aber überall dieselbe. Bei den Brahminen Kaschmirs ist nach Hügel's Erfahrungen die Kuh so heilig, daß Jeder mit dem Tode bestraft wird, welcher eine tödtet. Görtz nennt die Ochsen ein allgemeines Uebel der Hindustädte. Jrgend Jemand hat einzelnen seiner Rinder, um ein verdienst- liches Werk zu thun, das Zeichen Schiwa's aufgebrannt, und diese Thiere laufen nun mit Pfaffen und Bettlern in den Straßen herum, gehen Niemand aus dem Wege, drängen, schlagen, stoßen und fressen, was ihnen vorkommt. Die Bakhara-Araber, ein Volksstamm, welcher sich zwischen dem weißen Flusse und Kordofahn umhertreibt, haben ihren Namen vom Rinde selbst entlehnt; denn das Wort "Bakhara" bedeutet ungefähr soviel, als Rinderer. Und nicht blos auf Erden hat man das Rind geehrt und geachtet: es ist ja, wie allbekannt, selbst in den Himmel versetzt worden. Nach den altindischen Sagen ist die Kuh das erstgeschaffene aller Wesen, und der Ochse "Nanda" vertritt nach den Anschauungen dieses Volkes ganz die Stelle des heiligen Petrus: er ist Wächter eines der beiden Himmelsthore. Die Veneunung des Sternbildes "Stier" mag wohl hiermit im Zusam- menhange stehen. Selbst bei den heitligsten Glaubensgenossenschaften, welche in allem Möglichen etwas Unreines erblicken, gilt das Rind als reines Thier, dessen Umgang dem Seelenheile des Gläu- bigen nur förderlich sein kann. Die Sudahnesen hören es gern, wenn man ihnen den Ehrentitel "Ochse" gibt, und vergleichen die Kraft ihrer Söhne ruhmrednerisch mit der des Stieres. Mehr, als irgend ein Thier, hat das Rind zur Versittlichung des Menschen beigetragen. Otto von Kotzebue bemerkt sehr treffend, daß mit dem Erscheinen Vancouver's für die Sandwichsinseln ein neues Zeitalter begonnen habe, weil erst mit der damals geschehenen Einführung des Rindes die Gesittung der Jnselbewohner beginnt.
Ein Blick auf das Leben des Hausrindes in den verschiedenen Ländern ist ebenso lehrreich, als fesselnd. Wenden wir, gewissermaßen, um geschichtlich zu beginnen, unsere Aufmerksamkeit zunächst jenen Herden zu, welche sich noch in denselben Verhältnissen befinden, wie unter der Herrschaft der alten Erzväter. Jn den Nomaden des Ostsudahn sehen wir Herdenzüchter, welche ihre Geschäfte noch in derselben Weise betreiben, wie ihre Ururväter vor Jahrtausenden sie betrieben. Die Vieh- herden, welche sie besitzen, sind ihr einziger Reichthum. Man schätzt sie nach der Zahl der Schafe und der Rinder, wie man den Lappen nach der Meuge seiner Renthiere schätzt. Jhr ganzes Leben hängt mit der Viehzucht aufs innigste zusammen. Nur durch Räuberthaten erwerben sie sich noch außerdem Manches, was sie zu ihrem Leben bedürfen; im allgemeinen aber muß ihr zahmes Vieh sie ausschließlich erhalten. Viele Stämme der Araber, welche die nahrungsreicheren Steppen südlich des achtzehnten Grades nördlicher Breite durchwandern, liegen in beständigem Kriege mit ein- ander ihrer Herden wegen und sind aus dem gleichen Grunde ohne Unterlaß auf der Wanderung. Es versteht sich von selbst, daß es in jenen Gegenden nur freie Zucht gibt, daß Niemand daran denkt, für seine Hausthiere einen Stall zu erbauen. Blos da, wo der Löwe in großer Zahl auf- tritt, versucht man nachts die Rinder, Schafe und Ziegen durch einen dicken Hag aus Mimosen und Dornen zu schützen, welcher einen Lagerplatz kreisförmig umgibt. Da, wo man dem Könige der Wildniß keinen Zoll entrichten muß, läßt man die Herde dort übernachten, wo sie weidesatt sich lagert.
Auch die größten unserer Rittergutsbesitzer und Viehzüchter, die Holländer und Schweizer mit inbegriffen, machen sich wohl schwerlich eine Vorstellung von der Anzahl der Herden jener Nomaden. Nahe dem Dorfe Melbeß, dessen ich schon einmal Erwähnung gethan habe, tieft sich die Steppe zu einem weiten Kessel ein, in dessen Grunde man Brunnen an Brunnen angelegt hat, einzig und allein zu dem Zwecke, die täglich hier während der Mittagsstunden zusammenströmenden Herden zu tränken. Jn diesem Kessel kann man vom frühen Morgen an bis zum späten Abend und während der ganzen Nacht ein kaum zu beschreibendes Gewühl von Menschen und Herdenthieren bemerken. Neben jedem Brunnen hat man 6 bis 8 flache Tränkteiche aufgebaut, große natürliche Tröge, welche mit thoniger Erde eingedämmt sind. Diese Tröge werden alltäglich gefüllt und von den zur Tränke kommenden Herden vollständig wieder geleert. Vom Nachmittage an durch die ganze Nacht hindurch
Allgemeines.
aber überall dieſelbe. Bei den Brahminen Kaſchmirs iſt nach Hügel’s Erfahrungen die Kuh ſo heilig, daß Jeder mit dem Tode beſtraft wird, welcher eine tödtet. Görtz nennt die Ochſen ein allgemeines Uebel der Hinduſtädte. Jrgend Jemand hat einzelnen ſeiner Rinder, um ein verdienſt- liches Werk zu thun, das Zeichen Schiwa’s aufgebrannt, und dieſe Thiere laufen nun mit Pfaffen und Bettlern in den Straßen herum, gehen Niemand aus dem Wege, drängen, ſchlagen, ſtoßen und freſſen, was ihnen vorkommt. Die Bakhara-Araber, ein Volksſtamm, welcher ſich zwiſchen dem weißen Fluſſe und Kordofahn umhertreibt, haben ihren Namen vom Rinde ſelbſt entlehnt; denn das Wort „Bakhara‟ bedeutet ungefähr ſoviel, als Rinderer. Und nicht blos auf Erden hat man das Rind geehrt und geachtet: es iſt ja, wie allbekannt, ſelbſt in den Himmel verſetzt worden. Nach den altindiſchen Sagen iſt die Kuh das erſtgeſchaffene aller Weſen, und der Ochſe „Nanda‟ vertritt nach den Anſchauungen dieſes Volkes ganz die Stelle des heiligen Petrus: er iſt Wächter eines der beiden Himmelsthore. Die Veneunung des Sternbildes „Stier‟ mag wohl hiermit im Zuſam- menhange ſtehen. Selbſt bei den heitligſten Glaubensgenoſſenſchaften, welche in allem Möglichen etwas Unreines erblicken, gilt das Rind als reines Thier, deſſen Umgang dem Seelenheile des Gläu- bigen nur förderlich ſein kann. Die Sudahneſen hören es gern, wenn man ihnen den Ehrentitel „Ochſe‟ gibt, und vergleichen die Kraft ihrer Söhne ruhmredneriſch mit der des Stieres. Mehr, als irgend ein Thier, hat das Rind zur Verſittlichung des Menſchen beigetragen. Otto von Kotzebue bemerkt ſehr treffend, daß mit dem Erſcheinen Vancouver’s für die Sandwichsinſeln ein neues Zeitalter begonnen habe, weil erſt mit der damals geſchehenen Einführung des Rindes die Geſittung der Jnſelbewohner beginnt.
Ein Blick auf das Leben des Hausrindes in den verſchiedenen Ländern iſt ebenſo lehrreich, als feſſelnd. Wenden wir, gewiſſermaßen, um geſchichtlich zu beginnen, unſere Aufmerkſamkeit zunächſt jenen Herden zu, welche ſich noch in denſelben Verhältniſſen befinden, wie unter der Herrſchaft der alten Erzväter. Jn den Nomaden des Oſtſudahn ſehen wir Herdenzüchter, welche ihre Geſchäfte noch in derſelben Weiſe betreiben, wie ihre Ururväter vor Jahrtauſenden ſie betrieben. Die Vieh- herden, welche ſie beſitzen, ſind ihr einziger Reichthum. Man ſchätzt ſie nach der Zahl der Schafe und der Rinder, wie man den Lappen nach der Meuge ſeiner Renthiere ſchätzt. Jhr ganzes Leben hängt mit der Viehzucht aufs innigſte zuſammen. Nur durch Räuberthaten erwerben ſie ſich noch außerdem Manches, was ſie zu ihrem Leben bedürfen; im allgemeinen aber muß ihr zahmes Vieh ſie ausſchließlich erhalten. Viele Stämme der Araber, welche die nahrungsreicheren Steppen ſüdlich des achtzehnten Grades nördlicher Breite durchwandern, liegen in beſtändigem Kriege mit ein- ander ihrer Herden wegen und ſind aus dem gleichen Grunde ohne Unterlaß auf der Wanderung. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß es in jenen Gegenden nur freie Zucht gibt, daß Niemand daran denkt, für ſeine Hausthiere einen Stall zu erbauen. Blos da, wo der Löwe in großer Zahl auf- tritt, verſucht man nachts die Rinder, Schafe und Ziegen durch einen dicken Hag aus Mimoſen und Dornen zu ſchützen, welcher einen Lagerplatz kreisförmig umgibt. Da, wo man dem Könige der Wildniß keinen Zoll entrichten muß, läßt man die Herde dort übernachten, wo ſie weideſatt ſich lagert.
Auch die größten unſerer Rittergutsbeſitzer und Viehzüchter, die Holländer und Schweizer mit inbegriffen, machen ſich wohl ſchwerlich eine Vorſtellung von der Anzahl der Herden jener Nomaden. Nahe dem Dorfe Melbeß, deſſen ich ſchon einmal Erwähnung gethan habe, tieft ſich die Steppe zu einem weiten Keſſel ein, in deſſen Grunde man Brunnen an Brunnen angelegt hat, einzig und allein zu dem Zwecke, die täglich hier während der Mittagsſtunden zuſammenſtrömenden Herden zu tränken. Jn dieſem Keſſel kann man vom frühen Morgen an bis zum ſpäten Abend und während der ganzen Nacht ein kaum zu beſchreibendes Gewühl von Menſchen und Herdenthieren bemerken. Neben jedem Brunnen hat man 6 bis 8 flache Tränkteiche aufgebaut, große natürliche Tröge, welche mit thoniger Erde eingedämmt ſind. Dieſe Tröge werden alltäglich gefüllt und von den zur Tränke kommenden Herden vollſtändig wieder geleert. Vom Nachmittage an durch die ganze Nacht hindurch
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aber überall dieſelbe. Bei den Brahminen Kaſchmirs iſt nach Hügel’s Erfahrungen die Kuh ſo
heilig, daß Jeder mit dem Tode beſtraft wird, welcher eine tödtet. Görtz nennt die Ochſen ein
allgemeines Uebel der Hinduſtädte. Jrgend Jemand hat einzelnen ſeiner Rinder, um ein verdienſt-
liches Werk zu thun, das Zeichen Schiwa’s aufgebrannt, und dieſe Thiere laufen nun mit Pfaffen
und Bettlern in den Straßen herum, gehen Niemand aus dem Wege, drängen, ſchlagen, ſtoßen und
freſſen, was ihnen vorkommt. Die Bakhara-Araber, ein Volksſtamm, welcher ſich zwiſchen dem
weißen Fluſſe und Kordofahn umhertreibt, haben ihren Namen vom Rinde ſelbſt entlehnt; denn das
Wort „Bakhara‟ bedeutet ungefähr ſoviel, als Rinderer. Und nicht blos auf Erden hat man
das Rind geehrt und geachtet: es iſt ja, wie allbekannt, ſelbſt in den Himmel verſetzt worden. Nach
den altindiſchen Sagen iſt die Kuh das erſtgeſchaffene aller Weſen, und der Ochſe „Nanda‟ vertritt
nach den Anſchauungen dieſes Volkes ganz die Stelle des heiligen Petrus: er iſt Wächter eines der
beiden Himmelsthore. Die Veneunung des Sternbildes „Stier‟ mag wohl hiermit im Zuſam-
menhange ſtehen. Selbſt bei den heitligſten Glaubensgenoſſenſchaften, welche in allem Möglichen
etwas Unreines erblicken, gilt das Rind als reines Thier, deſſen Umgang dem Seelenheile des Gläu-
bigen nur förderlich ſein kann. Die Sudahneſen hören es gern, wenn man ihnen den Ehrentitel
„Ochſe‟ gibt, und vergleichen die Kraft ihrer Söhne ruhmredneriſch mit der des Stieres. Mehr, als
irgend ein Thier, hat das Rind zur Verſittlichung des Menſchen beigetragen. Otto von Kotzebue
bemerkt ſehr treffend, daß mit dem Erſcheinen Vancouver’s für die Sandwichsinſeln ein neues
Zeitalter begonnen habe, weil erſt mit der damals geſchehenen Einführung des Rindes die Geſittung
der Jnſelbewohner beginnt.
Ein Blick auf das Leben des Hausrindes in den verſchiedenen Ländern iſt ebenſo lehrreich, als
feſſelnd. Wenden wir, gewiſſermaßen, um geſchichtlich zu beginnen, unſere Aufmerkſamkeit zunächſt
jenen Herden zu, welche ſich noch in denſelben Verhältniſſen befinden, wie unter der Herrſchaft der
alten Erzväter. Jn den Nomaden des Oſtſudahn ſehen wir Herdenzüchter, welche ihre Geſchäfte
noch in derſelben Weiſe betreiben, wie ihre Ururväter vor Jahrtauſenden ſie betrieben. Die Vieh-
herden, welche ſie beſitzen, ſind ihr einziger Reichthum. Man ſchätzt ſie nach der Zahl der Schafe
und der Rinder, wie man den Lappen nach der Meuge ſeiner Renthiere ſchätzt. Jhr ganzes
Leben hängt mit der Viehzucht aufs innigſte zuſammen. Nur durch Räuberthaten erwerben ſie
ſich noch außerdem Manches, was ſie zu ihrem Leben bedürfen; im allgemeinen aber muß ihr zahmes
Vieh ſie ausſchließlich erhalten. Viele Stämme der Araber, welche die nahrungsreicheren Steppen
ſüdlich des achtzehnten Grades nördlicher Breite durchwandern, liegen in beſtändigem Kriege mit ein-
ander ihrer Herden wegen und ſind aus dem gleichen Grunde ohne Unterlaß auf der Wanderung.
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß es in jenen Gegenden nur freie Zucht gibt, daß Niemand daran
denkt, für ſeine Hausthiere einen Stall zu erbauen. Blos da, wo der Löwe in großer Zahl auf-
tritt, verſucht man nachts die Rinder, Schafe und Ziegen durch einen dicken Hag aus Mimoſen und
Dornen zu ſchützen, welcher einen Lagerplatz kreisförmig umgibt. Da, wo man dem Könige der
Wildniß keinen Zoll entrichten muß, läßt man die Herde dort übernachten, wo ſie weideſatt
ſich lagert.
Auch die größten unſerer Rittergutsbeſitzer und Viehzüchter, die Holländer und Schweizer mit
inbegriffen, machen ſich wohl ſchwerlich eine Vorſtellung von der Anzahl der Herden jener Nomaden.
Nahe dem Dorfe Melbeß, deſſen ich ſchon einmal Erwähnung gethan habe, tieft ſich die Steppe
zu einem weiten Keſſel ein, in deſſen Grunde man Brunnen an Brunnen angelegt hat, einzig und
allein zu dem Zwecke, die täglich hier während der Mittagsſtunden zuſammenſtrömenden Herden zu
tränken. Jn dieſem Keſſel kann man vom frühen Morgen an bis zum ſpäten Abend und während
der ganzen Nacht ein kaum zu beſchreibendes Gewühl von Menſchen und Herdenthieren bemerken.
Neben jedem Brunnen hat man 6 bis 8 flache Tränkteiche aufgebaut, große natürliche Tröge, welche
mit thoniger Erde eingedämmt ſind. Dieſe Tröge werden alltäglich gefüllt und von den zur Tränke
kommenden Herden vollſtändig wieder geleert. Vom Nachmittage an durch die ganze Nacht hindurch
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/705>, abgerufen am 17.07.2024.
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