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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Beschreibung Beider. -- Ein gefangener Jsabellbär.
diesem Bären bewohnt wird, während der Sanin vollkommen frei von ihm sein soll. Dieser Bär
scheint übrigens blos während des Tages oder wenn er gestört wird, in dem obern Höhengürtel sich
aufzuhalten; denn des Nachts kommt er von seiner Felsenveste herabgestiegen und wird oft genug der
Schrecken der Herdenbesitzer oder der Reisenden. Seine Nahrung soll er mehr aus dem Pflanzen-
reiche, als aus dem Thierreiche nehmen, obgleich er unter Umständen ebensogut die Herdenthiere
angreift, wie unser Meister Petz. Jn den Feldern richtet er, wie erzählt wird, große Verwüstungen
an, und namentlich eine Art von Zwergerbse, welche häufig in jenen Gegenden gebaut wird, leidet sehr
unter seinen Heimsuchungen.

Jn der neuern Zeit hat man den syrischen Bären einige Male nach Europa, zumal nach England,
gebracht. Einer von diesen unfreiwillig Eingewanderten war unter dem Namen "Tig" in Oxford
und dessen Umgegend wohl bekannt und geliebt, wegen seiner Zuthulichkeit, Zahmheit und Luftigkeit.
Er war schon in seiner zarten Jugend nach England gekommen, hatte sich an den Menschen gewöhnt
und eine ungemeine Anhänglichkeit an denselben gewonnen. Dies ging soweit, daß er kläglich zu
heulen anfing, wenn man ihn allein ließ, ja, er verschmähte sogar das Futter, wenn er längere
Zeit von den Personen vernachlässigt wurde, denen er die meiste Zuneigung geschenkt hatte. Seine
Klugheit war ebenso groß, als seine Harmlosigkeit, und sein Gedächtniß für empfangene Wohlthaten
ebenso vorzüglich, wie seine Vergeßlichkeit für erlittene Unbilden. Einstmals war er in dem Hause
eines Krämers mit Süßigkeiten bewirthet worden -- in welcher Weise er dorthin gelangte, wird nicht
berichtet -- und diesen Ort merkte er sich so vortrefflich, daß er nach Verlauf eines halben Jahres sofort
dahin zurückkehrte, als er sich einmal von seinen Fesseln befreit hatte. Der Eigner des Ladens nahm
natürlich sogleich die Flucht, als er den sonderbaren Gast eintreten sah, dieser aber ging mit merk-
würdiger Ortskenntniß ruhig auf den Kasten los, in welchem der Kandiszucker bewahrt wurde, und
beschäftigte sich solange mit demselben, bis sein Wärter ihm nachkam, um ihn wieder nach seinem
Gefängniß abzuführen. Sein Geschmack war durch die ihm vielfach zugeworfenen Leckerbissen so
verwöhnt worden, daß er an dem ihm natürlichen Futter gar keinen rechten Gefallen mehr fand,
sondern sich blos an heißen Kuchen, Torten und Gefrornem ergötzte, just, wie ein recht verwöhntes
menschliches Leckermaul. --

Unter den amerikanischen Bären sind Baribal und Grislibär die bekanntesten. Der erstere
ist ein ziemlich gutmüthiges, der letztere ein bösartiges, im höchsten Grade gefürchtetes Thier. Erfahrene
Jäger versichern, daß der Jaguar ihm gegenüber ein harmloses Geschöpf sei.

Der Grislibär (Ursus ferox) trägt also seinen Namen mit vollstem Recht. Jn seinem Leibesbau
und Aussehen ähnelt er unserm braunen Bären; er ist aber bedeutend größer, schwerer, plumper und
ganz ungleich stärker, als dieser. Die Stirn ist breit und flach und liegt fast in gleicher Flucht mit der
Nase. Die Ohren sind kurz, der Schwanz ist viel kürzer, als bei unserm Bären, die Krallen dagegen sind
auffallend lang, sehr stark gekrümmt, wenig nach der Spitze verschmälert und meiselförmig. Die dunkel-
braunen, an der Spitze blassen Haare hüllen den ganzen Rumpf dicht ein und sind zumal an den Schultern,
der Kehle und dem Bauche, überhaupt am ganzen Rumpfe, viel länger, zottiger und verworrener, als
bei dem gemeinen Bären. Der Kopf ist mit kurzen und sehr blassen Haaren besetzt. Die Jris ist
röthlichbraun, die Krallen sind weiß. Lichtgraue und schwärzlichbraune Spielarten kommen ebenfalls
vor. Von den europäischen Bären unterscheidet sich das Thier sicher durch die große Kürze seines
Schädels und durch die Wölbung der Nasenbeine. Auch die bedeutende Größe ist ein Merkmal,
welches Verwechselungen zwischen den beiden Arten nicht leicht zuläßt; denn während unser brauner
Bär nur in seltenen Fällen sechs Fuß Länge erreicht, wird der graue Bär oder, wie ihn die Jäger
scherzhafter Weife nennen, der "Ephraim", regelmäßig 7 Fuß, nicht selten sogar 71/2 Fuß lang
und erreicht ein Gewicht von 7 bis 9 Centnern. Die Waffen des Grislibäreu sind wirklich außer-
ordentlich furchtbar; denn die Füße eines vollkommen erwachsenen, männlichen Bären sind 18 Zoll
lang und mit Klauen von 5 Zoll Länge bewaffnet. Diese sind zwar nicht so scharf, wie die der

Beſchreibung Beider. — Ein gefangener Jſabellbär.
dieſem Bären bewohnt wird, während der Sanin vollkommen frei von ihm ſein ſoll. Dieſer Bär
ſcheint übrigens blos während des Tages oder wenn er geſtört wird, in dem obern Höhengürtel ſich
aufzuhalten; denn des Nachts kommt er von ſeiner Felſenveſte herabgeſtiegen und wird oft genug der
Schrecken der Herdenbeſitzer oder der Reiſenden. Seine Nahrung ſoll er mehr aus dem Pflanzen-
reiche, als aus dem Thierreiche nehmen, obgleich er unter Umſtänden ebenſogut die Herdenthiere
angreift, wie unſer Meiſter Petz. Jn den Feldern richtet er, wie erzählt wird, große Verwüſtungen
an, und namentlich eine Art von Zwergerbſe, welche häufig in jenen Gegenden gebaut wird, leidet ſehr
unter ſeinen Heimſuchungen.

Jn der neuern Zeit hat man den ſyriſchen Bären einige Male nach Europa, zumal nach England,
gebracht. Einer von dieſen unfreiwillig Eingewanderten war unter dem Namen „Tig‟ in Oxford
und deſſen Umgegend wohl bekannt und geliebt, wegen ſeiner Zuthulichkeit, Zahmheit und Luftigkeit.
Er war ſchon in ſeiner zarten Jugend nach England gekommen, hatte ſich an den Menſchen gewöhnt
und eine ungemeine Anhänglichkeit an denſelben gewonnen. Dies ging ſoweit, daß er kläglich zu
heulen anfing, wenn man ihn allein ließ, ja, er verſchmähte ſogar das Futter, wenn er längere
Zeit von den Perſonen vernachläſſigt wurde, denen er die meiſte Zuneigung geſchenkt hatte. Seine
Klugheit war ebenſo groß, als ſeine Harmloſigkeit, und ſein Gedächtniß für empfangene Wohlthaten
ebenſo vorzüglich, wie ſeine Vergeßlichkeit für erlittene Unbilden. Einſtmals war er in dem Hauſe
eines Krämers mit Süßigkeiten bewirthet worden — in welcher Weiſe er dorthin gelangte, wird nicht
berichtet — und dieſen Ort merkte er ſich ſo vortrefflich, daß er nach Verlauf eines halben Jahres ſofort
dahin zurückkehrte, als er ſich einmal von ſeinen Feſſeln befreit hatte. Der Eigner des Ladens nahm
natürlich ſogleich die Flucht, als er den ſonderbaren Gaſt eintreten ſah, dieſer aber ging mit merk-
würdiger Ortskenntniß ruhig auf den Kaſten los, in welchem der Kandiszucker bewahrt wurde, und
beſchäftigte ſich ſolange mit demſelben, bis ſein Wärter ihm nachkam, um ihn wieder nach ſeinem
Gefängniß abzuführen. Sein Geſchmack war durch die ihm vielfach zugeworfenen Leckerbiſſen ſo
verwöhnt worden, daß er an dem ihm natürlichen Futter gar keinen rechten Gefallen mehr fand,
ſondern ſich blos an heißen Kuchen, Torten und Gefrornem ergötzte, juſt, wie ein recht verwöhntes
menſchliches Leckermaul. —

Unter den amerikaniſchen Bären ſind Baribal und Grislibär die bekannteſten. Der erſtere
iſt ein ziemlich gutmüthiges, der letztere ein bösartiges, im höchſten Grade gefürchtetes Thier. Erfahrene
Jäger verſichern, daß der Jaguar ihm gegenüber ein harmloſes Geſchöpf ſei.

Der Grislibär (Ursus ferox) trägt alſo ſeinen Namen mit vollſtem Recht. Jn ſeinem Leibesbau
und Ausſehen ähnelt er unſerm braunen Bären; er iſt aber bedeutend größer, ſchwerer, plumper und
ganz ungleich ſtärker, als dieſer. Die Stirn iſt breit und flach und liegt faſt in gleicher Flucht mit der
Naſe. Die Ohren ſind kurz, der Schwanz iſt viel kürzer, als bei unſerm Bären, die Krallen dagegen ſind
auffallend lang, ſehr ſtark gekrümmt, wenig nach der Spitze verſchmälert und meiſelförmig. Die dunkel-
braunen, an der Spitze blaſſen Haare hüllen den ganzen Rumpf dicht ein und ſind zumal an den Schultern,
der Kehle und dem Bauche, überhaupt am ganzen Rumpfe, viel länger, zottiger und verworrener, als
bei dem gemeinen Bären. Der Kopf iſt mit kurzen und ſehr blaſſen Haaren beſetzt. Die Jris iſt
röthlichbraun, die Krallen ſind weiß. Lichtgraue und ſchwärzlichbraune Spielarten kommen ebenfalls
vor. Von den europäiſchen Bären unterſcheidet ſich das Thier ſicher durch die große Kürze ſeines
Schädels und durch die Wölbung der Naſenbeine. Auch die bedeutende Größe iſt ein Merkmal,
welches Verwechſelungen zwiſchen den beiden Arten nicht leicht zuläßt; denn während unſer brauner
Bär nur in ſeltenen Fällen ſechs Fuß Länge erreicht, wird der graue Bär oder, wie ihn die Jäger
ſcherzhafter Weife nennen, der „Ephraim‟, regelmäßig 7 Fuß, nicht ſelten ſogar 7½ Fuß lang
und erreicht ein Gewicht von 7 bis 9 Centnern. Die Waffen des Grislibäreu ſind wirklich außer-
ordentlich furchtbar; denn die Füße eines vollkommen erwachſenen, männlichen Bären ſind 18 Zoll
lang und mit Klauen von 5 Zoll Länge bewaffnet. Dieſe ſind zwar nicht ſo ſcharf, wie die der

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[599/0675] Beſchreibung Beider. — Ein gefangener Jſabellbär. dieſem Bären bewohnt wird, während der Sanin vollkommen frei von ihm ſein ſoll. Dieſer Bär ſcheint übrigens blos während des Tages oder wenn er geſtört wird, in dem obern Höhengürtel ſich aufzuhalten; denn des Nachts kommt er von ſeiner Felſenveſte herabgeſtiegen und wird oft genug der Schrecken der Herdenbeſitzer oder der Reiſenden. Seine Nahrung ſoll er mehr aus dem Pflanzen- reiche, als aus dem Thierreiche nehmen, obgleich er unter Umſtänden ebenſogut die Herdenthiere angreift, wie unſer Meiſter Petz. Jn den Feldern richtet er, wie erzählt wird, große Verwüſtungen an, und namentlich eine Art von Zwergerbſe, welche häufig in jenen Gegenden gebaut wird, leidet ſehr unter ſeinen Heimſuchungen. Jn der neuern Zeit hat man den ſyriſchen Bären einige Male nach Europa, zumal nach England, gebracht. Einer von dieſen unfreiwillig Eingewanderten war unter dem Namen „Tig‟ in Oxford und deſſen Umgegend wohl bekannt und geliebt, wegen ſeiner Zuthulichkeit, Zahmheit und Luftigkeit. Er war ſchon in ſeiner zarten Jugend nach England gekommen, hatte ſich an den Menſchen gewöhnt und eine ungemeine Anhänglichkeit an denſelben gewonnen. Dies ging ſoweit, daß er kläglich zu heulen anfing, wenn man ihn allein ließ, ja, er verſchmähte ſogar das Futter, wenn er längere Zeit von den Perſonen vernachläſſigt wurde, denen er die meiſte Zuneigung geſchenkt hatte. Seine Klugheit war ebenſo groß, als ſeine Harmloſigkeit, und ſein Gedächtniß für empfangene Wohlthaten ebenſo vorzüglich, wie ſeine Vergeßlichkeit für erlittene Unbilden. Einſtmals war er in dem Hauſe eines Krämers mit Süßigkeiten bewirthet worden — in welcher Weiſe er dorthin gelangte, wird nicht berichtet — und dieſen Ort merkte er ſich ſo vortrefflich, daß er nach Verlauf eines halben Jahres ſofort dahin zurückkehrte, als er ſich einmal von ſeinen Feſſeln befreit hatte. Der Eigner des Ladens nahm natürlich ſogleich die Flucht, als er den ſonderbaren Gaſt eintreten ſah, dieſer aber ging mit merk- würdiger Ortskenntniß ruhig auf den Kaſten los, in welchem der Kandiszucker bewahrt wurde, und beſchäftigte ſich ſolange mit demſelben, bis ſein Wärter ihm nachkam, um ihn wieder nach ſeinem Gefängniß abzuführen. Sein Geſchmack war durch die ihm vielfach zugeworfenen Leckerbiſſen ſo verwöhnt worden, daß er an dem ihm natürlichen Futter gar keinen rechten Gefallen mehr fand, ſondern ſich blos an heißen Kuchen, Torten und Gefrornem ergötzte, juſt, wie ein recht verwöhntes menſchliches Leckermaul. — Unter den amerikaniſchen Bären ſind Baribal und Grislibär die bekannteſten. Der erſtere iſt ein ziemlich gutmüthiges, der letztere ein bösartiges, im höchſten Grade gefürchtetes Thier. Erfahrene Jäger verſichern, daß der Jaguar ihm gegenüber ein harmloſes Geſchöpf ſei. Der Grislibär (Ursus ferox) trägt alſo ſeinen Namen mit vollſtem Recht. Jn ſeinem Leibesbau und Ausſehen ähnelt er unſerm braunen Bären; er iſt aber bedeutend größer, ſchwerer, plumper und ganz ungleich ſtärker, als dieſer. Die Stirn iſt breit und flach und liegt faſt in gleicher Flucht mit der Naſe. Die Ohren ſind kurz, der Schwanz iſt viel kürzer, als bei unſerm Bären, die Krallen dagegen ſind auffallend lang, ſehr ſtark gekrümmt, wenig nach der Spitze verſchmälert und meiſelförmig. Die dunkel- braunen, an der Spitze blaſſen Haare hüllen den ganzen Rumpf dicht ein und ſind zumal an den Schultern, der Kehle und dem Bauche, überhaupt am ganzen Rumpfe, viel länger, zottiger und verworrener, als bei dem gemeinen Bären. Der Kopf iſt mit kurzen und ſehr blaſſen Haaren beſetzt. Die Jris iſt röthlichbraun, die Krallen ſind weiß. Lichtgraue und ſchwärzlichbraune Spielarten kommen ebenfalls vor. Von den europäiſchen Bären unterſcheidet ſich das Thier ſicher durch die große Kürze ſeines Schädels und durch die Wölbung der Naſenbeine. Auch die bedeutende Größe iſt ein Merkmal, welches Verwechſelungen zwiſchen den beiden Arten nicht leicht zuläßt; denn während unſer brauner Bär nur in ſeltenen Fällen ſechs Fuß Länge erreicht, wird der graue Bär oder, wie ihn die Jäger ſcherzhafter Weife nennen, der „Ephraim‟, regelmäßig 7 Fuß, nicht ſelten ſogar 7½ Fuß lang und erreicht ein Gewicht von 7 bis 9 Centnern. Die Waffen des Grislibäreu ſind wirklich außer- ordentlich furchtbar; denn die Füße eines vollkommen erwachſenen, männlichen Bären ſind 18 Zoll lang und mit Klauen von 5 Zoll Länge bewaffnet. Dieſe ſind zwar nicht ſo ſcharf, wie die der

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/675>, abgerufen am 22.11.2024.