Baumrinde. Beim Fressen sitzen sie in aufrechter Stellung auf dem Hintertheile und halten die Nah- rung zwischen den Vorderpfoten fest. Die Bewegungen der Thiere sind gewandt, wenn auch der gewöhnliche Gang ziemlich langsam ist. Doch können sie rasch laufen, wenn es gilt, und manche Arten sind sogar sehr behend. Viele gehen in das Wasser und schwimmen mit großer Geschicklichkeit und Ausdauer. Alle sind friedlich und harmlos, scheu, die Kleinen sehr schüchtern, ängstlich und sanft, die Größeren etwas muthiger; doch flüchten sie auch bei herannahender Gefahr so schnell sie können. Unter ihren Sinnen sind Geruch und Gehör am besten ausgebildet; ihre geistigen Fähig- keiten sind gering. Sie lassen sich leicht zähmen, gewöhnen sich an den Menschen und lernen ihn auch wohl kennen, ohne sich jedoch mit ihm inniger zu befreunden. Jhre Vermehrung ist sehr groß; die Zahl ihrer Jungen schwankt zwischen Eins und Acht, und manche Arten werfen mehrmals im
[Abbildung]
Das Meerschweinchen (Cavia Cobaya).
Jahre. Dies ist ungefähr Alles, was wir über die Familie sagen können; das übrige soll uns die Betrachtung der hervorragendsten Sippen lehren.
Unser Meerschweinchen (Cavia Cobaya) mag als Vertreter der ersten Sippe gelten. Wir wissen, daß wir es aus Südamerika erhalten haben; die Südamerikaner aber behaupten, daß es von Europa zu ihnen gekommen sei, und somit theilt das Thier das Schicksal der übrigen Hausthiere: es ist heimatlos. Man hat sich in der Neuzeit vielfach bemüht, das Meerschweinchen in seiner Heimat aufzusuchen, allein vergeblich. Manche Naturforscher haben den Aperea als die eigentliche Stamm- art betrachtet; doch sind die Unterschiede zwischen ihm und dem Meerschweinchen so erheblich, daß man nicht daran glauben kann. Zudem hat man sich auch vergeblich bemüht, die beiden Thiere zur Paa- rung zu bringen, und deshalb kann man behaupten, daß man gegenwärtig unser Meerschweinchen blos im Hausstande kennt. Mit Sicherheit ist anzunehmen, daß es kurz nach der Entdeckung von Amerika zu uns herübergeführt wurde, wahrscheinlich von den Holländern um die Mitte des sieb-
Das Meerſchweinchen.
Baumrinde. Beim Freſſen ſitzen ſie in aufrechter Stellung auf dem Hintertheile und halten die Nah- rung zwiſchen den Vorderpfoten feſt. Die Bewegungen der Thiere ſind gewandt, wenn auch der gewöhnliche Gang ziemlich langſam iſt. Doch können ſie raſch laufen, wenn es gilt, und manche Arten ſind ſogar ſehr behend. Viele gehen in das Waſſer und ſchwimmen mit großer Geſchicklichkeit und Ausdauer. Alle ſind friedlich und harmlos, ſcheu, die Kleinen ſehr ſchüchtern, ängſtlich und ſanft, die Größeren etwas muthiger; doch flüchten ſie auch bei herannahender Gefahr ſo ſchnell ſie können. Unter ihren Sinnen ſind Geruch und Gehör am beſten ausgebildet; ihre geiſtigen Fähig- keiten ſind gering. Sie laſſen ſich leicht zähmen, gewöhnen ſich an den Menſchen und lernen ihn auch wohl kennen, ohne ſich jedoch mit ihm inniger zu befreunden. Jhre Vermehrung iſt ſehr groß; die Zahl ihrer Jungen ſchwankt zwiſchen Eins und Acht, und manche Arten werfen mehrmals im
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Das Meerſchweinchen (Cavia Cobaya).
Jahre. Dies iſt ungefähr Alles, was wir über die Familie ſagen können; das übrige ſoll uns die Betrachtung der hervorragendſten Sippen lehren.
Unſer Meerſchweinchen (Cavia Cobaya) mag als Vertreter der erſten Sippe gelten. Wir wiſſen, daß wir es aus Südamerika erhalten haben; die Südamerikaner aber behaupten, daß es von Europa zu ihnen gekommen ſei, und ſomit theilt das Thier das Schickſal der übrigen Hausthiere: es iſt heimatlos. Man hat ſich in der Neuzeit vielfach bemüht, das Meerſchweinchen in ſeiner Heimat aufzuſuchen, allein vergeblich. Manche Naturforſcher haben den Aperea als die eigentliche Stamm- art betrachtet; doch ſind die Unterſchiede zwiſchen ihm und dem Meerſchweinchen ſo erheblich, daß man nicht daran glauben kann. Zudem hat man ſich auch vergeblich bemüht, die beiden Thiere zur Paa- rung zu bringen, und deshalb kann man behaupten, daß man gegenwärtig unſer Meerſchweinchen blos im Hausſtande kennt. Mit Sicherheit iſt anzunehmen, daß es kurz nach der Entdeckung von Amerika zu uns herübergeführt wurde, wahrſcheinlich von den Holländern um die Mitte des ſieb-
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Das Meerſchweinchen.
Baumrinde. Beim Freſſen ſitzen ſie in aufrechter Stellung auf dem Hintertheile und halten die Nah-
rung zwiſchen den Vorderpfoten feſt. Die Bewegungen der Thiere ſind gewandt, wenn auch der
gewöhnliche Gang ziemlich langſam iſt. Doch können ſie raſch laufen, wenn es gilt, und manche
Arten ſind ſogar ſehr behend. Viele gehen in das Waſſer und ſchwimmen mit großer Geſchicklichkeit
und Ausdauer. Alle ſind friedlich und harmlos, ſcheu, die Kleinen ſehr ſchüchtern, ängſtlich und
ſanft, die Größeren etwas muthiger; doch flüchten ſie auch bei herannahender Gefahr ſo ſchnell ſie
können. Unter ihren Sinnen ſind Geruch und Gehör am beſten ausgebildet; ihre geiſtigen Fähig-
keiten ſind gering. Sie laſſen ſich leicht zähmen, gewöhnen ſich an den Menſchen und lernen ihn
auch wohl kennen, ohne ſich jedoch mit ihm inniger zu befreunden. Jhre Vermehrung iſt ſehr groß;
die Zahl ihrer Jungen ſchwankt zwiſchen Eins und Acht, und manche Arten werfen mehrmals im
[Abbildung Das Meerſchweinchen (Cavia Cobaya).]
Jahre. Dies iſt ungefähr Alles, was wir über die Familie ſagen können; das übrige ſoll uns die
Betrachtung der hervorragendſten Sippen lehren.
Unſer Meerſchweinchen (Cavia Cobaya) mag als Vertreter der erſten Sippe gelten. Wir
wiſſen, daß wir es aus Südamerika erhalten haben; die Südamerikaner aber behaupten, daß es von
Europa zu ihnen gekommen ſei, und ſomit theilt das Thier das Schickſal der übrigen Hausthiere:
es iſt heimatlos. Man hat ſich in der Neuzeit vielfach bemüht, das Meerſchweinchen in ſeiner Heimat
aufzuſuchen, allein vergeblich. Manche Naturforſcher haben den Aperea als die eigentliche Stamm-
art betrachtet; doch ſind die Unterſchiede zwiſchen ihm und dem Meerſchweinchen ſo erheblich, daß man
nicht daran glauben kann. Zudem hat man ſich auch vergeblich bemüht, die beiden Thiere zur Paa-
rung zu bringen, und deshalb kann man behaupten, daß man gegenwärtig unſer Meerſchweinchen
blos im Hausſtande kennt. Mit Sicherheit iſt anzunehmen, daß es kurz nach der Entdeckung von
Amerika zu uns herübergeführt wurde, wahrſcheinlich von den Holländern um die Mitte des ſieb-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/249>, abgerufen am 23.11.2024.
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