Alter. Schicksal der Thiere. Nutzen der Hausthiere.
Rippen geschlagen und zuletzt, wenn es zehnmal auf der Straße erlegen, todtgestochen, oder es verreckt endlich. Das ist der Fluch mancher Pferde, und diesen Fluch trägt mancher edle Hund, mancher Bär, mancher Büffel, manche andere Thiere. Tagelöhner sind auch sie, und ihr Leben ist ein immerwährender Streit auf Erden. Von den höchsten Stufen der Ehre steigen sie zur tiefsten Schande herab; ihr Dasein geht vom üppigsten Ueberfluß bis zum nagendsten Hunger, von rascher Jugendfülle und Blüthe zur elendesten Krankheit und Altersschwäche herab. Glücklich, daß wenigstens das tiefstehende Thier seinen Lebensfluch nicht erkennt, traurig, daß der Mensch vergessen kann, daß die höheren Thiere sehr wohl zwischen guter und schlechter Behandlung unterscheiden lernen!"
"Andere Thiere aber leben in Glück und Freude von Anfang an bis zu Ende. Manches Hündchen wird wie ein Kind geliebt, gekost, geküßt, zu Tisch geladen, kostbar gespeist, Aerzten über- geben, beweint, begraben; mancher gelehrige und gutmüthige Hund hat ein Schicksal, dessen Glück das- jenige der meisten Menschen übertrifft, so daß er sagen müßte: Das Loos ist mir gefallen auf das Lieblichste, mir ist ein schönes Erdentheil geworden. Er darf mit tanzen, mit denken, mit reisen, mit genießen, kurz, so weit er kann, gerade wie ein Mensch thun; es wird an seinem Grabe noch geschluchzt. Mancher völlig untaugliche, bissige Hund, manches blindgewordene Pferd bekommt bis zu seinem Sterben ein schönes Gnadenbrod, wie es Tausende von Menschen, die es besser ver- dienten und eher bedürften, nicht bekommen. Auch das Thier hat sein Schicksal."
Schon mit diesen erborgten, schönen Worten habe ich das Verhältniß berührt, in welchem der Mensch mit dem Thiere oder das Thier mit dem Menschen lebt. Dieses Verhältniß ist aber ein viel ausgedehnteres, als hier gesagt wurde. Die Klasse der Säugethiere ist diejenige, welche sich der Mensch bei weitem am meisten zu Nutzen macht; es gibt wirklich nur wenige Säugethiere, aus deren Leib und Leben der Mensch keinen Vortheil ziehen kann. Den Nutzen der Hausthiere hat Lenz so anziehend dargestellt, daß es unrecht von mir wäre, wollte ich meine Worte an die Stelle der seinigen setzen.
"Wie elend und mühevoll wäre das menschliche Leben ohne die Hilfe der Hausthiere! Wollen wir uns eine bequeme Wohnung bauen, gleich arbeiten von allen Seiten her Pferde und Ochsen, die schweren Lasten herbeizuschaffen. Wollen wir uns mit Vorräthen der herrlichsten Früchte ver- sorgen, gleich bearbeiten sie das Erdreich mit Pflug und Egge. Wollen wir auf schnelle und bequeme Weise weithin über Berg und Thal zu einem guten Freunde reisen, gleich stehen vor Freude und Ungeduld stampfende Wagenpferde vor der Thüre, oder ein muthiges Reitpferd ladet uns durch lautes Wiehern zum Aufsitzen ein. -- Hören wir bei nächtlicher Weile ein unheimliches Poltern, Rasseln und Nagen in Speisekammer, Küche und Keller, und sehen wir dann mit tiefer Betrübniß, wie unsere Bratwürste, Speckseiten, Kohlrüben und Kartoffeln von Mäusen und Ratten zerfressen sind und wie der Deckel des Honigtopfes gelüftet ist, und müssen wir gar auch noch das Unglück im Kleiderschranke erleben, daß unser neuester Frack von dem benannten Ungeziefer in Stückchen zernagt ist und ihren Säuglingen als Neststoff dient, und bedenken wir, daß unser vom Geiste des Mittel- alters besessener Schneider sich unsägliche Mühe gegeben hatte, uns durch die Länge und Breite des sinn- und wirbellosen Frackschwanzes prachtvoll aufzuputzen, und suchen wir dann endlich nach Hilfe in all der Noth: ist da ein lebend Wesen zu finden, das uns zu retten vermag? O freilich! Mit Hut und Stock und mit sechs Silbergroschen gehen wir auf Handel aus, kaufen ein schönes, zahmes, wohlgezogenes Kätzchen, schaffen es nach Haus und hegen und pflegen es mit liebevoller Sorgfalt. Am ersten Tage miauzt es jämmerlich und sucht zu entwischen; am zweiten erkennt es unsern guten Willen an und schließt mit Schmunzeln, Schnurren und Anschmiegen zärtliche Freundschaft; am dritten bringen wir's an den Ort seiner Bestimmung, lassen's los, und sieh, mit Schwung und Sprung, wup, wup, da hat's mit scharfem Zahn die Höllenbrut am Kragen und bricht ihr das Genick. -- Wollen wir in's Freie gehen, um ein fettes Häschen oder ein Entchen für die Küche zu erlegen, so weiß der Hühnerhund im Augenblicke, wo wir die Flinte ergreifen, weder Maß noch Ziel seines Ent- zückens zu finden, macht vor Freuden entsetzliche Sprünge, hüpft hoch an uns empor, beschmiert uns mit seinen Tatzen bis an die Schultern und leckt uns, wenn wir ihm nicht Eins hinter die Ohren geben, Gesicht und Ohren so rein, als wenn sie gewaschen wären; und sind wir nun draußen, so stürzt er sich, um angeschossenes, flüchtiges Wild einzuholen, blindlings durch Dornen und Sumpf, oder springt, die Todesgefahr nicht achtend, in die schäumenden Wogen des Stromes. Wollen wir
Alter. Schickſal der Thiere. Nutzen der Hausthiere.
Rippen geſchlagen und zuletzt, wenn es zehnmal auf der Straße erlegen, todtgeſtochen, oder es verreckt endlich. Das iſt der Fluch mancher Pferde, und dieſen Fluch trägt mancher edle Hund, mancher Bär, mancher Büffel, manche andere Thiere. Tagelöhner ſind auch ſie, und ihr Leben iſt ein immerwährender Streit auf Erden. Von den höchſten Stufen der Ehre ſteigen ſie zur tiefſten Schande herab; ihr Daſein geht vom üppigſten Ueberfluß bis zum nagendſten Hunger, von raſcher Jugendfülle und Blüthe zur elendeſten Krankheit und Altersſchwäche herab. Glücklich, daß wenigſtens das tiefſtehende Thier ſeinen Lebensfluch nicht erkennt, traurig, daß der Menſch vergeſſen kann, daß die höheren Thiere ſehr wohl zwiſchen guter und ſchlechter Behandlung unterſcheiden lernen!‟
„Andere Thiere aber leben in Glück und Freude von Anfang an bis zu Ende. Manches Hündchen wird wie ein Kind geliebt, gekoſt, geküßt, zu Tiſch geladen, koſtbar geſpeiſt, Aerzten über- geben, beweint, begraben; mancher gelehrige und gutmüthige Hund hat ein Schickſal, deſſen Glück das- jenige der meiſten Menſchen übertrifft, ſo daß er ſagen müßte: Das Loos iſt mir gefallen auf das Lieblichſte, mir iſt ein ſchönes Erdentheil geworden. Er darf mit tanzen, mit denken, mit reiſen, mit genießen, kurz, ſo weit er kann, gerade wie ein Menſch thun; es wird an ſeinem Grabe noch geſchluchzt. Mancher völlig untaugliche, biſſige Hund, manches blindgewordene Pferd bekommt bis zu ſeinem Sterben ein ſchönes Gnadenbrod, wie es Tauſende von Menſchen, die es beſſer ver- dienten und eher bedürften, nicht bekommen. Auch das Thier hat ſein Schickſal.‟
Schon mit dieſen erborgten, ſchönen Worten habe ich das Verhältniß berührt, in welchem der Menſch mit dem Thiere oder das Thier mit dem Menſchen lebt. Dieſes Verhältniß iſt aber ein viel ausgedehnteres, als hier geſagt wurde. Die Klaſſe der Säugethiere iſt diejenige, welche ſich der Menſch bei weitem am meiſten zu Nutzen macht; es gibt wirklich nur wenige Säugethiere, aus deren Leib und Leben der Menſch keinen Vortheil ziehen kann. Den Nutzen der Hausthiere hat Lenz ſo anziehend dargeſtellt, daß es unrecht von mir wäre, wollte ich meine Worte an die Stelle der ſeinigen ſetzen.
„Wie elend und mühevoll wäre das menſchliche Leben ohne die Hilfe der Hausthiere! Wollen wir uns eine bequeme Wohnung bauen, gleich arbeiten von allen Seiten her Pferde und Ochſen, die ſchweren Laſten herbeizuſchaffen. Wollen wir uns mit Vorräthen der herrlichſten Früchte ver- ſorgen, gleich bearbeiten ſie das Erdreich mit Pflug und Egge. Wollen wir auf ſchnelle und bequeme Weiſe weithin über Berg und Thal zu einem guten Freunde reiſen, gleich ſtehen vor Freude und Ungeduld ſtampfende Wagenpferde vor der Thüre, oder ein muthiges Reitpferd ladet uns durch lautes Wiehern zum Aufſitzen ein. — Hören wir bei nächtlicher Weile ein unheimliches Poltern, Raſſeln und Nagen in Speiſekammer, Küche und Keller, und ſehen wir dann mit tiefer Betrübniß, wie unſere Bratwürſte, Speckſeiten, Kohlrüben und Kartoffeln von Mäuſen und Ratten zerfreſſen ſind und wie der Deckel des Honigtopfes gelüftet iſt, und müſſen wir gar auch noch das Unglück im Kleiderſchranke erleben, daß unſer neueſter Frack von dem benannten Ungeziefer in Stückchen zernagt iſt und ihren Säuglingen als Neſtſtoff dient, und bedenken wir, daß unſer vom Geiſte des Mittel- alters beſeſſener Schneider ſich unſägliche Mühe gegeben hatte, uns durch die Länge und Breite des ſinn- und wirbelloſen Frackſchwanzes prachtvoll aufzuputzen, und ſuchen wir dann endlich nach Hilfe in all der Noth: iſt da ein lebend Weſen zu finden, das uns zu retten vermag? O freilich! Mit Hut und Stock und mit ſechs Silbergroſchen gehen wir auf Handel aus, kaufen ein ſchönes, zahmes, wohlgezogenes Kätzchen, ſchaffen es nach Haus und hegen und pflegen es mit liebevoller Sorgfalt. Am erſten Tage miauzt es jämmerlich und ſucht zu entwiſchen; am zweiten erkennt es unſern guten Willen an und ſchließt mit Schmunzeln, Schnurren und Anſchmiegen zärtliche Freundſchaft; am dritten bringen wir’s an den Ort ſeiner Beſtimmung, laſſen’s los, und ſieh, mit Schwung und Sprung, wup, wup, da hat’s mit ſcharfem Zahn die Höllenbrut am Kragen und bricht ihr das Genick. — Wollen wir in’s Freie gehen, um ein fettes Häschen oder ein Entchen für die Küche zu erlegen, ſo weiß der Hühnerhund im Augenblicke, wo wir die Flinte ergreifen, weder Maß noch Ziel ſeines Ent- zückens zu finden, macht vor Freuden entſetzliche Sprünge, hüpft hoch an uns empor, beſchmiert uns mit ſeinen Tatzen bis an die Schultern und leckt uns, wenn wir ihm nicht Eins hinter die Ohren geben, Geſicht und Ohren ſo rein, als wenn ſie gewaſchen wären; und ſind wir nun draußen, ſo ſtürzt er ſich, um angeſchoſſenes, flüchtiges Wild einzuholen, blindlings durch Dornen und Sumpf, oder ſpringt, die Todesgefahr nicht achtend, in die ſchäumenden Wogen des Stromes. Wollen wir
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mancher Bär, mancher Büffel, manche andere Thiere. Tagelöhner ſind auch ſie, und ihr Leben iſt
ein immerwährender Streit auf Erden. Von den höchſten Stufen der Ehre ſteigen ſie zur tiefſten
Schande herab; ihr Daſein geht vom üppigſten Ueberfluß bis zum nagendſten Hunger, von raſcher
Jugendfülle und Blüthe zur elendeſten Krankheit und Altersſchwäche herab. Glücklich, daß wenigſtens
das tiefſtehende Thier ſeinen Lebensfluch nicht erkennt, traurig, daß der Menſch vergeſſen kann, daß
die höheren Thiere ſehr wohl zwiſchen guter und ſchlechter Behandlung unterſcheiden lernen!‟
„Andere Thiere aber leben in Glück und Freude von Anfang an bis zu Ende. Manches
Hündchen wird wie ein Kind geliebt, gekoſt, geküßt, zu Tiſch geladen, koſtbar geſpeiſt, Aerzten über-
geben, beweint, begraben; mancher gelehrige und gutmüthige Hund hat ein Schickſal, deſſen Glück das-
jenige der meiſten Menſchen übertrifft, ſo daß er ſagen müßte: Das Loos iſt mir gefallen auf das
Lieblichſte, mir iſt ein ſchönes Erdentheil geworden. Er darf mit tanzen, mit denken, mit reiſen,
mit genießen, kurz, ſo weit er kann, gerade wie ein Menſch thun; es wird an ſeinem Grabe noch
geſchluchzt. Mancher völlig untaugliche, biſſige Hund, manches blindgewordene Pferd bekommt
bis zu ſeinem Sterben ein ſchönes Gnadenbrod, wie es Tauſende von Menſchen, die es beſſer ver-
dienten und eher bedürften, nicht bekommen. Auch das Thier hat ſein Schickſal.‟
Schon mit dieſen erborgten, ſchönen Worten habe ich das Verhältniß berührt, in welchem
der Menſch mit dem Thiere oder das Thier mit dem Menſchen lebt. Dieſes Verhältniß iſt aber
ein viel ausgedehnteres, als hier geſagt wurde. Die Klaſſe der Säugethiere iſt diejenige, welche ſich
der Menſch bei weitem am meiſten zu Nutzen macht; es gibt wirklich nur wenige Säugethiere, aus
deren Leib und Leben der Menſch keinen Vortheil ziehen kann. Den Nutzen der Hausthiere hat
Lenz ſo anziehend dargeſtellt, daß es unrecht von mir wäre, wollte ich meine Worte an die Stelle
der ſeinigen ſetzen.
„Wie elend und mühevoll wäre das menſchliche Leben ohne die Hilfe der Hausthiere! Wollen
wir uns eine bequeme Wohnung bauen, gleich arbeiten von allen Seiten her Pferde und Ochſen,
die ſchweren Laſten herbeizuſchaffen. Wollen wir uns mit Vorräthen der herrlichſten Früchte ver-
ſorgen, gleich bearbeiten ſie das Erdreich mit Pflug und Egge. Wollen wir auf ſchnelle und bequeme
Weiſe weithin über Berg und Thal zu einem guten Freunde reiſen, gleich ſtehen vor Freude und
Ungeduld ſtampfende Wagenpferde vor der Thüre, oder ein muthiges Reitpferd ladet uns durch
lautes Wiehern zum Aufſitzen ein. — Hören wir bei nächtlicher Weile ein unheimliches Poltern,
Raſſeln und Nagen in Speiſekammer, Küche und Keller, und ſehen wir dann mit tiefer Betrübniß,
wie unſere Bratwürſte, Speckſeiten, Kohlrüben und Kartoffeln von Mäuſen und Ratten zerfreſſen
ſind und wie der Deckel des Honigtopfes gelüftet iſt, und müſſen wir gar auch noch das Unglück im
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iſt und ihren Säuglingen als Neſtſtoff dient, und bedenken wir, daß unſer vom Geiſte des Mittel-
alters beſeſſener Schneider ſich unſägliche Mühe gegeben hatte, uns durch die Länge und Breite des
ſinn- und wirbelloſen Frackſchwanzes prachtvoll aufzuputzen, und ſuchen wir dann endlich nach Hilfe
in all der Noth: iſt da ein lebend Weſen zu finden, das uns zu retten vermag? O freilich! Mit Hut
und Stock und mit ſechs Silbergroſchen gehen wir auf Handel aus, kaufen ein ſchönes, zahmes,
wohlgezogenes Kätzchen, ſchaffen es nach Haus und hegen und pflegen es mit liebevoller Sorgfalt.
Am erſten Tage miauzt es jämmerlich und ſucht zu entwiſchen; am zweiten erkennt es unſern guten
Willen an und ſchließt mit Schmunzeln, Schnurren und Anſchmiegen zärtliche Freundſchaft; am dritten
bringen wir’s an den Ort ſeiner Beſtimmung, laſſen’s los, und ſieh, mit Schwung und Sprung, wup,
wup, da hat’s mit ſcharfem Zahn die Höllenbrut am Kragen und bricht ihr das Genick. — Wollen
wir in’s Freie gehen, um ein fettes Häschen oder ein Entchen für die Küche zu erlegen, ſo weiß
der Hühnerhund im Augenblicke, wo wir die Flinte ergreifen, weder Maß noch Ziel ſeines Ent-
zückens zu finden, macht vor Freuden entſetzliche Sprünge, hüpft hoch an uns empor, beſchmiert
uns mit ſeinen Tatzen bis an die Schultern und leckt uns, wenn wir ihm nicht Eins hinter die Ohren
geben, Geſicht und Ohren ſo rein, als wenn ſie gewaſchen wären; und ſind wir nun draußen, ſo
ſtürzt er ſich, um angeſchoſſenes, flüchtiges Wild einzuholen, blindlings durch Dornen und Sumpf,
oder ſpringt, die Todesgefahr nicht achtend, in die ſchäumenden Wogen des Stromes. Wollen wir
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. XXXIX[XXXIX]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/49>, abgerufen am 24.11.2024.
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