Die Raubthiere. Jgel. -- Großöhriger Jgel. Borstenigel.
ist. So geht in manchen Gärten oder Wäldchen in einem Winter zuweilen die ganze Brut zu Grunde.
Auch noch nach seinem Tode muß der Jgel dem Menschen nützen, wenigstens in manchen Gegenden. Sein Fleisch wird wahrscheinlich blos von Zigeunern und ähnlichem herumstreifenden Gesindel verzehrt, aber also doch gegessen, und man hat sogar eine eigne Zubereitungsweise erfunden. Der Jgel wird von dem wahren Kochkünstler mit einer dicken Lage gut durchgekneteten, klebrigen Lehms überzogen und mit dieser Hülle übers Feuer gebracht, hierauf sorgfältig in gewissen Zeit- räumen gedreht und gewendet. Sobald die Lehmschicht ganz trocken und hart geworden ist, gilt der Braten für gar. Man nimmt ihn vom Feuer, läßt ihn etwas abkühlen und bricht dann die Hülle ab, hierdurch zugleich die sämmtlichen Stacheln, welche in der Erde stecken bleiben, entfernend. Bei dieser Zubereitungsart wird der Saft vollkommen erhalten und ein nach dem Geschmack der genannten Leute ausgezeichneter Braten erzielt. Gesittete und gebildete Leute dürften sich jedoch schwerlich mit solcher Kocherei befreunden, schon unserm Musäus zu Gefallen, welcher bekanntlich eine seiner Druden vorzugsweise von Jgeln leben läßt. Jn Spanien wurde er früher häufig ge- nossen, zumal während der Fastenzeit, weil ihm von den Erzfeinden aller Naturwissenschaft, den
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Der großohrige Jgel (Erinaceus auritus).
Pfaffen, seine Stellung in der Klasse der Säugethiere abgesprochen, und er, wer weiß für welches Thier erklärt wurde. Bei den Alten spielte er auch in der Arzneikunde seine Rolle. Man benutzte sein Blut, seine Eingeweide, ja selbst seinen Mist als Heilmittel oder brannte das ganze Thier zu Asche und verwendete diese in ähnlicher Weise, wie die Hundeasche, von deren Benutzung ich oben gesprochen habe. Selbst heut zu Tage wird sein Fett noch als besonders heilkräftig angesehen. Die Stachelhaut benutzten die alten Römer zum Karden ihrer wollenen Tücher, und man trieb deshalb lebhaften Handel mit Jgelhäuten, einen Handel, welcher so bedeutenden Gewinn abwarf, daß er durch Senatsbeschlüsse geregelt werden mußte. Dann wandte man den Stachelpelz als Hechel an, und heutigen Tags sollen noch manche Landwirthe von dem Jgelfell Gebrauch machen, wenn sie ein Kalb absetzen wollen. Sie binden dem noch sauglustigen Thiere ein Stückchen Jgelfell mit den Stacheln auf die Nase und überlassen es dann der Mutter selbst, den Säugling, welcher ihr äußerst beschwerlich fällt, von sich abzutreiben und an anderes Futter zu gewöhnen.
Daß über den Jgel und sein Leben die allerverschiedenartigsten Fabeln ausgeheckt worden sind und heutigen Tages noch geglaubt werden, wird wohl Niemand Wunder nehmen, welcher darauf ge- achtet hat, wie Ungebildete von einem Gegenstand denken, den sie noch nicht hinlänglich kennen
Die Raubthiere. Jgel. — Großöhriger Jgel. Borſtenigel.
iſt. So geht in manchen Gärten oder Wäldchen in einem Winter zuweilen die ganze Brut zu Grunde.
Auch noch nach ſeinem Tode muß der Jgel dem Menſchen nützen, wenigſtens in manchen Gegenden. Sein Fleiſch wird wahrſcheinlich blos von Zigeunern und ähnlichem herumſtreifenden Geſindel verzehrt, aber alſo doch gegeſſen, und man hat ſogar eine eigne Zubereitungsweiſe erfunden. Der Jgel wird von dem wahren Kochkünſtler mit einer dicken Lage gut durchgekneteten, klebrigen Lehms überzogen und mit dieſer Hülle übers Feuer gebracht, hierauf ſorgfältig in gewiſſen Zeit- räumen gedreht und gewendet. Sobald die Lehmſchicht ganz trocken und hart geworden iſt, gilt der Braten für gar. Man nimmt ihn vom Feuer, läßt ihn etwas abkühlen und bricht dann die Hülle ab, hierdurch zugleich die ſämmtlichen Stacheln, welche in der Erde ſtecken bleiben, entfernend. Bei dieſer Zubereitungsart wird der Saft vollkommen erhalten und ein nach dem Geſchmack der genannten Leute ausgezeichneter Braten erzielt. Geſittete und gebildete Leute dürften ſich jedoch ſchwerlich mit ſolcher Kocherei befreunden, ſchon unſerm Muſäus zu Gefallen, welcher bekanntlich eine ſeiner Druden vorzugsweiſe von Jgeln leben läßt. Jn Spanien wurde er früher häufig ge- noſſen, zumal während der Faſtenzeit, weil ihm von den Erzfeinden aller Naturwiſſenſchaft, den
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Der großohrige Jgel (Erinaceus auritus).
Pfaffen, ſeine Stellung in der Klaſſe der Säugethiere abgeſprochen, und er, wer weiß für welches Thier erklärt wurde. Bei den Alten ſpielte er auch in der Arzneikunde ſeine Rolle. Man benutzte ſein Blut, ſeine Eingeweide, ja ſelbſt ſeinen Miſt als Heilmittel oder brannte das ganze Thier zu Aſche und verwendete dieſe in ähnlicher Weiſe, wie die Hundeaſche, von deren Benutzung ich oben geſprochen habe. Selbſt heut zu Tage wird ſein Fett noch als beſonders heilkräftig angeſehen. Die Stachelhaut benutzten die alten Römer zum Karden ihrer wollenen Tücher, und man trieb deshalb lebhaften Handel mit Jgelhäuten, einen Handel, welcher ſo bedeutenden Gewinn abwarf, daß er durch Senatsbeſchlüſſe geregelt werden mußte. Dann wandte man den Stachelpelz als Hechel an, und heutigen Tags ſollen noch manche Landwirthe von dem Jgelfell Gebrauch machen, wenn ſie ein Kalb abſetzen wollen. Sie binden dem noch ſaugluſtigen Thiere ein Stückchen Jgelfell mit den Stacheln auf die Naſe und überlaſſen es dann der Mutter ſelbſt, den Säugling, welcher ihr äußerſt beſchwerlich fällt, von ſich abzutreiben und an anderes Futter zu gewöhnen.
Daß über den Jgel und ſein Leben die allerverſchiedenartigſten Fabeln ausgeheckt worden ſind und heutigen Tages noch geglaubt werden, wird wohl Niemand Wunder nehmen, welcher darauf ge- achtet hat, wie Ungebildete von einem Gegenſtand denken, den ſie noch nicht hinlänglich kennen
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Die Raubthiere. Jgel. — Großöhriger Jgel. Borſtenigel.
iſt. So geht in manchen Gärten oder Wäldchen in einem Winter zuweilen die ganze Brut
zu Grunde.
Auch noch nach ſeinem Tode muß der Jgel dem Menſchen nützen, wenigſtens in manchen
Gegenden. Sein Fleiſch wird wahrſcheinlich blos von Zigeunern und ähnlichem herumſtreifenden
Geſindel verzehrt, aber alſo doch gegeſſen, und man hat ſogar eine eigne Zubereitungsweiſe erfunden.
Der Jgel wird von dem wahren Kochkünſtler mit einer dicken Lage gut durchgekneteten, klebrigen
Lehms überzogen und mit dieſer Hülle übers Feuer gebracht, hierauf ſorgfältig in gewiſſen Zeit-
räumen gedreht und gewendet. Sobald die Lehmſchicht ganz trocken und hart geworden iſt, gilt
der Braten für gar. Man nimmt ihn vom Feuer, läßt ihn etwas abkühlen und bricht dann die
Hülle ab, hierdurch zugleich die ſämmtlichen Stacheln, welche in der Erde ſtecken bleiben, entfernend.
Bei dieſer Zubereitungsart wird der Saft vollkommen erhalten und ein nach dem Geſchmack der
genannten Leute ausgezeichneter Braten erzielt. Geſittete und gebildete Leute dürften ſich jedoch
ſchwerlich mit ſolcher Kocherei befreunden, ſchon unſerm Muſäus zu Gefallen, welcher bekanntlich
eine ſeiner Druden vorzugsweiſe von Jgeln leben läßt. Jn Spanien wurde er früher häufig ge-
noſſen, zumal während der Faſtenzeit, weil ihm von den Erzfeinden aller Naturwiſſenſchaft, den
[Abbildung Der großohrige Jgel (Erinaceus auritus).]
Pfaffen, ſeine Stellung in der Klaſſe der Säugethiere abgeſprochen, und er, wer weiß für welches
Thier erklärt wurde. Bei den Alten ſpielte er auch in der Arzneikunde ſeine Rolle. Man benutzte
ſein Blut, ſeine Eingeweide, ja ſelbſt ſeinen Miſt als Heilmittel oder brannte das ganze Thier zu
Aſche und verwendete dieſe in ähnlicher Weiſe, wie die Hundeaſche, von deren Benutzung ich oben
geſprochen habe. Selbſt heut zu Tage wird ſein Fett noch als beſonders heilkräftig angeſehen. Die
Stachelhaut benutzten die alten Römer zum Karden ihrer wollenen Tücher, und man trieb deshalb
lebhaften Handel mit Jgelhäuten, einen Handel, welcher ſo bedeutenden Gewinn abwarf, daß er
durch Senatsbeſchlüſſe geregelt werden mußte. Dann wandte man den Stachelpelz als Hechel an,
und heutigen Tags ſollen noch manche Landwirthe von dem Jgelfell Gebrauch machen, wenn ſie ein
Kalb abſetzen wollen. Sie binden dem noch ſaugluſtigen Thiere ein Stückchen Jgelfell mit den
Stacheln auf die Naſe und überlaſſen es dann der Mutter ſelbſt, den Säugling, welcher ihr äußerſt
beſchwerlich fällt, von ſich abzutreiben und an anderes Futter zu gewöhnen.
Daß über den Jgel und ſein Leben die allerverſchiedenartigſten Fabeln ausgeheckt worden ſind
und heutigen Tages noch geglaubt werden, wird wohl Niemand Wunder nehmen, welcher darauf ge-
achtet hat, wie Ungebildete von einem Gegenſtand denken, den ſie noch nicht hinlänglich kennen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 658. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/736>, abgerufen am 22.07.2024.
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