überein, welche den Stoßzahn des Narwal als nothwendiges Werkzeug zur Zertrümmerung des Eises ansehen. Wir unsererseits dürfen in dem Zahne wohl nur eine Waffe sehen, wie sie das männliche Geschlecht so oft vor dem weiblichen voraus hat; wenigstens wüßten wir es uns sonst nicht zu erklä- ren, wie das arme unbezahnte Weibchen sich helfen könnte, wenn die von den genannten Schrift- stellern erdachten Rothfälle eintreten sollten.
Unsere Kenntniß über das Leben und Treiben des "Seeungeheuer" gescholtenen Wales läßt noch sehr viel zu wünschen übrig. Wir wissen jetzt ungefähr Folgendes: Der Narwal ist ein Bewohner der nördlichen Meere und wird am häufigsten zwischen dem 70. und 80. Grad der nördlichen Breite ge- troffen, in der Davisstraße, in der Bafsinsbay. Jn der Prinzregenten-Einfahrt, im Eismeer zwi- schen Grönland und Jsland, um Novaja-Semlja und weiter in den nordsibirischen Meeren ist er häufig. Südlich des Polarkreifes kommt er nur selten vor. So weiß man blos von vier Fällen, daß Narwale an der Küste Großbritanniens strandeten, und an den deutschen Küsten ist das Thier nur im Jahre 1736, aber zwei Mal, vorgekommen und erlegt worden. Der Narwal meidet das Land und liebt die hohe See. Vielleicht wandert er, wie manche Wale, von Westen nach Osten und zurück; doch beruht diese Angabe zunächst nur auf Erzählungen der Grönländer.
Selten sieht man diesen Wal einzeln. Den Schifffahrern kommt gewöhnlich eine Truppe von 15 bis 20 Stück zu Gesicht, regelmäßig Thiere desselben Geschlechts. Jm hohen Norden soll er sich auch zu Rudeln von Hunderten vereinigen, namentlich an solchen Orten, wo das auf große Strecken hin eisbedeckte Meer einige freie Stellen hat. So weit man beobachten konnte, ist der Narwal ein friedliches, harmloses Thier, welches weder unter sich Zank und Streit anfängt, noch auch Kämpfe mit dem Walfisch ausführt. Die Rudel schwimmen so dicht, daß ein Männchen immer den Stoß- zahn auf den Rücken seines Vordermannes legt. Manchmal kommt es auch vor, daß ihrer zwei oder drei ihre Stoßzähne kreuzen. Von der durch des Schöpfers Güte dem Narwal zu Gunsten jedes rechtschaffenen Adamsohnes verliehenen Langsamkeit haben neuere Seefahrer Nichts bemerkt; sie be- zeichnen diesen Wal im Gegeutheil als ein sehr munteres, behendes Thier, welches mit außerordent- licher Schnelligkeit schwimmt und durch sein oft wiederholtes Auf- und Niedertauchen das Meer zu beleben und die Aufmerksamkeit des Beobachters zu fesseln weiß. Ein einziger starker Schlag seiner Schwanzflosse genügt, um Wendungen nach jeder Seite hin auszuführen, nur eine Drehung im engen Kreise wird ihm schwer. Bei jedem Emporsteigen stößt das Thier Luft und Wasser mit Heftig- keit durch die Nase, wodurch ein weit hörbares Schnauben entsteht. Wenn eine Herde rasch vorüber schwimmt, vernimmt man auch gurgelnde Laute, welche dadurch hervorgebracht werden, daß mit der Luft Wasser ausgestoßen wird, welches in die Nasenöffnungen drang.
Seegurken, nackte Weichthiere und Fische bilden die Nahrung des auffallenden Geschöpfes. Scoresby fand in seinem Magen Glattroggen, welche fast drei Mal so breit waren, als sein Maul, und wundert sich, wie es ihm möglich wird, mit dem zahnlosen Maule eine so große Beute festzuhalten und herabzuwürgen; er glaubt deshalb, daß der Narwal diesen Roggen vorher mit sei- nem Stoßzahne durchbohrt und erst nach seiner Tödtung verschlungen habe. Der unhöfliche Seemann vergißt aber dabei wieder das arme Weibchen, welches doch auch leben will. Wahrscheinlich ist, daß der Narwal seine Nahrung im Schwimmen erhascht und durch den Druck seines Maules so zusam- menpreßt, daß er sie hinabwürgen kann: -- unsere gefangenen Seehunde wickeln die Schollen auch erst zusammen, wie die Köchin einen Eierkuchen, bevor sie den breiten Bissen als mundgerecht betrachten.
Ueber die Fortpflanzung unserer Thiere wissen wir bisjetzt noch so gut als Nichts; man kennt weder die Zeit der Paarung, noch die Dauer der Trächtigkeit, noch auch die Zeit des Werfens. Jm Juni hat man ein fast vollständig ausgebildetes Junge im Leibe eines alten Weibchens getroffen. --
Man jagt den Narwal schon seit alten Zeiten des großen Nutzens halber, welchen er gewährt. Gleichwohl ist der Mensch vielleicht nicht der hauptsächlichste Feind unseres Thieres. Nicht blos der Butskopf oder Schwertfisch und der Menschenfresserhay stellen ihm nach: -- auch das Meer selbst
Brehm, Thierleben. II. 53
Der Narwal.
überein, welche den Stoßzahn des Narwal als nothwendiges Werkzeug zur Zertrümmerung des Eiſes anſehen. Wir unſererſeits dürfen in dem Zahne wohl nur eine Waffe ſehen, wie ſie das männliche Geſchlecht ſo oft vor dem weiblichen voraus hat; wenigſtens wüßten wir es uns ſonſt nicht zu erklä- ren, wie das arme unbezahnte Weibchen ſich helfen könnte, wenn die von den genannten Schrift- ſtellern erdachten Rothfälle eintreten ſollten.
Unſere Kenntniß über das Leben und Treiben des „Seeungeheuer‟ geſcholtenen Wales läßt noch ſehr viel zu wünſchen übrig. Wir wiſſen jetzt ungefähr Folgendes: Der Narwal iſt ein Bewohner der nördlichen Meere und wird am häufigſten zwiſchen dem 70. und 80. Grad der nördlichen Breite ge- troffen, in der Davisſtraße, in der Bafſinsbay. Jn der Prinzregenten-Einfahrt, im Eismeer zwi- ſchen Grönland und Jsland, um Novaja-Semlja und weiter in den nordſibiriſchen Meeren iſt er häufig. Südlich des Polarkreifes kommt er nur ſelten vor. So weiß man blos von vier Fällen, daß Narwale an der Küſte Großbritanniens ſtrandeten, und an den deutſchen Küſten iſt das Thier nur im Jahre 1736, aber zwei Mal, vorgekommen und erlegt worden. Der Narwal meidet das Land und liebt die hohe See. Vielleicht wandert er, wie manche Wale, von Weſten nach Oſten und zurück; doch beruht dieſe Angabe zunächſt nur auf Erzählungen der Grönländer.
Selten ſieht man dieſen Wal einzeln. Den Schifffahrern kommt gewöhnlich eine Truppe von 15 bis 20 Stück zu Geſicht, regelmäßig Thiere deſſelben Geſchlechts. Jm hohen Norden ſoll er ſich auch zu Rudeln von Hunderten vereinigen, namentlich an ſolchen Orten, wo das auf große Strecken hin eisbedeckte Meer einige freie Stellen hat. So weit man beobachten konnte, iſt der Narwal ein friedliches, harmloſes Thier, welches weder unter ſich Zank und Streit anfängt, noch auch Kämpfe mit dem Walfiſch ausführt. Die Rudel ſchwimmen ſo dicht, daß ein Männchen immer den Stoß- zahn auf den Rücken ſeines Vordermannes legt. Manchmal kommt es auch vor, daß ihrer zwei oder drei ihre Stoßzähne kreuzen. Von der durch des Schöpfers Güte dem Narwal zu Gunſten jedes rechtſchaffenen Adamſohnes verliehenen Langſamkeit haben neuere Seefahrer Nichts bemerkt; ſie be- zeichnen dieſen Wal im Gegeutheil als ein ſehr munteres, behendes Thier, welches mit außerordent- licher Schnelligkeit ſchwimmt und durch ſein oft wiederholtes Auf- und Niedertauchen das Meer zu beleben und die Aufmerkſamkeit des Beobachters zu feſſeln weiß. Ein einziger ſtarker Schlag ſeiner Schwanzfloſſe genügt, um Wendungen nach jeder Seite hin auszuführen, nur eine Drehung im engen Kreiſe wird ihm ſchwer. Bei jedem Emporſteigen ſtößt das Thier Luft und Waſſer mit Heftig- keit durch die Naſe, wodurch ein weit hörbares Schnauben entſteht. Wenn eine Herde raſch vorüber ſchwimmt, vernimmt man auch gurgelnde Laute, welche dadurch hervorgebracht werden, daß mit der Luft Waſſer ausgeſtoßen wird, welches in die Naſenöffnungen drang.
Seegurken, nackte Weichthiere und Fiſche bilden die Nahrung des auffallenden Geſchöpfes. Scoresby fand in ſeinem Magen Glattroggen, welche faſt drei Mal ſo breit waren, als ſein Maul, und wundert ſich, wie es ihm möglich wird, mit dem zahnloſen Maule eine ſo große Beute feſtzuhalten und herabzuwürgen; er glaubt deshalb, daß der Narwal dieſen Roggen vorher mit ſei- nem Stoßzahne durchbohrt und erſt nach ſeiner Tödtung verſchlungen habe. Der unhöfliche Seemann vergißt aber dabei wieder das arme Weibchen, welches doch auch leben will. Wahrſcheinlich iſt, daß der Narwal ſeine Nahrung im Schwimmen erhaſcht und durch den Druck ſeines Maules ſo zuſam- menpreßt, daß er ſie hinabwürgen kann: — unſere gefangenen Seehunde wickeln die Schollen auch erſt zuſammen, wie die Köchin einen Eierkuchen, bevor ſie den breiten Biſſen als mundgerecht betrachten.
Ueber die Fortpflanzung unſerer Thiere wiſſen wir bisjetzt noch ſo gut als Nichts; man kennt weder die Zeit der Paarung, noch die Dauer der Trächtigkeit, noch auch die Zeit des Werfens. Jm Juni hat man ein faſt vollſtändig ausgebildetes Junge im Leibe eines alten Weibchens getroffen. —
Man jagt den Narwal ſchon ſeit alten Zeiten des großen Nutzens halber, welchen er gewährt. Gleichwohl iſt der Menſch vielleicht nicht der hauptſächlichſte Feind unſeres Thieres. Nicht blos der Butskopf oder Schwertfiſch und der Menſchenfreſſerhay ſtellen ihm nach: — auch das Meer ſelbſt
Brehm, Thierleben. II. 53
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[833/0881]
Der Narwal.
überein, welche den Stoßzahn des Narwal als nothwendiges Werkzeug zur Zertrümmerung des Eiſes
anſehen. Wir unſererſeits dürfen in dem Zahne wohl nur eine Waffe ſehen, wie ſie das männliche
Geſchlecht ſo oft vor dem weiblichen voraus hat; wenigſtens wüßten wir es uns ſonſt nicht zu erklä-
ren, wie das arme unbezahnte Weibchen ſich helfen könnte, wenn die von den genannten Schrift-
ſtellern erdachten Rothfälle eintreten ſollten.
Unſere Kenntniß über das Leben und Treiben des „Seeungeheuer‟ geſcholtenen Wales läßt noch
ſehr viel zu wünſchen übrig. Wir wiſſen jetzt ungefähr Folgendes: Der Narwal iſt ein Bewohner der
nördlichen Meere und wird am häufigſten zwiſchen dem 70. und 80. Grad der nördlichen Breite ge-
troffen, in der Davisſtraße, in der Bafſinsbay. Jn der Prinzregenten-Einfahrt, im Eismeer zwi-
ſchen Grönland und Jsland, um Novaja-Semlja und weiter in den nordſibiriſchen Meeren iſt er
häufig. Südlich des Polarkreifes kommt er nur ſelten vor. So weiß man blos von vier Fällen,
daß Narwale an der Küſte Großbritanniens ſtrandeten, und an den deutſchen Küſten iſt das Thier
nur im Jahre 1736, aber zwei Mal, vorgekommen und erlegt worden. Der Narwal meidet das
Land und liebt die hohe See. Vielleicht wandert er, wie manche Wale, von Weſten nach Oſten und
zurück; doch beruht dieſe Angabe zunächſt nur auf Erzählungen der Grönländer.
Selten ſieht man dieſen Wal einzeln. Den Schifffahrern kommt gewöhnlich eine Truppe von
15 bis 20 Stück zu Geſicht, regelmäßig Thiere deſſelben Geſchlechts. Jm hohen Norden ſoll er ſich
auch zu Rudeln von Hunderten vereinigen, namentlich an ſolchen Orten, wo das auf große Strecken
hin eisbedeckte Meer einige freie Stellen hat. So weit man beobachten konnte, iſt der Narwal ein
friedliches, harmloſes Thier, welches weder unter ſich Zank und Streit anfängt, noch auch Kämpfe
mit dem Walfiſch ausführt. Die Rudel ſchwimmen ſo dicht, daß ein Männchen immer den Stoß-
zahn auf den Rücken ſeines Vordermannes legt. Manchmal kommt es auch vor, daß ihrer zwei oder
drei ihre Stoßzähne kreuzen. Von der durch des Schöpfers Güte dem Narwal zu Gunſten jedes
rechtſchaffenen Adamſohnes verliehenen Langſamkeit haben neuere Seefahrer Nichts bemerkt; ſie be-
zeichnen dieſen Wal im Gegeutheil als ein ſehr munteres, behendes Thier, welches mit außerordent-
licher Schnelligkeit ſchwimmt und durch ſein oft wiederholtes Auf- und Niedertauchen das Meer zu
beleben und die Aufmerkſamkeit des Beobachters zu feſſeln weiß. Ein einziger ſtarker Schlag ſeiner
Schwanzfloſſe genügt, um Wendungen nach jeder Seite hin auszuführen, nur eine Drehung im
engen Kreiſe wird ihm ſchwer. Bei jedem Emporſteigen ſtößt das Thier Luft und Waſſer mit Heftig-
keit durch die Naſe, wodurch ein weit hörbares Schnauben entſteht. Wenn eine Herde raſch vorüber
ſchwimmt, vernimmt man auch gurgelnde Laute, welche dadurch hervorgebracht werden, daß mit der
Luft Waſſer ausgeſtoßen wird, welches in die Naſenöffnungen drang.
Seegurken, nackte Weichthiere und Fiſche bilden die Nahrung des auffallenden Geſchöpfes.
Scoresby fand in ſeinem Magen Glattroggen, welche faſt drei Mal ſo breit waren, als ſein
Maul, und wundert ſich, wie es ihm möglich wird, mit dem zahnloſen Maule eine ſo große Beute
feſtzuhalten und herabzuwürgen; er glaubt deshalb, daß der Narwal dieſen Roggen vorher mit ſei-
nem Stoßzahne durchbohrt und erſt nach ſeiner Tödtung verſchlungen habe. Der unhöfliche Seemann
vergißt aber dabei wieder das arme Weibchen, welches doch auch leben will. Wahrſcheinlich iſt, daß
der Narwal ſeine Nahrung im Schwimmen erhaſcht und durch den Druck ſeines Maules ſo zuſam-
menpreßt, daß er ſie hinabwürgen kann: — unſere gefangenen Seehunde wickeln die Schollen auch
erſt zuſammen, wie die Köchin einen Eierkuchen, bevor ſie den breiten Biſſen als mundgerecht
betrachten.
Ueber die Fortpflanzung unſerer Thiere wiſſen wir bisjetzt noch ſo gut als Nichts; man kennt
weder die Zeit der Paarung, noch die Dauer der Trächtigkeit, noch auch die Zeit des Werfens. Jm
Juni hat man ein faſt vollſtändig ausgebildetes Junge im Leibe eines alten Weibchens getroffen. —
Man jagt den Narwal ſchon ſeit alten Zeiten des großen Nutzens halber, welchen er gewährt.
Gleichwohl iſt der Menſch vielleicht nicht der hauptſächlichſte Feind unſeres Thieres. Nicht blos der
Butskopf oder Schwertfiſch und der Menſchenfreſſerhay ſtellen ihm nach: — auch das Meer ſelbſt
Brehm, Thierleben. II. 53
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 833. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/881>, abgerufen am 23.11.2024.
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