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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die eigentlichen Rinder. -- Verwilderte Rinder Südamerikas.
überwachte, frei machten. Hundert Jahre später bevölkerten diese Thiere schon in solcher ungeheurer
Anzahl die Pampas, daß man bei den Jagden, welche auf sie angestellt wurden, geradeso verfuhr,
wie die Jndier noch heute mit den Bisons verfahren. Man erlegte die Thiere einfach, um ihre Haut
zu benutzen; an Verwendung des so werthvollen Fleisches dachte Niemand. Ehe der Bürgerkrieg die
La Platastaaten zerstörte, wurden jährlich gegen 800,000 Ochsenhäute allein von Buenos Ayres
nach Europa ausgeführt. Eine eigene Genossenschaft, die der "Vaceros", bildete sich aus den
Gauchos heraus, Leute, welche ohnehin gewöhnt waren, für wenige Groschen ihr Leben in die
Schanze zu schlagen, trotzigkühne, tolldreiste Männer, welche den Stieren mit der Wurfschlinge
entgegentraten und mit diesem verhältnißmäßig so schwachen Gewehr zu bändigen wußten. Manche
Landwirthe hielten auf ihren ungeheuren Landgütern an acht- bis zehntaufend Stück Rinder, welche
fast gar nicht beaufsichtigt wurden. Um die Schlachtzeit trieb man dann die Herden in große Pferche
oder Umpfählungen, fest genug, ihrem Wüthen zu widerstehen. Hier wurden sie entweder mit
Feuergewehren niedergemetzelt oder einzeln herausgelassen, von den Hirten verfolgt und mit den
Wurfschlingen niedergerissen. Das Fleisch und Fett verblieb den zahmen und wilden Hunden und
den Geiern. Solche Verwüstungen hatten zur Folge, daß die ungeheuren Herden mehr und mehr
abnahmen, und erst in der Neuzeit, wo man sparsamer mit den Erzeugnissen umgeht, haben sie sich
wieder etwas gehoben.

Auf den Falklandsinseln ist das Rind ganz verwildert und wird höchstens manchmal von Schif-
fern gejagt, deren Fleischvorräthe zusammengeschmolzen sind.

Jn Kolumbien lebt das Rind, wie in den meisten übrigen Ländern Südamerikas, in gleicher
Freiheit, aber nicht in der Tiefe, sondern in der Höhe der Cordillera. Als die Jesuiten in der Pro-
vinz St. Martin ihre Missionen verlassen mußten, blieben die zurückgelassenen Thiere sich selbst über-
lassen und zogen sich bald bis zum Grasgürtel empor, wo sie gegenwärtig in kleinen Herden leben.
Manchmal jagen sie die Bauern der am Fuße der Cordillera liegenden Dörfer, weniger des Nutzens,
als des Vergnügens wegen; denn es ist den Leuten unmöglich, ihre Beute vom Gebirg herabzuschaf-
fen. Nicht einmal gefangene Thiere lassen sich nach unten treiben; sie stellen sich erst nach Kräften
zur Wehre und gerathen, wenn sie die Nutzlosigkeit ihrer Bemühungen einsehen, oft in so gewaltige
Aufregung, daß sie am ganzen Körper zu zittern beginnen, zusammenstürzen und sterben. Bis-
weilen ist es aber doch gelungen, solche verwilderte Rinder wieder in die Tiefe hinabzuführen, und
dann hat man sie ohne sonderliche Mühe wieder gezähmt.

Wie überaus günstig das Klima und die Beschaffenheit Südamerikas für die Vermehrung des
Rindes ist, mag aus Folgendem hervorgehen. Columbus brachte das nützliche Hausthier auf sei-
ner zweiten Reise zuerst nach St. Domingo. Hier vermehrte es sich mit solcher Schnelligkeit, daß
man bereits wenige Jahre später Kälber beiderlei Geschlechts nach allen Gegenden hin bringen konnte.
Siebenundzwanzig Jahre nach der Entdeckung Domingos waren Herden von 4000 Stücken bereits
eine gewöhnliche Erscheinung, und im Jahre 1587 wurden von der Jnsel allein schon 35,500 Stück
Rinderhäute ausgeführt. Um diese Zeit gab es bereits große verwilderte Herden.

Nur in Amerika hat sich das Hausrind wieder von der Herrschaft des Menschen befreit; in allen
übrigen Erdtheilen ist es dessen Sklave und zwar, wie schon bemerkt, seit uralter und vorgeschicht-
licher Zeit. Jm allgemeinen wurde und wird das Rind außerordentlich hoch geehrt. Die alten
Egypter beteten den Gott Apis in Gestalt eines Ochsen an und erwiesen dem Thiere mit vieler
Feierlichkeit die größten Ehren. Die Göttin Jsis trug Kuhhörner auf dem Haupte, wie später die
Jo der Griechen; beiden opferte man Ochsen, weil diese besonders heilig waren. Jn Lybien wurden
die Rinder gezähmt, aber niemals geschlachtet; nur die Milch genoß man. Jn Cyrene galt es
als Verbrechen, eine Kuh zu schlagen; heutzutage ist Dies noch in Jndien der Fall. Die Celten
sahen die Kuh als ein ihnen unmittelbar von der Gottheit gegebenes Geschenk an, und die heutigen
Jndier stehen den Egyptern noch durchaus nicht nach. Wir haben schon weiter oben erwähnt, daß
die verschiedenen Stämme auch verschiedene Rinder heilig erklären; im wesentlichen ist die Verehrung

Die eigentlichen Rinder. — Verwilderte Rinder Südamerikas.
überwachte, frei machten. Hundert Jahre ſpäter bevölkerten dieſe Thiere ſchon in ſolcher ungeheurer
Anzahl die Pampas, daß man bei den Jagden, welche auf ſie angeſtellt wurden, geradeſo verfuhr,
wie die Jndier noch heute mit den Biſons verfahren. Man erlegte die Thiere einfach, um ihre Haut
zu benutzen; an Verwendung des ſo werthvollen Fleiſches dachte Niemand. Ehe der Bürgerkrieg die
La Plataſtaaten zerſtörte, wurden jährlich gegen 800,000 Ochſenhäute allein von Buenos Ayres
nach Europa ausgeführt. Eine eigene Genoſſenſchaft, die der „Vaceros‟, bildete ſich aus den
Gauchos heraus, Leute, welche ohnehin gewöhnt waren, für wenige Groſchen ihr Leben in die
Schanze zu ſchlagen, trotzigkühne, tolldreiſte Männer, welche den Stieren mit der Wurfſchlinge
entgegentraten und mit dieſem verhältnißmäßig ſo ſchwachen Gewehr zu bändigen wußten. Manche
Landwirthe hielten auf ihren ungeheuren Landgütern an acht- bis zehntaufend Stück Rinder, welche
faſt gar nicht beaufſichtigt wurden. Um die Schlachtzeit trieb man dann die Herden in große Pferche
oder Umpfählungen, feſt genug, ihrem Wüthen zu widerſtehen. Hier wurden ſie entweder mit
Feuergewehren niedergemetzelt oder einzeln herausgelaſſen, von den Hirten verfolgt und mit den
Wurfſchlingen niedergeriſſen. Das Fleiſch und Fett verblieb den zahmen und wilden Hunden und
den Geiern. Solche Verwüſtungen hatten zur Folge, daß die ungeheuren Herden mehr und mehr
abnahmen, und erſt in der Neuzeit, wo man ſparſamer mit den Erzeugniſſen umgeht, haben ſie ſich
wieder etwas gehoben.

Auf den Falklandsinſeln iſt das Rind ganz verwildert und wird höchſtens manchmal von Schif-
fern gejagt, deren Fleiſchvorräthe zuſammengeſchmolzen ſind.

Jn Kolumbien lebt das Rind, wie in den meiſten übrigen Ländern Südamerikas, in gleicher
Freiheit, aber nicht in der Tiefe, ſondern in der Höhe der Cordillera. Als die Jeſuiten in der Pro-
vinz St. Martin ihre Miſſionen verlaſſen mußten, blieben die zurückgelaſſenen Thiere ſich ſelbſt über-
laſſen und zogen ſich bald bis zum Grasgürtel empor, wo ſie gegenwärtig in kleinen Herden leben.
Manchmal jagen ſie die Bauern der am Fuße der Cordillera liegenden Dörfer, weniger des Nutzens,
als des Vergnügens wegen; denn es iſt den Leuten unmöglich, ihre Beute vom Gebirg herabzuſchaf-
fen. Nicht einmal gefangene Thiere laſſen ſich nach unten treiben; ſie ſtellen ſich erſt nach Kräften
zur Wehre und gerathen, wenn ſie die Nutzloſigkeit ihrer Bemühungen einſehen, oft in ſo gewaltige
Aufregung, daß ſie am ganzen Körper zu zittern beginnen, zuſammenſtürzen und ſterben. Bis-
weilen iſt es aber doch gelungen, ſolche verwilderte Rinder wieder in die Tiefe hinabzuführen, und
dann hat man ſie ohne ſonderliche Mühe wieder gezähmt.

Wie überaus günſtig das Klima und die Beſchaffenheit Südamerikas für die Vermehrung des
Rindes iſt, mag aus Folgendem hervorgehen. Columbus brachte das nützliche Hausthier auf ſei-
ner zweiten Reiſe zuerſt nach St. Domingo. Hier vermehrte es ſich mit ſolcher Schnelligkeit, daß
man bereits wenige Jahre ſpäter Kälber beiderlei Geſchlechts nach allen Gegenden hin bringen konnte.
Siebenundzwanzig Jahre nach der Entdeckung Domingos waren Herden von 4000 Stücken bereits
eine gewöhnliche Erſcheinung, und im Jahre 1587 wurden von der Jnſel allein ſchon 35,500 Stück
Rinderhäute ausgeführt. Um dieſe Zeit gab es bereits große verwilderte Herden.

Nur in Amerika hat ſich das Hausrind wieder von der Herrſchaft des Menſchen befreit; in allen
übrigen Erdtheilen iſt es deſſen Sklave und zwar, wie ſchon bemerkt, ſeit uralter und vorgeſchicht-
licher Zeit. Jm allgemeinen wurde und wird das Rind außerordentlich hoch geehrt. Die alten
Egypter beteten den Gott Apis in Geſtalt eines Ochſen an und erwieſen dem Thiere mit vieler
Feierlichkeit die größten Ehren. Die Göttin Jſis trug Kuhhörner auf dem Haupte, wie ſpäter die
Jo der Griechen; beiden opferte man Ochſen, weil dieſe beſonders heilig waren. Jn Lybien wurden
die Rinder gezähmt, aber niemals geſchlachtet; nur die Milch genoß man. Jn Cyrene galt es
als Verbrechen, eine Kuh zu ſchlagen; heutzutage iſt Dies noch in Jndien der Fall. Die Celten
ſahen die Kuh als ein ihnen unmittelbar von der Gottheit gegebenes Geſchenk an, und die heutigen
Jndier ſtehen den Egyptern noch durchaus nicht nach. Wir haben ſchon weiter oben erwähnt, daß
die verſchiedenen Stämme auch verſchiedene Rinder heilig erklären; im weſentlichen iſt die Verehrung

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[670/0704] Die eigentlichen Rinder. — Verwilderte Rinder Südamerikas. überwachte, frei machten. Hundert Jahre ſpäter bevölkerten dieſe Thiere ſchon in ſolcher ungeheurer Anzahl die Pampas, daß man bei den Jagden, welche auf ſie angeſtellt wurden, geradeſo verfuhr, wie die Jndier noch heute mit den Biſons verfahren. Man erlegte die Thiere einfach, um ihre Haut zu benutzen; an Verwendung des ſo werthvollen Fleiſches dachte Niemand. Ehe der Bürgerkrieg die La Plataſtaaten zerſtörte, wurden jährlich gegen 800,000 Ochſenhäute allein von Buenos Ayres nach Europa ausgeführt. Eine eigene Genoſſenſchaft, die der „Vaceros‟, bildete ſich aus den Gauchos heraus, Leute, welche ohnehin gewöhnt waren, für wenige Groſchen ihr Leben in die Schanze zu ſchlagen, trotzigkühne, tolldreiſte Männer, welche den Stieren mit der Wurfſchlinge entgegentraten und mit dieſem verhältnißmäßig ſo ſchwachen Gewehr zu bändigen wußten. Manche Landwirthe hielten auf ihren ungeheuren Landgütern an acht- bis zehntaufend Stück Rinder, welche faſt gar nicht beaufſichtigt wurden. Um die Schlachtzeit trieb man dann die Herden in große Pferche oder Umpfählungen, feſt genug, ihrem Wüthen zu widerſtehen. Hier wurden ſie entweder mit Feuergewehren niedergemetzelt oder einzeln herausgelaſſen, von den Hirten verfolgt und mit den Wurfſchlingen niedergeriſſen. Das Fleiſch und Fett verblieb den zahmen und wilden Hunden und den Geiern. Solche Verwüſtungen hatten zur Folge, daß die ungeheuren Herden mehr und mehr abnahmen, und erſt in der Neuzeit, wo man ſparſamer mit den Erzeugniſſen umgeht, haben ſie ſich wieder etwas gehoben. Auf den Falklandsinſeln iſt das Rind ganz verwildert und wird höchſtens manchmal von Schif- fern gejagt, deren Fleiſchvorräthe zuſammengeſchmolzen ſind. Jn Kolumbien lebt das Rind, wie in den meiſten übrigen Ländern Südamerikas, in gleicher Freiheit, aber nicht in der Tiefe, ſondern in der Höhe der Cordillera. Als die Jeſuiten in der Pro- vinz St. Martin ihre Miſſionen verlaſſen mußten, blieben die zurückgelaſſenen Thiere ſich ſelbſt über- laſſen und zogen ſich bald bis zum Grasgürtel empor, wo ſie gegenwärtig in kleinen Herden leben. Manchmal jagen ſie die Bauern der am Fuße der Cordillera liegenden Dörfer, weniger des Nutzens, als des Vergnügens wegen; denn es iſt den Leuten unmöglich, ihre Beute vom Gebirg herabzuſchaf- fen. Nicht einmal gefangene Thiere laſſen ſich nach unten treiben; ſie ſtellen ſich erſt nach Kräften zur Wehre und gerathen, wenn ſie die Nutzloſigkeit ihrer Bemühungen einſehen, oft in ſo gewaltige Aufregung, daß ſie am ganzen Körper zu zittern beginnen, zuſammenſtürzen und ſterben. Bis- weilen iſt es aber doch gelungen, ſolche verwilderte Rinder wieder in die Tiefe hinabzuführen, und dann hat man ſie ohne ſonderliche Mühe wieder gezähmt. Wie überaus günſtig das Klima und die Beſchaffenheit Südamerikas für die Vermehrung des Rindes iſt, mag aus Folgendem hervorgehen. Columbus brachte das nützliche Hausthier auf ſei- ner zweiten Reiſe zuerſt nach St. Domingo. Hier vermehrte es ſich mit ſolcher Schnelligkeit, daß man bereits wenige Jahre ſpäter Kälber beiderlei Geſchlechts nach allen Gegenden hin bringen konnte. Siebenundzwanzig Jahre nach der Entdeckung Domingos waren Herden von 4000 Stücken bereits eine gewöhnliche Erſcheinung, und im Jahre 1587 wurden von der Jnſel allein ſchon 35,500 Stück Rinderhäute ausgeführt. Um dieſe Zeit gab es bereits große verwilderte Herden. Nur in Amerika hat ſich das Hausrind wieder von der Herrſchaft des Menſchen befreit; in allen übrigen Erdtheilen iſt es deſſen Sklave und zwar, wie ſchon bemerkt, ſeit uralter und vorgeſchicht- licher Zeit. Jm allgemeinen wurde und wird das Rind außerordentlich hoch geehrt. Die alten Egypter beteten den Gott Apis in Geſtalt eines Ochſen an und erwieſen dem Thiere mit vieler Feierlichkeit die größten Ehren. Die Göttin Jſis trug Kuhhörner auf dem Haupte, wie ſpäter die Jo der Griechen; beiden opferte man Ochſen, weil dieſe beſonders heilig waren. Jn Lybien wurden die Rinder gezähmt, aber niemals geſchlachtet; nur die Milch genoß man. Jn Cyrene galt es als Verbrechen, eine Kuh zu ſchlagen; heutzutage iſt Dies noch in Jndien der Fall. Die Celten ſahen die Kuh als ein ihnen unmittelbar von der Gottheit gegebenes Geſchenk an, und die heutigen Jndier ſtehen den Egyptern noch durchaus nicht nach. Wir haben ſchon weiter oben erwähnt, daß die verſchiedenen Stämme auch verſchiedene Rinder heilig erklären; im weſentlichen iſt die Verehrung

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/704>, abgerufen am 23.11.2024.