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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.
Klagen doch unentbehrlichen Athem! Selbst ein Engel würde bei solch einer schnöden Behandlung zum
Teufel werden; aber ein Kamel ist weit entfernt, hat nie daran gedacht, irgend welche Ansprüche auf
die unerläßlichen Eigenschaften eines Engels gemacht zu haben. Wen soll und kann es Wunder
nehmen, daß es seine namenlose Entrüstung durch anhaltendes kräftiges Schütteln des Kopfes kund
gibt? wer wird es ihm verargen, daß es zu beißen, mit den Beinen zu stoßen, aufzuspringen, die Last
abzuwerfen, durchzugehen versucht und dann von neuem zu brüllen beginnt, daß man das Trom-
melfell vor dem Zerspringen besonders schützen möchte? Und gleichwohl schimpfen und fluchen die
Araber noch über solche Ausbrüche gerechten Zornes! Sie, welche sonst alle Thiere mahammedanisch
-- christlich kann ich, seitdem ich in Spanien war und viele deutsche Spanier sah, hier leider nicht
sagen -- behandeln, rufen ihm jetzt Verwünschungen zu, wie "Allah jenarhlak abuhk, djinsak, ja
malauhn, ja kelb, ja chansihr!"
-- Gott verfluche deinen Vater und deine Art, du alles Guten
Barer, du Hund, du Schwein! -- sie stoßen es mit den Füßen, prügeln es mit der Peitsche! Den in-
ständigsten Bitten, den herzerschütterndsten Klagen, der unsäglichsten Wuth setzen sie kalte Mißachtung
und höchst empfindliche Schmähungen entgegen! Während der Eine das Kamel an der Nase packt,
legt ihm der Andere bereits den Sattel auf den Rücken; ehe es noch halb ausgeklagt hat, liegt auf
dem Sattel die schwere Last. Jetzt läßt der Vorderste die Nase los, der Hinterste handhabt die
Peitsche wieder: das niedergebeugte Thier soll sich erheben. Noch ein Mal sucht es seinen ganzen
ungeheuren Zorn, seine tiefste Verachtung gegen den Menschen in einen einzigen Schrei zusammen-
zufassen, noch ein Mal brüllt es beim Aufspringen wuthschnaubend auf, dann schweigt es den ganzen
übrigen Tag, wahrscheinlich im Gefühl seiner eigenen Größe und Erhabenheit. Es erachtet es für
zu kleinlich, für zu erbärmlich, den tiefen Schmerz seiner Seele über die ihm angethane Entwürdigung
noch durch äußere Zeichen dem niederträchtigen Menschen kundzugeben und geht von nun an bis zum
Abend "in stiller Billigung und ohne Schmerzensseufzer seine Stelzenschritte fort." Aber beim
Niederlegen, beim Entladen der Last scheint seine Brust noch einmal frei aufzuathmen; denn dann
läßt es nochmals seinen ganzen Jngrimm los.

So geberdet sich das Kamel beim Auf- und Abladen; und ich mache mir heute noch Vorwürfe,
daß ich die wahre Seelengröße des edlen Wesens jemals verkannt, daß ich Ausbrüche des nur allzu-
tief begründeten Unmuths und ganz erklärlicher Rachsucht gegen den abscheulichen Menschen so rück-
sichtslos bestraft habe.

Jch glaube im Vorstehenden den Standpunkt des Kamels vollkommen gewahrt und somit
meine Gerechtigkeitsliebe bewiesen zu haben. Dieselbe Tugend verlangt aber, daß ich mich nun auch
ein Mal auf den Standpunkt des Menschen stelle. Vonhieraus sieht sich die Sache etwas anders an.
Es läßt sich nicht verkennen, daß das Kamel wahrhaft überraschende Fähigkeiten besitzt, einen Men-
schen ohne Unterlaß und in unglaublicher Weise zu ärgern. Jch kenne kein Thier, welches ihm hierin
gleich käme. Jhm gegenüber ist ein Ochse ein höchst achtungswerthes Geschöpf, ein Maulthier,
welches sämmtliche Untugenden aller Bastarde in sich vereinigt, ein überaus gesittetes, ein Schaf ein
sehr kluges, ein Esel ein entschieden liebenswürdiges Thier. Dummheit und Bosheit sind gewöhnlich
Gemeingut; wenn aber zu ihnen auch noch Feigheit, Störrigkeit, ewig schlechte Laune, Starr- und
Murrköpfigkeit, entschiedener Widerwille gegen alles Vernünftige, Gehässigkeit oder Gleichgiltigkeit
gegen den Pfleger und Wohlthäter und noch hundert andere Untugenden kommen, welche ein Wesen
sämmtlich besitzt und mit vollendeter Fertigkeit auszuüben versteht: kann der Mensch, welcher mit
solchem Vieh zu thun hat, schließlich rasend werden. Der Araber behandelt seine Hausthiere wie seine
Kinder: aber das Kamel bringt ihn zuweilen in namenlosen Zorn. Dies begreift man, nachdem
man selbst vom Kamel abgeworfen, mit Füßen getreten, gebissen, in der Steppe verlassen und ver-
höhnt worden ist, nachdem Einen das Thier tage- und wochenlang stündlich mit bewunderungswerther
Beharrlichkeit und Ausdauer geärgert, nachdem man Besserungs- und Zuchtmittel, sowie Bekehrungs-
versuche aller Art vergeblich verbraucht, alle die elektrische Spannung der Seele abkühlenden Flüche
nutzlos ausgestoßen hat. Daß das Kamel in einer Weise ausdünstet, welche den Bocksgestank als

Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.
Klagen doch unentbehrlichen Athem! Selbſt ein Engel würde bei ſolch einer ſchnöden Behandlung zum
Teufel werden; aber ein Kamel iſt weit entfernt, hat nie daran gedacht, irgend welche Anſprüche auf
die unerläßlichen Eigenſchaften eines Engels gemacht zu haben. Wen ſoll und kann es Wunder
nehmen, daß es ſeine namenloſe Entrüſtung durch anhaltendes kräftiges Schütteln des Kopfes kund
gibt? wer wird es ihm verargen, daß es zu beißen, mit den Beinen zu ſtoßen, aufzuſpringen, die Laſt
abzuwerfen, durchzugehen verſucht und dann von neuem zu brüllen beginnt, daß man das Trom-
melfell vor dem Zerſpringen beſonders ſchützen möchte? Und gleichwohl ſchimpfen und fluchen die
Araber noch über ſolche Ausbrüche gerechten Zornes! Sie, welche ſonſt alle Thiere mahammedaniſch
— chriſtlich kann ich, ſeitdem ich in Spanien war und viele deutſche Spanier ſah, hier leider nicht
ſagen — behandeln, rufen ihm jetzt Verwünſchungen zu, wie „Allah jenarhlak abuhk, djinsak, ja
malâuhn, ja kelb, ja chansihr!‟
— Gott verfluche deinen Vater und deine Art, du alles Guten
Barer, du Hund, du Schwein! — ſie ſtoßen es mit den Füßen, prügeln es mit der Peitſche! Den in-
ſtändigſten Bitten, den herzerſchütterndſten Klagen, der unſäglichſten Wuth ſetzen ſie kalte Mißachtung
und höchſt empfindliche Schmähungen entgegen! Während der Eine das Kamel an der Naſe packt,
legt ihm der Andere bereits den Sattel auf den Rücken; ehe es noch halb ausgeklagt hat, liegt auf
dem Sattel die ſchwere Laſt. Jetzt läßt der Vorderſte die Naſe los, der Hinterſte handhabt die
Peitſche wieder: das niedergebeugte Thier ſoll ſich erheben. Noch ein Mal ſucht es ſeinen ganzen
ungeheuren Zorn, ſeine tiefſte Verachtung gegen den Menſchen in einen einzigen Schrei zuſammen-
zufaſſen, noch ein Mal brüllt es beim Aufſpringen wuthſchnaubend auf, dann ſchweigt es den ganzen
übrigen Tag, wahrſcheinlich im Gefühl ſeiner eigenen Größe und Erhabenheit. Es erachtet es für
zu kleinlich, für zu erbärmlich, den tiefen Schmerz ſeiner Seele über die ihm angethane Entwürdigung
noch durch äußere Zeichen dem niederträchtigen Menſchen kundzugeben und geht von nun an bis zum
Abend „in ſtiller Billigung und ohne Schmerzensſeufzer ſeine Stelzenſchritte fort.‟ Aber beim
Niederlegen, beim Entladen der Laſt ſcheint ſeine Bruſt noch einmal frei aufzuathmen; denn dann
läßt es nochmals ſeinen ganzen Jngrimm los.

So geberdet ſich das Kamel beim Auf- und Abladen; und ich mache mir heute noch Vorwürfe,
daß ich die wahre Seelengröße des edlen Weſens jemals verkannt, daß ich Ausbrüche des nur allzu-
tief begründeten Unmuths und ganz erklärlicher Rachſucht gegen den abſcheulichen Menſchen ſo rück-
ſichtslos beſtraft habe.

Jch glaube im Vorſtehenden den Standpunkt des Kamels vollkommen gewahrt und ſomit
meine Gerechtigkeitsliebe bewieſen zu haben. Dieſelbe Tugend verlangt aber, daß ich mich nun auch
ein Mal auf den Standpunkt des Menſchen ſtelle. Vonhieraus ſieht ſich die Sache etwas anders an.
Es läßt ſich nicht verkennen, daß das Kamel wahrhaft überraſchende Fähigkeiten beſitzt, einen Men-
ſchen ohne Unterlaß und in unglaublicher Weiſe zu ärgern. Jch kenne kein Thier, welches ihm hierin
gleich käme. Jhm gegenüber iſt ein Ochſe ein höchſt achtungswerthes Geſchöpf, ein Maulthier,
welches ſämmtliche Untugenden aller Baſtarde in ſich vereinigt, ein überaus geſittetes, ein Schaf ein
ſehr kluges, ein Eſel ein entſchieden liebenswürdiges Thier. Dummheit und Bosheit ſind gewöhnlich
Gemeingut; wenn aber zu ihnen auch noch Feigheit, Störrigkeit, ewig ſchlechte Laune, Starr- und
Murrköpfigkeit, entſchiedener Widerwille gegen alles Vernünftige, Gehäſſigkeit oder Gleichgiltigkeit
gegen den Pfleger und Wohlthäter und noch hundert andere Untugenden kommen, welche ein Weſen
ſämmtlich beſitzt und mit vollendeter Fertigkeit auszuüben verſteht: kann der Menſch, welcher mit
ſolchem Vieh zu thun hat, ſchließlich raſend werden. Der Araber behandelt ſeine Hausthiere wie ſeine
Kinder: aber das Kamel bringt ihn zuweilen in namenloſen Zorn. Dies begreift man, nachdem
man ſelbſt vom Kamel abgeworfen, mit Füßen getreten, gebiſſen, in der Steppe verlaſſen und ver-
höhnt worden iſt, nachdem Einen das Thier tage- und wochenlang ſtündlich mit bewunderungswerther
Beharrlichkeit und Ausdauer geärgert, nachdem man Beſſerungs- und Zuchtmittel, ſowie Bekehrungs-
verſuche aller Art vergeblich verbraucht, alle die elektriſche Spannung der Seele abkühlenden Flüche
nutzlos ausgeſtoßen hat. Daß das Kamel in einer Weiſe ausdünſtet, welche den Bocksgeſtank als

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[391/0415] Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar. Klagen doch unentbehrlichen Athem! Selbſt ein Engel würde bei ſolch einer ſchnöden Behandlung zum Teufel werden; aber ein Kamel iſt weit entfernt, hat nie daran gedacht, irgend welche Anſprüche auf die unerläßlichen Eigenſchaften eines Engels gemacht zu haben. Wen ſoll und kann es Wunder nehmen, daß es ſeine namenloſe Entrüſtung durch anhaltendes kräftiges Schütteln des Kopfes kund gibt? wer wird es ihm verargen, daß es zu beißen, mit den Beinen zu ſtoßen, aufzuſpringen, die Laſt abzuwerfen, durchzugehen verſucht und dann von neuem zu brüllen beginnt, daß man das Trom- melfell vor dem Zerſpringen beſonders ſchützen möchte? Und gleichwohl ſchimpfen und fluchen die Araber noch über ſolche Ausbrüche gerechten Zornes! Sie, welche ſonſt alle Thiere mahammedaniſch — chriſtlich kann ich, ſeitdem ich in Spanien war und viele deutſche Spanier ſah, hier leider nicht ſagen — behandeln, rufen ihm jetzt Verwünſchungen zu, wie „Allah jenarhlak abuhk, djinsak, ja malâuhn, ja kelb, ja chansihr!‟ — Gott verfluche deinen Vater und deine Art, du alles Guten Barer, du Hund, du Schwein! — ſie ſtoßen es mit den Füßen, prügeln es mit der Peitſche! Den in- ſtändigſten Bitten, den herzerſchütterndſten Klagen, der unſäglichſten Wuth ſetzen ſie kalte Mißachtung und höchſt empfindliche Schmähungen entgegen! Während der Eine das Kamel an der Naſe packt, legt ihm der Andere bereits den Sattel auf den Rücken; ehe es noch halb ausgeklagt hat, liegt auf dem Sattel die ſchwere Laſt. Jetzt läßt der Vorderſte die Naſe los, der Hinterſte handhabt die Peitſche wieder: das niedergebeugte Thier ſoll ſich erheben. Noch ein Mal ſucht es ſeinen ganzen ungeheuren Zorn, ſeine tiefſte Verachtung gegen den Menſchen in einen einzigen Schrei zuſammen- zufaſſen, noch ein Mal brüllt es beim Aufſpringen wuthſchnaubend auf, dann ſchweigt es den ganzen übrigen Tag, wahrſcheinlich im Gefühl ſeiner eigenen Größe und Erhabenheit. Es erachtet es für zu kleinlich, für zu erbärmlich, den tiefen Schmerz ſeiner Seele über die ihm angethane Entwürdigung noch durch äußere Zeichen dem niederträchtigen Menſchen kundzugeben und geht von nun an bis zum Abend „in ſtiller Billigung und ohne Schmerzensſeufzer ſeine Stelzenſchritte fort.‟ Aber beim Niederlegen, beim Entladen der Laſt ſcheint ſeine Bruſt noch einmal frei aufzuathmen; denn dann läßt es nochmals ſeinen ganzen Jngrimm los. So geberdet ſich das Kamel beim Auf- und Abladen; und ich mache mir heute noch Vorwürfe, daß ich die wahre Seelengröße des edlen Weſens jemals verkannt, daß ich Ausbrüche des nur allzu- tief begründeten Unmuths und ganz erklärlicher Rachſucht gegen den abſcheulichen Menſchen ſo rück- ſichtslos beſtraft habe. Jch glaube im Vorſtehenden den Standpunkt des Kamels vollkommen gewahrt und ſomit meine Gerechtigkeitsliebe bewieſen zu haben. Dieſelbe Tugend verlangt aber, daß ich mich nun auch ein Mal auf den Standpunkt des Menſchen ſtelle. Vonhieraus ſieht ſich die Sache etwas anders an. Es läßt ſich nicht verkennen, daß das Kamel wahrhaft überraſchende Fähigkeiten beſitzt, einen Men- ſchen ohne Unterlaß und in unglaublicher Weiſe zu ärgern. Jch kenne kein Thier, welches ihm hierin gleich käme. Jhm gegenüber iſt ein Ochſe ein höchſt achtungswerthes Geſchöpf, ein Maulthier, welches ſämmtliche Untugenden aller Baſtarde in ſich vereinigt, ein überaus geſittetes, ein Schaf ein ſehr kluges, ein Eſel ein entſchieden liebenswürdiges Thier. Dummheit und Bosheit ſind gewöhnlich Gemeingut; wenn aber zu ihnen auch noch Feigheit, Störrigkeit, ewig ſchlechte Laune, Starr- und Murrköpfigkeit, entſchiedener Widerwille gegen alles Vernünftige, Gehäſſigkeit oder Gleichgiltigkeit gegen den Pfleger und Wohlthäter und noch hundert andere Untugenden kommen, welche ein Weſen ſämmtlich beſitzt und mit vollendeter Fertigkeit auszuüben verſteht: kann der Menſch, welcher mit ſolchem Vieh zu thun hat, ſchließlich raſend werden. Der Araber behandelt ſeine Hausthiere wie ſeine Kinder: aber das Kamel bringt ihn zuweilen in namenloſen Zorn. Dies begreift man, nachdem man ſelbſt vom Kamel abgeworfen, mit Füßen getreten, gebiſſen, in der Steppe verlaſſen und ver- höhnt worden iſt, nachdem Einen das Thier tage- und wochenlang ſtündlich mit bewunderungswerther Beharrlichkeit und Ausdauer geärgert, nachdem man Beſſerungs- und Zuchtmittel, ſowie Bekehrungs- verſuche aller Art vergeblich verbraucht, alle die elektriſche Spannung der Seele abkühlenden Flüche nutzlos ausgeſtoßen hat. Daß das Kamel in einer Weiſe ausdünſtet, welche den Bocksgeſtank als

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/415>, abgerufen am 18.05.2024.