wenigstens weisen alle Forscher vor ihm dem Klippspringer nur das Kapland zur Heimat an, und einige thun Dies heutigen Tages noch.
Der Klippspringer oder der Sassa findet sich auf nicht allzu niederen Gebirgen, in den Bogos- ländern etwa auf solchen zwischen 2 und 8000 Fuß Höhe. Am Kap soll er den Quadersandstein allen übrigen Felsarten vorziehen; in Habesch belebt er wohl jede Gesteinsart ohne Unterschied. Die Berge sind hier weit reicher und lebendiger, als im Süden des Erdtheils. Eine dichte Pflanzendecke überzieht ihre Gehänge, und namentlich die Euphorbien bilden oft auf große Strecken hin einen bunten Teppich an den Wänden, in welchen die Kronen der Mimosen und anderer höheren Bäume wie eingestickte grüne Punkte erscheinen. Hier haust unser Sassa, aber allerdings mehr in der baum- armen Höhe, als in der Niederung, obwohl er auch ziemlich tief in den Thälern gefunden werden kann.
Er lebt paarweise wie die Schopfantilope; dennoch sieht man von ihm häufig kleine Trupps aus drei und selbst aus vier Stücken bestehend, entweder eine Familie mit einem Jungen oder zwei Pär- chen, welche sich zusammengefunden haben und eine Zeitlang mit einander dahinziehen. Bei gutem Wetter sucht jeder Trupp soviel als möglich die Höhe auf, bei anhaltendem Regen steigt er tiefer in das Thal hinab. Jn den Morgen- und Abendstunden erklettern die Paare große Felsblöcke, am lieb- sten selbst oben auf der Höhe des Gebirgs, und stellen sich hier mit ziemlich eng zusammengestellten Hufen wie Schildwachen auf, manchmal stundenlang ohne Bewegung verharrend. Solange das Gras thaunaß ist, treiben sie sich stets auf den Blöcken und Steinen umher; in der Mittagsglut aber suchen sie unter den Bäumen oder auch unter großen Felsplatten Schutz, am liebsten gelagert auf einen beschatteten Block, welcher nach unten hin freie Aussicht gewährt. Von Zeit zu Zeit er- scheint wenigstens einer der Gatten auf der nächsten Höhe, um von dort aus Umschau zu halten.
Jedes Paar hält an dem einmal gewählten Gebiete mit großer Zähigkeit fest. Pater Filippini in Mensa konnte mir mit vollster Bestimmtheit sagen, auf welchem Berge ein paar Sassas ständen: er wußte die Aufenthaltsorte der Thiere bis auf wenige Minuten hin sicher zu bestimmen.
Das Geäße des Klippspringers besteht aus Mimosen und anderen Baumblättern, Gräsern und saftigen Alpenpflanzen und wird in den Vormittags- und späteren Nachmittagsstunden eingenommen. Um diese Zeit versteckt sich der Saffa förmlich zwischen den Euphorbiensträuchern oder dem hohen Gras um die Felsblöcke herum, und der Jäger bemüht sich vergeblich, eines der ohnehin schwer wahrnehmbaren Thiere zu entdecken, während er in den Früh- oder Abendstunden dieses Wild wegen der Eigenthümlichkeit der Stellung, welche es auf den höchsten Steinen annimmt, und Dank der reinen Luft jener Höhen, über eine halbe Meile weit sehen und unterscheiden kann.
Man darf nicht behaupten, daß der Sassa besonders scheu sei; jedoch ist Dies wahrscheinlich blos deshalb der Fall, weil die Abissinier wenig Jagd auf ihn machen. Mehrmals habe ich ihn von nie- deren Bergrücken ruhig und unbesorgt auf uns unten im Thale herabäugen sehen, obgleich wir in ganz gerechter Schußnähe dahinzogen. Er stand gewöhnlich starr wie eine Bildsäule, auf einer vor- springenden Felsplatte, die Lichter fest auf uns gerichtet, das große Gehör seitlich vom Kopfe abge- halten, ohne durch eine andere Bewegung, als durch Drehen und Wenden der Ohren, Leben zu ver- rathen. Augenscheinlich hatte er die Tücke des Menschen hier noch nicht in ihrem vollen Umfange erfahren; denn überall, wo er schon Verfolgungen erlitten hat, spottet er der List des Jägers und entflieht schon auf ein Paar hundert Ellen Entfernung vor ihm. Der Knall eines Schusses bringt bei dem Klippspringer eine merkwürdige Wirkung hervor. Wenn der Jäger fehlte, sieht er ihn blos noch eine Viertelminute lang; später ist er verschwunden. Mit Bogelschnelle springt das behende Geschöpf von einem Absatz zum anderen, an den steilsten Felswänden und neben den grausigen Ab- gründen dahin, mit derselben Leichtigkeit, wenn es aufwärts, als wenn es abwärts klettert. Die geringste Unebenheit ist ihm genug, festen Fuß zu fassen; seine Bewegungen sind unter allen Umstän- den ebenso sicher, als schnell. Am meisten bewundert man die Kraft der Läufe, wenn der Sassa bergaufwärts flüchtet. Jede seiner Muskeln arbeitet. Der Leib erscheint noch einmal so kräftig als
Die Antilopen. — Der Klippſpringer.
wenigſtens weiſen alle Forſcher vor ihm dem Klippſpringer nur das Kapland zur Heimat an, und einige thun Dies heutigen Tages noch.
Der Klippſpringer oder der Saſſa findet ſich auf nicht allzu niederen Gebirgen, in den Bogos- ländern etwa auf ſolchen zwiſchen 2 und 8000 Fuß Höhe. Am Kap ſoll er den Quaderſandſtein allen übrigen Felsarten vorziehen; in Habeſch belebt er wohl jede Geſteinsart ohne Unterſchied. Die Berge ſind hier weit reicher und lebendiger, als im Süden des Erdtheils. Eine dichte Pflanzendecke überzieht ihre Gehänge, und namentlich die Euphorbien bilden oft auf große Strecken hin einen bunten Teppich an den Wänden, in welchen die Kronen der Mimoſen und anderer höheren Bäume wie eingeſtickte grüne Punkte erſcheinen. Hier hauſt unſer Saſſa, aber allerdings mehr in der baum- armen Höhe, als in der Niederung, obwohl er auch ziemlich tief in den Thälern gefunden werden kann.
Er lebt paarweiſe wie die Schopfantilope; dennoch ſieht man von ihm häufig kleine Trupps aus drei und ſelbſt aus vier Stücken beſtehend, entweder eine Familie mit einem Jungen oder zwei Pär- chen, welche ſich zuſammengefunden haben und eine Zeitlang mit einander dahinziehen. Bei gutem Wetter ſucht jeder Trupp ſoviel als möglich die Höhe auf, bei anhaltendem Regen ſteigt er tiefer in das Thal hinab. Jn den Morgen- und Abendſtunden erklettern die Paare große Felsblöcke, am lieb- ſten ſelbſt oben auf der Höhe des Gebirgs, und ſtellen ſich hier mit ziemlich eng zuſammengeſtellten Hufen wie Schildwachen auf, manchmal ſtundenlang ohne Bewegung verharrend. Solange das Gras thaunaß iſt, treiben ſie ſich ſtets auf den Blöcken und Steinen umher; in der Mittagsglut aber ſuchen ſie unter den Bäumen oder auch unter großen Felsplatten Schutz, am liebſten gelagert auf einen beſchatteten Block, welcher nach unten hin freie Ausſicht gewährt. Von Zeit zu Zeit er- ſcheint wenigſtens einer der Gatten auf der nächſten Höhe, um von dort aus Umſchau zu halten.
Jedes Paar hält an dem einmal gewählten Gebiete mit großer Zähigkeit feſt. Pater Filippini in Menſa konnte mir mit vollſter Beſtimmtheit ſagen, auf welchem Berge ein paar Saſſas ſtänden: er wußte die Aufenthaltsorte der Thiere bis auf wenige Minuten hin ſicher zu beſtimmen.
Das Geäße des Klippſpringers beſteht aus Mimoſen und anderen Baumblättern, Gräſern und ſaftigen Alpenpflanzen und wird in den Vormittags- und ſpäteren Nachmittagsſtunden eingenommen. Um dieſe Zeit verſteckt ſich der Saffa förmlich zwiſchen den Euphorbienſträuchern oder dem hohen Gras um die Felsblöcke herum, und der Jäger bemüht ſich vergeblich, eines der ohnehin ſchwer wahrnehmbaren Thiere zu entdecken, während er in den Früh- oder Abendſtunden dieſes Wild wegen der Eigenthümlichkeit der Stellung, welche es auf den höchſten Steinen annimmt, und Dank der reinen Luft jener Höhen, über eine halbe Meile weit ſehen und unterſcheiden kann.
Man darf nicht behaupten, daß der Saſſa beſonders ſcheu ſei; jedoch iſt Dies wahrſcheinlich blos deshalb der Fall, weil die Abiſſinier wenig Jagd auf ihn machen. Mehrmals habe ich ihn von nie- deren Bergrücken ruhig und unbeſorgt auf uns unten im Thale herabäugen ſehen, obgleich wir in ganz gerechter Schußnähe dahinzogen. Er ſtand gewöhnlich ſtarr wie eine Bildſäule, auf einer vor- ſpringenden Felsplatte, die Lichter feſt auf uns gerichtet, das große Gehör ſeitlich vom Kopfe abge- halten, ohne durch eine andere Bewegung, als durch Drehen und Wenden der Ohren, Leben zu ver- rathen. Augenſcheinlich hatte er die Tücke des Menſchen hier noch nicht in ihrem vollen Umfange erfahren; denn überall, wo er ſchon Verfolgungen erlitten hat, ſpottet er der Liſt des Jägers und entflieht ſchon auf ein Paar hundert Ellen Entfernung vor ihm. Der Knall eines Schuſſes bringt bei dem Klippſpringer eine merkwürdige Wirkung hervor. Wenn der Jäger fehlte, ſieht er ihn blos noch eine Viertelminute lang; ſpäter iſt er verſchwunden. Mit Bogelſchnelle ſpringt das behende Geſchöpf von einem Abſatz zum anderen, an den ſteilſten Felswänden und neben den grauſigen Ab- gründen dahin, mit derſelben Leichtigkeit, wenn es aufwärts, als wenn es abwärts klettert. Die geringſte Unebenheit iſt ihm genug, feſten Fuß zu faſſen; ſeine Bewegungen ſind unter allen Umſtän- den ebenſo ſicher, als ſchnell. Am meiſten bewundert man die Kraft der Läufe, wenn der Saſſa bergaufwärts flüchtet. Jede ſeiner Muskeln arbeitet. Der Leib erſcheint noch einmal ſo kräftig als
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[524/0554]
Die Antilopen. — Der Klippſpringer.
wenigſtens weiſen alle Forſcher vor ihm dem Klippſpringer nur das Kapland zur Heimat an, und
einige thun Dies heutigen Tages noch.
Der Klippſpringer oder der Saſſa findet ſich auf nicht allzu niederen Gebirgen, in den Bogos-
ländern etwa auf ſolchen zwiſchen 2 und 8000 Fuß Höhe. Am Kap ſoll er den Quaderſandſtein
allen übrigen Felsarten vorziehen; in Habeſch belebt er wohl jede Geſteinsart ohne Unterſchied. Die
Berge ſind hier weit reicher und lebendiger, als im Süden des Erdtheils. Eine dichte Pflanzendecke
überzieht ihre Gehänge, und namentlich die Euphorbien bilden oft auf große Strecken hin einen
bunten Teppich an den Wänden, in welchen die Kronen der Mimoſen und anderer höheren Bäume
wie eingeſtickte grüne Punkte erſcheinen. Hier hauſt unſer Saſſa, aber allerdings mehr in der baum-
armen Höhe, als in der Niederung, obwohl er auch ziemlich tief in den Thälern gefunden
werden kann.
Er lebt paarweiſe wie die Schopfantilope; dennoch ſieht man von ihm häufig kleine Trupps aus
drei und ſelbſt aus vier Stücken beſtehend, entweder eine Familie mit einem Jungen oder zwei Pär-
chen, welche ſich zuſammengefunden haben und eine Zeitlang mit einander dahinziehen. Bei gutem
Wetter ſucht jeder Trupp ſoviel als möglich die Höhe auf, bei anhaltendem Regen ſteigt er tiefer in
das Thal hinab. Jn den Morgen- und Abendſtunden erklettern die Paare große Felsblöcke, am lieb-
ſten ſelbſt oben auf der Höhe des Gebirgs, und ſtellen ſich hier mit ziemlich eng zuſammengeſtellten
Hufen wie Schildwachen auf, manchmal ſtundenlang ohne Bewegung verharrend. Solange das
Gras thaunaß iſt, treiben ſie ſich ſtets auf den Blöcken und Steinen umher; in der Mittagsglut
aber ſuchen ſie unter den Bäumen oder auch unter großen Felsplatten Schutz, am liebſten gelagert
auf einen beſchatteten Block, welcher nach unten hin freie Ausſicht gewährt. Von Zeit zu Zeit er-
ſcheint wenigſtens einer der Gatten auf der nächſten Höhe, um von dort aus Umſchau zu halten.
Jedes Paar hält an dem einmal gewählten Gebiete mit großer Zähigkeit feſt. Pater Filippini
in Menſa konnte mir mit vollſter Beſtimmtheit ſagen, auf welchem Berge ein paar Saſſas ſtänden:
er wußte die Aufenthaltsorte der Thiere bis auf wenige Minuten hin ſicher zu beſtimmen.
Das Geäße des Klippſpringers beſteht aus Mimoſen und anderen Baumblättern, Gräſern und
ſaftigen Alpenpflanzen und wird in den Vormittags- und ſpäteren Nachmittagsſtunden eingenommen.
Um dieſe Zeit verſteckt ſich der Saffa förmlich zwiſchen den Euphorbienſträuchern oder dem hohen
Gras um die Felsblöcke herum, und der Jäger bemüht ſich vergeblich, eines der ohnehin ſchwer
wahrnehmbaren Thiere zu entdecken, während er in den Früh- oder Abendſtunden dieſes Wild wegen
der Eigenthümlichkeit der Stellung, welche es auf den höchſten Steinen annimmt, und Dank der
reinen Luft jener Höhen, über eine halbe Meile weit ſehen und unterſcheiden kann.
Man darf nicht behaupten, daß der Saſſa beſonders ſcheu ſei; jedoch iſt Dies wahrſcheinlich blos
deshalb der Fall, weil die Abiſſinier wenig Jagd auf ihn machen. Mehrmals habe ich ihn von nie-
deren Bergrücken ruhig und unbeſorgt auf uns unten im Thale herabäugen ſehen, obgleich wir in
ganz gerechter Schußnähe dahinzogen. Er ſtand gewöhnlich ſtarr wie eine Bildſäule, auf einer vor-
ſpringenden Felsplatte, die Lichter feſt auf uns gerichtet, das große Gehör ſeitlich vom Kopfe abge-
halten, ohne durch eine andere Bewegung, als durch Drehen und Wenden der Ohren, Leben zu ver-
rathen. Augenſcheinlich hatte er die Tücke des Menſchen hier noch nicht in ihrem vollen Umfange
erfahren; denn überall, wo er ſchon Verfolgungen erlitten hat, ſpottet er der Liſt des Jägers und
entflieht ſchon auf ein Paar hundert Ellen Entfernung vor ihm. Der Knall eines Schuſſes bringt
bei dem Klippſpringer eine merkwürdige Wirkung hervor. Wenn der Jäger fehlte, ſieht er ihn blos
noch eine Viertelminute lang; ſpäter iſt er verſchwunden. Mit Bogelſchnelle ſpringt das behende
Geſchöpf von einem Abſatz zum anderen, an den ſteilſten Felswänden und neben den grauſigen Ab-
gründen dahin, mit derſelben Leichtigkeit, wenn es aufwärts, als wenn es abwärts klettert. Die
geringſte Unebenheit iſt ihm genug, feſten Fuß zu faſſen; ſeine Bewegungen ſind unter allen Umſtän-
den ebenſo ſicher, als ſchnell. Am meiſten bewundert man die Kraft der Läufe, wenn der Saſſa
bergaufwärts flüchtet. Jede ſeiner Muskeln arbeitet. Der Leib erſcheint noch einmal ſo kräftig als
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/554>, abgerufen am 23.11.2024.
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