ist, wie gesagt, nur eine gemeine Schlächterei, und es ist bemerkenswerth, daß die rohesten Völker- schaften auf dieser Jagd sich viel menschlicher zeigen, als die gesitteten Europäer. Jagd und Fang des Seehundes fallen so ziemlich zusammen; das Feuergewehr wenigstens wird nur selten angewandt. Während des Schwimmens ist diese Jagdweise auch mehr oder weniger erfolglos, weil der getödtete Seehund untergeht wie Blei, dagegen kann man an bestimmten Lieblingsplätzen am Strande schon eher auf Erfolg rechnen. An der Ostseeküste der Jnsel Rügen befindet sich, wie Schilling erzählt, mehrere Hundert Schritte von der äußersten Spitze des hohen Vorlandes ein Haufen Granitblöcke in der See, welcher bei gewöhnlichem Wasserstande einige Fuß hoch über dem Wasserspiegel emporragt. Auf diesem Riffe liegen oft 40 bis 50 Seehunde. Sie sind aber gewitzigt genug, um ein Bot nicht an sich heran kommen zu lassen.
"Einer meiner Freunde", sagt nun genannter Forscher, "welcher mir Gelegenheit verschaffen wollte, diese Thiere näher beobachten und zugleich schießen zu können, ließ auf jenem Riff eine Tonne befestigen und dieselbe so stellen, daß ein Mann darin sitzen konnte. Nach Verlauf von acht Tagen hatte man Gewißheit erlangt, daß die Seehunde sich nicht mehr vor dem Anblick der ausgesetzten Tonne scheuten und wie zuvor das Riff besuchten. Nun segelten wir, mit hinreichenden Lebens- mitteln auf acht Tage versehen, nach der unbewohnten Küste, erbauten uns dort eine Hütte und fuhren vonhieraus nach dem Riffe hinüber. Einer von uns Jägern saß beständig in der Tonne verborgen, der andere hielt sich inzwischen am anderen Strande auf. Das Bot wurde immer weit entfernt. Der Anstand war höchst anziehend, aber zugleich auch sehr eigenthümlich. Man kam sich in dem kleinen Raum des engen Fasses unendlich verlassen vor und hörte mit unheimlichen Gefühlen die Wogen der See rings um sich herum branden. Jch bedurfte einiger Zeit, um die noth- wendige Ruhe wiederzufinden. Dann aber traten neue, niegesehene Erscheinungen vor meine Augen. Jn einer Entfernung von ungefähr 400 Schritt tauchte aus dem Meere ein Seehund nach dem an- deren mit dem Kopfe über die Oberfläche auf. Jhre Anzahl wuchs von Minute zu Minute, und alle nahmen die Richtung nach meinem Riffe. Anfangs befürchtete ich, daß sie beim Näherkommen vor meinem aus der Tonne hervorragenden Kopf sich scheuen und unsere Anstrengungen zu Nichte machen würden, und meine Furcht wuchs, als sie fast alle vor dem Steinhaufen sich senkrecht im Wasser emporstellten und mit ausgestrecktem Halse das Riff, die darauf befindliche Tonne und mich mit großer Neugier zu betrachten schienen. Doch wurde ich wegen meiner Befürchtung beruhigt, als ich bemerkte, daß sie bei ihrer beabsichtigten Landung sich gegenseitig drängten und bissen und besonders die größeren sich anstrengten, so eilig als möglich auf das nahe Riff zu gelangen. Auch unter ihnen schien das Recht des Stärkeren zu herrschen; denn die größeren bissen und stießen die kleineren, welche früher auf die flachen, bequemeren Steine gelangt waren, herunter, um selbige selbst in Besitz zu nehmen. Unter abscheulichem Gebrüll und Geblöcke nahm die Gesellschaft nach und nach die vorderen größeren Granitblöcke ein. Jmmer neue Ankömmlinge krochen noch aus dem Wasser hervor; sie wurden jedoch von den ersteren, die sich bereits gelagert, nicht vorbeigelassen und mußten suchen, seitwärts vom Riffe das Feste zu gewinnen. Deshalb suchten sich einige in unmittelbarer Nähe meiner Tonne ein Lager."
"Die Lage, in welcher ich mich befand, war äußerst sonderbar. Jch war gezwungen, mich ruhig und still wie eine Bildsäule zu verhalten, wenn ich mich meiner außergewöhnlichen Umgebung nicht verrathen wollte. Das Schauspiel war mir aber auch so neu und so großartig, daß ich nicht im Stande gewesen wäre, mein bereits angelegtes Gewehr auf ein ganz sicheres Ziel zu richten. Das Tosen des bewegten Meeres, das vielstimmige Gebrüll der Thiere betäubte das Ohr, die große Zahl der in unruhigen, höchst eigenthümlichen Bewegungen begriffenen, größeren und kleineren Meerhunde erfüllten das Auge mit Staunen. Wie von einem Zauber ergriffen, ließ mich ein wundersames Ge- fühl lange zu keinem Entschluß kommen und zwar um so weniger, da mir zu viel daran lag, diese außerordentliche Naturerscheinung in solcher Nähe beobachten zu können, als daß ich sie durch vor- eiliges Schießen mir selbst hätte rauben mögen. Endlich nach langer Zeit solches eigenen und sicherlich
Die Seehunde. Allgemeines.
iſt, wie geſagt, nur eine gemeine Schlächterei, und es iſt bemerkenswerth, daß die roheſten Völker- ſchaften auf dieſer Jagd ſich viel menſchlicher zeigen, als die geſitteten Europäer. Jagd und Fang des Seehundes fallen ſo ziemlich zuſammen; das Feuergewehr wenigſtens wird nur ſelten angewandt. Während des Schwimmens iſt dieſe Jagdweiſe auch mehr oder weniger erfolglos, weil der getödtete Seehund untergeht wie Blei, dagegen kann man an beſtimmten Lieblingsplätzen am Strande ſchon eher auf Erfolg rechnen. An der Oſtſeeküſte der Jnſel Rügen befindet ſich, wie Schilling erzählt, mehrere Hundert Schritte von der äußerſten Spitze des hohen Vorlandes ein Haufen Granitblöcke in der See, welcher bei gewöhnlichem Waſſerſtande einige Fuß hoch über dem Waſſerſpiegel emporragt. Auf dieſem Riffe liegen oft 40 bis 50 Seehunde. Sie ſind aber gewitzigt genug, um ein Bot nicht an ſich heran kommen zu laſſen.
„Einer meiner Freunde‟, ſagt nun genannter Forſcher, „welcher mir Gelegenheit verſchaffen wollte, dieſe Thiere näher beobachten und zugleich ſchießen zu können, ließ auf jenem Riff eine Tonne befeſtigen und dieſelbe ſo ſtellen, daß ein Mann darin ſitzen konnte. Nach Verlauf von acht Tagen hatte man Gewißheit erlangt, daß die Seehunde ſich nicht mehr vor dem Anblick der ausgeſetzten Tonne ſcheuten und wie zuvor das Riff beſuchten. Nun ſegelten wir, mit hinreichenden Lebens- mitteln auf acht Tage verſehen, nach der unbewohnten Küſte, erbauten uns dort eine Hütte und fuhren vonhieraus nach dem Riffe hinüber. Einer von uns Jägern ſaß beſtändig in der Tonne verborgen, der andere hielt ſich inzwiſchen am anderen Strande auf. Das Bot wurde immer weit entfernt. Der Anſtand war höchſt anziehend, aber zugleich auch ſehr eigenthümlich. Man kam ſich in dem kleinen Raum des engen Faſſes unendlich verlaſſen vor und hörte mit unheimlichen Gefühlen die Wogen der See rings um ſich herum branden. Jch bedurfte einiger Zeit, um die noth- wendige Ruhe wiederzufinden. Dann aber traten neue, niegeſehene Erſcheinungen vor meine Augen. Jn einer Entfernung von ungefähr 400 Schritt tauchte aus dem Meere ein Seehund nach dem an- deren mit dem Kopfe über die Oberfläche auf. Jhre Anzahl wuchs von Minute zu Minute, und alle nahmen die Richtung nach meinem Riffe. Anfangs befürchtete ich, daß ſie beim Näherkommen vor meinem aus der Tonne hervorragenden Kopf ſich ſcheuen und unſere Anſtrengungen zu Nichte machen würden, und meine Furcht wuchs, als ſie faſt alle vor dem Steinhaufen ſich ſenkrecht im Waſſer emporſtellten und mit ausgeſtrecktem Halſe das Riff, die darauf befindliche Tonne und mich mit großer Neugier zu betrachten ſchienen. Doch wurde ich wegen meiner Befürchtung beruhigt, als ich bemerkte, daß ſie bei ihrer beabſichtigten Landung ſich gegenſeitig drängten und biſſen und beſonders die größeren ſich anſtrengten, ſo eilig als möglich auf das nahe Riff zu gelangen. Auch unter ihnen ſchien das Recht des Stärkeren zu herrſchen; denn die größeren biſſen und ſtießen die kleineren, welche früher auf die flachen, bequemeren Steine gelangt waren, herunter, um ſelbige ſelbſt in Beſitz zu nehmen. Unter abſcheulichem Gebrüll und Geblöcke nahm die Geſellſchaft nach und nach die vorderen größeren Granitblöcke ein. Jmmer neue Ankömmlinge krochen noch aus dem Waſſer hervor; ſie wurden jedoch von den erſteren, die ſich bereits gelagert, nicht vorbeigelaſſen und mußten ſuchen, ſeitwärts vom Riffe das Feſte zu gewinnen. Deshalb ſuchten ſich einige in unmittelbarer Nähe meiner Tonne ein Lager.‟
„Die Lage, in welcher ich mich befand, war äußerſt ſonderbar. Jch war gezwungen, mich ruhig und ſtill wie eine Bildſäule zu verhalten, wenn ich mich meiner außergewöhnlichen Umgebung nicht verrathen wollte. Das Schauſpiel war mir aber auch ſo neu und ſo großartig, daß ich nicht im Stande geweſen wäre, mein bereits angelegtes Gewehr auf ein ganz ſicheres Ziel zu richten. Das Toſen des bewegten Meeres, das vielſtimmige Gebrüll der Thiere betäubte das Ohr, die große Zahl der in unruhigen, höchſt eigenthümlichen Bewegungen begriffenen, größeren und kleineren Meerhunde erfüllten das Auge mit Staunen. Wie von einem Zauber ergriffen, ließ mich ein wunderſames Ge- fühl lange zu keinem Entſchluß kommen und zwar um ſo weniger, da mir zu viel daran lag, dieſe außerordentliche Naturerſcheinung in ſolcher Nähe beobachten zu können, als daß ich ſie durch vor- eiliges Schießen mir ſelbſt hätte rauben mögen. Endlich nach langer Zeit ſolches eigenen und ſicherlich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0845"n="797"/><fwplace="top"type="header">Die Seehunde. Allgemeines.</fw><lb/>
iſt, wie geſagt, nur eine gemeine Schlächterei, und es iſt bemerkenswerth, daß die roheſten Völker-<lb/>ſchaften auf dieſer Jagd ſich viel menſchlicher zeigen, als die geſitteten Europäer. Jagd und Fang<lb/>
des Seehundes fallen ſo ziemlich zuſammen; das Feuergewehr wenigſtens wird nur ſelten angewandt.<lb/>
Während des Schwimmens iſt dieſe Jagdweiſe auch mehr oder weniger erfolglos, weil der getödtete<lb/>
Seehund untergeht wie Blei, dagegen kann man an beſtimmten Lieblingsplätzen am Strande ſchon<lb/>
eher auf Erfolg rechnen. An der Oſtſeeküſte der Jnſel Rügen befindet ſich, wie <hirendition="#g">Schilling</hi> erzählt,<lb/>
mehrere Hundert Schritte von der äußerſten Spitze des hohen Vorlandes ein Haufen Granitblöcke<lb/>
in der See, welcher bei gewöhnlichem Waſſerſtande einige Fuß hoch über dem Waſſerſpiegel emporragt.<lb/>
Auf dieſem Riffe liegen oft 40 bis 50 Seehunde. Sie ſind aber gewitzigt genug, um ein Bot nicht<lb/>
an ſich heran kommen zu laſſen.</p><lb/><p>„Einer meiner Freunde‟, ſagt nun genannter Forſcher, „welcher mir Gelegenheit verſchaffen<lb/>
wollte, dieſe Thiere näher beobachten und zugleich ſchießen zu können, ließ auf jenem Riff eine Tonne<lb/>
befeſtigen und dieſelbe ſo ſtellen, daß ein Mann darin ſitzen konnte. Nach Verlauf von acht Tagen<lb/>
hatte man Gewißheit erlangt, daß die Seehunde ſich nicht mehr vor dem Anblick der ausgeſetzten<lb/>
Tonne ſcheuten und wie zuvor das Riff beſuchten. Nun ſegelten wir, mit hinreichenden Lebens-<lb/>
mitteln auf acht Tage verſehen, nach der unbewohnten Küſte, erbauten uns dort eine Hütte und<lb/>
fuhren vonhieraus nach dem Riffe hinüber. Einer von uns Jägern ſaß beſtändig in der Tonne<lb/>
verborgen, der andere hielt ſich inzwiſchen am anderen Strande auf. Das Bot wurde immer<lb/>
weit entfernt. Der Anſtand war höchſt anziehend, aber zugleich auch ſehr eigenthümlich. Man kam<lb/>ſich in dem kleinen Raum des engen Faſſes unendlich verlaſſen vor und hörte mit unheimlichen<lb/>
Gefühlen die Wogen der See rings um ſich herum branden. Jch bedurfte einiger Zeit, um die noth-<lb/>
wendige Ruhe wiederzufinden. Dann aber traten neue, niegeſehene Erſcheinungen vor meine Augen.<lb/>
Jn einer Entfernung von ungefähr 400 Schritt tauchte aus dem Meere ein Seehund nach dem an-<lb/>
deren mit dem Kopfe über die Oberfläche auf. Jhre Anzahl wuchs von Minute zu Minute, und alle<lb/>
nahmen die Richtung nach meinem Riffe. Anfangs befürchtete ich, daß ſie beim Näherkommen vor<lb/>
meinem aus der Tonne hervorragenden Kopf ſich ſcheuen und unſere Anſtrengungen zu Nichte machen<lb/>
würden, und meine Furcht wuchs, als ſie faſt alle vor dem Steinhaufen ſich ſenkrecht im Waſſer<lb/>
emporſtellten und mit ausgeſtrecktem Halſe das Riff, die darauf befindliche Tonne und mich mit<lb/>
großer Neugier zu betrachten ſchienen. Doch wurde ich wegen meiner Befürchtung beruhigt, als ich<lb/>
bemerkte, daß ſie bei ihrer beabſichtigten Landung ſich gegenſeitig drängten und biſſen und beſonders<lb/>
die größeren ſich anſtrengten, ſo eilig als möglich auf das nahe Riff zu gelangen. Auch unter ihnen<lb/>ſchien das Recht des Stärkeren zu herrſchen; denn die größeren biſſen und ſtießen die kleineren, welche<lb/>
früher auf die flachen, bequemeren Steine gelangt waren, herunter, um ſelbige ſelbſt in Beſitz zu<lb/>
nehmen. Unter abſcheulichem Gebrüll und Geblöcke nahm die Geſellſchaft nach und nach die vorderen<lb/>
größeren Granitblöcke ein. Jmmer neue Ankömmlinge krochen noch aus dem Waſſer hervor; ſie<lb/>
wurden jedoch von den erſteren, die ſich bereits gelagert, nicht vorbeigelaſſen und mußten ſuchen,<lb/>ſeitwärts vom Riffe das Feſte zu gewinnen. Deshalb ſuchten ſich einige in unmittelbarer Nähe<lb/>
meiner Tonne ein Lager.‟</p><lb/><p>„Die Lage, in welcher ich mich befand, war äußerſt ſonderbar. Jch war gezwungen, mich ruhig<lb/>
und ſtill wie eine Bildſäule zu verhalten, wenn ich mich meiner außergewöhnlichen Umgebung nicht<lb/>
verrathen wollte. Das Schauſpiel war mir aber auch ſo neu und ſo großartig, daß ich nicht im<lb/>
Stande geweſen wäre, mein bereits angelegtes Gewehr auf ein ganz ſicheres Ziel zu richten. Das<lb/>
Toſen des bewegten Meeres, das vielſtimmige Gebrüll der Thiere betäubte das Ohr, die große Zahl<lb/>
der in unruhigen, höchſt eigenthümlichen Bewegungen begriffenen, größeren und kleineren Meerhunde<lb/>
erfüllten das Auge mit Staunen. Wie von einem Zauber ergriffen, ließ mich ein wunderſames Ge-<lb/>
fühl lange zu keinem Entſchluß kommen und zwar um ſo weniger, da mir zu viel daran lag, dieſe<lb/>
außerordentliche Naturerſcheinung in ſolcher Nähe beobachten zu können, als daß ich ſie durch vor-<lb/>
eiliges Schießen mir ſelbſt hätte rauben mögen. Endlich nach langer Zeit ſolches eigenen und ſicherlich<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[797/0845]
Die Seehunde. Allgemeines.
iſt, wie geſagt, nur eine gemeine Schlächterei, und es iſt bemerkenswerth, daß die roheſten Völker-
ſchaften auf dieſer Jagd ſich viel menſchlicher zeigen, als die geſitteten Europäer. Jagd und Fang
des Seehundes fallen ſo ziemlich zuſammen; das Feuergewehr wenigſtens wird nur ſelten angewandt.
Während des Schwimmens iſt dieſe Jagdweiſe auch mehr oder weniger erfolglos, weil der getödtete
Seehund untergeht wie Blei, dagegen kann man an beſtimmten Lieblingsplätzen am Strande ſchon
eher auf Erfolg rechnen. An der Oſtſeeküſte der Jnſel Rügen befindet ſich, wie Schilling erzählt,
mehrere Hundert Schritte von der äußerſten Spitze des hohen Vorlandes ein Haufen Granitblöcke
in der See, welcher bei gewöhnlichem Waſſerſtande einige Fuß hoch über dem Waſſerſpiegel emporragt.
Auf dieſem Riffe liegen oft 40 bis 50 Seehunde. Sie ſind aber gewitzigt genug, um ein Bot nicht
an ſich heran kommen zu laſſen.
„Einer meiner Freunde‟, ſagt nun genannter Forſcher, „welcher mir Gelegenheit verſchaffen
wollte, dieſe Thiere näher beobachten und zugleich ſchießen zu können, ließ auf jenem Riff eine Tonne
befeſtigen und dieſelbe ſo ſtellen, daß ein Mann darin ſitzen konnte. Nach Verlauf von acht Tagen
hatte man Gewißheit erlangt, daß die Seehunde ſich nicht mehr vor dem Anblick der ausgeſetzten
Tonne ſcheuten und wie zuvor das Riff beſuchten. Nun ſegelten wir, mit hinreichenden Lebens-
mitteln auf acht Tage verſehen, nach der unbewohnten Küſte, erbauten uns dort eine Hütte und
fuhren vonhieraus nach dem Riffe hinüber. Einer von uns Jägern ſaß beſtändig in der Tonne
verborgen, der andere hielt ſich inzwiſchen am anderen Strande auf. Das Bot wurde immer
weit entfernt. Der Anſtand war höchſt anziehend, aber zugleich auch ſehr eigenthümlich. Man kam
ſich in dem kleinen Raum des engen Faſſes unendlich verlaſſen vor und hörte mit unheimlichen
Gefühlen die Wogen der See rings um ſich herum branden. Jch bedurfte einiger Zeit, um die noth-
wendige Ruhe wiederzufinden. Dann aber traten neue, niegeſehene Erſcheinungen vor meine Augen.
Jn einer Entfernung von ungefähr 400 Schritt tauchte aus dem Meere ein Seehund nach dem an-
deren mit dem Kopfe über die Oberfläche auf. Jhre Anzahl wuchs von Minute zu Minute, und alle
nahmen die Richtung nach meinem Riffe. Anfangs befürchtete ich, daß ſie beim Näherkommen vor
meinem aus der Tonne hervorragenden Kopf ſich ſcheuen und unſere Anſtrengungen zu Nichte machen
würden, und meine Furcht wuchs, als ſie faſt alle vor dem Steinhaufen ſich ſenkrecht im Waſſer
emporſtellten und mit ausgeſtrecktem Halſe das Riff, die darauf befindliche Tonne und mich mit
großer Neugier zu betrachten ſchienen. Doch wurde ich wegen meiner Befürchtung beruhigt, als ich
bemerkte, daß ſie bei ihrer beabſichtigten Landung ſich gegenſeitig drängten und biſſen und beſonders
die größeren ſich anſtrengten, ſo eilig als möglich auf das nahe Riff zu gelangen. Auch unter ihnen
ſchien das Recht des Stärkeren zu herrſchen; denn die größeren biſſen und ſtießen die kleineren, welche
früher auf die flachen, bequemeren Steine gelangt waren, herunter, um ſelbige ſelbſt in Beſitz zu
nehmen. Unter abſcheulichem Gebrüll und Geblöcke nahm die Geſellſchaft nach und nach die vorderen
größeren Granitblöcke ein. Jmmer neue Ankömmlinge krochen noch aus dem Waſſer hervor; ſie
wurden jedoch von den erſteren, die ſich bereits gelagert, nicht vorbeigelaſſen und mußten ſuchen,
ſeitwärts vom Riffe das Feſte zu gewinnen. Deshalb ſuchten ſich einige in unmittelbarer Nähe
meiner Tonne ein Lager.‟
„Die Lage, in welcher ich mich befand, war äußerſt ſonderbar. Jch war gezwungen, mich ruhig
und ſtill wie eine Bildſäule zu verhalten, wenn ich mich meiner außergewöhnlichen Umgebung nicht
verrathen wollte. Das Schauſpiel war mir aber auch ſo neu und ſo großartig, daß ich nicht im
Stande geweſen wäre, mein bereits angelegtes Gewehr auf ein ganz ſicheres Ziel zu richten. Das
Toſen des bewegten Meeres, das vielſtimmige Gebrüll der Thiere betäubte das Ohr, die große Zahl
der in unruhigen, höchſt eigenthümlichen Bewegungen begriffenen, größeren und kleineren Meerhunde
erfüllten das Auge mit Staunen. Wie von einem Zauber ergriffen, ließ mich ein wunderſames Ge-
fühl lange zu keinem Entſchluß kommen und zwar um ſo weniger, da mir zu viel daran lag, dieſe
außerordentliche Naturerſcheinung in ſolcher Nähe beobachten zu können, als daß ich ſie durch vor-
eiliges Schießen mir ſelbſt hätte rauben mögen. Endlich nach langer Zeit ſolches eigenen und ſicherlich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 797. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/845>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.