Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Flossenfüßer. -- Die Seehunde. Allgemeines.
tigkeiten seines Geschlechts sich angeeignet zu haben. Es schwamm ausgezeichnet auf dem Bauche,
wie auf dem Rücken, tauchte leicht und lange, nahm im Wasser die verschiedensten Stellungen an
und geberdete sich mit einem Wort durchaus wie ein Alter. Aber es war auch als ein merkwürdig
ausgebildetes und auffallend großes Thier zur Welt gekommen. Noch am Tage seiner Geburt gelang
es uns, den kleinen bereits wehrhaften Gesellen zu wiegen und zu messen: das Gewicht betrug
171/2 Pfund, die Länge 2 Fuß 8 Zoll.

Es war im höchsten Grade anziehend, die beiden Thiere zu beobachten. Die Alte schien sichtlich
erfreut über ihren Sprößling zu sein und spielte in täppischer Weise gleich in den ersten Tagen mit ihm,
zuerst im Wasser, dann aber auch auf dem Lande. Beide rutschten mehrmals auf das Land hinauf,
und die Alte lud dann das Junge durch ein heiseres Gebrüll zu sich ein oder berührte es sanft mit
ihren Vorderflossen. Sie offenbarte in jeder Hinsicht die größte Zärtlichkeit, und das Junge schien,
altklug, seine Mutter bereits vollkommen zu verstehen. Jn Beider Spielen gab sich die gegenseitige
Anhänglichkeit deutlich genug zu erkennen. Von Zeit zu Zeit tauchten beide Köpfe im Wasser auf,
dicht neben einander, dann berührten sie sich mit den Schnauzen, als wollten sie sich küssen. Die
Alte ließ das Junge immer voraus schwimmen und folgte ihm bei jeder Bewegung nach, trieb ihr
Kind auch wohl ab und zu durch sanfte Schläge nach der von ihr beabsichtigten Richtung hin. Nur
wenn es auf das Land gehen sollte, gab sie die zu nehmende Richtung an. Schon abends saugte
das Junge unter hörbarem Schmatzen kräftig an der Alten, welche sich zu diesem Ende auf die Seite
legte und durch Knurren den Säugling herbeirief. Später kam es, sechs bis zehn Mal täglich, zu
der Alten gekrochen, um sich Nahrung zu erbitten. Jm Wasser saugte es nie; wenigstens haben wir
es nicht gesehen.

Der Neugeborene wuchs überraschend schnell; er nahm sichtlich zu an Größe und Umfang; seine
Bewegungen wurden mit jedem Tage freier und kühner, sein Verständniß für die Umgebung größer.
Ungefähr acht Tage nach der Geburt nahm er auch auf dem Lande alle Seehundsstellungen an: die
behagliche faule Lage auf den Seiten und auf dem Rücken, die gekrümmte, wobei er die Hinterflossen
gefaltet hoch emporhob und mit ihnen spielte, und ähnliche mehr. Jn der dritten Woche seines Alters
war er vollkommen zum Seehunde geworden. Den Wärtern gegenüber zeigte er sich scheu und
ängstlich, und so gelang es uns erst in der sechsten Woche seines Lebens, ihn zum zweiten Male auf
die Wage zu bringen. Um diese Zeit hatte er gerade das Doppelte seines Gewichts erlangt, unge-
achtet er bis dahin nur gesäugt und noch keine Fischkost zu sich genommen hatte.

Zu unserm großen Bedauern verloren wir das schöne Thier in der achten Woche seines Lebens.
Es war unmöglich, es an Fischkost zu gewöhnen, vielleicht, weil wir nicht die geeigneten Fische be-
saßen, und der Alten ging nach und nach die Milch aus. Zwar versuchte sich der Junge an den ihm
vorgeworfenen Fischen; doch schien ihm die Nahrung schlecht zu bekommen. Er magerte mehr und
mehr ab und lag eines Morgens todt auf seinem beliebtesten Ruheplatze.

Sehr möglich ist, daß die jungen Seehunde zuerst keine Fische, sondern vielleicht Krabben und
andere niedere Seethiere fressen, welche die Alten auch nicht verschmähen. Daß Diese Fischnahrung
jeder anderen vorziehen und namentlich Dorsche, Barsche, Flundern, Heringe, am liebsten aber
Salme fressen, ist bekannt und ebensowohl auch, daß sie das Fleisch von Vögeln und kleinen Säuge-
thieren hartnäckig verschmähen, wenigstens in der Gefangenschaft. Jch kenne nur ein einziges Bei-
spiel, daß ein gefangener Seehund von seinem Pfleger nach und nach auch an andere Kost, an Pferde-
fleisch nämlich, gewöhnt werden konnte.

Für manche nordischen Völkerschaften ist der Seehund, so zu sagen, das wichtigste aller Thiere.
Dem Grönländer ermöglicht die Robbe das Leben; er nützt jeden Theil ihres Leibes. Jedoch auch
wir Europäer wissen das glatte, schöne, wasserdichte Fell wohl zu schätzen und den Thran, ja selbst
das Fleisch zu würdigen. So kommt es, daß der Seehund eigentlich in der ganzen Welt aufs
eifrigste verfolgt wird. Man verfährt dabei in der abscheulichsten Weise; denn man führt einen höchst
grausamen Vernichtungskampf gegen das Thier, ohne Erbarmen, ohne Schonung. Die Robbenjagd

Floſſenfüßer. — Die Seehunde. Allgemeines.
tigkeiten ſeines Geſchlechts ſich angeeignet zu haben. Es ſchwamm ausgezeichnet auf dem Bauche,
wie auf dem Rücken, tauchte leicht und lange, nahm im Waſſer die verſchiedenſten Stellungen an
und geberdete ſich mit einem Wort durchaus wie ein Alter. Aber es war auch als ein merkwürdig
ausgebildetes und auffallend großes Thier zur Welt gekommen. Noch am Tage ſeiner Geburt gelang
es uns, den kleinen bereits wehrhaften Geſellen zu wiegen und zu meſſen: das Gewicht betrug
17½ Pfund, die Länge 2 Fuß 8 Zoll.

Es war im höchſten Grade anziehend, die beiden Thiere zu beobachten. Die Alte ſchien ſichtlich
erfreut über ihren Sprößling zu ſein und ſpielte in täppiſcher Weiſe gleich in den erſten Tagen mit ihm,
zuerſt im Waſſer, dann aber auch auf dem Lande. Beide rutſchten mehrmals auf das Land hinauf,
und die Alte lud dann das Junge durch ein heiſeres Gebrüll zu ſich ein oder berührte es ſanft mit
ihren Vorderfloſſen. Sie offenbarte in jeder Hinſicht die größte Zärtlichkeit, und das Junge ſchien,
altklug, ſeine Mutter bereits vollkommen zu verſtehen. Jn Beider Spielen gab ſich die gegenſeitige
Anhänglichkeit deutlich genug zu erkennen. Von Zeit zu Zeit tauchten beide Köpfe im Waſſer auf,
dicht neben einander, dann berührten ſie ſich mit den Schnauzen, als wollten ſie ſich küſſen. Die
Alte ließ das Junge immer voraus ſchwimmen und folgte ihm bei jeder Bewegung nach, trieb ihr
Kind auch wohl ab und zu durch ſanfte Schläge nach der von ihr beabſichtigten Richtung hin. Nur
wenn es auf das Land gehen ſollte, gab ſie die zu nehmende Richtung an. Schon abends ſaugte
das Junge unter hörbarem Schmatzen kräftig an der Alten, welche ſich zu dieſem Ende auf die Seite
legte und durch Knurren den Säugling herbeirief. Später kam es, ſechs bis zehn Mal täglich, zu
der Alten gekrochen, um ſich Nahrung zu erbitten. Jm Waſſer ſaugte es nie; wenigſtens haben wir
es nicht geſehen.

Der Neugeborene wuchs überraſchend ſchnell; er nahm ſichtlich zu an Größe und Umfang; ſeine
Bewegungen wurden mit jedem Tage freier und kühner, ſein Verſtändniß für die Umgebung größer.
Ungefähr acht Tage nach der Geburt nahm er auch auf dem Lande alle Seehundsſtellungen an: die
behagliche faule Lage auf den Seiten und auf dem Rücken, die gekrümmte, wobei er die Hinterfloſſen
gefaltet hoch emporhob und mit ihnen ſpielte, und ähnliche mehr. Jn der dritten Woche ſeines Alters
war er vollkommen zum Seehunde geworden. Den Wärtern gegenüber zeigte er ſich ſcheu und
ängſtlich, und ſo gelang es uns erſt in der ſechſten Woche ſeines Lebens, ihn zum zweiten Male auf
die Wage zu bringen. Um dieſe Zeit hatte er gerade das Doppelte ſeines Gewichts erlangt, unge-
achtet er bis dahin nur geſäugt und noch keine Fiſchkoſt zu ſich genommen hatte.

Zu unſerm großen Bedauern verloren wir das ſchöne Thier in der achten Woche ſeines Lebens.
Es war unmöglich, es an Fiſchkoſt zu gewöhnen, vielleicht, weil wir nicht die geeigneten Fiſche be-
ſaßen, und der Alten ging nach und nach die Milch aus. Zwar verſuchte ſich der Junge an den ihm
vorgeworfenen Fiſchen; doch ſchien ihm die Nahrung ſchlecht zu bekommen. Er magerte mehr und
mehr ab und lag eines Morgens todt auf ſeinem beliebteſten Ruheplatze.

Sehr möglich iſt, daß die jungen Seehunde zuerſt keine Fiſche, ſondern vielleicht Krabben und
andere niedere Seethiere freſſen, welche die Alten auch nicht verſchmähen. Daß Dieſe Fiſchnahrung
jeder anderen vorziehen und namentlich Dorſche, Barſche, Flundern, Heringe, am liebſten aber
Salme freſſen, iſt bekannt und ebenſowohl auch, daß ſie das Fleiſch von Vögeln und kleinen Säuge-
thieren hartnäckig verſchmähen, wenigſtens in der Gefangenſchaft. Jch kenne nur ein einziges Bei-
ſpiel, daß ein gefangener Seehund von ſeinem Pfleger nach und nach auch an andere Koſt, an Pferde-
fleiſch nämlich, gewöhnt werden konnte.

Für manche nordiſchen Völkerſchaften iſt der Seehund, ſo zu ſagen, das wichtigſte aller Thiere.
Dem Grönländer ermöglicht die Robbe das Leben; er nützt jeden Theil ihres Leibes. Jedoch auch
wir Europäer wiſſen das glatte, ſchöne, waſſerdichte Fell wohl zu ſchätzen und den Thran, ja ſelbſt
das Fleiſch zu würdigen. So kommt es, daß der Seehund eigentlich in der ganzen Welt aufs
eifrigſte verfolgt wird. Man verfährt dabei in der abſcheulichſten Weiſe; denn man führt einen höchſt
grauſamen Vernichtungskampf gegen das Thier, ohne Erbarmen, ohne Schonung. Die Robbenjagd

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0844" n="796"/><fw place="top" type="header">Flo&#x017F;&#x017F;enfüßer. &#x2014; Die Seehunde. Allgemeines.</fw><lb/>
tigkeiten &#x017F;eines Ge&#x017F;chlechts &#x017F;ich angeeignet zu haben. Es &#x017F;chwamm ausgezeichnet auf dem Bauche,<lb/>
wie auf dem Rücken, tauchte leicht und lange, nahm im Wa&#x017F;&#x017F;er die ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Stellungen an<lb/>
und geberdete &#x017F;ich mit einem Wort durchaus wie ein Alter. Aber es war auch als ein merkwürdig<lb/>
ausgebildetes und auffallend großes Thier zur Welt gekommen. Noch am Tage &#x017F;einer Geburt gelang<lb/>
es uns, den kleinen bereits wehrhaften Ge&#x017F;ellen zu wiegen und zu me&#x017F;&#x017F;en: das Gewicht betrug<lb/>
17½ Pfund, die Länge 2 Fuß 8 Zoll.</p><lb/>
              <p>Es war im höch&#x017F;ten Grade anziehend, die beiden Thiere zu beobachten. Die Alte &#x017F;chien &#x017F;ichtlich<lb/>
erfreut über ihren Sprößling zu &#x017F;ein und &#x017F;pielte in täppi&#x017F;cher Wei&#x017F;e gleich in den er&#x017F;ten Tagen mit ihm,<lb/>
zuer&#x017F;t im Wa&#x017F;&#x017F;er, dann aber auch auf dem Lande. Beide rut&#x017F;chten mehrmals auf das Land hinauf,<lb/>
und die Alte lud dann das Junge durch ein hei&#x017F;eres Gebrüll zu &#x017F;ich ein oder berührte es &#x017F;anft mit<lb/>
ihren Vorderflo&#x017F;&#x017F;en. Sie offenbarte in jeder Hin&#x017F;icht die größte Zärtlichkeit, und das Junge &#x017F;chien,<lb/>
altklug, &#x017F;eine Mutter bereits vollkommen zu ver&#x017F;tehen. Jn Beider Spielen gab &#x017F;ich die gegen&#x017F;eitige<lb/>
Anhänglichkeit deutlich genug zu erkennen. Von Zeit zu Zeit tauchten beide Köpfe im Wa&#x017F;&#x017F;er auf,<lb/>
dicht neben einander, dann berührten &#x017F;ie &#x017F;ich mit den Schnauzen, als wollten &#x017F;ie &#x017F;ich kü&#x017F;&#x017F;en. Die<lb/>
Alte ließ das Junge immer voraus &#x017F;chwimmen und folgte ihm bei jeder Bewegung nach, trieb ihr<lb/>
Kind auch wohl ab und zu durch &#x017F;anfte Schläge nach der von ihr beab&#x017F;ichtigten Richtung hin. Nur<lb/>
wenn es auf das Land gehen &#x017F;ollte, gab &#x017F;ie die zu nehmende Richtung an. Schon abends &#x017F;augte<lb/>
das Junge unter hörbarem Schmatzen kräftig an der Alten, welche &#x017F;ich zu die&#x017F;em Ende auf die Seite<lb/>
legte und durch Knurren den Säugling herbeirief. Später kam es, &#x017F;echs bis zehn Mal täglich, zu<lb/>
der Alten gekrochen, um &#x017F;ich Nahrung zu erbitten. Jm Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;augte es nie; wenig&#x017F;tens haben wir<lb/>
es nicht ge&#x017F;ehen.</p><lb/>
              <p>Der Neugeborene wuchs überra&#x017F;chend &#x017F;chnell; er nahm &#x017F;ichtlich zu an Größe und Umfang; &#x017F;eine<lb/>
Bewegungen wurden mit jedem Tage freier und kühner, &#x017F;ein Ver&#x017F;tändniß für die Umgebung größer.<lb/>
Ungefähr acht Tage nach der Geburt nahm er auch auf dem Lande alle Seehunds&#x017F;tellungen an: die<lb/>
behagliche faule Lage auf den Seiten und auf dem Rücken, die gekrümmte, wobei er die Hinterflo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
gefaltet hoch emporhob und mit ihnen &#x017F;pielte, und ähnliche mehr. Jn der dritten Woche &#x017F;eines Alters<lb/>
war er vollkommen zum Seehunde geworden. Den Wärtern gegenüber zeigte er &#x017F;ich &#x017F;cheu und<lb/>
äng&#x017F;tlich, und &#x017F;o gelang es uns er&#x017F;t in der &#x017F;ech&#x017F;ten Woche &#x017F;eines Lebens, ihn zum zweiten Male auf<lb/>
die Wage zu bringen. Um die&#x017F;e Zeit hatte er gerade das Doppelte &#x017F;eines Gewichts erlangt, unge-<lb/>
achtet er bis dahin nur ge&#x017F;äugt und noch keine Fi&#x017F;chko&#x017F;t zu &#x017F;ich genommen hatte.</p><lb/>
              <p>Zu un&#x017F;erm großen Bedauern verloren wir das &#x017F;chöne Thier in der achten Woche &#x017F;eines Lebens.<lb/>
Es war unmöglich, es an Fi&#x017F;chko&#x017F;t zu gewöhnen, vielleicht, weil wir nicht die geeigneten Fi&#x017F;che be-<lb/>
&#x017F;aßen, und der Alten ging nach und nach die Milch aus. Zwar ver&#x017F;uchte &#x017F;ich der Junge an den ihm<lb/>
vorgeworfenen Fi&#x017F;chen; doch &#x017F;chien ihm die Nahrung &#x017F;chlecht zu bekommen. Er magerte mehr und<lb/>
mehr ab und lag eines Morgens todt auf &#x017F;einem beliebte&#x017F;ten Ruheplatze.</p><lb/>
              <p>Sehr möglich i&#x017F;t, daß die jungen Seehunde zuer&#x017F;t keine Fi&#x017F;che, &#x017F;ondern vielleicht Krabben und<lb/>
andere niedere Seethiere fre&#x017F;&#x017F;en, welche die Alten auch nicht ver&#x017F;chmähen. Daß Die&#x017F;e Fi&#x017F;chnahrung<lb/>
jeder anderen vorziehen und namentlich Dor&#x017F;che, Bar&#x017F;che, Flundern, Heringe, am lieb&#x017F;ten aber<lb/>
Salme fre&#x017F;&#x017F;en, i&#x017F;t bekannt und eben&#x017F;owohl auch, daß &#x017F;ie das Flei&#x017F;ch von Vögeln und kleinen Säuge-<lb/>
thieren hartnäckig ver&#x017F;chmähen, wenig&#x017F;tens in der Gefangen&#x017F;chaft. Jch kenne nur ein einziges Bei-<lb/>
&#x017F;piel, daß ein gefangener Seehund von &#x017F;einem Pfleger nach und nach auch an andere Ko&#x017F;t, an Pferde-<lb/>
flei&#x017F;ch nämlich, gewöhnt werden konnte.</p><lb/>
              <p>Für manche nordi&#x017F;chen Völker&#x017F;chaften i&#x017F;t der Seehund, &#x017F;o zu &#x017F;agen, das wichtig&#x017F;te aller Thiere.<lb/>
Dem Grönländer ermöglicht die Robbe das Leben; er nützt jeden Theil ihres Leibes. Jedoch auch<lb/>
wir Europäer wi&#x017F;&#x017F;en das glatte, &#x017F;chöne, wa&#x017F;&#x017F;erdichte Fell wohl zu &#x017F;chätzen und den Thran, ja &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
das Flei&#x017F;ch zu würdigen. So kommt es, daß der Seehund eigentlich in der ganzen Welt aufs<lb/>
eifrig&#x017F;te verfolgt wird. Man verfährt dabei in der ab&#x017F;cheulich&#x017F;ten Wei&#x017F;e; denn man führt einen höch&#x017F;t<lb/>
grau&#x017F;amen Vernichtungskampf gegen das Thier, ohne Erbarmen, ohne Schonung. Die Robbenjagd<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[796/0844] Floſſenfüßer. — Die Seehunde. Allgemeines. tigkeiten ſeines Geſchlechts ſich angeeignet zu haben. Es ſchwamm ausgezeichnet auf dem Bauche, wie auf dem Rücken, tauchte leicht und lange, nahm im Waſſer die verſchiedenſten Stellungen an und geberdete ſich mit einem Wort durchaus wie ein Alter. Aber es war auch als ein merkwürdig ausgebildetes und auffallend großes Thier zur Welt gekommen. Noch am Tage ſeiner Geburt gelang es uns, den kleinen bereits wehrhaften Geſellen zu wiegen und zu meſſen: das Gewicht betrug 17½ Pfund, die Länge 2 Fuß 8 Zoll. Es war im höchſten Grade anziehend, die beiden Thiere zu beobachten. Die Alte ſchien ſichtlich erfreut über ihren Sprößling zu ſein und ſpielte in täppiſcher Weiſe gleich in den erſten Tagen mit ihm, zuerſt im Waſſer, dann aber auch auf dem Lande. Beide rutſchten mehrmals auf das Land hinauf, und die Alte lud dann das Junge durch ein heiſeres Gebrüll zu ſich ein oder berührte es ſanft mit ihren Vorderfloſſen. Sie offenbarte in jeder Hinſicht die größte Zärtlichkeit, und das Junge ſchien, altklug, ſeine Mutter bereits vollkommen zu verſtehen. Jn Beider Spielen gab ſich die gegenſeitige Anhänglichkeit deutlich genug zu erkennen. Von Zeit zu Zeit tauchten beide Köpfe im Waſſer auf, dicht neben einander, dann berührten ſie ſich mit den Schnauzen, als wollten ſie ſich küſſen. Die Alte ließ das Junge immer voraus ſchwimmen und folgte ihm bei jeder Bewegung nach, trieb ihr Kind auch wohl ab und zu durch ſanfte Schläge nach der von ihr beabſichtigten Richtung hin. Nur wenn es auf das Land gehen ſollte, gab ſie die zu nehmende Richtung an. Schon abends ſaugte das Junge unter hörbarem Schmatzen kräftig an der Alten, welche ſich zu dieſem Ende auf die Seite legte und durch Knurren den Säugling herbeirief. Später kam es, ſechs bis zehn Mal täglich, zu der Alten gekrochen, um ſich Nahrung zu erbitten. Jm Waſſer ſaugte es nie; wenigſtens haben wir es nicht geſehen. Der Neugeborene wuchs überraſchend ſchnell; er nahm ſichtlich zu an Größe und Umfang; ſeine Bewegungen wurden mit jedem Tage freier und kühner, ſein Verſtändniß für die Umgebung größer. Ungefähr acht Tage nach der Geburt nahm er auch auf dem Lande alle Seehundsſtellungen an: die behagliche faule Lage auf den Seiten und auf dem Rücken, die gekrümmte, wobei er die Hinterfloſſen gefaltet hoch emporhob und mit ihnen ſpielte, und ähnliche mehr. Jn der dritten Woche ſeines Alters war er vollkommen zum Seehunde geworden. Den Wärtern gegenüber zeigte er ſich ſcheu und ängſtlich, und ſo gelang es uns erſt in der ſechſten Woche ſeines Lebens, ihn zum zweiten Male auf die Wage zu bringen. Um dieſe Zeit hatte er gerade das Doppelte ſeines Gewichts erlangt, unge- achtet er bis dahin nur geſäugt und noch keine Fiſchkoſt zu ſich genommen hatte. Zu unſerm großen Bedauern verloren wir das ſchöne Thier in der achten Woche ſeines Lebens. Es war unmöglich, es an Fiſchkoſt zu gewöhnen, vielleicht, weil wir nicht die geeigneten Fiſche be- ſaßen, und der Alten ging nach und nach die Milch aus. Zwar verſuchte ſich der Junge an den ihm vorgeworfenen Fiſchen; doch ſchien ihm die Nahrung ſchlecht zu bekommen. Er magerte mehr und mehr ab und lag eines Morgens todt auf ſeinem beliebteſten Ruheplatze. Sehr möglich iſt, daß die jungen Seehunde zuerſt keine Fiſche, ſondern vielleicht Krabben und andere niedere Seethiere freſſen, welche die Alten auch nicht verſchmähen. Daß Dieſe Fiſchnahrung jeder anderen vorziehen und namentlich Dorſche, Barſche, Flundern, Heringe, am liebſten aber Salme freſſen, iſt bekannt und ebenſowohl auch, daß ſie das Fleiſch von Vögeln und kleinen Säuge- thieren hartnäckig verſchmähen, wenigſtens in der Gefangenſchaft. Jch kenne nur ein einziges Bei- ſpiel, daß ein gefangener Seehund von ſeinem Pfleger nach und nach auch an andere Koſt, an Pferde- fleiſch nämlich, gewöhnt werden konnte. Für manche nordiſchen Völkerſchaften iſt der Seehund, ſo zu ſagen, das wichtigſte aller Thiere. Dem Grönländer ermöglicht die Robbe das Leben; er nützt jeden Theil ihres Leibes. Jedoch auch wir Europäer wiſſen das glatte, ſchöne, waſſerdichte Fell wohl zu ſchätzen und den Thran, ja ſelbſt das Fleiſch zu würdigen. So kommt es, daß der Seehund eigentlich in der ganzen Welt aufs eifrigſte verfolgt wird. Man verfährt dabei in der abſcheulichſten Weiſe; denn man führt einen höchſt grauſamen Vernichtungskampf gegen das Thier, ohne Erbarmen, ohne Schonung. Die Robbenjagd

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/844
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 796. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/844>, abgerufen am 12.05.2024.