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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Hamster.
leben gedenken, und sobald dieser fertig ist, paaren sich die Geschlechter. Der Sommerbau ist ge-
wöhnlich nur einen, höchstens zwei Fuß tief, und der Kessel mit einem Wochennest ausgefüttert,
neben welchem dann eine einzige Kammer angelegt wird, falls es viel Saatgetreide in der Umgegend
gibt. Ende April begeben sich die Männchen in die Behausung der Weibchen und leben, wie es
scheint, friedlich einige Tage beisammen; ja, sie zeigen sogar insofern eine große Anhänglichkeit an
einander, als sie sich gegenseitig beistehen, wenn es gilt, eines oder das andere zu vertheidigen.
Kommen zwei Männchen zu einem Weibchen, so beginnt augenblicklich ein heftiger Zweikampf, bis
der schwächere der Gegner unterliegt oder entweicht: man findet oft genug Rammler, welche auf
ihrem Leibe tiefe Narben tragen, die Zeichen von solchem Strauß in Liebessache. Jn welcher Weise
die Begattung vor sich geht, ist nicht bekannt. Man hat sich vergeblich bemüht, Dies an zahmen zu
erforschen, und weiß nur, daß das unartige Weibchen, sobald es sich befruchtet fühlt, den Ramm-
ler sofort wieder aus ihrem Baue entfernt durch Güte oder durch Gewalt. Von diesem Augenblicke
an herrscht unter den vor kurzem so zärtlichen Liebesleuten eine Erbitterung, wie gegen jedes an-
dere fremde Geschöpf. Etwa vier bis fünf Wochen nach der Begattung, zum ersten Male gegen
Ende des Mai, wirft das Weibchen in seinem weich und warm ausgefütterten Neste 6 bis 18 Junge,
und jedes Weibchen heckt in einem Sommer wenigstens zwei Mal. Die Jungen kommen nackt und
blind zur Welt, bringen aber ihre Zähne schon mit. Bei ihrer Geburt wiegen sie ein wenig über
ein Quentchen; sie wachsen jedoch außerordentlich schnell, denn sie haben die Augen noch nicht offen,
wenn sie bereits zwölf Mal soviel wiegen. Ungefähr mit dem achten oder neunten Tage ihres
Lebens öffnen sie die Augen und beginnen nun auch im Neste herumzukriechen. Die Alte behandelt
ihre Brut mit viel Liebe und duldet es auch, daß man ihr andere Junge zum Säugen anlegt, selbst
wenn diese nicht die gleiche Größe wie ihre Kinder haben. Am vierzehnten Tage ihres Alters fangen
die jungen Hamster schon zu wühlen an, und sobald sie Dies können, denkt die unfreundliche Alte
daran, sie selbständig zu machen, d. h. sie jagt sie einfach aus dem Bau hinaus und zwingt sie, auf
eigene Faust für ihren Unterhalt zu sorgen. Dies scheint den Hämsterchen nicht eben schwer zu wer-
den, denn bereits mit dem fünften oder sechsten Tage, wo sie kaum behaart und noch vollständig
blind sind, wissen sie recht hübsch ein Weizenkorn zwischen ihre Vorderpfötchen zu fassen und
verstehen ganz prächtig, die scharfen Zähnchen zu benutzen. Bei Gefahr huschen die kleinen Thierchen,
so erbärmlich sie aussehen, recht behend im Bau herum, und das eine hat sich bald aufs geschickteste
in diesen, das andere in jenen Winkel zu verbergen gewußt, wenn auch die meisten der Alten nach-
gefolgt sind. Diese, sonst so wüthend und boshaft, so muthig und tapfer, zeigt sich feig, wenn
es gelten sollte, ihre Brut zu vertheidigen; sie entflieht auf erbärmliche Weise, sobald sie spürt, daß
man ihr oder ihnen nahe kommt, und verkriecht sich mit ihrer Brut in das blinde Ende eines Ganges,
welchen sie so schnell als möglich nach dem Neste zu mit Erde zu verstopfen sucht, oder mit erstaun-
licher Geschicklichkeit und Schnelligkeit weitergräbt. Die Jungen folgen ihr durch Dick und Dünn,
durch den Hagel von Erde und Sand, den sie hinter sich wirft. Neugeborene Junge sehen, nach-
dem sie abgetrocknet sind, fast blutroth aus und lassen ein Gewimmer vernehmen, wie es kleine
Hunde auszustoßen pflegen. Sie erhalten mit dem zweiten oder dritten Tage ein feines Flaumen-
haar, welches sich aber bald verdichtet und den ganzen Körper einhüllt. Doch brauchen sie immer ein
ganzes Jahr, ehe sie ihre vollständige Größe erreichen; aber es scheint fast, daß im Mai geborene
Weibchen im Herbst bereits zur Fortpflanzung geschickt sind.

Sobald die Felder sich gilben und die Körner reifen, haben die Hamster viel zu thun mit der
Ernte. Leinknoten, große Puffbohnen und Erbsen scheinen von ihnen allen übrigen Früchten vor-
gezogen zu werden. Ein Hamster, der in einem Flachsstücke liegt, wird nicht leicht etwas anderes
einernten, als die Knollen davon, ebenso ist es im Erbsenfelde; doch wissen sich die Thiere recht
wohl in andere Arten von Feldfrüchten zu schicken. Man hat beobachtet, daß die alten Rammler, welche
Zeit genug haben, das Getreide auslesen und viel sorgfältiger aufschichten, als die Hamsterweibchen,
welche nach der letzten Brut noch rasch einen Bau graben und hier die Speicher füllen müssen. Nur

Brehm, Thierleben. II. 10

Der Hamſter.
leben gedenken, und ſobald dieſer fertig iſt, paaren ſich die Geſchlechter. Der Sommerbau iſt ge-
wöhnlich nur einen, höchſtens zwei Fuß tief, und der Keſſel mit einem Wochenneſt ausgefüttert,
neben welchem dann eine einzige Kammer angelegt wird, falls es viel Saatgetreide in der Umgegend
gibt. Ende April begeben ſich die Männchen in die Behauſung der Weibchen und leben, wie es
ſcheint, friedlich einige Tage beiſammen; ja, ſie zeigen ſogar inſofern eine große Anhänglichkeit an
einander, als ſie ſich gegenſeitig beiſtehen, wenn es gilt, eines oder das andere zu vertheidigen.
Kommen zwei Männchen zu einem Weibchen, ſo beginnt augenblicklich ein heftiger Zweikampf, bis
der ſchwächere der Gegner unterliegt oder entweicht: man findet oft genug Rammler, welche auf
ihrem Leibe tiefe Narben tragen, die Zeichen von ſolchem Strauß in Liebesſache. Jn welcher Weiſe
die Begattung vor ſich geht, iſt nicht bekannt. Man hat ſich vergeblich bemüht, Dies an zahmen zu
erforſchen, und weiß nur, daß das unartige Weibchen, ſobald es ſich befruchtet fühlt, den Ramm-
ler ſofort wieder aus ihrem Baue entfernt durch Güte oder durch Gewalt. Von dieſem Augenblicke
an herrſcht unter den vor kurzem ſo zärtlichen Liebesleuten eine Erbitterung, wie gegen jedes an-
dere fremde Geſchöpf. Etwa vier bis fünf Wochen nach der Begattung, zum erſten Male gegen
Ende des Mai, wirft das Weibchen in ſeinem weich und warm ausgefütterten Neſte 6 bis 18 Junge,
und jedes Weibchen heckt in einem Sommer wenigſtens zwei Mal. Die Jungen kommen nackt und
blind zur Welt, bringen aber ihre Zähne ſchon mit. Bei ihrer Geburt wiegen ſie ein wenig über
ein Quentchen; ſie wachſen jedoch außerordentlich ſchnell, denn ſie haben die Augen noch nicht offen,
wenn ſie bereits zwölf Mal ſoviel wiegen. Ungefähr mit dem achten oder neunten Tage ihres
Lebens öffnen ſie die Augen und beginnen nun auch im Neſte herumzukriechen. Die Alte behandelt
ihre Brut mit viel Liebe und duldet es auch, daß man ihr andere Junge zum Säugen anlegt, ſelbſt
wenn dieſe nicht die gleiche Größe wie ihre Kinder haben. Am vierzehnten Tage ihres Alters fangen
die jungen Hamſter ſchon zu wühlen an, und ſobald ſie Dies können, denkt die unfreundliche Alte
daran, ſie ſelbſtändig zu machen, d. h. ſie jagt ſie einfach aus dem Bau hinaus und zwingt ſie, auf
eigene Fauſt für ihren Unterhalt zu ſorgen. Dies ſcheint den Hämſterchen nicht eben ſchwer zu wer-
den, denn bereits mit dem fünften oder ſechſten Tage, wo ſie kaum behaart und noch vollſtändig
blind ſind, wiſſen ſie recht hübſch ein Weizenkorn zwiſchen ihre Vorderpfötchen zu faſſen und
verſtehen ganz prächtig, die ſcharfen Zähnchen zu benutzen. Bei Gefahr huſchen die kleinen Thierchen,
ſo erbärmlich ſie ausſehen, recht behend im Bau herum, und das eine hat ſich bald aufs geſchickteſte
in dieſen, das andere in jenen Winkel zu verbergen gewußt, wenn auch die meiſten der Alten nach-
gefolgt ſind. Dieſe, ſonſt ſo wüthend und boshaft, ſo muthig und tapfer, zeigt ſich feig, wenn
es gelten ſollte, ihre Brut zu vertheidigen; ſie entflieht auf erbärmliche Weiſe, ſobald ſie ſpürt, daß
man ihr oder ihnen nahe kommt, und verkriecht ſich mit ihrer Brut in das blinde Ende eines Ganges,
welchen ſie ſo ſchnell als möglich nach dem Neſte zu mit Erde zu verſtopfen ſucht, oder mit erſtaun-
licher Geſchicklichkeit und Schnelligkeit weitergräbt. Die Jungen folgen ihr durch Dick und Dünn,
durch den Hagel von Erde und Sand, den ſie hinter ſich wirft. Neugeborene Junge ſehen, nach-
dem ſie abgetrocknet ſind, faſt blutroth aus und laſſen ein Gewimmer vernehmen, wie es kleine
Hunde auszuſtoßen pflegen. Sie erhalten mit dem zweiten oder dritten Tage ein feines Flaumen-
haar, welches ſich aber bald verdichtet und den ganzen Körper einhüllt. Doch brauchen ſie immer ein
ganzes Jahr, ehe ſie ihre vollſtändige Größe erreichen; aber es ſcheint faſt, daß im Mai geborene
Weibchen im Herbſt bereits zur Fortpflanzung geſchickt ſind.

Sobald die Felder ſich gilben und die Körner reifen, haben die Hamſter viel zu thun mit der
Ernte. Leinknoten, große Puffbohnen und Erbſen ſcheinen von ihnen allen übrigen Früchten vor-
gezogen zu werden. Ein Hamſter, der in einem Flachsſtücke liegt, wird nicht leicht etwas anderes
einernten, als die Knollen davon, ebenſo iſt es im Erbſenfelde; doch wiſſen ſich die Thiere recht
wohl in andere Arten von Feldfrüchten zu ſchicken. Man hat beobachtet, daß die alten Rammler, welche
Zeit genug haben, das Getreide ausleſen und viel ſorgfältiger aufſchichten, als die Hamſterweibchen,
welche nach der letzten Brut noch raſch einen Bau graben und hier die Speicher füllen müſſen. Nur

Brehm, Thierleben. II. 10
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[145/0161] Der Hamſter. leben gedenken, und ſobald dieſer fertig iſt, paaren ſich die Geſchlechter. Der Sommerbau iſt ge- wöhnlich nur einen, höchſtens zwei Fuß tief, und der Keſſel mit einem Wochenneſt ausgefüttert, neben welchem dann eine einzige Kammer angelegt wird, falls es viel Saatgetreide in der Umgegend gibt. Ende April begeben ſich die Männchen in die Behauſung der Weibchen und leben, wie es ſcheint, friedlich einige Tage beiſammen; ja, ſie zeigen ſogar inſofern eine große Anhänglichkeit an einander, als ſie ſich gegenſeitig beiſtehen, wenn es gilt, eines oder das andere zu vertheidigen. Kommen zwei Männchen zu einem Weibchen, ſo beginnt augenblicklich ein heftiger Zweikampf, bis der ſchwächere der Gegner unterliegt oder entweicht: man findet oft genug Rammler, welche auf ihrem Leibe tiefe Narben tragen, die Zeichen von ſolchem Strauß in Liebesſache. Jn welcher Weiſe die Begattung vor ſich geht, iſt nicht bekannt. Man hat ſich vergeblich bemüht, Dies an zahmen zu erforſchen, und weiß nur, daß das unartige Weibchen, ſobald es ſich befruchtet fühlt, den Ramm- ler ſofort wieder aus ihrem Baue entfernt durch Güte oder durch Gewalt. Von dieſem Augenblicke an herrſcht unter den vor kurzem ſo zärtlichen Liebesleuten eine Erbitterung, wie gegen jedes an- dere fremde Geſchöpf. Etwa vier bis fünf Wochen nach der Begattung, zum erſten Male gegen Ende des Mai, wirft das Weibchen in ſeinem weich und warm ausgefütterten Neſte 6 bis 18 Junge, und jedes Weibchen heckt in einem Sommer wenigſtens zwei Mal. Die Jungen kommen nackt und blind zur Welt, bringen aber ihre Zähne ſchon mit. Bei ihrer Geburt wiegen ſie ein wenig über ein Quentchen; ſie wachſen jedoch außerordentlich ſchnell, denn ſie haben die Augen noch nicht offen, wenn ſie bereits zwölf Mal ſoviel wiegen. Ungefähr mit dem achten oder neunten Tage ihres Lebens öffnen ſie die Augen und beginnen nun auch im Neſte herumzukriechen. Die Alte behandelt ihre Brut mit viel Liebe und duldet es auch, daß man ihr andere Junge zum Säugen anlegt, ſelbſt wenn dieſe nicht die gleiche Größe wie ihre Kinder haben. Am vierzehnten Tage ihres Alters fangen die jungen Hamſter ſchon zu wühlen an, und ſobald ſie Dies können, denkt die unfreundliche Alte daran, ſie ſelbſtändig zu machen, d. h. ſie jagt ſie einfach aus dem Bau hinaus und zwingt ſie, auf eigene Fauſt für ihren Unterhalt zu ſorgen. Dies ſcheint den Hämſterchen nicht eben ſchwer zu wer- den, denn bereits mit dem fünften oder ſechſten Tage, wo ſie kaum behaart und noch vollſtändig blind ſind, wiſſen ſie recht hübſch ein Weizenkorn zwiſchen ihre Vorderpfötchen zu faſſen und verſtehen ganz prächtig, die ſcharfen Zähnchen zu benutzen. Bei Gefahr huſchen die kleinen Thierchen, ſo erbärmlich ſie ausſehen, recht behend im Bau herum, und das eine hat ſich bald aufs geſchickteſte in dieſen, das andere in jenen Winkel zu verbergen gewußt, wenn auch die meiſten der Alten nach- gefolgt ſind. Dieſe, ſonſt ſo wüthend und boshaft, ſo muthig und tapfer, zeigt ſich feig, wenn es gelten ſollte, ihre Brut zu vertheidigen; ſie entflieht auf erbärmliche Weiſe, ſobald ſie ſpürt, daß man ihr oder ihnen nahe kommt, und verkriecht ſich mit ihrer Brut in das blinde Ende eines Ganges, welchen ſie ſo ſchnell als möglich nach dem Neſte zu mit Erde zu verſtopfen ſucht, oder mit erſtaun- licher Geſchicklichkeit und Schnelligkeit weitergräbt. Die Jungen folgen ihr durch Dick und Dünn, durch den Hagel von Erde und Sand, den ſie hinter ſich wirft. Neugeborene Junge ſehen, nach- dem ſie abgetrocknet ſind, faſt blutroth aus und laſſen ein Gewimmer vernehmen, wie es kleine Hunde auszuſtoßen pflegen. Sie erhalten mit dem zweiten oder dritten Tage ein feines Flaumen- haar, welches ſich aber bald verdichtet und den ganzen Körper einhüllt. Doch brauchen ſie immer ein ganzes Jahr, ehe ſie ihre vollſtändige Größe erreichen; aber es ſcheint faſt, daß im Mai geborene Weibchen im Herbſt bereits zur Fortpflanzung geſchickt ſind. Sobald die Felder ſich gilben und die Körner reifen, haben die Hamſter viel zu thun mit der Ernte. Leinknoten, große Puffbohnen und Erbſen ſcheinen von ihnen allen übrigen Früchten vor- gezogen zu werden. Ein Hamſter, der in einem Flachsſtücke liegt, wird nicht leicht etwas anderes einernten, als die Knollen davon, ebenſo iſt es im Erbſenfelde; doch wiſſen ſich die Thiere recht wohl in andere Arten von Feldfrüchten zu ſchicken. Man hat beobachtet, daß die alten Rammler, welche Zeit genug haben, das Getreide ausleſen und viel ſorgfältiger aufſchichten, als die Hamſterweibchen, welche nach der letzten Brut noch raſch einen Bau graben und hier die Speicher füllen müſſen. Nur Brehm, Thierleben. II. 10

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/161>, abgerufen am 02.05.2024.