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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Kamele. -- Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.
und es versäumte, sein Haus durch Dornen zu schützen. Die Treiber sind mit dem Umschnüren
und Abwiegen des Gepäckes beschäftigt und brüllen dabei nach Leibeskräften, scheinbar mit solcher
Wuth, daß man glauben muß, im nächsten Augenblick einen Mord begehen zu sehen. Einige Ka-
mele unterstützen in Erwartung des Kommenden das Gebrüll mit ihrem eigenen; bei den übrigen,
welche noch nicht mitbrüllen, bedeutet Dies blos soviel, als: "Unsere Zeit ist noch nicht gekommen,
aber sie kommt!" Ja sie kommt! Denn die Sonne zeigt die Zeit des Nachmittaggebets, die Zeit jedes
Beginnes nach arabischen Begriffen an. Nach allen Seiten hin stürmen die braunen Männer, um
ihre häuserfressenden oder sonstwie Unheil anrichtenden Kamele einzufangen; bald darauf sieht man
sie mit ihnen zurückkehren. Jedes einzelne Kamel wird zwischen die bereits gerichteten Stücke seiner
Ladung geführt und mit einem unbeschreiblichen Gurgellante gebeten oder durch einige die sanfte
Bitte sanft unterstützende Peitschenhiebe aufgefordert, sich niederzulegen. Mit äußerstem Widerstreben
gehorcht das ahnungsvolle Geschöpf, dem eine Reihe schwerer Tage in grellen Farben vor der Seele
steht. Es brüllt zuerst mit Aufbietung seiner ganzen Lunge in markerschütternder Weise und weigert
sich verständlich und entschieden, seinen Nacken der Bürde zu bieten. Selbst der mildeste Beurtheiler
würde sich vergeblich bemühen, jetzt auch nur einen Schimmer von Sanftmuth in seinem wuthblitzen-
den Auge zu lesen. Es fügt sich ins Unvermeidliche, nicht aber mit Ergebung und Entsagung, nicht
mit der einem Dulder so wohl anstehenden Seelenruhe und Geistesgröße, sondern mit allen Zeichen
der im höchsten Grade gestörten Gemüthlichkeit, mit Augenverdrehungen, welche unsern Muckern zum
Vorbilde dienen könnten, mit Zähnefletschen, mit Stoßen, Schlagen, Beißen, kurz mit beispiellosem
Jngrimm. Alle nur denkbaren oder besser undenkbaren Untöne orgelt es fugenartig ab, ohne auf
Takt und Tonfall die geringste Rücksicht zu nehmen. Dur und Moll wird grauenvoll zusammenge-
worfen und mißachtet; jeder nur einigermaßen an Wohllaut anklingende Ton wird der grenzenlosen
Wuth geopfert, jeder Naturlaut verstümmelt und zerquetscht. Mein lieber geist- und wortreicher
Freund Goltz allein würde im Stande sein, eine annähernd richtige Beschreibung solchen
"Tonunwesens" zu geben; ich fühle mich zu schwach dazu. Endlich scheint die Lunge erschöpft zu
sein. Aber nein: es werden blos andere Stimmen gezogen und in gräulicher Folge etwas kläglichere
Weisen angestimmt. Die unaussprechliche Wuth, welche bisher die Seele des herrlichen Thieres
erfüllte, scheint durch eine Selbstbetrachtung über die Sklaverei und ihre entsetzlichen Folgen auf
Augenblicke verdrängt worden zu sein. Das Brüllen hat sich in ein klägliches Stöhnen verwandelt.
Da ich leider keiner der thränenreichen Minnedichter unserer Zeit bin, kann ich blos in schlichter Weise
meine Meinung aussprechen, welche dahin geht, daß das Kamel in seinem unendlichen Schmerz wahr-
scheinlich der goldenen Urzeit gedenkt, in welcher der Erdenteufel, Mensch genannt, dem damals stolz
emporgetragenen Fetthöcker der Vorfahren unseres Thieres noch nicht die schwere Bürde auflegte, in
welcher es frei und lustig die grünen, leider noch immer nicht wieder aufgefundenen Fluren in näch-
ster Nähe des Paradieses durchstampfte. Die unsäglich traurige, erschütternde Klage des Dulders
könnte einen Stein erbarmen. Aber das Herz der Kameltreiber ist härter als ein Stein; das Ohr
der Peiniger ist taub für die wehmüthigen Kundgebungen der zartbesaiteten Seele des tief und innig
fühlenden Thieres. Nicht einmal eine seinen Unmuth ausdrückende Bewegung wird ihm gestattet.
Einer der Treiber stellt sich auf die zusammengelegten Beine des sanften Lammes und faßt mit star-
ker Hand die Nase, um an dieser empfindlichen Stelle gelegentlich einen nach Erforderniß stärkeren
oder gelinderen Druck ausüben zu können. Allerdings behauptet der Mann, daß er seine Glieder
vor den Bissen des Thieres schützen müsse; allerdings versichert er, daß ein wüthendes Kamel das
scheußlichste aller Scheusale sei: allein meine Gerechtigkeitsliebe verlangt, daß ich auch jetzt den
Standpunkt des Kameles würdige.

Welche Schändlichkeit! Das edle Thier kann sich kaum rühren und soll belastet werden mit der
schwersten Bürde, welche außer dem Elefanten überhaupt ein sterbliches Wesen tragen kann, es soll
tagelang die seiner unwürdige Last schleppen! Ueber solche Erniedrigung bricht es in Erbarmen bean-
spruchende Klagen aus, und der Unmensch schließt beide Rasenlöcher und entzieht ihm den zu solchen

Die Kamele. — Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.
und es verſäumte, ſein Haus durch Dornen zu ſchützen. Die Treiber ſind mit dem Umſchnüren
und Abwiegen des Gepäckes beſchäftigt und brüllen dabei nach Leibeskräften, ſcheinbar mit ſolcher
Wuth, daß man glauben muß, im nächſten Augenblick einen Mord begehen zu ſehen. Einige Ka-
mele unterſtützen in Erwartung des Kommenden das Gebrüll mit ihrem eigenen; bei den übrigen,
welche noch nicht mitbrüllen, bedeutet Dies blos ſoviel, als: „Unſere Zeit iſt noch nicht gekommen,
aber ſie kommt!‟ Ja ſie kommt! Denn die Sonne zeigt die Zeit des Nachmittaggebets, die Zeit jedes
Beginnes nach arabiſchen Begriffen an. Nach allen Seiten hin ſtürmen die braunen Männer, um
ihre häuſerfreſſenden oder ſonſtwie Unheil anrichtenden Kamele einzufangen; bald darauf ſieht man
ſie mit ihnen zurückkehren. Jedes einzelne Kamel wird zwiſchen die bereits gerichteten Stücke ſeiner
Ladung geführt und mit einem unbeſchreiblichen Gurgellante gebeten oder durch einige die ſanfte
Bitte ſanft unterſtützende Peitſchenhiebe aufgefordert, ſich niederzulegen. Mit äußerſtem Widerſtreben
gehorcht das ahnungsvolle Geſchöpf, dem eine Reihe ſchwerer Tage in grellen Farben vor der Seele
ſteht. Es brüllt zuerſt mit Aufbietung ſeiner ganzen Lunge in markerſchütternder Weiſe und weigert
ſich verſtändlich und entſchieden, ſeinen Nacken der Bürde zu bieten. Selbſt der mildeſte Beurtheiler
würde ſich vergeblich bemühen, jetzt auch nur einen Schimmer von Sanftmuth in ſeinem wuthblitzen-
den Auge zu leſen. Es fügt ſich ins Unvermeidliche, nicht aber mit Ergebung und Entſagung, nicht
mit der einem Dulder ſo wohl anſtehenden Seelenruhe und Geiſtesgröße, ſondern mit allen Zeichen
der im höchſten Grade geſtörten Gemüthlichkeit, mit Augenverdrehungen, welche unſern Muckern zum
Vorbilde dienen könnten, mit Zähnefletſchen, mit Stoßen, Schlagen, Beißen, kurz mit beiſpielloſem
Jngrimm. Alle nur denkbaren oder beſſer undenkbaren Untöne orgelt es fugenartig ab, ohne auf
Takt und Tonfall die geringſte Rückſicht zu nehmen. Dur und Moll wird grauenvoll zuſammenge-
worfen und mißachtet; jeder nur einigermaßen an Wohllaut anklingende Ton wird der grenzenloſen
Wuth geopfert, jeder Naturlaut verſtümmelt und zerquetſcht. Mein lieber geiſt- und wortreicher
Freund Goltz allein würde im Stande ſein, eine annähernd richtige Beſchreibung ſolchen
„Tonunweſens‟ zu geben; ich fühle mich zu ſchwach dazu. Endlich ſcheint die Lunge erſchöpft zu
ſein. Aber nein: es werden blos andere Stimmen gezogen und in gräulicher Folge etwas kläglichere
Weiſen angeſtimmt. Die unausſprechliche Wuth, welche bisher die Seele des herrlichen Thieres
erfüllte, ſcheint durch eine Selbſtbetrachtung über die Sklaverei und ihre entſetzlichen Folgen auf
Augenblicke verdrängt worden zu ſein. Das Brüllen hat ſich in ein klägliches Stöhnen verwandelt.
Da ich leider keiner der thränenreichen Minnedichter unſerer Zeit bin, kann ich blos in ſchlichter Weiſe
meine Meinung ausſprechen, welche dahin geht, daß das Kamel in ſeinem unendlichen Schmerz wahr-
ſcheinlich der goldenen Urzeit gedenkt, in welcher der Erdenteufel, Menſch genannt, dem damals ſtolz
emporgetragenen Fetthöcker der Vorfahren unſeres Thieres noch nicht die ſchwere Bürde auflegte, in
welcher es frei und luſtig die grünen, leider noch immer nicht wieder aufgefundenen Fluren in näch-
ſter Nähe des Paradieſes durchſtampfte. Die unſäglich traurige, erſchütternde Klage des Dulders
könnte einen Stein erbarmen. Aber das Herz der Kameltreiber iſt härter als ein Stein; das Ohr
der Peiniger iſt taub für die wehmüthigen Kundgebungen der zartbeſaiteten Seele des tief und innig
fühlenden Thieres. Nicht einmal eine ſeinen Unmuth ausdrückende Bewegung wird ihm geſtattet.
Einer der Treiber ſtellt ſich auf die zuſammengelegten Beine des ſanften Lammes und faßt mit ſtar-
ker Hand die Naſe, um an dieſer empfindlichen Stelle gelegentlich einen nach Erforderniß ſtärkeren
oder gelinderen Druck ausüben zu können. Allerdings behauptet der Mann, daß er ſeine Glieder
vor den Biſſen des Thieres ſchützen müſſe; allerdings verſichert er, daß ein wüthendes Kamel das
ſcheußlichſte aller Scheuſale ſei: allein meine Gerechtigkeitsliebe verlangt, daß ich auch jetzt den
Standpunkt des Kameles würdige.

Welche Schändlichkeit! Das edle Thier kann ſich kaum rühren und ſoll belaſtet werden mit der
ſchwerſten Bürde, welche außer dem Elefanten überhaupt ein ſterbliches Weſen tragen kann, es ſoll
tagelang die ſeiner unwürdige Laſt ſchleppen! Ueber ſolche Erniedrigung bricht es in Erbarmen bean-
ſpruchende Klagen aus, und der Unmenſch ſchließt beide Raſenlöcher und entzieht ihm den zu ſolchen

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[390/0414] Die Kamele. — Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar. und es verſäumte, ſein Haus durch Dornen zu ſchützen. Die Treiber ſind mit dem Umſchnüren und Abwiegen des Gepäckes beſchäftigt und brüllen dabei nach Leibeskräften, ſcheinbar mit ſolcher Wuth, daß man glauben muß, im nächſten Augenblick einen Mord begehen zu ſehen. Einige Ka- mele unterſtützen in Erwartung des Kommenden das Gebrüll mit ihrem eigenen; bei den übrigen, welche noch nicht mitbrüllen, bedeutet Dies blos ſoviel, als: „Unſere Zeit iſt noch nicht gekommen, aber ſie kommt!‟ Ja ſie kommt! Denn die Sonne zeigt die Zeit des Nachmittaggebets, die Zeit jedes Beginnes nach arabiſchen Begriffen an. Nach allen Seiten hin ſtürmen die braunen Männer, um ihre häuſerfreſſenden oder ſonſtwie Unheil anrichtenden Kamele einzufangen; bald darauf ſieht man ſie mit ihnen zurückkehren. Jedes einzelne Kamel wird zwiſchen die bereits gerichteten Stücke ſeiner Ladung geführt und mit einem unbeſchreiblichen Gurgellante gebeten oder durch einige die ſanfte Bitte ſanft unterſtützende Peitſchenhiebe aufgefordert, ſich niederzulegen. Mit äußerſtem Widerſtreben gehorcht das ahnungsvolle Geſchöpf, dem eine Reihe ſchwerer Tage in grellen Farben vor der Seele ſteht. Es brüllt zuerſt mit Aufbietung ſeiner ganzen Lunge in markerſchütternder Weiſe und weigert ſich verſtändlich und entſchieden, ſeinen Nacken der Bürde zu bieten. Selbſt der mildeſte Beurtheiler würde ſich vergeblich bemühen, jetzt auch nur einen Schimmer von Sanftmuth in ſeinem wuthblitzen- den Auge zu leſen. Es fügt ſich ins Unvermeidliche, nicht aber mit Ergebung und Entſagung, nicht mit der einem Dulder ſo wohl anſtehenden Seelenruhe und Geiſtesgröße, ſondern mit allen Zeichen der im höchſten Grade geſtörten Gemüthlichkeit, mit Augenverdrehungen, welche unſern Muckern zum Vorbilde dienen könnten, mit Zähnefletſchen, mit Stoßen, Schlagen, Beißen, kurz mit beiſpielloſem Jngrimm. Alle nur denkbaren oder beſſer undenkbaren Untöne orgelt es fugenartig ab, ohne auf Takt und Tonfall die geringſte Rückſicht zu nehmen. Dur und Moll wird grauenvoll zuſammenge- worfen und mißachtet; jeder nur einigermaßen an Wohllaut anklingende Ton wird der grenzenloſen Wuth geopfert, jeder Naturlaut verſtümmelt und zerquetſcht. Mein lieber geiſt- und wortreicher Freund Goltz allein würde im Stande ſein, eine annähernd richtige Beſchreibung ſolchen „Tonunweſens‟ zu geben; ich fühle mich zu ſchwach dazu. Endlich ſcheint die Lunge erſchöpft zu ſein. Aber nein: es werden blos andere Stimmen gezogen und in gräulicher Folge etwas kläglichere Weiſen angeſtimmt. Die unausſprechliche Wuth, welche bisher die Seele des herrlichen Thieres erfüllte, ſcheint durch eine Selbſtbetrachtung über die Sklaverei und ihre entſetzlichen Folgen auf Augenblicke verdrängt worden zu ſein. Das Brüllen hat ſich in ein klägliches Stöhnen verwandelt. Da ich leider keiner der thränenreichen Minnedichter unſerer Zeit bin, kann ich blos in ſchlichter Weiſe meine Meinung ausſprechen, welche dahin geht, daß das Kamel in ſeinem unendlichen Schmerz wahr- ſcheinlich der goldenen Urzeit gedenkt, in welcher der Erdenteufel, Menſch genannt, dem damals ſtolz emporgetragenen Fetthöcker der Vorfahren unſeres Thieres noch nicht die ſchwere Bürde auflegte, in welcher es frei und luſtig die grünen, leider noch immer nicht wieder aufgefundenen Fluren in näch- ſter Nähe des Paradieſes durchſtampfte. Die unſäglich traurige, erſchütternde Klage des Dulders könnte einen Stein erbarmen. Aber das Herz der Kameltreiber iſt härter als ein Stein; das Ohr der Peiniger iſt taub für die wehmüthigen Kundgebungen der zartbeſaiteten Seele des tief und innig fühlenden Thieres. Nicht einmal eine ſeinen Unmuth ausdrückende Bewegung wird ihm geſtattet. Einer der Treiber ſtellt ſich auf die zuſammengelegten Beine des ſanften Lammes und faßt mit ſtar- ker Hand die Naſe, um an dieſer empfindlichen Stelle gelegentlich einen nach Erforderniß ſtärkeren oder gelinderen Druck ausüben zu können. Allerdings behauptet der Mann, daß er ſeine Glieder vor den Biſſen des Thieres ſchützen müſſe; allerdings verſichert er, daß ein wüthendes Kamel das ſcheußlichſte aller Scheuſale ſei: allein meine Gerechtigkeitsliebe verlangt, daß ich auch jetzt den Standpunkt des Kameles würdige. Welche Schändlichkeit! Das edle Thier kann ſich kaum rühren und ſoll belaſtet werden mit der ſchwerſten Bürde, welche außer dem Elefanten überhaupt ein ſterbliches Weſen tragen kann, es ſoll tagelang die ſeiner unwürdige Laſt ſchleppen! Ueber ſolche Erniedrigung bricht es in Erbarmen bean- ſpruchende Klagen aus, und der Unmenſch ſchließt beide Raſenlöcher und entzieht ihm den zu ſolchen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/414>, abgerufen am 23.11.2024.