bekam einen eigenthümlichen, unsichern Blick und einen merkwürdigen Glanz, kurz, ganz und gar den Ausdruck, welchen man bei Trunkenen überhaupt wahrnimmt. Er stolperte, ohne uns im geringsten zu beachten, in der merkwürdigsten und lächerlichsten Weise vor sich, wankte, fiel bald auf diese, bald auf jene Seite und geberdete sich in einer Weise, als wollte er sagen: geht mir nur Alle aus dem Wege, denn ich brauche heute viel Platz. Mehr und mehr nahm dann seine Hilflosigkeit überhand; er wankte häufiger, viel öfter und war schließlich so vollkommen betrunken, daß er Alles über sich ergehen ließ. Wir konnten ihn hin und herdrehen, seinen Mund aufmachen, ihn an den Haaren zupfen, er rührte sich nicht. Nach zwölf Stunden sahen wir ihn wieder herumlaufen. Er war voll- kommen gebändigt, und seine Stacheln blieben jetzt, wenn wir uns ihm näherten, stets in schönster Ordnung liegen."
Der Jgel hat außer dem unwissenden, böswilligen Menschen noch viele andere Feinde. Die Hunde hassen ihn aus tiefster Seele und verkünden Dies durch ihr anhaltendes, wüthendes Gebell. Sobald sie einen Jgel entdeckt haben, sind sie außer sich und versuchen alles Mögliche, um dem Stachelträger ihren Grimm zu zeigen. Der verharrt in seiner leidenden Stellung, solange sich der Hund mit ihm beschäftigt, und überläßt es diesem, sich eine blutige Nase zu holen. Die Wuth des Hundes ist wahrscheinlich größtentheils in dem Aerger begründet, dem Gepanzerten nicht nur Nichts anhaben zu können, sondern sich selbst zu schaden. Manche Jagdhunde achten selbst die Stacheln nicht, wenn sie ihren Grimm an dem Jgel auslassen wollen. So besaß ein Freund von mir eine Hühnerhündin, welche alle Jgel todtbiß, die sie auffand. Als mit zunehmendem Alter ihre Zähne stumpf wurden, konnte sie diese Heldenthaten der Jugend nicht mehr vollbringen, ihr Haß blieb aber derselbe, und sie nahm fortan jeden Jgel, welchen sie auffand, in das Maul, trug ihn nach einer Brücke und warf ihn dort wenigstens noch ins Wasser. Der Fuchs soll, wie versichert wird, dem Jgel eifrig nachstellen und ihn auf recht niederträchtige Weise zum Aufrollen bringen. Er wälzt nämlich die Stachelkugel mit seinen Vorderpfoten langsam dem Wasser zu und wirft sie da hinein, oder er dreht sie so, daß der Jgel auf den Rücken zu liegen kommt, und bespritzt ihn mit seinem stinkenden, abscheulichen Harn, worauf sich der arme Gesell verzweifelt aufrollt, im gleichen Augenblick aber von dem Erzschurken an der Nase gefaßt und getödtet wird. Dann ist es für Meister Reinecke natürlich ein Kleines, den Panzer auszufressen. Auf diese Weise gehen viele Jgel zu Grunde, zumal in der Jugend. Aber sie haben einen noch gefährlichern Feind, den Uhu. "Nicht weit von Schnepfen- thal," sagt Lenz, "steht ein Felsen, der Thorstein, auf dessen Höhe die Uhus ihr Wesen zu treiben pflegen. Dort habe ich öfters außer dem Mist und den Federn dieser Eulen auch Jgelhäute, und nicht blos diese, sondern selbst die Stacheln der Jgel in dem Gewöll, welches die Uhus ausspeien, gefunden. Wir heben hier eins dieser Gewölle als eine Seltenheit im Kabinet auf, welches fast ganz aus Stacheln des Jgels besteht. -- Die Krallen und der Schnabel des Uhu sind lang und unempfind- lich, so daß er mit großer Leichtigkeit durch das Stachelkleid des Jgels greifen kann. Vor nicht gar langer Zeit gingen unsere Zöglinge unweit Schnepfenthal bei trübem Wetter spazieren. Da kam ein Uhu angeflogen, welcher einen großen Klumpen in den Füßen hielt. Die Knaben erhoben ein lautes Geschrei, und siehe, der Vogel ließ seine Beute fallen. Es war ein großer, frischblutender, noch lebenswarmer Jgel." Dagegen gehört jedenfalls in das Gebiet der Fabel, wenn der norwegische Bischof Pontoppidan erzählt, daß sich der Jgel in das Lager des Bären schleiche, mit seinen Stacheln dem Wirth so beschwerlich falle, daß dieser sich geradezu, weil er sich an dem kleinen, unverschämten Gaste nicht rächen könne, ebensowohl, wie der Dachs, nach einer andern Wohnung umsehen müsse. Wer nur einmal eine Bärenklaue gesehen, begreift, daß ein einziger Schlag von derselben einem Jgel für ewige Zeiten die Lust vertreiben würde, einen Bären zu belästigen. Noch mehr Jgel, als den genannten Feinden zum Opfer fallen, mögen eine Beute des Winters werden. Die Jungen, Unerfahrenen wagen sich oft, vom Hunger getrieben, noch im Spätherbst mit der beginnenden Nacht aus ihren Verstecken hervor und erstarren in der Kühle des Morgens. Viele sterben auch während des Winters, wenn ihr Nest dem Sturm und Wetter zu sehr ausgesetzt
Brehm, Thierleben. 42
Zähmung. Feinde.
bekam einen eigenthümlichen, unſichern Blick und einen merkwürdigen Glanz, kurz, ganz und gar den Ausdruck, welchen man bei Trunkenen überhaupt wahrnimmt. Er ſtolperte, ohne uns im geringſten zu beachten, in der merkwürdigſten und lächerlichſten Weiſe vor ſich, wankte, fiel bald auf dieſe, bald auf jene Seite und geberdete ſich in einer Weiſe, als wollte er ſagen: geht mir nur Alle aus dem Wege, denn ich brauche heute viel Platz. Mehr und mehr nahm dann ſeine Hilfloſigkeit überhand; er wankte häufiger, viel öfter und war ſchließlich ſo vollkommen betrunken, daß er Alles über ſich ergehen ließ. Wir konnten ihn hin und herdrehen, ſeinen Mund aufmachen, ihn an den Haaren zupfen, er rührte ſich nicht. Nach zwölf Stunden ſahen wir ihn wieder herumlaufen. Er war voll- kommen gebändigt, und ſeine Stacheln blieben jetzt, wenn wir uns ihm näherten, ſtets in ſchönſter Ordnung liegen.‟
Der Jgel hat außer dem unwiſſenden, böswilligen Menſchen noch viele andere Feinde. Die Hunde haſſen ihn aus tiefſter Seele und verkünden Dies durch ihr anhaltendes, wüthendes Gebell. Sobald ſie einen Jgel entdeckt haben, ſind ſie außer ſich und verſuchen alles Mögliche, um dem Stachelträger ihren Grimm zu zeigen. Der verharrt in ſeiner leidenden Stellung, ſolange ſich der Hund mit ihm beſchäftigt, und überläßt es dieſem, ſich eine blutige Naſe zu holen. Die Wuth des Hundes iſt wahrſcheinlich größtentheils in dem Aerger begründet, dem Gepanzerten nicht nur Nichts anhaben zu können, ſondern ſich ſelbſt zu ſchaden. Manche Jagdhunde achten ſelbſt die Stacheln nicht, wenn ſie ihren Grimm an dem Jgel auslaſſen wollen. So beſaß ein Freund von mir eine Hühnerhündin, welche alle Jgel todtbiß, die ſie auffand. Als mit zunehmendem Alter ihre Zähne ſtumpf wurden, konnte ſie dieſe Heldenthaten der Jugend nicht mehr vollbringen, ihr Haß blieb aber derſelbe, und ſie nahm fortan jeden Jgel, welchen ſie auffand, in das Maul, trug ihn nach einer Brücke und warf ihn dort wenigſtens noch ins Waſſer. Der Fuchs ſoll, wie verſichert wird, dem Jgel eifrig nachſtellen und ihn auf recht niederträchtige Weiſe zum Aufrollen bringen. Er wälzt nämlich die Stachelkugel mit ſeinen Vorderpfoten langſam dem Waſſer zu und wirft ſie da hinein, oder er dreht ſie ſo, daß der Jgel auf den Rücken zu liegen kommt, und beſpritzt ihn mit ſeinem ſtinkenden, abſcheulichen Harn, worauf ſich der arme Geſell verzweifelt aufrollt, im gleichen Augenblick aber von dem Erzſchurken an der Naſe gefaßt und getödtet wird. Dann iſt es für Meiſter Reinecke natürlich ein Kleines, den Panzer auszufreſſen. Auf dieſe Weiſe gehen viele Jgel zu Grunde, zumal in der Jugend. Aber ſie haben einen noch gefährlichern Feind, den Uhu. „Nicht weit von Schnepfen- thal,‟ ſagt Lenz, „ſteht ein Felſen, der Thorſtein, auf deſſen Höhe die Uhus ihr Weſen zu treiben pflegen. Dort habe ich öfters außer dem Miſt und den Federn dieſer Eulen auch Jgelhäute, und nicht blos dieſe, ſondern ſelbſt die Stacheln der Jgel in dem Gewöll, welches die Uhus ausſpeien, gefunden. Wir heben hier eins dieſer Gewölle als eine Seltenheit im Kabinet auf, welches faſt ganz aus Stacheln des Jgels beſteht. — Die Krallen und der Schnabel des Uhu ſind lang und unempfind- lich, ſo daß er mit großer Leichtigkeit durch das Stachelkleid des Jgels greifen kann. Vor nicht gar langer Zeit gingen unſere Zöglinge unweit Schnepfenthal bei trübem Wetter ſpazieren. Da kam ein Uhu angeflogen, welcher einen großen Klumpen in den Füßen hielt. Die Knaben erhoben ein lautes Geſchrei, und ſiehe, der Vogel ließ ſeine Beute fallen. Es war ein großer, friſchblutender, noch lebenswarmer Jgel.‟ Dagegen gehört jedenfalls in das Gebiet der Fabel, wenn der norwegiſche Biſchof Pontoppidan erzählt, daß ſich der Jgel in das Lager des Bären ſchleiche, mit ſeinen Stacheln dem Wirth ſo beſchwerlich falle, daß dieſer ſich geradezu, weil er ſich an dem kleinen, unverſchämten Gaſte nicht rächen könne, ebenſowohl, wie der Dachs, nach einer andern Wohnung umſehen müſſe. Wer nur einmal eine Bärenklaue geſehen, begreift, daß ein einziger Schlag von derſelben einem Jgel für ewige Zeiten die Luſt vertreiben würde, einen Bären zu beläſtigen. Noch mehr Jgel, als den genannten Feinden zum Opfer fallen, mögen eine Beute des Winters werden. Die Jungen, Unerfahrenen wagen ſich oft, vom Hunger getrieben, noch im Spätherbſt mit der beginnenden Nacht aus ihren Verſtecken hervor und erſtarren in der Kühle des Morgens. Viele ſterben auch während des Winters, wenn ihr Neſt dem Sturm und Wetter zu ſehr ausgeſetzt
Brehm, Thierleben. 42
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[657/0735]
Zähmung. Feinde.
bekam einen eigenthümlichen, unſichern Blick und einen merkwürdigen Glanz, kurz, ganz und gar den
Ausdruck, welchen man bei Trunkenen überhaupt wahrnimmt. Er ſtolperte, ohne uns im geringſten
zu beachten, in der merkwürdigſten und lächerlichſten Weiſe vor ſich, wankte, fiel bald auf dieſe, bald
auf jene Seite und geberdete ſich in einer Weiſe, als wollte er ſagen: geht mir nur Alle aus dem
Wege, denn ich brauche heute viel Platz. Mehr und mehr nahm dann ſeine Hilfloſigkeit überhand;
er wankte häufiger, viel öfter und war ſchließlich ſo vollkommen betrunken, daß er Alles über ſich
ergehen ließ. Wir konnten ihn hin und herdrehen, ſeinen Mund aufmachen, ihn an den Haaren
zupfen, er rührte ſich nicht. Nach zwölf Stunden ſahen wir ihn wieder herumlaufen. Er war voll-
kommen gebändigt, und ſeine Stacheln blieben jetzt, wenn wir uns ihm näherten, ſtets in ſchönſter
Ordnung liegen.‟
Der Jgel hat außer dem unwiſſenden, böswilligen Menſchen noch viele andere Feinde. Die
Hunde haſſen ihn aus tiefſter Seele und verkünden Dies durch ihr anhaltendes, wüthendes Gebell.
Sobald ſie einen Jgel entdeckt haben, ſind ſie außer ſich und verſuchen alles Mögliche, um dem
Stachelträger ihren Grimm zu zeigen. Der verharrt in ſeiner leidenden Stellung, ſolange ſich der
Hund mit ihm beſchäftigt, und überläßt es dieſem, ſich eine blutige Naſe zu holen. Die Wuth des
Hundes iſt wahrſcheinlich größtentheils in dem Aerger begründet, dem Gepanzerten nicht nur Nichts
anhaben zu können, ſondern ſich ſelbſt zu ſchaden. Manche Jagdhunde achten ſelbſt die Stacheln
nicht, wenn ſie ihren Grimm an dem Jgel auslaſſen wollen. So beſaß ein Freund von mir eine
Hühnerhündin, welche alle Jgel todtbiß, die ſie auffand. Als mit zunehmendem Alter ihre Zähne
ſtumpf wurden, konnte ſie dieſe Heldenthaten der Jugend nicht mehr vollbringen, ihr Haß blieb aber
derſelbe, und ſie nahm fortan jeden Jgel, welchen ſie auffand, in das Maul, trug ihn nach einer
Brücke und warf ihn dort wenigſtens noch ins Waſſer. Der Fuchs ſoll, wie verſichert wird, dem
Jgel eifrig nachſtellen und ihn auf recht niederträchtige Weiſe zum Aufrollen bringen. Er wälzt
nämlich die Stachelkugel mit ſeinen Vorderpfoten langſam dem Waſſer zu und wirft ſie da hinein, oder
er dreht ſie ſo, daß der Jgel auf den Rücken zu liegen kommt, und beſpritzt ihn mit ſeinem ſtinkenden,
abſcheulichen Harn, worauf ſich der arme Geſell verzweifelt aufrollt, im gleichen Augenblick aber von
dem Erzſchurken an der Naſe gefaßt und getödtet wird. Dann iſt es für Meiſter Reinecke natürlich
ein Kleines, den Panzer auszufreſſen. Auf dieſe Weiſe gehen viele Jgel zu Grunde, zumal in der
Jugend. Aber ſie haben einen noch gefährlichern Feind, den Uhu. „Nicht weit von Schnepfen-
thal,‟ ſagt Lenz, „ſteht ein Felſen, der Thorſtein, auf deſſen Höhe die Uhus ihr Weſen zu treiben
pflegen. Dort habe ich öfters außer dem Miſt und den Federn dieſer Eulen auch Jgelhäute, und
nicht blos dieſe, ſondern ſelbſt die Stacheln der Jgel in dem Gewöll, welches die Uhus ausſpeien,
gefunden. Wir heben hier eins dieſer Gewölle als eine Seltenheit im Kabinet auf, welches faſt ganz
aus Stacheln des Jgels beſteht. — Die Krallen und der Schnabel des Uhu ſind lang und unempfind-
lich, ſo daß er mit großer Leichtigkeit durch das Stachelkleid des Jgels greifen kann. Vor nicht gar
langer Zeit gingen unſere Zöglinge unweit Schnepfenthal bei trübem Wetter ſpazieren. Da kam ein
Uhu angeflogen, welcher einen großen Klumpen in den Füßen hielt. Die Knaben erhoben ein lautes
Geſchrei, und ſiehe, der Vogel ließ ſeine Beute fallen. Es war ein großer, friſchblutender, noch
lebenswarmer Jgel.‟ Dagegen gehört jedenfalls in das Gebiet der Fabel, wenn der norwegiſche
Biſchof Pontoppidan erzählt, daß ſich der Jgel in das Lager des Bären ſchleiche, mit ſeinen
Stacheln dem Wirth ſo beſchwerlich falle, daß dieſer ſich geradezu, weil er ſich an dem kleinen,
unverſchämten Gaſte nicht rächen könne, ebenſowohl, wie der Dachs, nach einer andern Wohnung
umſehen müſſe. Wer nur einmal eine Bärenklaue geſehen, begreift, daß ein einziger Schlag von
derſelben einem Jgel für ewige Zeiten die Luſt vertreiben würde, einen Bären zu beläſtigen. Noch
mehr Jgel, als den genannten Feinden zum Opfer fallen, mögen eine Beute des Winters werden.
Die Jungen, Unerfahrenen wagen ſich oft, vom Hunger getrieben, noch im Spätherbſt mit der
beginnenden Nacht aus ihren Verſtecken hervor und erſtarren in der Kühle des Morgens. Viele
ſterben auch während des Winters, wenn ihr Neſt dem Sturm und Wetter zu ſehr ausgeſetzt
Brehm, Thierleben. 42
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/735>, abgerufen am 28.11.2024.
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