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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Walfisch.
Man fängt das Junge, welches die Gefahr nicht kennt, mit leichter Mühe hauptsächlich zum Zwecke,
die Alte herbeizulocken. Sie kommt dann auch gleich dem verwundeten Kinde zu Hilfe, steigt mit
ihm an die Oberfläche, um zu athmen, treibt es an, fortzuschwimmen, sucht ihm auf der Flucht be-
hilflich zu sein, indem sie es unter ihre Flossen nimmt, und verläßt es selten, so lange es noch lebt.
Dann ist es gefährlich, sich ihr zu nähern. Aus Angst für die Erhaltung ihres Kindes setzt sie alle
Nücksichten bei Seite, fährt mitten in die Feinde und bleibt um ihr Junges, wenn sie schon von
mehreren Harpunen getroffen ist."

Eine der genaueren Schilderung würdige Beobachtung führt Fitzinger nach einer mir unbe-
kannten Quelle an. "Bei einem jungen harpunirten Walfisch erschien die Mutter augenblicklich, ohn-
geachtet der Nähe des Botes, von welchem aus die Harpune geworfen worden war, ergriff das
Junge mit einer ihrer Brustflossen und riß es mit ausdauernder Gewalt und Schnelligkeit mit sich
fort. Bald kam sie aber wieder empor, schoß wüthend hin und her, hielt inne oder änderte auch
plötzlich die Richtung und gab alle Zeichen der höchsten Angst deutlich zu erkennen. So fuhr sie eine
Zeit lang fort, beständig von den Boten gedrängt; endlich kam eins von diesen so nahe, daß eine
Harpune nach ihr geworfen werden konnte; sie traf zwar, blieb jedoch nicht stecken. Eine zweite
wurde geworfen; doch auch diese drang nicht ein und erst die dritte blieb im Leibe fest. Ohngeachtet
der erhaltenen Verwundungen, versuchte die Alte nicht, zu entfliehen und ließ auch die anderen Bote
nahe kommen und bot somit den übrigen Verfolgern Gelegenheit, ihr drei Harpunen in den Leib zu
schleudern. Nach einer Stunde etwa war sie getödtet."

Solche Fälle der edelsten Mutterliebe rühren jedoch den Walfischfänger nicht im geringsten; er
hat nur seinen Vortheil im Auge und opfert ihm wie der Robbenschläger jedes menschliche Gefühl auf.
Der Fang des Walfisches geschieht ganz in der Weise, welche ich oben kurz angegeben habe. Die
eigentlichen Walfische sind bei weitem die werthvollsten aller Seesäugethiere. Ein Walfisch von
60 Fuß Länge und einem Gewicht von 70 Tonnen enthält bei 30 Tonnen Speck, welche etwa
24 Tonnen Thran geben. Ein solches Thier hat 11/2 Tonne oder 3360 Pfund Fischbein. Jst die
sogenannte Probenplatte oder die größte Barte 7 Pfund schwer, so kann der ganze Betrag auf eine
Tonne angeschlagen werden. Eine Tonne Thran kostet gegenwärtig zwischen 3 und 4 Pfund Sterling,
eine Tonne Fischbein aber 160 bis 180 Pfund Sterling. Aus diesen Angaben kann man den Nutzen
eines getödteten Walfisches berechnen. Einzelne Schiffe haben schon 75,000 Thaler auf einer ein-
zigen Reise verdient, andere aber auch 14,000 Thaler verloren.

Die gesitteten Europäer benutzen nur den Speck und die Barten, die hochnordischen Völker-
schaften dagegen wissen auch das Fleisch zu verwerthen. Sie essen den Speck gern und trinken den
Thran mit einer Leidenschaft wie ein ausgemachter Säufer geistige Getränke. Den Eskimos ist die
rohe Haut ein Leckerbissen. Mauche Walfischfahrer nehmen die merkwürdige Unterkinnlade des Wal-
fisches mit, und in holländischen Dörfern sieht man hier und da eine derselben zu einem Thore ver-
wendet. Weit größeren Nutzen ziehen die Nordländer aus den Rippen des Walfisches. Sie bauen
aus ihnen ihre Hütten oder benutzen sie zum Schiffsbau.

Der Wal hat außer dem Menschen und dem oben beschriebenen Schwertfisch oder Butskopf noch
einige andere Feinde, wenn auch diese ihn mehr belästigen als schaden. Der nördliche Hai verfolgt
ihn mit demselben Eifer wie der Schwertsisch und reißt ihm große Stücken aus seinem fettigen Leibe
heraus. Man erzählt von diesem Räuber, daß er ebenfalls in Truppen dem Walfisch nachfolgt, so-
wie sein Rücken über dem Wasser erscheint, in die Luft springt und ihm beim Zurückfallen mit dem
Schwanze tüchtige Hiebe beibringt. Mehrere Male will man gesehen haben, daß dieser Hai in Gesell-
schaft der Schwertfische dem Riesen zu Leibe gehe und während diese ihn von unten zerfetzen, seine
Schläge austheilt. Recht lästig werden dem Walfisch auch eine Menge kleiner Schmarotzer, welche
sich auf seinem Leibe festsetzen. Die Walfischlaus bürgert sich oft zu Hunderttausenden auf ihm ein
und zerfrißt ihm den Rücken so, daß man vermuthen möchte, eine bösartige Krankheit habe den

Der Walfiſch.
Man fängt das Junge, welches die Gefahr nicht kennt, mit leichter Mühe hauptſächlich zum Zwecke,
die Alte herbeizulocken. Sie kommt dann auch gleich dem verwundeten Kinde zu Hilfe, ſteigt mit
ihm an die Oberfläche, um zu athmen, treibt es an, fortzuſchwimmen, ſucht ihm auf der Flucht be-
hilflich zu ſein, indem ſie es unter ihre Floſſen nimmt, und verläßt es ſelten, ſo lange es noch lebt.
Dann iſt es gefährlich, ſich ihr zu nähern. Aus Angſt für die Erhaltung ihres Kindes ſetzt ſie alle
Nückſichten bei Seite, fährt mitten in die Feinde und bleibt um ihr Junges, wenn ſie ſchon von
mehreren Harpunen getroffen iſt.‟

Eine der genaueren Schilderung würdige Beobachtung führt Fitzinger nach einer mir unbe-
kannten Quelle an. „Bei einem jungen harpunirten Walfiſch erſchien die Mutter augenblicklich, ohn-
geachtet der Nähe des Botes, von welchem aus die Harpune geworfen worden war, ergriff das
Junge mit einer ihrer Bruſtfloſſen und riß es mit ausdauernder Gewalt und Schnelligkeit mit ſich
fort. Bald kam ſie aber wieder empor, ſchoß wüthend hin und her, hielt inne oder änderte auch
plötzlich die Richtung und gab alle Zeichen der höchſten Angſt deutlich zu erkennen. So fuhr ſie eine
Zeit lang fort, beſtändig von den Boten gedrängt; endlich kam eins von dieſen ſo nahe, daß eine
Harpune nach ihr geworfen werden konnte; ſie traf zwar, blieb jedoch nicht ſtecken. Eine zweite
wurde geworfen; doch auch dieſe drang nicht ein und erſt die dritte blieb im Leibe feſt. Ohngeachtet
der erhaltenen Verwundungen, verſuchte die Alte nicht, zu entfliehen und ließ auch die anderen Bote
nahe kommen und bot ſomit den übrigen Verfolgern Gelegenheit, ihr drei Harpunen in den Leib zu
ſchleudern. Nach einer Stunde etwa war ſie getödtet.‟

Solche Fälle der edelſten Mutterliebe rühren jedoch den Walfiſchfänger nicht im geringſten; er
hat nur ſeinen Vortheil im Auge und opfert ihm wie der Robbenſchläger jedes menſchliche Gefühl auf.
Der Fang des Walfiſches geſchieht ganz in der Weiſe, welche ich oben kurz angegeben habe. Die
eigentlichen Walfiſche ſind bei weitem die werthvollſten aller Seeſäugethiere. Ein Walfiſch von
60 Fuß Länge und einem Gewicht von 70 Tonnen enthält bei 30 Tonnen Speck, welche etwa
24 Tonnen Thran geben. Ein ſolches Thier hat 1½ Tonne oder 3360 Pfund Fiſchbein. Jſt die
ſogenannte Probenplatte oder die größte Barte 7 Pfund ſchwer, ſo kann der ganze Betrag auf eine
Tonne angeſchlagen werden. Eine Tonne Thran koſtet gegenwärtig zwiſchen 3 und 4 Pfund Sterling,
eine Tonne Fiſchbein aber 160 bis 180 Pfund Sterling. Aus dieſen Angaben kann man den Nutzen
eines getödteten Walfiſches berechnen. Einzelne Schiffe haben ſchon 75,000 Thaler auf einer ein-
zigen Reiſe verdient, andere aber auch 14,000 Thaler verloren.

Die geſitteten Europäer benutzen nur den Speck und die Barten, die hochnordiſchen Völker-
ſchaften dagegen wiſſen auch das Fleiſch zu verwerthen. Sie eſſen den Speck gern und trinken den
Thran mit einer Leidenſchaft wie ein ausgemachter Säufer geiſtige Getränke. Den Eskimos iſt die
rohe Haut ein Leckerbiſſen. Mauche Walfiſchfahrer nehmen die merkwürdige Unterkinnlade des Wal-
fiſches mit, und in holländiſchen Dörfern ſieht man hier und da eine derſelben zu einem Thore ver-
wendet. Weit größeren Nutzen ziehen die Nordländer aus den Rippen des Walfiſches. Sie bauen
aus ihnen ihre Hütten oder benutzen ſie zum Schiffsbau.

Der Wal hat außer dem Menſchen und dem oben beſchriebenen Schwertfiſch oder Butskopf noch
einige andere Feinde, wenn auch dieſe ihn mehr beläſtigen als ſchaden. Der nördliche Hai verfolgt
ihn mit demſelben Eifer wie der Schwertſiſch und reißt ihm große Stücken aus ſeinem fettigen Leibe
heraus. Man erzählt von dieſem Räuber, daß er ebenfalls in Truppen dem Walfiſch nachfolgt, ſo-
wie ſein Rücken über dem Waſſer erſcheint, in die Luft ſpringt und ihm beim Zurückfallen mit dem
Schwanze tüchtige Hiebe beibringt. Mehrere Male will man geſehen haben, daß dieſer Hai in Geſell-
ſchaft der Schwertfiſche dem Rieſen zu Leibe gehe und während dieſe ihn von unten zerfetzen, ſeine
Schläge austheilt. Recht läſtig werden dem Walfiſch auch eine Menge kleiner Schmarotzer, welche
ſich auf ſeinem Leibe feſtſetzen. Die Walfiſchlaus bürgert ſich oft zu Hunderttauſenden auf ihm ein
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[871/0921] Der Walfiſch. Man fängt das Junge, welches die Gefahr nicht kennt, mit leichter Mühe hauptſächlich zum Zwecke, die Alte herbeizulocken. Sie kommt dann auch gleich dem verwundeten Kinde zu Hilfe, ſteigt mit ihm an die Oberfläche, um zu athmen, treibt es an, fortzuſchwimmen, ſucht ihm auf der Flucht be- hilflich zu ſein, indem ſie es unter ihre Floſſen nimmt, und verläßt es ſelten, ſo lange es noch lebt. Dann iſt es gefährlich, ſich ihr zu nähern. Aus Angſt für die Erhaltung ihres Kindes ſetzt ſie alle Nückſichten bei Seite, fährt mitten in die Feinde und bleibt um ihr Junges, wenn ſie ſchon von mehreren Harpunen getroffen iſt.‟ Eine der genaueren Schilderung würdige Beobachtung führt Fitzinger nach einer mir unbe- kannten Quelle an. „Bei einem jungen harpunirten Walfiſch erſchien die Mutter augenblicklich, ohn- geachtet der Nähe des Botes, von welchem aus die Harpune geworfen worden war, ergriff das Junge mit einer ihrer Bruſtfloſſen und riß es mit ausdauernder Gewalt und Schnelligkeit mit ſich fort. Bald kam ſie aber wieder empor, ſchoß wüthend hin und her, hielt inne oder änderte auch plötzlich die Richtung und gab alle Zeichen der höchſten Angſt deutlich zu erkennen. So fuhr ſie eine Zeit lang fort, beſtändig von den Boten gedrängt; endlich kam eins von dieſen ſo nahe, daß eine Harpune nach ihr geworfen werden konnte; ſie traf zwar, blieb jedoch nicht ſtecken. Eine zweite wurde geworfen; doch auch dieſe drang nicht ein und erſt die dritte blieb im Leibe feſt. Ohngeachtet der erhaltenen Verwundungen, verſuchte die Alte nicht, zu entfliehen und ließ auch die anderen Bote nahe kommen und bot ſomit den übrigen Verfolgern Gelegenheit, ihr drei Harpunen in den Leib zu ſchleudern. Nach einer Stunde etwa war ſie getödtet.‟ Solche Fälle der edelſten Mutterliebe rühren jedoch den Walfiſchfänger nicht im geringſten; er hat nur ſeinen Vortheil im Auge und opfert ihm wie der Robbenſchläger jedes menſchliche Gefühl auf. Der Fang des Walfiſches geſchieht ganz in der Weiſe, welche ich oben kurz angegeben habe. Die eigentlichen Walfiſche ſind bei weitem die werthvollſten aller Seeſäugethiere. Ein Walfiſch von 60 Fuß Länge und einem Gewicht von 70 Tonnen enthält bei 30 Tonnen Speck, welche etwa 24 Tonnen Thran geben. Ein ſolches Thier hat 1½ Tonne oder 3360 Pfund Fiſchbein. Jſt die ſogenannte Probenplatte oder die größte Barte 7 Pfund ſchwer, ſo kann der ganze Betrag auf eine Tonne angeſchlagen werden. Eine Tonne Thran koſtet gegenwärtig zwiſchen 3 und 4 Pfund Sterling, eine Tonne Fiſchbein aber 160 bis 180 Pfund Sterling. Aus dieſen Angaben kann man den Nutzen eines getödteten Walfiſches berechnen. Einzelne Schiffe haben ſchon 75,000 Thaler auf einer ein- zigen Reiſe verdient, andere aber auch 14,000 Thaler verloren. Die geſitteten Europäer benutzen nur den Speck und die Barten, die hochnordiſchen Völker- ſchaften dagegen wiſſen auch das Fleiſch zu verwerthen. Sie eſſen den Speck gern und trinken den Thran mit einer Leidenſchaft wie ein ausgemachter Säufer geiſtige Getränke. Den Eskimos iſt die rohe Haut ein Leckerbiſſen. Mauche Walfiſchfahrer nehmen die merkwürdige Unterkinnlade des Wal- fiſches mit, und in holländiſchen Dörfern ſieht man hier und da eine derſelben zu einem Thore ver- wendet. Weit größeren Nutzen ziehen die Nordländer aus den Rippen des Walfiſches. Sie bauen aus ihnen ihre Hütten oder benutzen ſie zum Schiffsbau. Der Wal hat außer dem Menſchen und dem oben beſchriebenen Schwertfiſch oder Butskopf noch einige andere Feinde, wenn auch dieſe ihn mehr beläſtigen als ſchaden. Der nördliche Hai verfolgt ihn mit demſelben Eifer wie der Schwertſiſch und reißt ihm große Stücken aus ſeinem fettigen Leibe heraus. Man erzählt von dieſem Räuber, daß er ebenfalls in Truppen dem Walfiſch nachfolgt, ſo- wie ſein Rücken über dem Waſſer erſcheint, in die Luft ſpringt und ihm beim Zurückfallen mit dem Schwanze tüchtige Hiebe beibringt. Mehrere Male will man geſehen haben, daß dieſer Hai in Geſell- ſchaft der Schwertfiſche dem Rieſen zu Leibe gehe und während dieſe ihn von unten zerfetzen, ſeine Schläge austheilt. Recht läſtig werden dem Walfiſch auch eine Menge kleiner Schmarotzer, welche ſich auf ſeinem Leibe feſtſetzen. Die Walfiſchlaus bürgert ſich oft zu Hunderttauſenden auf ihm ein und zerfrißt ihm den Rücken ſo, daß man vermuthen möchte, eine bösartige Krankheit habe den

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 871. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/921>, abgerufen am 23.11.2024.