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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhasen.

Höchst eigenthümlich ist die Fortpflanzung und Entwickelung aller Springbeutelthiere. Die
Zeit der Brunst scheint an keinen bestimmten Jahresabschnitt gebunden zu sein; Dies gilt wenigstens
für Gefangene. Das verliebte Männchen macht dem Weibchen in der sonderbarsten Weise den Hof.
Es umgeht oder umhüpft den Gegenstand seiner Liebe mit verschiedenen Sprüngen, schüttelt dabei
wiederholt mit dem Kopfe, läßt ein sonderbares heiseres Meckern vernehmen, welches man am besten
mit unterdrücktem Husten vergleichen könnte, und folgt dann der sehr gleichgiltig sich geberdenden
Schönen auf Schritt und Tritt, beriecht sie von allen Seiten und beginnt dann, den Schwanz, dieses
wichtige Werkzeug eines Känguru, zu krabblen und zu streichen. Eine große Theilnahme schenkt es
auch der Tasche des Weibchens; es befühlt oder beriecht sie wenigstens, so oft es Solches thun kann.
Wenn Dies eine geraume Zeit gewährt hat, pflegt sich das Weibchen spröde umzudrehen und vor dem
zudringlichen Männchen aufzurichten. Das hüpft augenblicklich herbei und erwartet, scheinbar ge-
lassen, eine verdiente Züchtigung, benutzt aber den günstigen Augenblick, um das Weibchen zu um-
armen. Letzteres nimmt diese Gelegenheit wahr, um dem Zudringlichen mit den Hinterbeinen
einen Schlag zu versetzen, findet aber, nachdem es wiederholt umarmt worden ist, daß es wohl auch
nichts Besseres thun könne, und so stehen denn die beiden Thiere innig umschlungen neben einander,
schütteln und wackeln mit dem Kopfe, beschnoppern sich und wiegen sich, auf den Schwanz gestützt,
behaglich hin und her. Sobald die Umarmung beendet ist, beginnt die alte Geschichte von neuem,
und eine zweite Umarmung endet sie wieder. Das ganze Liebesspiel sieht im höchsten Grade komisch
aus und erregt, wie billig, die Lachlust eines jeden Beschauers.

Etwas anders gestaltet sich die Sache, wenn mehrere verliebte Männchen um ein Weibchen
werben. Dann kommt es selbstverständlich zu Kampf und Streit. Die zarten Liebesbeweise, welche
dem Schwanz gespendet werden, bleiben weg. Beide Gegner umhüpfen sich drohend und suchen, sich
sobald als möglich zu umarmen. Jst Dies ihnen geglückt, so stemmen sie sich beide zugleich auf den
Schwanz und schlagen mit den hierdurch freigewordenen Hinterbeinen in gefährlicher Weise auf ein-
ander los, versuchen, sich gegenseitig mit den scharfen Nägeln den Bauch aufzuritzen, und prügeln sich
dabei mit den Vorderhänden soviel als möglich ab. Einige Beobachter haben angegeben, daß sie
hauptsächlich mit dem starken Schwanze kämpften: ich habe Dies zwar niemals gesehen, halte es
aber für möglich, weil einer der Wärter unseres Thiergartens von einem Bennett'schen Känguru
wiederholt mit dem Schwanze geschlagen wurde.

Besonders unverträglich scheinen die kleineren Arten zu sein. Sie liegen sich beständig in den
Haaren und kratzen sich gegenseitig halb oder ganz kahl.

Ueber die Begattung selbst weiß ich noch nichts Sicheres: doch glaube ich nach meinen Beob-
achtungen annehmen zu können, daß sie in sitzender Stellung geschieht. Als auffallend muß ich her-
vorheben, daß verschiedene Arten beiderlei Geschlechts sich genau in derselben Weise betragen, wie
rechtmäßige d. h. gleichartige Gatten. Die Brunst scheint sehr heftig zu sein.

Die Vermehrung aller Springbeutelthiere ist schwach. Die großen Arten werfen selten mehr
als ein Junges. Trotz der bedeutenden Größe einiger Kängurus tragen die Weibchen erstaunlich
kurze Zeit, die weiblichen Riesenkänguru z. B. nur 39 Tage. Nach Ablauf dieser Zeit wird das
Junge im eigentlichen Sinne des Wortes geboren. Die Mutter nimmt es mit dem Munde ab,
öffnet mit beiden Händen den Beutel und setzt das kleine, unscheinbare Wesen an einer der Zitzen fest.
Zwölf Stunden nach der Geburt hat das junge Riesenkänguru eine Länge von 14 Linien. Es kann
nur mit den Keimen anderer Thiere verglichen werden; denn es ist vollkommen unreif, durchscheinend,
weich, wurmartig; seine Augen sind geschlossen, die Ohren und Nasenlöcher erst angedeutet, die
Gliedmaßen noch nicht ausgebildet. Zwischen ihm und der Mutter scheint nicht die geringste Aehnlich-
keit zu bestehen. Gerade die Vorderglieder sind um ein Drittheil länger, als die hinteren. Jn stark
gekrümmter Lage, den kurzen Schwanz zwischen den Hinterbeinen nach aufwärts gebogen, hängt
es an der Zitze, ohne wahrnehmbare Bewegung, unfähig, selbst zu saugen. Sobald es an die
Zitze angeheftet worden ist, schwillt diese so bedeutend an, daß die großen Lippen sie genau um-

Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.

Höchſt eigenthümlich iſt die Fortpflanzung und Entwickelung aller Springbeutelthiere. Die
Zeit der Brunſt ſcheint an keinen beſtimmten Jahresabſchnitt gebunden zu ſein; Dies gilt wenigſtens
für Gefangene. Das verliebte Männchen macht dem Weibchen in der ſonderbarſten Weiſe den Hof.
Es umgeht oder umhüpft den Gegenſtand ſeiner Liebe mit verſchiedenen Sprüngen, ſchüttelt dabei
wiederholt mit dem Kopfe, läßt ein ſonderbares heiſeres Meckern vernehmen, welches man am beſten
mit unterdrücktem Huſten vergleichen könnte, und folgt dann der ſehr gleichgiltig ſich geberdenden
Schönen auf Schritt und Tritt, beriecht ſie von allen Seiten und beginnt dann, den Schwanz, dieſes
wichtige Werkzeug eines Känguru, zu krabblen und zu ſtreichen. Eine große Theilnahme ſchenkt es
auch der Taſche des Weibchens; es befühlt oder beriecht ſie wenigſtens, ſo oft es Solches thun kann.
Wenn Dies eine geraume Zeit gewährt hat, pflegt ſich das Weibchen ſpröde umzudrehen und vor dem
zudringlichen Männchen aufzurichten. Das hüpft augenblicklich herbei und erwartet, ſcheinbar ge-
laſſen, eine verdiente Züchtigung, benutzt aber den günſtigen Augenblick, um das Weibchen zu um-
armen. Letzteres nimmt dieſe Gelegenheit wahr, um dem Zudringlichen mit den Hinterbeinen
einen Schlag zu verſetzen, findet aber, nachdem es wiederholt umarmt worden iſt, daß es wohl auch
nichts Beſſeres thun könne, und ſo ſtehen denn die beiden Thiere innig umſchlungen neben einander,
ſchütteln und wackeln mit dem Kopfe, beſchnoppern ſich und wiegen ſich, auf den Schwanz geſtützt,
behaglich hin und her. Sobald die Umarmung beendet iſt, beginnt die alte Geſchichte von neuem,
und eine zweite Umarmung endet ſie wieder. Das ganze Liebesſpiel ſieht im höchſten Grade komiſch
aus und erregt, wie billig, die Lachluſt eines jeden Beſchauers.

Etwas anders geſtaltet ſich die Sache, wenn mehrere verliebte Männchen um ein Weibchen
werben. Dann kommt es ſelbſtverſtändlich zu Kampf und Streit. Die zarten Liebesbeweiſe, welche
dem Schwanz geſpendet werden, bleiben weg. Beide Gegner umhüpfen ſich drohend und ſuchen, ſich
ſobald als möglich zu umarmen. Jſt Dies ihnen geglückt, ſo ſtemmen ſie ſich beide zugleich auf den
Schwanz und ſchlagen mit den hierdurch freigewordenen Hinterbeinen in gefährlicher Weiſe auf ein-
ander los, verſuchen, ſich gegenſeitig mit den ſcharfen Nägeln den Bauch aufzuritzen, und prügeln ſich
dabei mit den Vorderhänden ſoviel als möglich ab. Einige Beobachter haben angegeben, daß ſie
hauptſächlich mit dem ſtarken Schwanze kämpften: ich habe Dies zwar niemals geſehen, halte es
aber für möglich, weil einer der Wärter unſeres Thiergartens von einem Bennett’ſchen Känguru
wiederholt mit dem Schwanze geſchlagen wurde.

Beſonders unverträglich ſcheinen die kleineren Arten zu ſein. Sie liegen ſich beſtändig in den
Haaren und kratzen ſich gegenſeitig halb oder ganz kahl.

Ueber die Begattung ſelbſt weiß ich noch nichts Sicheres: doch glaube ich nach meinen Beob-
achtungen annehmen zu können, daß ſie in ſitzender Stellung geſchieht. Als auffallend muß ich her-
vorheben, daß verſchiedene Arten beiderlei Geſchlechts ſich genau in derſelben Weiſe betragen, wie
rechtmäßige d. h. gleichartige Gatten. Die Brunſt ſcheint ſehr heftig zu ſein.

Die Vermehrung aller Springbeutelthiere iſt ſchwach. Die großen Arten werfen ſelten mehr
als ein Junges. Trotz der bedeutenden Größe einiger Kängurus tragen die Weibchen erſtaunlich
kurze Zeit, die weiblichen Rieſenkänguru z. B. nur 39 Tage. Nach Ablauf dieſer Zeit wird das
Junge im eigentlichen Sinne des Wortes geboren. Die Mutter nimmt es mit dem Munde ab,
öffnet mit beiden Händen den Beutel und ſetzt das kleine, unſcheinbare Weſen an einer der Zitzen feſt.
Zwölf Stunden nach der Geburt hat das junge Rieſenkänguru eine Länge von 14 Linien. Es kann
nur mit den Keimen anderer Thiere verglichen werden; denn es iſt vollkommen unreif, durchſcheinend,
weich, wurmartig; ſeine Augen ſind geſchloſſen, die Ohren und Naſenlöcher erſt angedeutet, die
Gliedmaßen noch nicht ausgebildet. Zwiſchen ihm und der Mutter ſcheint nicht die geringſte Aehnlich-
keit zu beſtehen. Gerade die Vorderglieder ſind um ein Drittheil länger, als die hinteren. Jn ſtark
gekrümmter Lage, den kurzen Schwanz zwiſchen den Hinterbeinen nach aufwärts gebogen, hängt
es an der Zitze, ohne wahrnehmbare Bewegung, unfähig, ſelbſt zu ſaugen. Sobald es an die
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[45/0057] Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen. Höchſt eigenthümlich iſt die Fortpflanzung und Entwickelung aller Springbeutelthiere. Die Zeit der Brunſt ſcheint an keinen beſtimmten Jahresabſchnitt gebunden zu ſein; Dies gilt wenigſtens für Gefangene. Das verliebte Männchen macht dem Weibchen in der ſonderbarſten Weiſe den Hof. Es umgeht oder umhüpft den Gegenſtand ſeiner Liebe mit verſchiedenen Sprüngen, ſchüttelt dabei wiederholt mit dem Kopfe, läßt ein ſonderbares heiſeres Meckern vernehmen, welches man am beſten mit unterdrücktem Huſten vergleichen könnte, und folgt dann der ſehr gleichgiltig ſich geberdenden Schönen auf Schritt und Tritt, beriecht ſie von allen Seiten und beginnt dann, den Schwanz, dieſes wichtige Werkzeug eines Känguru, zu krabblen und zu ſtreichen. Eine große Theilnahme ſchenkt es auch der Taſche des Weibchens; es befühlt oder beriecht ſie wenigſtens, ſo oft es Solches thun kann. Wenn Dies eine geraume Zeit gewährt hat, pflegt ſich das Weibchen ſpröde umzudrehen und vor dem zudringlichen Männchen aufzurichten. Das hüpft augenblicklich herbei und erwartet, ſcheinbar ge- laſſen, eine verdiente Züchtigung, benutzt aber den günſtigen Augenblick, um das Weibchen zu um- armen. Letzteres nimmt dieſe Gelegenheit wahr, um dem Zudringlichen mit den Hinterbeinen einen Schlag zu verſetzen, findet aber, nachdem es wiederholt umarmt worden iſt, daß es wohl auch nichts Beſſeres thun könne, und ſo ſtehen denn die beiden Thiere innig umſchlungen neben einander, ſchütteln und wackeln mit dem Kopfe, beſchnoppern ſich und wiegen ſich, auf den Schwanz geſtützt, behaglich hin und her. Sobald die Umarmung beendet iſt, beginnt die alte Geſchichte von neuem, und eine zweite Umarmung endet ſie wieder. Das ganze Liebesſpiel ſieht im höchſten Grade komiſch aus und erregt, wie billig, die Lachluſt eines jeden Beſchauers. Etwas anders geſtaltet ſich die Sache, wenn mehrere verliebte Männchen um ein Weibchen werben. Dann kommt es ſelbſtverſtändlich zu Kampf und Streit. Die zarten Liebesbeweiſe, welche dem Schwanz geſpendet werden, bleiben weg. Beide Gegner umhüpfen ſich drohend und ſuchen, ſich ſobald als möglich zu umarmen. Jſt Dies ihnen geglückt, ſo ſtemmen ſie ſich beide zugleich auf den Schwanz und ſchlagen mit den hierdurch freigewordenen Hinterbeinen in gefährlicher Weiſe auf ein- ander los, verſuchen, ſich gegenſeitig mit den ſcharfen Nägeln den Bauch aufzuritzen, und prügeln ſich dabei mit den Vorderhänden ſoviel als möglich ab. Einige Beobachter haben angegeben, daß ſie hauptſächlich mit dem ſtarken Schwanze kämpften: ich habe Dies zwar niemals geſehen, halte es aber für möglich, weil einer der Wärter unſeres Thiergartens von einem Bennett’ſchen Känguru wiederholt mit dem Schwanze geſchlagen wurde. Beſonders unverträglich ſcheinen die kleineren Arten zu ſein. Sie liegen ſich beſtändig in den Haaren und kratzen ſich gegenſeitig halb oder ganz kahl. Ueber die Begattung ſelbſt weiß ich noch nichts Sicheres: doch glaube ich nach meinen Beob- achtungen annehmen zu können, daß ſie in ſitzender Stellung geſchieht. Als auffallend muß ich her- vorheben, daß verſchiedene Arten beiderlei Geſchlechts ſich genau in derſelben Weiſe betragen, wie rechtmäßige d. h. gleichartige Gatten. Die Brunſt ſcheint ſehr heftig zu ſein. Die Vermehrung aller Springbeutelthiere iſt ſchwach. Die großen Arten werfen ſelten mehr als ein Junges. Trotz der bedeutenden Größe einiger Kängurus tragen die Weibchen erſtaunlich kurze Zeit, die weiblichen Rieſenkänguru z. B. nur 39 Tage. Nach Ablauf dieſer Zeit wird das Junge im eigentlichen Sinne des Wortes geboren. Die Mutter nimmt es mit dem Munde ab, öffnet mit beiden Händen den Beutel und ſetzt das kleine, unſcheinbare Weſen an einer der Zitzen feſt. Zwölf Stunden nach der Geburt hat das junge Rieſenkänguru eine Länge von 14 Linien. Es kann nur mit den Keimen anderer Thiere verglichen werden; denn es iſt vollkommen unreif, durchſcheinend, weich, wurmartig; ſeine Augen ſind geſchloſſen, die Ohren und Naſenlöcher erſt angedeutet, die Gliedmaßen noch nicht ausgebildet. Zwiſchen ihm und der Mutter ſcheint nicht die geringſte Aehnlich- keit zu beſtehen. Gerade die Vorderglieder ſind um ein Drittheil länger, als die hinteren. Jn ſtark gekrümmter Lage, den kurzen Schwanz zwiſchen den Hinterbeinen nach aufwärts gebogen, hängt es an der Zitze, ohne wahrnehmbare Bewegung, unfähig, ſelbſt zu ſaugen. Sobald es an die Zitze angeheftet worden iſt, ſchwillt dieſe ſo bedeutend an, daß die großen Lippen ſie genau um-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/57>, abgerufen am 24.11.2024.