Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite
Die eigentliche Hirschziegenantilope.

Eine Sippe, welche uns näher angeht, als die meisten anderen, ist die der Hirschziegen-
antilopen
(Cervicapra). Man versteht darunter schlank gebaute Thiere mit runden, nach auf-
und rückwärts gerichteten, schraubenförmig gedrehten und geringelten, fast geraden Hörnern, welche
aber blos dem Männchen zukommen. Der Schwanz ist kurz und buschig behaart. Das Weibchen
trägt zwei Zitzen. Große, bewegliche Thränengruben und Drüsensäcke zwischen den Zehen und in
den Weichen, sowie Klauendrüsen dienen zur weiteren Kennzeichnung.

Die eigentliche Hirschziegenantilope (Cervicapra bezoartica) spielt in der indischen
Götterlehre eine wichtige Rolle. Sie nimmt in dem Thierkreise der Hindus die Stelle des Stein-
bocks ein und ist nebst vielen anderen Arten der Göttin Tschandra oder dem Monde geheiligt. Jm
Sanskrit heißt sie Ena, die Gefleckte; gegenwärtig trägt sie den Namen Safin oder Safi. Unzählige

[Abbildung] Die eigentliche Hirschziegenantilope (Cervicapra bezoartica).
Gedichte preisen und rühmen ihre Schönheit. Sie hat viel Aehnlichkeit mit unserem Damhirsch, ist
aber etwas kleiner, schlanker und weit zierlicher, als dieser. Jhre Leibeslänge beträgt fast 4 Fuß;
die Länge des Schwanzes 6 Zoll und mit dem Haarbüschel am Ende 9 Zoll, die Höhe am Widerrist
21/2 Fuß. Der Leib ist schwach, gestreckt und untersetzt; der Rücken ziemlich gerade und hinten
etwas höher, als am Widerrist. Der Hals ist schmächtig und seitlich zusammengedrückt, der Kopf
ziemlich rund, hinten hoch, nach vorn zu verschmälert, an der Stirn breit, längs der Nase gerade
und an der Schnauze gerundet. Die Beine sind hoch, schlank und dünn, die hinteren etwas länger,
als die vorderen. Die Augen sind verhältnißmäßig groß und außerordentlich lebhaft. Jhre Thränen-
gruben bilden eine Art von Tasche, welche willkürlich geöffnet und geschlossen werden kann. Die
Ohren sind groß und lang, unten geschlossen, in der Mitte ausgebreitet, gegen das Ende verschmä-
lert und zugespitzt. Das Gehörn wird bis sechzehn Zoll lang, ist nach vorn und rückwärts gerichtet,

Brehm, Thierleben. II. 32
Die eigentliche Hirſchziegenantilope.

Eine Sippe, welche uns näher angeht, als die meiſten anderen, iſt die der Hirſchziegen-
antilopen
(Cervicapra). Man verſteht darunter ſchlank gebaute Thiere mit runden, nach auf-
und rückwärts gerichteten, ſchraubenförmig gedrehten und geringelten, faſt geraden Hörnern, welche
aber blos dem Männchen zukommen. Der Schwanz iſt kurz und buſchig behaart. Das Weibchen
trägt zwei Zitzen. Große, bewegliche Thränengruben und Drüſenſäcke zwiſchen den Zehen und in
den Weichen, ſowie Klauendrüſen dienen zur weiteren Kennzeichnung.

Die eigentliche Hirſchziegenantilope (Cervicapra bezoartica) ſpielt in der indiſchen
Götterlehre eine wichtige Rolle. Sie nimmt in dem Thierkreiſe der Hindus die Stelle des Stein-
bocks ein und iſt nebſt vielen anderen Arten der Göttin Tſchandra oder dem Monde geheiligt. Jm
Sanskrit heißt ſie Ena, die Gefleckte; gegenwärtig trägt ſie den Namen Safin oder Safi. Unzählige

[Abbildung] Die eigentliche Hirſchziegenantilope (Cervicapra bezoartica).
Gedichte preiſen und rühmen ihre Schönheit. Sie hat viel Aehnlichkeit mit unſerem Damhirſch, iſt
aber etwas kleiner, ſchlanker und weit zierlicher, als dieſer. Jhre Leibeslänge beträgt faſt 4 Fuß;
die Länge des Schwanzes 6 Zoll und mit dem Haarbüſchel am Ende 9 Zoll, die Höhe am Widerriſt
2½ Fuß. Der Leib iſt ſchwach, geſtreckt und unterſetzt; der Rücken ziemlich gerade und hinten
etwas höher, als am Widerriſt. Der Hals iſt ſchmächtig und ſeitlich zuſammengedrückt, der Kopf
ziemlich rund, hinten hoch, nach vorn zu verſchmälert, an der Stirn breit, längs der Naſe gerade
und an der Schnauze gerundet. Die Beine ſind hoch, ſchlank und dünn, die hinteren etwas länger,
als die vorderen. Die Augen ſind verhältnißmäßig groß und außerordentlich lebhaft. Jhre Thränen-
gruben bilden eine Art von Taſche, welche willkürlich geöffnet und geſchloſſen werden kann. Die
Ohren ſind groß und lang, unten geſchloſſen, in der Mitte ausgebreitet, gegen das Ende verſchmä-
lert und zugeſpitzt. Das Gehörn wird bis ſechzehn Zoll lang, iſt nach vorn und rückwärts gerichtet,

Brehm, Thierleben. II. 32
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0525" n="497"/>
              <fw place="top" type="header">Die eigentliche Hir&#x017F;chziegenantilope.</fw><lb/>
              <p>Eine Sippe, welche uns näher angeht, als die mei&#x017F;ten anderen, i&#x017F;t die der <hi rendition="#g">Hir&#x017F;chziegen-<lb/>
antilopen</hi> (<hi rendition="#aq">Cervicapra</hi>). Man ver&#x017F;teht darunter &#x017F;chlank gebaute Thiere mit runden, nach auf-<lb/>
und rückwärts gerichteten, &#x017F;chraubenförmig gedrehten und geringelten, fa&#x017F;t geraden Hörnern, welche<lb/>
aber blos dem Männchen zukommen. Der Schwanz i&#x017F;t kurz und bu&#x017F;chig behaart. Das Weibchen<lb/>
trägt zwei Zitzen. Große, bewegliche Thränengruben und Drü&#x017F;en&#x017F;äcke zwi&#x017F;chen den Zehen und in<lb/>
den Weichen, &#x017F;owie Klauendrü&#x017F;en dienen zur weiteren Kennzeichnung.</p><lb/>
              <p>Die <hi rendition="#g">eigentliche Hir&#x017F;chziegenantilope</hi> (<hi rendition="#aq">Cervicapra bezoartica</hi>) &#x017F;pielt in der indi&#x017F;chen<lb/>
Götterlehre eine wichtige Rolle. Sie nimmt in dem Thierkrei&#x017F;e der Hindus die Stelle des Stein-<lb/>
bocks ein und i&#x017F;t neb&#x017F;t vielen anderen Arten der Göttin T&#x017F;chandra oder dem Monde geheiligt. Jm<lb/>
Sanskrit heißt &#x017F;ie Ena, die Gefleckte; gegenwärtig trägt &#x017F;ie den Namen Safin oder Safi. Unzählige<lb/><figure><head><hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Die eigentliche Hir&#x017F;chziegenantilope</hi> (<hi rendition="#aq">Cervicapra bezoartica</hi>).</hi></head></figure><lb/>
Gedichte prei&#x017F;en und rühmen ihre Schönheit. Sie hat viel Aehnlichkeit mit un&#x017F;erem Damhir&#x017F;ch, i&#x017F;t<lb/>
aber etwas kleiner, &#x017F;chlanker und weit zierlicher, als die&#x017F;er. Jhre Leibeslänge beträgt fa&#x017F;t 4 Fuß;<lb/>
die Länge des Schwanzes 6 Zoll und mit dem Haarbü&#x017F;chel am Ende 9 Zoll, die Höhe am Widerri&#x017F;t<lb/>
2½ Fuß. Der Leib i&#x017F;t &#x017F;chwach, ge&#x017F;treckt und unter&#x017F;etzt; der Rücken ziemlich gerade und hinten<lb/>
etwas höher, als am Widerri&#x017F;t. Der Hals i&#x017F;t &#x017F;chmächtig und &#x017F;eitlich zu&#x017F;ammengedrückt, der Kopf<lb/>
ziemlich rund, hinten hoch, nach vorn zu ver&#x017F;chmälert, an der Stirn breit, längs der Na&#x017F;e gerade<lb/>
und an der Schnauze gerundet. Die Beine &#x017F;ind hoch, &#x017F;chlank und dünn, die hinteren etwas länger,<lb/>
als die vorderen. Die Augen &#x017F;ind verhältnißmäßig groß und außerordentlich lebhaft. Jhre Thränen-<lb/>
gruben bilden eine Art von Ta&#x017F;che, welche willkürlich geöffnet und ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden kann. Die<lb/>
Ohren &#x017F;ind groß und lang, unten ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, in der Mitte ausgebreitet, gegen das Ende ver&#x017F;chmä-<lb/>
lert und zuge&#x017F;pitzt. Das Gehörn wird bis &#x017F;echzehn Zoll lang, i&#x017F;t nach vorn und rückwärts gerichtet,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Brehm,</hi> Thierleben. <hi rendition="#aq">II.</hi> 32</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[497/0525] Die eigentliche Hirſchziegenantilope. Eine Sippe, welche uns näher angeht, als die meiſten anderen, iſt die der Hirſchziegen- antilopen (Cervicapra). Man verſteht darunter ſchlank gebaute Thiere mit runden, nach auf- und rückwärts gerichteten, ſchraubenförmig gedrehten und geringelten, faſt geraden Hörnern, welche aber blos dem Männchen zukommen. Der Schwanz iſt kurz und buſchig behaart. Das Weibchen trägt zwei Zitzen. Große, bewegliche Thränengruben und Drüſenſäcke zwiſchen den Zehen und in den Weichen, ſowie Klauendrüſen dienen zur weiteren Kennzeichnung. Die eigentliche Hirſchziegenantilope (Cervicapra bezoartica) ſpielt in der indiſchen Götterlehre eine wichtige Rolle. Sie nimmt in dem Thierkreiſe der Hindus die Stelle des Stein- bocks ein und iſt nebſt vielen anderen Arten der Göttin Tſchandra oder dem Monde geheiligt. Jm Sanskrit heißt ſie Ena, die Gefleckte; gegenwärtig trägt ſie den Namen Safin oder Safi. Unzählige [Abbildung Die eigentliche Hirſchziegenantilope (Cervicapra bezoartica).] Gedichte preiſen und rühmen ihre Schönheit. Sie hat viel Aehnlichkeit mit unſerem Damhirſch, iſt aber etwas kleiner, ſchlanker und weit zierlicher, als dieſer. Jhre Leibeslänge beträgt faſt 4 Fuß; die Länge des Schwanzes 6 Zoll und mit dem Haarbüſchel am Ende 9 Zoll, die Höhe am Widerriſt 2½ Fuß. Der Leib iſt ſchwach, geſtreckt und unterſetzt; der Rücken ziemlich gerade und hinten etwas höher, als am Widerriſt. Der Hals iſt ſchmächtig und ſeitlich zuſammengedrückt, der Kopf ziemlich rund, hinten hoch, nach vorn zu verſchmälert, an der Stirn breit, längs der Naſe gerade und an der Schnauze gerundet. Die Beine ſind hoch, ſchlank und dünn, die hinteren etwas länger, als die vorderen. Die Augen ſind verhältnißmäßig groß und außerordentlich lebhaft. Jhre Thränen- gruben bilden eine Art von Taſche, welche willkürlich geöffnet und geſchloſſen werden kann. Die Ohren ſind groß und lang, unten geſchloſſen, in der Mitte ausgebreitet, gegen das Ende verſchmä- lert und zugeſpitzt. Das Gehörn wird bis ſechzehn Zoll lang, iſt nach vorn und rückwärts gerichtet, Brehm, Thierleben. II. 32

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/525
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/525>, abgerufen am 24.11.2024.