der Hamster, der ihm doch ganz ähnlich lebt, kaum einen Freund hat. Bei stürmischem Wetter oder während der Nacht schläft der Ziesel in seiner Höhle; an warmen Tagen aber verläßt er diese schon bei Sonnenaufgang, streift den ganzen Tag umher, macht aber dabei von Zeit zu Zeit ein Männchen und späht aufmerksam nach allen Seiten hin, um sich zu sichern. Seine Bewegungen sind viel langsamer, als die des Hörnchens, der Lauf ist hüpfend und nicht eben rasch; aber dafür versteht es das Thier, durch jede Oeffnung durchzuschlüpfen, durch welche es seinen Kopf zwängen kann. Häufig spielt er mit seinen Gefährten vor den Mündungen der unterirdischen Gänge, und dann hört man oft den pfeifenden Laut, welcher bei den Männchen scharf, bei den Weibchen aber schwächer und fast kläglich klingt. Die Männchen sind übrigens viel ruhiger, als die Weibchen, und rufen blos dann, wenn sie gereizt oder erschreckt werden, während die Weibchen sehr oft ihre Stimme erschallen lassen. Hiermit steht auch das geistige Wesen beider im Einklange: die Männchen sind sanft, die Weibchen heftig und bissig; doch streiten sich auch jene um die Paarungszeit, zumal also in den Monaten März und April, oft recht heftig in Sachen der Liebe.
Zarte Kräuter und Wurzeln, z. B. Vogelwegtritt und Klee, Getreidearten, Hülsenfrüchte und allerhand Beeren und Gemüse, bilden die gewöhnliche Nahrung des Ziesels. Gegen den Herbst hin sammelt er sich von den genannten Stoffen auch hübsche Vorräthe ein, welche er hamsterartig in den Backentaschen nach Hause schleppt. Nebenbei wird der Ziesel übrigens auch Mäusen und Vögeln, die auf der Erde nisten, gefährlich; denn er raubt ihnen nicht blos die Nester aus, sondern überfällt auch ungescheut die Alten, wenn sie nicht vorsichtig sind, gibt ihnen ein paar Bisse, frißt ihnen das Ge- hirn aus und verzehrt sie dann vollends bis auf den Balg. Seine Nahrung hält er sehr zierlich zwi- schen den Vorderpfoten und frißt in halb aufrechter Stellung, auf dem Hintertheile sitzend. Nach dem Fressen putzt er sich Schnauze und Kopf und leckt und wäscht und kämmt sich sein Fell oben und unten. Wasser trinkt er nur wenig und gewöhnlich nach der Mahlzeit.
Der Schaden, welchen der Ziesel durch seine Räubereien verursacht, ist durchaus nicht bedeutend und wird nur dann fühlbar, wenn sich das Thier besonders stark vermehrt. Das Weibchen ist, wie alle Nager, äußerst fruchtbar. Es wirft in den Monaten April oder Mai nach fünfundzwanzig- bis dreißigtägiger Tragzeit auf einem weichen Lager seines tiefsten Kessels ein starkes Gehecke. Die Jungen werden zärtlich geliebt, gesäugt, gepflegt und noch, wenn sie bereits ziemlich groß sind und Ausflüge machen, bewacht und behütet. Jhr Wachsthum fördert schnell, nach Monatsfrist sind die Jungen halbwüchsig, im Spätsommer kaum mehr von der Alten zu unterscheiden, im Herbste vollkom- men ausgewachsen und im andern Frühjahre fortpflanzungsfähig. Bis gegen den Herbst hin wohnt die ganze Familie im Bau der Alten; dann aber gräbt sich jedes Kind eine besondere Höhle, trägt Winter- vorräthe ein und lebt und treibt es, wie seine Vorfahren. Wäre nun der lustigen Gesellschaft nicht ein ganzes Heer von Feinden auf dem Nacken, so würde ihre Vermehrung, obgleich sie noch immer weit hinter der Fruchtbarkeit der Ratten oder Mäuse zurückbleibt, doch recht bedeutend sein. Aber da sind das große und kleine Wiesel, der Jltis und Steinmarder, Falken, Krähen, Reiher, selbst Katzen, Rattenpintscher und andere der bekannten Nagervertilger: sie stellen den netten Thieren ohne Unterlaß nach; und auch der Mensch wird zu ihrem Feinde, theils des Felles wegen, theils des wohlschmeckenden Fleisches halber, und verfolgt sie mittelst Schlingen und Fallen, gräbt sie aus oder treibt sie durch eingegossenes Wasser aus der Höhle hervor u. s. w. So kommt es, daß der starken Vermehrung des Ziesels auf hunderterlei Weise Einhalt gethan wird. Und der schlimmste Feind ist immer noch der Winter. Jm Spätherbst hat das frischfröhliche Leben der Gesellschaft geendet; die Männchen haben ausgesorgt für das Wohl der Gesammtheit, welche nicht nur außerordentlich wohl- beleibt und fett geworden ist, sondern sich auch ihre Speicher tüchtig gefüllt hat. Jeder einzelne Ziesel zieht sich nun nach dem Bau zurück, verstopft seine Höhlen, gräbt einen neuen Gang und verfällt dann in den Winterschlaf. Aber gar viele von den Eingeschlafenen schlummern in den ewigen Schlaf hin- über, wenn naßkalte Witterung eintritt, welche die halberstarrten Thiere auch im Baue zu treffen
Der gemeine Zieſel.
der Hamſter, der ihm doch ganz ähnlich lebt, kaum einen Freund hat. Bei ſtürmiſchem Wetter oder während der Nacht ſchläft der Zieſel in ſeiner Höhle; an warmen Tagen aber verläßt er dieſe ſchon bei Sonnenaufgang, ſtreift den ganzen Tag umher, macht aber dabei von Zeit zu Zeit ein Männchen und ſpäht aufmerkſam nach allen Seiten hin, um ſich zu ſichern. Seine Bewegungen ſind viel langſamer, als die des Hörnchens, der Lauf iſt hüpfend und nicht eben raſch; aber dafür verſteht es das Thier, durch jede Oeffnung durchzuſchlüpfen, durch welche es ſeinen Kopf zwängen kann. Häufig ſpielt er mit ſeinen Gefährten vor den Mündungen der unterirdiſchen Gänge, und dann hört man oft den pfeifenden Laut, welcher bei den Männchen ſcharf, bei den Weibchen aber ſchwächer und faſt kläglich klingt. Die Männchen ſind übrigens viel ruhiger, als die Weibchen, und rufen blos dann, wenn ſie gereizt oder erſchreckt werden, während die Weibchen ſehr oft ihre Stimme erſchallen laſſen. Hiermit ſteht auch das geiſtige Weſen beider im Einklange: die Männchen ſind ſanft, die Weibchen heftig und biſſig; doch ſtreiten ſich auch jene um die Paarungszeit, zumal alſo in den Monaten März und April, oft recht heftig in Sachen der Liebe.
Zarte Kräuter und Wurzeln, z. B. Vogelwegtritt und Klee, Getreidearten, Hülſenfrüchte und allerhand Beeren und Gemüſe, bilden die gewöhnliche Nahrung des Zieſels. Gegen den Herbſt hin ſammelt er ſich von den genannten Stoffen auch hübſche Vorräthe ein, welche er hamſterartig in den Backentaſchen nach Hauſe ſchleppt. Nebenbei wird der Zieſel übrigens auch Mäuſen und Vögeln, die auf der Erde niſten, gefährlich; denn er raubt ihnen nicht blos die Neſter aus, ſondern überfällt auch ungeſcheut die Alten, wenn ſie nicht vorſichtig ſind, gibt ihnen ein paar Biſſe, frißt ihnen das Ge- hirn aus und verzehrt ſie dann vollends bis auf den Balg. Seine Nahrung hält er ſehr zierlich zwi- ſchen den Vorderpfoten und frißt in halb aufrechter Stellung, auf dem Hintertheile ſitzend. Nach dem Freſſen putzt er ſich Schnauze und Kopf und leckt und wäſcht und kämmt ſich ſein Fell oben und unten. Waſſer trinkt er nur wenig und gewöhnlich nach der Mahlzeit.
Der Schaden, welchen der Zieſel durch ſeine Räubereien verurſacht, iſt durchaus nicht bedeutend und wird nur dann fühlbar, wenn ſich das Thier beſonders ſtark vermehrt. Das Weibchen iſt, wie alle Nager, äußerſt fruchtbar. Es wirft in den Monaten April oder Mai nach fünfundzwanzig- bis dreißigtägiger Tragzeit auf einem weichen Lager ſeines tiefſten Keſſels ein ſtarkes Gehecke. Die Jungen werden zärtlich geliebt, geſäugt, gepflegt und noch, wenn ſie bereits ziemlich groß ſind und Ausflüge machen, bewacht und behütet. Jhr Wachsthum fördert ſchnell, nach Monatsfriſt ſind die Jungen halbwüchſig, im Spätſommer kaum mehr von der Alten zu unterſcheiden, im Herbſte vollkom- men ausgewachſen und im andern Frühjahre fortpflanzungsfähig. Bis gegen den Herbſt hin wohnt die ganze Familie im Bau der Alten; dann aber gräbt ſich jedes Kind eine beſondere Höhle, trägt Winter- vorräthe ein und lebt und treibt es, wie ſeine Vorfahren. Wäre nun der luſtigen Geſellſchaft nicht ein ganzes Heer von Feinden auf dem Nacken, ſo würde ihre Vermehrung, obgleich ſie noch immer weit hinter der Fruchtbarkeit der Ratten oder Mäuſe zurückbleibt, doch recht bedeutend ſein. Aber da ſind das große und kleine Wieſel, der Jltis und Steinmarder, Falken, Krähen, Reiher, ſelbſt Katzen, Rattenpintſcher und andere der bekannten Nagervertilger: ſie ſtellen den netten Thieren ohne Unterlaß nach; und auch der Menſch wird zu ihrem Feinde, theils des Felles wegen, theils des wohlſchmeckenden Fleiſches halber, und verfolgt ſie mittelſt Schlingen und Fallen, gräbt ſie aus oder treibt ſie durch eingegoſſenes Waſſer aus der Höhle hervor u. ſ. w. So kommt es, daß der ſtarken Vermehrung des Zieſels auf hunderterlei Weiſe Einhalt gethan wird. Und der ſchlimmſte Feind iſt immer noch der Winter. Jm Spätherbſt hat das friſchfröhliche Leben der Geſellſchaft geendet; die Männchen haben ausgeſorgt für das Wohl der Geſammtheit, welche nicht nur außerordentlich wohl- beleibt und fett geworden iſt, ſondern ſich auch ihre Speicher tüchtig gefüllt hat. Jeder einzelne Zieſel zieht ſich nun nach dem Bau zurück, verſtopft ſeine Höhlen, gräbt einen neuen Gang und verfällt dann in den Winterſchlaf. Aber gar viele von den Eingeſchlafenen ſchlummern in den ewigen Schlaf hin- über, wenn naßkalte Witterung eintritt, welche die halberſtarrten Thiere auch im Baue zu treffen
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[85/0099]
Der gemeine Zieſel.
der Hamſter, der ihm doch ganz ähnlich lebt, kaum einen Freund hat. Bei ſtürmiſchem Wetter
oder während der Nacht ſchläft der Zieſel in ſeiner Höhle; an warmen Tagen aber verläßt er dieſe
ſchon bei Sonnenaufgang, ſtreift den ganzen Tag umher, macht aber dabei von Zeit zu Zeit ein
Männchen und ſpäht aufmerkſam nach allen Seiten hin, um ſich zu ſichern. Seine Bewegungen
ſind viel langſamer, als die des Hörnchens, der Lauf iſt hüpfend und nicht eben raſch; aber dafür
verſteht es das Thier, durch jede Oeffnung durchzuſchlüpfen, durch welche es ſeinen Kopf zwängen
kann. Häufig ſpielt er mit ſeinen Gefährten vor den Mündungen der unterirdiſchen Gänge, und
dann hört man oft den pfeifenden Laut, welcher bei den Männchen ſcharf, bei den Weibchen aber
ſchwächer und faſt kläglich klingt. Die Männchen ſind übrigens viel ruhiger, als die Weibchen, und
rufen blos dann, wenn ſie gereizt oder erſchreckt werden, während die Weibchen ſehr oft ihre
Stimme erſchallen laſſen. Hiermit ſteht auch das geiſtige Weſen beider im Einklange: die Männchen
ſind ſanft, die Weibchen heftig und biſſig; doch ſtreiten ſich auch jene um die Paarungszeit, zumal
alſo in den Monaten März und April, oft recht heftig in Sachen der Liebe.
Zarte Kräuter und Wurzeln, z. B. Vogelwegtritt und Klee, Getreidearten, Hülſenfrüchte und
allerhand Beeren und Gemüſe, bilden die gewöhnliche Nahrung des Zieſels. Gegen den Herbſt hin
ſammelt er ſich von den genannten Stoffen auch hübſche Vorräthe ein, welche er hamſterartig in den
Backentaſchen nach Hauſe ſchleppt. Nebenbei wird der Zieſel übrigens auch Mäuſen und Vögeln, die
auf der Erde niſten, gefährlich; denn er raubt ihnen nicht blos die Neſter aus, ſondern überfällt auch
ungeſcheut die Alten, wenn ſie nicht vorſichtig ſind, gibt ihnen ein paar Biſſe, frißt ihnen das Ge-
hirn aus und verzehrt ſie dann vollends bis auf den Balg. Seine Nahrung hält er ſehr zierlich zwi-
ſchen den Vorderpfoten und frißt in halb aufrechter Stellung, auf dem Hintertheile ſitzend. Nach dem
Freſſen putzt er ſich Schnauze und Kopf und leckt und wäſcht und kämmt ſich ſein Fell oben und
unten. Waſſer trinkt er nur wenig und gewöhnlich nach der Mahlzeit.
Der Schaden, welchen der Zieſel durch ſeine Räubereien verurſacht, iſt durchaus nicht bedeutend
und wird nur dann fühlbar, wenn ſich das Thier beſonders ſtark vermehrt. Das Weibchen iſt, wie
alle Nager, äußerſt fruchtbar. Es wirft in den Monaten April oder Mai nach fünfundzwanzig- bis
dreißigtägiger Tragzeit auf einem weichen Lager ſeines tiefſten Keſſels ein ſtarkes Gehecke. Die
Jungen werden zärtlich geliebt, geſäugt, gepflegt und noch, wenn ſie bereits ziemlich groß ſind und
Ausflüge machen, bewacht und behütet. Jhr Wachsthum fördert ſchnell, nach Monatsfriſt ſind die
Jungen halbwüchſig, im Spätſommer kaum mehr von der Alten zu unterſcheiden, im Herbſte vollkom-
men ausgewachſen und im andern Frühjahre fortpflanzungsfähig. Bis gegen den Herbſt hin wohnt die
ganze Familie im Bau der Alten; dann aber gräbt ſich jedes Kind eine beſondere Höhle, trägt Winter-
vorräthe ein und lebt und treibt es, wie ſeine Vorfahren. Wäre nun der luſtigen Geſellſchaft nicht ein
ganzes Heer von Feinden auf dem Nacken, ſo würde ihre Vermehrung, obgleich ſie noch immer weit
hinter der Fruchtbarkeit der Ratten oder Mäuſe zurückbleibt, doch recht bedeutend ſein. Aber da ſind
das große und kleine Wieſel, der Jltis und Steinmarder, Falken, Krähen, Reiher, ſelbſt
Katzen, Rattenpintſcher und andere der bekannten Nagervertilger: ſie ſtellen den netten Thieren
ohne Unterlaß nach; und auch der Menſch wird zu ihrem Feinde, theils des Felles wegen, theils des
wohlſchmeckenden Fleiſches halber, und verfolgt ſie mittelſt Schlingen und Fallen, gräbt ſie aus oder
treibt ſie durch eingegoſſenes Waſſer aus der Höhle hervor u. ſ. w. So kommt es, daß der ſtarken
Vermehrung des Zieſels auf hunderterlei Weiſe Einhalt gethan wird. Und der ſchlimmſte Feind iſt
immer noch der Winter. Jm Spätherbſt hat das friſchfröhliche Leben der Geſellſchaft geendet; die
Männchen haben ausgeſorgt für das Wohl der Geſammtheit, welche nicht nur außerordentlich wohl-
beleibt und fett geworden iſt, ſondern ſich auch ihre Speicher tüchtig gefüllt hat. Jeder einzelne Zieſel
zieht ſich nun nach dem Bau zurück, verſtopft ſeine Höhlen, gräbt einen neuen Gang und verfällt dann
in den Winterſchlaf. Aber gar viele von den Eingeſchlafenen ſchlummern in den ewigen Schlaf hin-
über, wenn naßkalte Witterung eintritt, welche die halberſtarrten Thiere auch im Baue zu treffen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/99>, abgerufen am 23.11.2024.
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