Nahrung. Familienleben. Dachs und Fuchs. Nachstellung.
lange Würmer, Wurzeln und kleine Säugethiere in den Bau, bis sie sich selbst zu ernähren im Stande sind. Während des Wochenbettes wird es dem Weibchen schwer, die sonst musterhafte Rein- lichkeit, welche im Baue herrscht, zu erhalten, denn die ungezogenen Jungen sind natürlich noch nicht soweit herangebildet, daß sie jene hohe Tugend zu würdigen verständen. Da hat nun die Mutter ihre liebe Noth, aber sie weiß sich zu helfen. Neben dem Kessel legt sie noch eine besondere Kammer an, welche der kleinen Gesellschaft als Abtritt dienen und zugleich auch alle Nahrungsstoffe aufnehmen muß, welche die Jungen nur theilweise verzehrten.
Nach ungefähr drei bis vier Wochen wagen sich die kleinen, sehr hübschen Thierchen in Gesell- schaft ihrer Mutter bereits bis zum Eingange ihres Baues und legen sich mit ihr auch wohl vor die Höhle, um sich zu sonnen. Dabei spielen sie nach Kinderart gar allerliebst mit einander und er- freuen den glücklichen Beobachter umsomehr, weil diesem das anziehende Schauspiel so sehr selten geboten wird. Bis zum Herbst bleiben sie bei der Mutter, dann trennen sie sich und beginnen nun auf eigne Hand ihr Leben. Alte Dachsbaue werden von ihnen mit großer Freude bezogen; im Noth- falle muß aber auch ein eigener gegraben werden; denn blos in äußerst seltenen Fällen duldet die Mutter, daß sie sich in ihrem Geburtshause noch einen zweiten Kessel anlegen und dann den unter- irdischen Palast noch einen Winter durch mit ihr benutzen. Jm zweiten Jahre sind die Jungen völlig ausgewachsen und zur weitern Fortpflanzung fähig, und wenn ihnen nicht der Schuß eines vorsichtig aufgestellten Jägers das Lebenslicht ausbläst, bringen sie ihr Alter auf zehn oder zwölf Jahre.
Der Dachs hat in dem Erzschelme, Ganner, Strolch und Tagedieb Reinecke einen argen Feind, welcher sich wenig aus der Würdigkeit des Einsiedlers macht und wirklich recht niederträchtige Kniffe und Pfiffe anwendet, um ihm sein behagliches Leben möglichst zu verbittern und zu zerstören. Reinecke, viel zu geistreich und mit anderen wichtigen Unternehmungen zu sehr beschäftigt, als daß er sich selbst einen eigenen Herd gründen möchte, findet es überaus bequem, daß der Dachs ein so vortrefflicher Gräber ist und zugleich Wohnungen baut, die in jeder Weise für den Geschmack dieses Schurken passen. Und um Mittel, den Dachs von seiner Wohnung zu vertreiben, ist Reinecke nicht verlegen. Er zeigt, welch abscheulichen Charakter er besitzt; denn er greift den reinlichen Einsiedler von der Seite an, an welcher er ihn am leichtesten verwunden kann. Heimtückisch schleicht er sich in den Dachsbau und setzt dort seine stinkende Losung ab und zwar so lange, bis der Dachs, zwar mürrisch und grämlich, im Jnnern aber gewiß noch sehr froh, von dem Lump loszukommen, die eigene, behäbige Wohnung verläßt und sich eine andere anlegt. Darauf wartet der Schelm und zieht nun behaglich in die so hübsch eingerichtete und ausgepolsterte Wohnung. Doch kommt es trotz dieser Feindschaft, welche in der Gegensätzlichkeit der Sitten beruht, vor, daß in ein und demselben Baue Fuchs und Dachs neben einander hausen, wenn auch beide Jnhaber nur die Hauptröhre gemeinschaftlich befahren, im Jnnern aber abgesonderte Kessel bewohnen.
Die Dachsjagd hat wegen der großen Vorsicht des betreffenden Wildes ungewöhnliche Schwie- rigkeiten, gehört aber demungeachtet zu den Lieblingsvergnügungen der Jäger. Man fängt die Dachse zwar zuweilen in verschiedenen Fallen oder gräbt sie auch aus und bohrt sie dann, scheußlich genug, mit dem sogenannten Krätzer an, d. h. einem Werkzeuge, welches einem Korkzieher im vergrößerten Maßstabe ähnelt, oder aber, man treibt den Dachs durch scharfe Dachshunde aus seinem Baue und erschießt ihn dann beim Herauskommen. Nur wenn er sich in seinem Bau verklüftet, d. h. so versteckt, daß sogar die Hunde ihn nicht auffinden können, ist er im Stande, der drohenden Gefahr sich zu widersetzen, denn seine Plumpheit ist so groß, daß ihm eine Flucht vor dem Hunde durchaus Nichts helfen würde. Er sucht sich deshalb, wenn er in seinem Bau verfolgt wird, gewöhnlich dadurch zu retten, daß er sich ganz still, aber mit großer Schnelligkeit in die Erde gräbt und hierdurch sich wirklich oft genug den ihm nachgrabenden Hunden entzieht.
Ganz früh am Morgen kann man dem heimkehrenden Dachs wohl auch auf dem Anstande auf- lauern und ihn erlegen. Dazu gehört aber immer ein sehr starker Schuß. Abends ist der Anstand auf
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Nahrung. Familienleben. Dachs und Fuchs. Nachſtellung.
lange Würmer, Wurzeln und kleine Säugethiere in den Bau, bis ſie ſich ſelbſt zu ernähren im Stande ſind. Während des Wochenbettes wird es dem Weibchen ſchwer, die ſonſt muſterhafte Rein- lichkeit, welche im Baue herrſcht, zu erhalten, denn die ungezogenen Jungen ſind natürlich noch nicht ſoweit herangebildet, daß ſie jene hohe Tugend zu würdigen verſtänden. Da hat nun die Mutter ihre liebe Noth, aber ſie weiß ſich zu helfen. Neben dem Keſſel legt ſie noch eine beſondere Kammer an, welche der kleinen Geſellſchaft als Abtritt dienen und zugleich auch alle Nahrungsſtoffe aufnehmen muß, welche die Jungen nur theilweiſe verzehrten.
Nach ungefähr drei bis vier Wochen wagen ſich die kleinen, ſehr hübſchen Thierchen in Geſell- ſchaft ihrer Mutter bereits bis zum Eingange ihres Baues und legen ſich mit ihr auch wohl vor die Höhle, um ſich zu ſonnen. Dabei ſpielen ſie nach Kinderart gar allerliebſt mit einander und er- freuen den glücklichen Beobachter umſomehr, weil dieſem das anziehende Schauſpiel ſo ſehr ſelten geboten wird. Bis zum Herbſt bleiben ſie bei der Mutter, dann trennen ſie ſich und beginnen nun auf eigne Hand ihr Leben. Alte Dachsbaue werden von ihnen mit großer Freude bezogen; im Noth- falle muß aber auch ein eigener gegraben werden; denn blos in äußerſt ſeltenen Fällen duldet die Mutter, daß ſie ſich in ihrem Geburtshauſe noch einen zweiten Keſſel anlegen und dann den unter- irdiſchen Palaſt noch einen Winter durch mit ihr benutzen. Jm zweiten Jahre ſind die Jungen völlig ausgewachſen und zur weitern Fortpflanzung fähig, und wenn ihnen nicht der Schuß eines vorſichtig aufgeſtellten Jägers das Lebenslicht ausbläſt, bringen ſie ihr Alter auf zehn oder zwölf Jahre.
Der Dachs hat in dem Erzſchelme, Ganner, Strolch und Tagedieb Reinecke einen argen Feind, welcher ſich wenig aus der Würdigkeit des Einſiedlers macht und wirklich recht niederträchtige Kniffe und Pfiffe anwendet, um ihm ſein behagliches Leben möglichſt zu verbittern und zu zerſtören. Reinecke, viel zu geiſtreich und mit anderen wichtigen Unternehmungen zu ſehr beſchäftigt, als daß er ſich ſelbſt einen eigenen Herd gründen möchte, findet es überaus bequem, daß der Dachs ein ſo vortrefflicher Gräber iſt und zugleich Wohnungen baut, die in jeder Weiſe für den Geſchmack dieſes Schurken paſſen. Und um Mittel, den Dachs von ſeiner Wohnung zu vertreiben, iſt Reinecke nicht verlegen. Er zeigt, welch abſcheulichen Charakter er beſitzt; denn er greift den reinlichen Einſiedler von der Seite an, an welcher er ihn am leichteſten verwunden kann. Heimtückiſch ſchleicht er ſich in den Dachsbau und ſetzt dort ſeine ſtinkende Loſung ab und zwar ſo lange, bis der Dachs, zwar mürriſch und grämlich, im Jnnern aber gewiß noch ſehr froh, von dem Lump loszukommen, die eigene, behäbige Wohnung verläßt und ſich eine andere anlegt. Darauf wartet der Schelm und zieht nun behaglich in die ſo hübſch eingerichtete und ausgepolſterte Wohnung. Doch kommt es trotz dieſer Feindſchaft, welche in der Gegenſätzlichkeit der Sitten beruht, vor, daß in ein und demſelben Baue Fuchs und Dachs neben einander hauſen, wenn auch beide Jnhaber nur die Hauptröhre gemeinſchaftlich befahren, im Jnnern aber abgeſonderte Keſſel bewohnen.
Die Dachsjagd hat wegen der großen Vorſicht des betreffenden Wildes ungewöhnliche Schwie- rigkeiten, gehört aber demungeachtet zu den Lieblingsvergnügungen der Jäger. Man fängt die Dachſe zwar zuweilen in verſchiedenen Fallen oder gräbt ſie auch aus und bohrt ſie dann, ſcheußlich genug, mit dem ſogenannten Krätzer an, d. h. einem Werkzeuge, welches einem Korkzieher im vergrößerten Maßſtabe ähnelt, oder aber, man treibt den Dachs durch ſcharfe Dachshunde aus ſeinem Baue und erſchießt ihn dann beim Herauskommen. Nur wenn er ſich in ſeinem Bau verklüftet, d. h. ſo verſteckt, daß ſogar die Hunde ihn nicht auffinden können, iſt er im Stande, der drohenden Gefahr ſich zu widerſetzen, denn ſeine Plumpheit iſt ſo groß, daß ihm eine Flucht vor dem Hunde durchaus Nichts helfen würde. Er ſucht ſich deshalb, wenn er in ſeinem Bau verfolgt wird, gewöhnlich dadurch zu retten, daß er ſich ganz ſtill, aber mit großer Schnelligkeit in die Erde gräbt und hierdurch ſich wirklich oft genug den ihm nachgrabenden Hunden entzieht.
Ganz früh am Morgen kann man dem heimkehrenden Dachs wohl auch auf dem Anſtande auf- lauern und ihn erlegen. Dazu gehört aber immer ein ſehr ſtarker Schuß. Abends iſt der Anſtand auf
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Nahrung. Familienleben. Dachs und Fuchs. Nachſtellung.
lange Würmer, Wurzeln und kleine Säugethiere in den Bau, bis ſie ſich ſelbſt zu ernähren im
Stande ſind. Während des Wochenbettes wird es dem Weibchen ſchwer, die ſonſt muſterhafte Rein-
lichkeit, welche im Baue herrſcht, zu erhalten, denn die ungezogenen Jungen ſind natürlich noch nicht
ſoweit herangebildet, daß ſie jene hohe Tugend zu würdigen verſtänden. Da hat nun die Mutter
ihre liebe Noth, aber ſie weiß ſich zu helfen. Neben dem Keſſel legt ſie noch eine beſondere Kammer
an, welche der kleinen Geſellſchaft als Abtritt dienen und zugleich auch alle Nahrungsſtoffe aufnehmen
muß, welche die Jungen nur theilweiſe verzehrten.
Nach ungefähr drei bis vier Wochen wagen ſich die kleinen, ſehr hübſchen Thierchen in Geſell-
ſchaft ihrer Mutter bereits bis zum Eingange ihres Baues und legen ſich mit ihr auch wohl vor die
Höhle, um ſich zu ſonnen. Dabei ſpielen ſie nach Kinderart gar allerliebſt mit einander und er-
freuen den glücklichen Beobachter umſomehr, weil dieſem das anziehende Schauſpiel ſo ſehr ſelten
geboten wird. Bis zum Herbſt bleiben ſie bei der Mutter, dann trennen ſie ſich und beginnen nun
auf eigne Hand ihr Leben. Alte Dachsbaue werden von ihnen mit großer Freude bezogen; im Noth-
falle muß aber auch ein eigener gegraben werden; denn blos in äußerſt ſeltenen Fällen duldet die
Mutter, daß ſie ſich in ihrem Geburtshauſe noch einen zweiten Keſſel anlegen und dann den unter-
irdiſchen Palaſt noch einen Winter durch mit ihr benutzen. Jm zweiten Jahre ſind die Jungen
völlig ausgewachſen und zur weitern Fortpflanzung fähig, und wenn ihnen nicht der Schuß eines
vorſichtig aufgeſtellten Jägers das Lebenslicht ausbläſt, bringen ſie ihr Alter auf zehn oder
zwölf Jahre.
Der Dachs hat in dem Erzſchelme, Ganner, Strolch und Tagedieb Reinecke einen argen Feind,
welcher ſich wenig aus der Würdigkeit des Einſiedlers macht und wirklich recht niederträchtige Kniffe
und Pfiffe anwendet, um ihm ſein behagliches Leben möglichſt zu verbittern und zu zerſtören. Reinecke,
viel zu geiſtreich und mit anderen wichtigen Unternehmungen zu ſehr beſchäftigt, als daß er ſich ſelbſt
einen eigenen Herd gründen möchte, findet es überaus bequem, daß der Dachs ein ſo vortrefflicher
Gräber iſt und zugleich Wohnungen baut, die in jeder Weiſe für den Geſchmack dieſes Schurken paſſen.
Und um Mittel, den Dachs von ſeiner Wohnung zu vertreiben, iſt Reinecke nicht verlegen. Er zeigt,
welch abſcheulichen Charakter er beſitzt; denn er greift den reinlichen Einſiedler von der Seite an,
an welcher er ihn am leichteſten verwunden kann. Heimtückiſch ſchleicht er ſich in den Dachsbau und
ſetzt dort ſeine ſtinkende Loſung ab und zwar ſo lange, bis der Dachs, zwar mürriſch und grämlich,
im Jnnern aber gewiß noch ſehr froh, von dem Lump loszukommen, die eigene, behäbige Wohnung
verläßt und ſich eine andere anlegt. Darauf wartet der Schelm und zieht nun behaglich in die ſo
hübſch eingerichtete und ausgepolſterte Wohnung. Doch kommt es trotz dieſer Feindſchaft, welche in
der Gegenſätzlichkeit der Sitten beruht, vor, daß in ein und demſelben Baue Fuchs und Dachs
neben einander hauſen, wenn auch beide Jnhaber nur die Hauptröhre gemeinſchaftlich befahren, im
Jnnern aber abgeſonderte Keſſel bewohnen.
Die Dachsjagd hat wegen der großen Vorſicht des betreffenden Wildes ungewöhnliche Schwie-
rigkeiten, gehört aber demungeachtet zu den Lieblingsvergnügungen der Jäger. Man fängt die Dachſe
zwar zuweilen in verſchiedenen Fallen oder gräbt ſie auch aus und bohrt ſie dann, ſcheußlich genug,
mit dem ſogenannten Krätzer an, d. h. einem Werkzeuge, welches einem Korkzieher im vergrößerten
Maßſtabe ähnelt, oder aber, man treibt den Dachs durch ſcharfe Dachshunde aus ſeinem Baue und
erſchießt ihn dann beim Herauskommen. Nur wenn er ſich in ſeinem Bau verklüftet, d. h. ſo verſteckt,
daß ſogar die Hunde ihn nicht auffinden können, iſt er im Stande, der drohenden Gefahr ſich zu
widerſetzen, denn ſeine Plumpheit iſt ſo groß, daß ihm eine Flucht vor dem Hunde durchaus Nichts
helfen würde. Er ſucht ſich deshalb, wenn er in ſeinem Bau verfolgt wird, gewöhnlich dadurch zu
retten, daß er ſich ganz ſtill, aber mit großer Schnelligkeit in die Erde gräbt und hierdurch ſich wirklich
oft genug den ihm nachgrabenden Hunden entzieht.
Ganz früh am Morgen kann man dem heimkehrenden Dachs wohl auch auf dem Anſtande auf-
lauern und ihn erlegen. Dazu gehört aber immer ein ſehr ſtarker Schuß. Abends iſt der Anſtand auf
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/573>, abgerufen am 27.11.2024.
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