über Galizien, Ungarn und Siebenbürgen hinaus. Besonders häufig ist sie in Tirol, Kärnthen, Steiermark, Böhmen, Schlesien, Slavonien und in dem nördlichen Jtalien, wie sie überhaupt den Süden in größerer Anzahl bewohnt, als den Norden. Jhre Aufenthaltsorte sind fast dieselben, wie die ihrer Verwandten, und auch ihre Lebensweise erinnert lebhaft an die beschriebenen Schläfer. Sie gehört ebensogut der Ebene, als dem Gebirge an, geht aber in letzterem nicht über den Laubholz- gürtel nach oben, steigt also höchstens zwei bis drei Tausend Fuß über das Meer empor. Niederes Gebüsch und Hecken, am allerliebsten Haselnußdickichte und Gebüsche sind ihre wahren Wohnsitze.
Auch die Haselmaus ist ein Nachtthier. Bei Tage liegt sie irgendwo verborgen und schläft, nachts geht sie ihrer Nahrung nach. Nüsse, Eicheln, harte Samen, saftige Früchte, Beeren und Baumknospen bilden diese; am liebsten aber verzehrt sie Haselnüsse, welche sie, ohne sie abzupflücken, recht kunstreich öffnet und entleert, ohne sie aus der Hülse zu sprengen. Auch den Beeren der Eberesche geht sie nach und wird deshalb nicht selten in Dohnen gefangen. Das Thierchen lebt in kleinen Gesellschaften, obgleich diese nicht gerade innig verbunden sind. Jede einzelne Haselmaus oder ihrer zwei zusammen bauen sich in recht dichten Gebüschen ein weiches, warmes, ziemlich künstliches Nest aus Gras, Blättern, Mos, Würzelchen und Haaren und durchstreifen von hier aus nächtlich ihr Gebiet, fast immer gemeinschaftlich mit anderen, welche in der Nähe wohnen. Es sind echte Baum- thiere, sie klettern wundervoll, auch im dünnsten Gezweige herum, nicht blos nach Art der Eichhörn- chen und anderer Schläfer, sondern auch nach Art der Affen; denn oft kommt es vor, daß sich die Haselmaus mit ihren Hinterbeinen an einem Zweige aufhängt, um eine tiefer hängende Nuß zu erlangen und zu bearbeiten, und ebenso häufig sieht man sie auch an der Unterseite der Aeste hin- laufen, gerade so sicher, als auf der oberen, ganz in der Weise jener Waldseiltänzer des Südens. Selbst auf ebenem Boden ist die Haselmaus noch recht hurtig, wenn sie auch sobald als möglich ihr luftiges Gebiet wieder aufsucht.
Jhre Fortpflanzungszeit fällt erst in den Hochsommer; selten paaren sich die Geschlechter vor Juli. Nach ungefähr vierwöchentlicher Tragzeit, also im August, wirft das Weibchen drei bis vier nackte, blinde Junge in dasselbe Nest, welches es im Sommer zu bewohnen pflegte. Die Kinderchen wachsen außerordentlich schnell, saugen aber doch einen vollen Monat an ihrer Mutter, wenn sie auch inzwischen schon so groß geworden sind, daß sie ab und zu das Nest verlassen können. Anfangs treibt sich die Familie auf den nächsten Haselsträuchen umher, spielt mit einander und sucht dabei Nüsse. Bei dem geringsten Geräusch eilt Alles nach dem Neste zurück, dort Schutz zu suchen. Noch ehe die Zeit kommt, wo sie Abschied nehmen von den Freuden des Lichtes, um sich in ihre Winterlöcher zu- rückzuziehen, sind die Kleinen bereits fast so fett geworden, wie ihre Eltern, und haben sich auch hübsche Vorräthe eingetragen. Um die Mitte des Oktobers zieht sich jede Haselmaus nun in den Schlupfwinkel zurück, wo sie den Wintervorrath eingesammelt, und bereitet sich aus Reisern, Laub, Nadeln, Mos und Gras eine kugelige Hülle, in welche sie sich gänzlich einwickelt; dann rollt sie sich zur Kugel zusammen und fällt in Schlaf, tiefer noch, als ihre Verwandten, denn man kann sie in die Hand nehmen und in derselben herumkugeln, ohne daß sie irgend ein Zeichen des Lebens von sich gibt. Je nach der Milde oder Strenge des Winters durchschläft sie nun ihre sechs bis sieben Monate, mehr oder weniger unterbrochen, bis die schöne warme Frühlingssonne sie zu neuem Leben wach ruft.
Es hält sehr schwer, eine Haselmaus zu bekommen, so lange sie vollkommen munter ist, und wohl nur zufällig erlangt man sie in dieser oder jener Falle, welche man an ihren Lieblingsorten auf- stellte und mit Nüssen oder anderer Nahrung köderte. Hat man sie einmal in der Hand, so hat man sie auch schon so gut, als gezähmt. Niemals wagt sie, sich gegen ihren Bewältiger zur Wehre zu setzen, niemals versucht sie, zu beißen; in der höchsten Angst gibt sie blos einen quietschenden oder hell- zischenden Laut von sich. Bald aber fügt sie sich in das Unvermeidliche, läßt sich ruhig in das Haus tragen und ordnet sich ganz und gar dem Willen des Menschen unter. Sie verliert bald ihre Scheu, doch nicht ihre angeborne Schüchternheit und Furchtsamkeit, selbst, wenn sie sich gewöhnt hat, daß man mit ihr spielt, sie streichelt, sie sich auf die Hand setzt u. s. w. Man ernährt sie mit Nüssen, Obst-
Die Bilche oder Schlafmäuſe.
über Galizien, Ungarn und Siebenbürgen hinaus. Beſonders häufig iſt ſie in Tirol, Kärnthen, Steiermark, Böhmen, Schleſien, Slavonien und in dem nördlichen Jtalien, wie ſie überhaupt den Süden in größerer Anzahl bewohnt, als den Norden. Jhre Aufenthaltsorte ſind faſt dieſelben, wie die ihrer Verwandten, und auch ihre Lebensweiſe erinnert lebhaft an die beſchriebenen Schläfer. Sie gehört ebenſogut der Ebene, als dem Gebirge an, geht aber in letzterem nicht über den Laubholz- gürtel nach oben, ſteigt alſo höchſtens zwei bis drei Tauſend Fuß über das Meer empor. Niederes Gebüſch und Hecken, am allerliebſten Haſelnußdickichte und Gebüſche ſind ihre wahren Wohnſitze.
Auch die Haſelmaus iſt ein Nachtthier. Bei Tage liegt ſie irgendwo verborgen und ſchläft, nachts geht ſie ihrer Nahrung nach. Nüſſe, Eicheln, harte Samen, ſaftige Früchte, Beeren und Baumknoſpen bilden dieſe; am liebſten aber verzehrt ſie Haſelnüſſe, welche ſie, ohne ſie abzupflücken, recht kunſtreich öffnet und entleert, ohne ſie aus der Hülſe zu ſprengen. Auch den Beeren der Ebereſche geht ſie nach und wird deshalb nicht ſelten in Dohnen gefangen. Das Thierchen lebt in kleinen Geſellſchaften, obgleich dieſe nicht gerade innig verbunden ſind. Jede einzelne Haſelmaus oder ihrer zwei zuſammen bauen ſich in recht dichten Gebüſchen ein weiches, warmes, ziemlich künſtliches Neſt aus Gras, Blättern, Mos, Würzelchen und Haaren und durchſtreifen von hier aus nächtlich ihr Gebiet, faſt immer gemeinſchaftlich mit anderen, welche in der Nähe wohnen. Es ſind echte Baum- thiere, ſie klettern wundervoll, auch im dünnſten Gezweige herum, nicht blos nach Art der Eichhörn- chen und anderer Schläfer, ſondern auch nach Art der Affen; denn oft kommt es vor, daß ſich die Haſelmaus mit ihren Hinterbeinen an einem Zweige aufhängt, um eine tiefer hängende Nuß zu erlangen und zu bearbeiten, und ebenſo häufig ſieht man ſie auch an der Unterſeite der Aeſte hin- laufen, gerade ſo ſicher, als auf der oberen, ganz in der Weiſe jener Waldſeiltänzer des Südens. Selbſt auf ebenem Boden iſt die Haſelmaus noch recht hurtig, wenn ſie auch ſobald als möglich ihr luftiges Gebiet wieder aufſucht.
Jhre Fortpflanzungszeit fällt erſt in den Hochſommer; ſelten paaren ſich die Geſchlechter vor Juli. Nach ungefähr vierwöchentlicher Tragzeit, alſo im Auguſt, wirft das Weibchen drei bis vier nackte, blinde Junge in daſſelbe Neſt, welches es im Sommer zu bewohnen pflegte. Die Kinderchen wachſen außerordentlich ſchnell, ſaugen aber doch einen vollen Monat an ihrer Mutter, wenn ſie auch inzwiſchen ſchon ſo groß geworden ſind, daß ſie ab und zu das Neſt verlaſſen können. Anfangs treibt ſich die Familie auf den nächſten Haſelſträuchen umher, ſpielt mit einander und ſucht dabei Nüſſe. Bei dem geringſten Geräuſch eilt Alles nach dem Neſte zurück, dort Schutz zu ſuchen. Noch ehe die Zeit kommt, wo ſie Abſchied nehmen von den Freuden des Lichtes, um ſich in ihre Winterlöcher zu- rückzuziehen, ſind die Kleinen bereits faſt ſo fett geworden, wie ihre Eltern, und haben ſich auch hübſche Vorräthe eingetragen. Um die Mitte des Oktobers zieht ſich jede Haſelmaus nun in den Schlupfwinkel zurück, wo ſie den Wintervorrath eingeſammelt, und bereitet ſich aus Reiſern, Laub, Nadeln, Mos und Gras eine kugelige Hülle, in welche ſie ſich gänzlich einwickelt; dann rollt ſie ſich zur Kugel zuſammen und fällt in Schlaf, tiefer noch, als ihre Verwandten, denn man kann ſie in die Hand nehmen und in derſelben herumkugeln, ohne daß ſie irgend ein Zeichen des Lebens von ſich gibt. Je nach der Milde oder Strenge des Winters durchſchläft ſie nun ihre ſechs bis ſieben Monate, mehr oder weniger unterbrochen, bis die ſchöne warme Frühlingsſonne ſie zu neuem Leben wach ruft.
Es hält ſehr ſchwer, eine Haſelmaus zu bekommen, ſo lange ſie vollkommen munter iſt, und wohl nur zufällig erlangt man ſie in dieſer oder jener Falle, welche man an ihren Lieblingsorten auf- ſtellte und mit Nüſſen oder anderer Nahrung köderte. Hat man ſie einmal in der Hand, ſo hat man ſie auch ſchon ſo gut, als gezähmt. Niemals wagt ſie, ſich gegen ihren Bewältiger zur Wehre zu ſetzen, niemals verſucht ſie, zu beißen; in der höchſten Angſt gibt ſie blos einen quietſchenden oder hell- ziſchenden Laut von ſich. Bald aber fügt ſie ſich in das Unvermeidliche, läßt ſich ruhig in das Haus tragen und ordnet ſich ganz und gar dem Willen des Menſchen unter. Sie verliert bald ihre Scheu, doch nicht ihre angeborne Schüchternheit und Furchtſamkeit, ſelbſt, wenn ſie ſich gewöhnt hat, daß man mit ihr ſpielt, ſie ſtreichelt, ſie ſich auf die Hand ſetzt u. ſ. w. Man ernährt ſie mit Nüſſen, Obſt-
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[110/0124]
Die Bilche oder Schlafmäuſe.
über Galizien, Ungarn und Siebenbürgen hinaus. Beſonders häufig iſt ſie in Tirol, Kärnthen,
Steiermark, Böhmen, Schleſien, Slavonien und in dem nördlichen Jtalien, wie ſie überhaupt den
Süden in größerer Anzahl bewohnt, als den Norden. Jhre Aufenthaltsorte ſind faſt dieſelben, wie
die ihrer Verwandten, und auch ihre Lebensweiſe erinnert lebhaft an die beſchriebenen Schläfer. Sie
gehört ebenſogut der Ebene, als dem Gebirge an, geht aber in letzterem nicht über den Laubholz-
gürtel nach oben, ſteigt alſo höchſtens zwei bis drei Tauſend Fuß über das Meer empor. Niederes
Gebüſch und Hecken, am allerliebſten Haſelnußdickichte und Gebüſche ſind ihre wahren Wohnſitze.
Auch die Haſelmaus iſt ein Nachtthier. Bei Tage liegt ſie irgendwo verborgen und ſchläft,
nachts geht ſie ihrer Nahrung nach. Nüſſe, Eicheln, harte Samen, ſaftige Früchte, Beeren und
Baumknoſpen bilden dieſe; am liebſten aber verzehrt ſie Haſelnüſſe, welche ſie, ohne ſie abzupflücken,
recht kunſtreich öffnet und entleert, ohne ſie aus der Hülſe zu ſprengen. Auch den Beeren der
Ebereſche geht ſie nach und wird deshalb nicht ſelten in Dohnen gefangen. Das Thierchen lebt in
kleinen Geſellſchaften, obgleich dieſe nicht gerade innig verbunden ſind. Jede einzelne Haſelmaus oder
ihrer zwei zuſammen bauen ſich in recht dichten Gebüſchen ein weiches, warmes, ziemlich künſtliches
Neſt aus Gras, Blättern, Mos, Würzelchen und Haaren und durchſtreifen von hier aus nächtlich
ihr Gebiet, faſt immer gemeinſchaftlich mit anderen, welche in der Nähe wohnen. Es ſind echte Baum-
thiere, ſie klettern wundervoll, auch im dünnſten Gezweige herum, nicht blos nach Art der Eichhörn-
chen und anderer Schläfer, ſondern auch nach Art der Affen; denn oft kommt es vor, daß ſich die
Haſelmaus mit ihren Hinterbeinen an einem Zweige aufhängt, um eine tiefer hängende Nuß zu
erlangen und zu bearbeiten, und ebenſo häufig ſieht man ſie auch an der Unterſeite der Aeſte hin-
laufen, gerade ſo ſicher, als auf der oberen, ganz in der Weiſe jener Waldſeiltänzer des Südens.
Selbſt auf ebenem Boden iſt die Haſelmaus noch recht hurtig, wenn ſie auch ſobald als möglich ihr
luftiges Gebiet wieder aufſucht.
Jhre Fortpflanzungszeit fällt erſt in den Hochſommer; ſelten paaren ſich die Geſchlechter vor
Juli. Nach ungefähr vierwöchentlicher Tragzeit, alſo im Auguſt, wirft das Weibchen drei bis vier
nackte, blinde Junge in daſſelbe Neſt, welches es im Sommer zu bewohnen pflegte. Die Kinderchen
wachſen außerordentlich ſchnell, ſaugen aber doch einen vollen Monat an ihrer Mutter, wenn ſie auch
inzwiſchen ſchon ſo groß geworden ſind, daß ſie ab und zu das Neſt verlaſſen können. Anfangs treibt
ſich die Familie auf den nächſten Haſelſträuchen umher, ſpielt mit einander und ſucht dabei Nüſſe.
Bei dem geringſten Geräuſch eilt Alles nach dem Neſte zurück, dort Schutz zu ſuchen. Noch ehe die
Zeit kommt, wo ſie Abſchied nehmen von den Freuden des Lichtes, um ſich in ihre Winterlöcher zu-
rückzuziehen, ſind die Kleinen bereits faſt ſo fett geworden, wie ihre Eltern, und haben ſich auch
hübſche Vorräthe eingetragen. Um die Mitte des Oktobers zieht ſich jede Haſelmaus nun in den
Schlupfwinkel zurück, wo ſie den Wintervorrath eingeſammelt, und bereitet ſich aus Reiſern, Laub,
Nadeln, Mos und Gras eine kugelige Hülle, in welche ſie ſich gänzlich einwickelt; dann rollt ſie ſich
zur Kugel zuſammen und fällt in Schlaf, tiefer noch, als ihre Verwandten, denn man kann ſie in die
Hand nehmen und in derſelben herumkugeln, ohne daß ſie irgend ein Zeichen des Lebens von ſich gibt.
Je nach der Milde oder Strenge des Winters durchſchläft ſie nun ihre ſechs bis ſieben Monate,
mehr oder weniger unterbrochen, bis die ſchöne warme Frühlingsſonne ſie zu neuem Leben wach ruft.
Es hält ſehr ſchwer, eine Haſelmaus zu bekommen, ſo lange ſie vollkommen munter iſt, und
wohl nur zufällig erlangt man ſie in dieſer oder jener Falle, welche man an ihren Lieblingsorten auf-
ſtellte und mit Nüſſen oder anderer Nahrung köderte. Hat man ſie einmal in der Hand, ſo hat man
ſie auch ſchon ſo gut, als gezähmt. Niemals wagt ſie, ſich gegen ihren Bewältiger zur Wehre zu
ſetzen, niemals verſucht ſie, zu beißen; in der höchſten Angſt gibt ſie blos einen quietſchenden oder hell-
ziſchenden Laut von ſich. Bald aber fügt ſie ſich in das Unvermeidliche, läßt ſich ruhig in das Haus
tragen und ordnet ſich ganz und gar dem Willen des Menſchen unter. Sie verliert bald ihre Scheu,
doch nicht ihre angeborne Schüchternheit und Furchtſamkeit, ſelbſt, wenn ſie ſich gewöhnt hat, daß
man mit ihr ſpielt, ſie ſtreichelt, ſie ſich auf die Hand ſetzt u. ſ. w. Man ernährt ſie mit Nüſſen, Obſt-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/124>, abgerufen am 25.11.2024.
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