. Wie es ſcheint, hat er von allen verwandten Arten die größte Ver-
breitung. Man kennt ihn mit Sicherheit aus dem ganzen ſüdlichen und gemäßigten Rußland, Ga-
lizien, Schleſien und Ungarn, Steiermark, Mähren und Böhmen, Kärnthen, Krain, dem mitt-
leren Sibirien und der oberhalb des ſchwarzen Meeres gelegenen ruſſiſchen Provinzen. Daß er in
Rußland häufiger iſt, als bei uns, geht aus ſeinem Namen hervor; dieſer iſt eigentlich ruſſiſchen
Urſprungs und lautet „Suslik‟. Hieraus entſtand im Polniſchen „Suſel‟, und im Böhmiſchen
„Siſel‟, und daraus endlich machten wir Zieſel. Die Alten nannten das Thierchen „pontiſche
Maus
‟ oder „Simor‟. An den meiſten Orten, wo ſich der Zieſel findet, kommt er auch häufig vor
und fügt unter Umſtänden dem Ackerbau ziemlichen Schaden zu. Sein Aufenthalt ſind trockene, baum-
leere Gegenden, und er liebt vor allem einen bindenden Sand- oder Lehmboden, alſo hauptſächlich Acker-
felder und weite Grasflächen. Wälder und Sumpfgegenden meidet er ſorgfältig. Er lebt geſellig, aber
jeder einzelne gräbt ſich ſeinen eigenen Bau in die Erde, das Männchen einen flacheren, das Weib-
chen einen tieferen. Der Keſſel liegt vier bis ſechs Fuß unter der Oberfläche des Bodens, iſt von
länglichrunder Geſtalt, hat ungefähr einen Fuß Durchmeſſer und wird mit trockenem Graſe ausgefüttert.
Nach oben führt immer nur ein einziger, ziemlich enger und in mancherlei Krümmungen oft ſehr flach
unter der Erdoberfläche hinlaufender Gang. Vor ſeiner Mündung liegt ein kleiner Haufen ausge-
worfener Erde. Der Gang wird nur ein Jahr lang benutzt; denn ſobald es im Herbſt anfängt, kalt
zu werden, verſtopft der Zieſel die Zugangsöffnung, gräbt ſich aber vom Lagerplatz aus eine neue
Röhre bis dicht unter die Oberfläche, welche dann im Frühjahre, ſobald der Winterſchlaf vorüber,
geöffnet und für das laufende Jahr als Zugang benutzt wird. Die Zahl der verſchiedenen Gänge
gibt alſo genau das Alter der Wohnung an, nicht aber auch das Alter des in ihr wohnenden Thieres,
weil nicht ſelten ein anderer Zieſel eine noch gute Wohnung eines ſeiner Vorfahren benutzt, falls
dieſer durch irgend einen Zufall zu Grunde ging. Nebenhöhlen finden ſich auch im Baue; ſie dienen
zur Aufſpeicherung der Wintervorräthe, welche im Herbſt eingetragen werden. Der Bau, in
welchem das Weibchen im Frühjahre, gewöhnlich im April oder Mai, ſeine drei bis acht nackten und
blinden, anfangs ziemlich unförmlichen Jungen wirft, iſt immer tiefer, als alle übrigen, um den
zärtlich geliebten Kleinen hinlänglichen Schutz zu gewähren.

Alle Beobachter nennen den Zieſel ein niedliches, ſchmuckes Geſchöpf, und ſprechen mit einer
gewiſſen Liebe von ihm, trotz des Schadens, welcher durch ihn verurſacht wird, während bekanntlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0098" n="84"/><fw place="top" type="header">Die Murmelthiere.</fw><lb/>
ro&#x017F;tgelb, am Kinn und Vorderhals weiß. Stirn und Scheitel &#x017F;ind röthlichgelb und braun gemi&#x017F;cht,<lb/>
die Augenkrei&#x017F;e licht, die Füße ro&#x017F;tgelb, gegen die Zehen hin heller. Das Wollhaar der Ober&#x017F;eite<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;chwarzgrau, das der Unter&#x017F;eite heller bräunlichgrau, das des Vorderhal&#x017F;es einfarbig weiß, die<lb/>
Grannenhaare des Rückens &#x017F;ind in der Mitte braun geringelt. Die Na&#x017F;enkuppe i&#x017F;t &#x017F;chwärzlich, die<lb/>
Krallen und die Schnurren &#x017F;ind &#x017F;chwarz, die oberen Vorderzähne gelblich, die unteren weißlich, der<lb/>
Augen&#x017F;tern i&#x017F;t &#x017F;chwarzbraun. Neugeborene Junge &#x017F;ind lichter, und die bereits herumlaufenden auf<lb/>
dunklerem Grunde &#x017F;chärfer und gröber gefleckt, als die Alten. Mancherlei Abänderungen der Fär-<lb/>
bung kommen vor; am hüb&#x017F;che&#x017F;ten i&#x017F;t die Spielart, bei welcher die braunen Wellen des Rückens<lb/>
durch eine große Anzahl kleiner rundlicher Flecken von weißlicher Farbe unterbrochen werden. Wie<lb/>
die mei&#x017F;ten anderen Höhlenthiere hat das Zie&#x017F;el &#x017F;ehr kurze Ohren. Sie &#x017F;ehen fa&#x017F;t wie abge&#x017F;chnitten aus,<lb/>
&#x017F;ind unter dem Pelze ver&#x017F;teckt und be&#x017F;tehen blos in einem dickbehaarten Hautrande, der flach am<lb/>
Kopfe anliegt. Die Wangenhaut i&#x017F;t hängend und &#x017F;chlaff, die Oberlippe tief ge&#x017F;palten. Ueber jedem<lb/>
Auge &#x017F;tehen vier kurze Bor&#x017F;tenhaare.</p><lb/>
              <p>Der gemeine Zie&#x017F;el findet &#x017F;ich haupt&#x017F;ächlich im O&#x017F;ten Europas und in einem Theile A&#x017F;iens.<lb/><hi rendition="#g">Albertus Magnus</hi> kennt ihn aus der Gegend von Regensburg, und Dies würde der Meinung<lb/>
vieler Gelehrten, welche &#x017F;eine ur&#x017F;prüngliche Heimat in A&#x017F;ien &#x017F;uchen, wider&#x017F;prechen; doch berichtet<lb/>
neuerdings <hi rendition="#g">Martin,</hi> daß der Zie&#x017F;el &#x017F;ich in Schle&#x017F;ien immer weiter in we&#x017F;tlicher Richtung verbreite.<lb/>
Vor etwa dreißig Jahren kannte man ihn dort gar nicht, &#x017F;eit zwanzig Jahren aber i&#x017F;t er &#x017F;chon im<lb/>
we&#x017F;tlichen Theile der Provinz, und zwar im Regierungsbezirk Liegnitz, eingewandert und &#x017F;treift von<lb/>
da aus immer weiter we&#x017F;tlich. Wie es &#x017F;cheint, hat er von allen verwandten Arten die größte Ver-<lb/>
breitung. Man kennt ihn mit Sicherheit aus dem ganzen &#x017F;üdlichen und gemäßigten Rußland, Ga-<lb/>
lizien, Schle&#x017F;ien und Ungarn, Steiermark, Mähren und Böhmen, Kärnthen, Krain, dem mitt-<lb/>
leren Sibirien und der oberhalb des &#x017F;chwarzen Meeres gelegenen ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Provinzen. Daß er in<lb/>
Rußland häufiger i&#x017F;t, als bei uns, geht aus &#x017F;einem Namen hervor; die&#x017F;er i&#x017F;t eigentlich ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Ur&#x017F;prungs und lautet &#x201E;Suslik&#x201F;. Hieraus ent&#x017F;tand im Polni&#x017F;chen &#x201E;Su&#x017F;el&#x201F;, und im Böhmi&#x017F;chen<lb/>
&#x201E;Si&#x017F;el&#x201F;, und daraus endlich machten wir Zie&#x017F;el. Die Alten nannten das Thierchen &#x201E;<hi rendition="#g">ponti&#x017F;che<lb/>
Maus</hi>&#x201F; oder &#x201E;<hi rendition="#g">Simor</hi>&#x201F;. An den mei&#x017F;ten Orten, wo &#x017F;ich der Zie&#x017F;el findet, kommt er auch häufig vor<lb/>
und fügt unter Um&#x017F;tänden dem Ackerbau ziemlichen Schaden zu. Sein Aufenthalt &#x017F;ind trockene, baum-<lb/>
leere Gegenden, und er liebt vor allem einen bindenden Sand- oder Lehmboden, al&#x017F;o haupt&#x017F;ächlich Acker-<lb/>
felder und weite Grasflächen. Wälder und Sumpfgegenden meidet er &#x017F;orgfältig. Er lebt ge&#x017F;ellig, aber<lb/>
jeder einzelne gräbt &#x017F;ich &#x017F;einen eigenen Bau in die Erde, das Männchen einen flacheren, das Weib-<lb/>
chen einen tieferen. Der Ke&#x017F;&#x017F;el liegt vier bis &#x017F;echs Fuß unter der Oberfläche des Bodens, i&#x017F;t von<lb/>
länglichrunder Ge&#x017F;talt, hat ungefähr einen Fuß Durchme&#x017F;&#x017F;er und wird mit trockenem Gra&#x017F;e ausgefüttert.<lb/>
Nach oben führt immer nur ein einziger, ziemlich enger und in mancherlei Krümmungen oft &#x017F;ehr flach<lb/>
unter der Erdoberfläche hinlaufender Gang. Vor &#x017F;einer Mündung liegt ein kleiner Haufen ausge-<lb/>
worfener Erde. Der Gang wird nur ein Jahr lang benutzt; denn &#x017F;obald es im Herb&#x017F;t anfängt, kalt<lb/>
zu werden, ver&#x017F;topft der Zie&#x017F;el die Zugangsöffnung, gräbt &#x017F;ich aber vom Lagerplatz aus eine neue<lb/>
Röhre bis dicht unter die Oberfläche, welche dann im Frühjahre, &#x017F;obald der Winter&#x017F;chlaf vorüber,<lb/>
geöffnet und für das laufende Jahr als Zugang benutzt wird. Die Zahl der ver&#x017F;chiedenen Gänge<lb/>
gibt al&#x017F;o genau das Alter der Wohnung an, nicht aber auch das Alter des in ihr wohnenden Thieres,<lb/>
weil nicht &#x017F;elten ein anderer Zie&#x017F;el eine noch gute Wohnung eines &#x017F;einer Vorfahren benutzt, falls<lb/>
die&#x017F;er durch irgend einen Zufall zu Grunde ging. Nebenhöhlen finden &#x017F;ich auch im Baue; &#x017F;ie dienen<lb/>
zur Auf&#x017F;peicherung der Wintervorräthe, welche im Herb&#x017F;t eingetragen werden. Der Bau, in<lb/>
welchem das Weibchen im Frühjahre, gewöhnlich im April oder Mai, &#x017F;eine drei bis acht nackten und<lb/>
blinden, anfangs ziemlich unförmlichen Jungen wirft, i&#x017F;t immer tiefer, als alle übrigen, um den<lb/>
zärtlich geliebten Kleinen hinlänglichen Schutz zu gewähren.</p><lb/>
              <p>Alle Beobachter nennen den Zie&#x017F;el ein niedliches, &#x017F;chmuckes Ge&#x017F;chöpf, und &#x017F;prechen mit einer<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Liebe von ihm, trotz des Schadens, welcher durch ihn verur&#x017F;acht wird, während bekanntlich<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0098] Die Murmelthiere. roſtgelb, am Kinn und Vorderhals weiß. Stirn und Scheitel ſind röthlichgelb und braun gemiſcht, die Augenkreiſe licht, die Füße roſtgelb, gegen die Zehen hin heller. Das Wollhaar der Oberſeite iſt ſchwarzgrau, das der Unterſeite heller bräunlichgrau, das des Vorderhalſes einfarbig weiß, die Grannenhaare des Rückens ſind in der Mitte braun geringelt. Die Naſenkuppe iſt ſchwärzlich, die Krallen und die Schnurren ſind ſchwarz, die oberen Vorderzähne gelblich, die unteren weißlich, der Augenſtern iſt ſchwarzbraun. Neugeborene Junge ſind lichter, und die bereits herumlaufenden auf dunklerem Grunde ſchärfer und gröber gefleckt, als die Alten. Mancherlei Abänderungen der Fär- bung kommen vor; am hübſcheſten iſt die Spielart, bei welcher die braunen Wellen des Rückens durch eine große Anzahl kleiner rundlicher Flecken von weißlicher Farbe unterbrochen werden. Wie die meiſten anderen Höhlenthiere hat das Zieſel ſehr kurze Ohren. Sie ſehen faſt wie abgeſchnitten aus, ſind unter dem Pelze verſteckt und beſtehen blos in einem dickbehaarten Hautrande, der flach am Kopfe anliegt. Die Wangenhaut iſt hängend und ſchlaff, die Oberlippe tief geſpalten. Ueber jedem Auge ſtehen vier kurze Borſtenhaare. Der gemeine Zieſel findet ſich hauptſächlich im Oſten Europas und in einem Theile Aſiens. Albertus Magnus kennt ihn aus der Gegend von Regensburg, und Dies würde der Meinung vieler Gelehrten, welche ſeine urſprüngliche Heimat in Aſien ſuchen, widerſprechen; doch berichtet neuerdings Martin, daß der Zieſel ſich in Schleſien immer weiter in weſtlicher Richtung verbreite. Vor etwa dreißig Jahren kannte man ihn dort gar nicht, ſeit zwanzig Jahren aber iſt er ſchon im weſtlichen Theile der Provinz, und zwar im Regierungsbezirk Liegnitz, eingewandert und ſtreift von da aus immer weiter weſtlich. Wie es ſcheint, hat er von allen verwandten Arten die größte Ver- breitung. Man kennt ihn mit Sicherheit aus dem ganzen ſüdlichen und gemäßigten Rußland, Ga- lizien, Schleſien und Ungarn, Steiermark, Mähren und Böhmen, Kärnthen, Krain, dem mitt- leren Sibirien und der oberhalb des ſchwarzen Meeres gelegenen ruſſiſchen Provinzen. Daß er in Rußland häufiger iſt, als bei uns, geht aus ſeinem Namen hervor; dieſer iſt eigentlich ruſſiſchen Urſprungs und lautet „Suslik‟. Hieraus entſtand im Polniſchen „Suſel‟, und im Böhmiſchen „Siſel‟, und daraus endlich machten wir Zieſel. Die Alten nannten das Thierchen „pontiſche Maus‟ oder „Simor‟. An den meiſten Orten, wo ſich der Zieſel findet, kommt er auch häufig vor und fügt unter Umſtänden dem Ackerbau ziemlichen Schaden zu. Sein Aufenthalt ſind trockene, baum- leere Gegenden, und er liebt vor allem einen bindenden Sand- oder Lehmboden, alſo hauptſächlich Acker- felder und weite Grasflächen. Wälder und Sumpfgegenden meidet er ſorgfältig. Er lebt geſellig, aber jeder einzelne gräbt ſich ſeinen eigenen Bau in die Erde, das Männchen einen flacheren, das Weib- chen einen tieferen. Der Keſſel liegt vier bis ſechs Fuß unter der Oberfläche des Bodens, iſt von länglichrunder Geſtalt, hat ungefähr einen Fuß Durchmeſſer und wird mit trockenem Graſe ausgefüttert. Nach oben führt immer nur ein einziger, ziemlich enger und in mancherlei Krümmungen oft ſehr flach unter der Erdoberfläche hinlaufender Gang. Vor ſeiner Mündung liegt ein kleiner Haufen ausge- worfener Erde. Der Gang wird nur ein Jahr lang benutzt; denn ſobald es im Herbſt anfängt, kalt zu werden, verſtopft der Zieſel die Zugangsöffnung, gräbt ſich aber vom Lagerplatz aus eine neue Röhre bis dicht unter die Oberfläche, welche dann im Frühjahre, ſobald der Winterſchlaf vorüber, geöffnet und für das laufende Jahr als Zugang benutzt wird. Die Zahl der verſchiedenen Gänge gibt alſo genau das Alter der Wohnung an, nicht aber auch das Alter des in ihr wohnenden Thieres, weil nicht ſelten ein anderer Zieſel eine noch gute Wohnung eines ſeiner Vorfahren benutzt, falls dieſer durch irgend einen Zufall zu Grunde ging. Nebenhöhlen finden ſich auch im Baue; ſie dienen zur Aufſpeicherung der Wintervorräthe, welche im Herbſt eingetragen werden. Der Bau, in welchem das Weibchen im Frühjahre, gewöhnlich im April oder Mai, ſeine drei bis acht nackten und blinden, anfangs ziemlich unförmlichen Jungen wirft, iſt immer tiefer, als alle übrigen, um den zärtlich geliebten Kleinen hinlänglichen Schutz zu gewähren. Alle Beobachter nennen den Zieſel ein niedliches, ſchmuckes Geſchöpf, und ſprechen mit einer gewiſſen Liebe von ihm, trotz des Schadens, welcher durch ihn verurſacht wird, während bekanntlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/98
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/98>, abgerufen am 04.05.2024.