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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Ein Blick auf das Leben der Gesammtheit.
kommt schon selten vor, daß eine Mutter ihr Kind jahrelang leitet und pflegt, und wahrscheinlich niemals,
daß sie dasselbe länger als Jahresfrist säugt, wie Dies bei dem Menschen oft genug der Fall ist. Das
junge Thier ist schon lange vor seinem Erwachsensein von seiner Mutter verlassen worden und hat auch
vollständig die Fähigkeit erlangt, für sich zu sorgen.

Gewöhnlich kann das Säugethier als erwachsen angesehen werden, sobald es zeugungsfähig
geworden ist. Es hat dann meist die Kennzeichen erhalten, welche dem alten Thiere zukommen, und
auch der Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Thier macht sich bemerklich. Ersteres zeichnet
sich nämlich vor dem letzteren regelmäßig durch die Größe aus, oft auch durch Gehörne, Geweihe, Stoß-
und Reißzähne, besondern Haarschmuck, welcher sich als Mähne und Schwanzquaste kundgibt, sowie
durch mancherlei andere Eigenthümlichkeiten; doch kommt es nicht selten vor, daß auch das zeugungs-
fähige Thier mit steigendem Alter in mancher Hinsicht noch zunimmt. Hiervon mag uns der Hirsch
als Beispiel gelten, weil er ja bekanntlich mit den Jahren mehr und mehr Sprossen auf sein Geweih
setzt. Die Stoßzähne des Elefanten, des Walrosses, die Narwals nehmen ebenso mit dem
Alter an Größe bedeutend zu.

Wahrscheinlich erreichen nur die großen Vielhufer und die größten Meersauger ein
höheres Alter, als der Mensch. Jn demselben Grade, in welchem die Entwickelung verlangsamt ist,
nimmt das Alter zu, oder umgekehrt ab. Schon mittelgroße Säugethiere können, wenn sie zehn Jahr
alt geworden sind, als greise Thiere betrachtet werden, bei andern tritt das Greisenthum vielleicht erst
nach zwanzig Jahren ein: allein ein Alter von dreißig Jahren, in welchem der Mensch doch bekannt-
lich erst zur vollen Blüthe gelangt, ist schon recht selten. Das Greisenthum zeigt sich sowohl in der
Abnahme der Kräfte, als auch im Ergrauen des Haares und in der Verkleinerung gewisser Schmuck-
zeichen: so setzen alte Hirsche geringere Geweihe auf, als vollkräftige. Der Tod erfolgt gewöhnlich
nicht durch Krankheiten, denn diese sind unter den freilebenden Säugethieren selten. Seuchen, welche
in entsetzlicher Weise unter Thieren unserer Klasse wüthen, kommen zwar auch vor; die Mäuse z. B.,
welche sich zuweilen ins Unglaubliche vermehren, sterben in Zeit von wenig Wochen in solcher Masse
dahin, daß ihre kleinen Leichname verwesend die Luft verpesten. Allein solche Fälle sind doch nicht
häufig, und die größeren freilebenden Säugethiere scheinen von Krankheiten sehr wenig zu wissen.
Bei ihnen erfolgt der Tod gewöhnlich aus Altersschwäche. Man kann Scheitlin wohl Recht geben,
wenn er behauptet, daß die edlen Thiere würdig, die unedlen unwürdig, die "Menschenthiere"
menschlich sterben. Elefanten, Hunde, Pferde, Löwen und andere kluge Thiere, kennen den
Tod und wissen, was Sterben zu bedeuten hat; sie verscheiden auch ruhig und ohne zu winseln; sie
trotzen dem Schmerz, ächzen und seufzen nicht, zucken nur krampfhaft im Tode und sterben still dahin;
der Hund, dieses herrliche Bild der Treue, kriecht noch sterbend zu seinem Herrn und leckt ihm liebend
die Hand, ihm gleichsam den letzten Abschiedsgruß seiner Treue und seiner Liebe vererbend. Jm
freien Leben suchen die Thiere sich, wenn der Tod naht, gewöhnlich ein stilles Plätzchen, auf welchem sie
ihr Sterbelager halten, und auch manche Hausthiere, welche der Mensch irgend einem seiner Zwecke
opfert, thun Dies; so z. B. der Stier auf dem Fecht- und Kampfplatze, wenn er die tödtliche Wunde
von dem Schwerte des Espada empfangen hat.

Jch will noch einmal mich auf Scheitlin stützen, indem ich mit ihm sage: "Das Thier
hat auch ein Schicksal.
Es hängt von seinen Verhältnissen zur Natur und den natürlichen Um-
gebungen zu dem Menschen, wenn es mit ihm in Verkehr kommt, zum Theil auch von sich selbst ab.
Oft muß es des Menschen Schicksal und der Mensch das des Thieres theilen; es geht mit ihm zu
Grunde im Feuer und Wasser, in der Schlacht und im Kampfe. Manche Pferde sind Helden, für
welche keine Kugel gegossen zu sein scheint, andere wirft die erste feindliche Kugel nieder. Das junge,
schöne Füllen wird fast mit Gold aufgewogen, dann frei zugeritten, zu freien, frohen Wettrennen be-
nutzt, bald hierauf mit Stricken an eine Kutsche gespannt, doch immer noch mit Hafer gefüttert, es ist
noch der Ruhm seines Kutschers, der Stolz seines Neiters. Dann geht es an einen Lohnkutscher
über, rohe Menschen treiben es beinahe zu Tode. Es muß dennoch alltäglich wie ein Sklave ziehen;
es hinkt, dennoch muß es laufen. Jst es ein Postpferd geworden, so geht es ihm nicht besser; es wird
halb oder ganz blind, seine Weichen und sein Vorderrücken bluten vom Riemenwerk, sein Bauch von
Bremsen stichen. Ein armer, roher Bauer hat es für wenige Thaler auf Leben und Tod gekauft,
es wird noch einige Jahre lang mit Stroh gefüttert, angeflucht, mit den groben Schuhen in die

Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.
kommt ſchon ſelten vor, daß eine Mutter ihr Kind jahrelang leitet und pflegt, und wahrſcheinlich niemals,
daß ſie daſſelbe länger als Jahresfriſt ſäugt, wie Dies bei dem Menſchen oft genug der Fall iſt. Das
junge Thier iſt ſchon lange vor ſeinem Erwachſenſein von ſeiner Mutter verlaſſen worden und hat auch
vollſtändig die Fähigkeit erlangt, für ſich zu ſorgen.

Gewöhnlich kann das Säugethier als erwachſen angeſehen werden, ſobald es zeugungsfähig
geworden iſt. Es hat dann meiſt die Kennzeichen erhalten, welche dem alten Thiere zukommen, und
auch der Unterſchied zwiſchen männlichem und weiblichem Thier macht ſich bemerklich. Erſteres zeichnet
ſich nämlich vor dem letzteren regelmäßig durch die Größe aus, oft auch durch Gehörne, Geweihe, Stoß-
und Reißzähne, beſondern Haarſchmuck, welcher ſich als Mähne und Schwanzquaſte kundgibt, ſowie
durch mancherlei andere Eigenthümlichkeiten; doch kommt es nicht ſelten vor, daß auch das zeugungs-
fähige Thier mit ſteigendem Alter in mancher Hinſicht noch zunimmt. Hiervon mag uns der Hirſch
als Beiſpiel gelten, weil er ja bekanntlich mit den Jahren mehr und mehr Sproſſen auf ſein Geweih
ſetzt. Die Stoßzähne des Elefanten, des Walroſſes, die Narwals nehmen ebenſo mit dem
Alter an Größe bedeutend zu.

Wahrſcheinlich erreichen nur die großen Vielhufer und die größten Meerſauger ein
höheres Alter, als der Menſch. Jn demſelben Grade, in welchem die Entwickelung verlangſamt iſt,
nimmt das Alter zu, oder umgekehrt ab. Schon mittelgroße Säugethiere können, wenn ſie zehn Jahr
alt geworden ſind, als greiſe Thiere betrachtet werden, bei andern tritt das Greiſenthum vielleicht erſt
nach zwanzig Jahren ein: allein ein Alter von dreißig Jahren, in welchem der Menſch doch bekannt-
lich erſt zur vollen Blüthe gelangt, iſt ſchon recht ſelten. Das Greiſenthum zeigt ſich ſowohl in der
Abnahme der Kräfte, als auch im Ergrauen des Haares und in der Verkleinerung gewiſſer Schmuck-
zeichen: ſo ſetzen alte Hirſche geringere Geweihe auf, als vollkräftige. Der Tod erfolgt gewöhnlich
nicht durch Krankheiten, denn dieſe ſind unter den freilebenden Säugethieren ſelten. Seuchen, welche
in entſetzlicher Weiſe unter Thieren unſerer Klaſſe wüthen, kommen zwar auch vor; die Mäuſe z. B.,
welche ſich zuweilen ins Unglaubliche vermehren, ſterben in Zeit von wenig Wochen in ſolcher Maſſe
dahin, daß ihre kleinen Leichname verweſend die Luft verpeſten. Allein ſolche Fälle ſind doch nicht
häufig, und die größeren freilebenden Säugethiere ſcheinen von Krankheiten ſehr wenig zu wiſſen.
Bei ihnen erfolgt der Tod gewöhnlich aus Altersſchwäche. Man kann Scheitlin wohl Recht geben,
wenn er behauptet, daß die edlen Thiere würdig, die unedlen unwürdig, die „Menſchenthiere‟
menſchlich ſterben. Elefanten, Hunde, Pferde, Löwen und andere kluge Thiere, kennen den
Tod und wiſſen, was Sterben zu bedeuten hat; ſie verſcheiden auch ruhig und ohne zu winſeln; ſie
trotzen dem Schmerz, ächzen und ſeufzen nicht, zucken nur krampfhaft im Tode und ſterben ſtill dahin;
der Hund, dieſes herrliche Bild der Treue, kriecht noch ſterbend zu ſeinem Herrn und leckt ihm liebend
die Hand, ihm gleichſam den letzten Abſchiedsgruß ſeiner Treue und ſeiner Liebe vererbend. Jm
freien Leben ſuchen die Thiere ſich, wenn der Tod naht, gewöhnlich ein ſtilles Plätzchen, auf welchem ſie
ihr Sterbelager halten, und auch manche Hausthiere, welche der Menſch irgend einem ſeiner Zwecke
opfert, thun Dies; ſo z. B. der Stier auf dem Fecht- und Kampfplatze, wenn er die tödtliche Wunde
von dem Schwerte des Espada empfangen hat.

Jch will noch einmal mich auf Scheitlin ſtützen, indem ich mit ihm ſage: „Das Thier
hat auch ein Schickſal.
Es hängt von ſeinen Verhältniſſen zur Natur und den natürlichen Um-
gebungen zu dem Menſchen, wenn es mit ihm in Verkehr kommt, zum Theil auch von ſich ſelbſt ab.
Oft muß es des Menſchen Schickſal und der Menſch das des Thieres theilen; es geht mit ihm zu
Grunde im Feuer und Waſſer, in der Schlacht und im Kampfe. Manche Pferde ſind Helden, für
welche keine Kugel gegoſſen zu ſein ſcheint, andere wirft die erſte feindliche Kugel nieder. Das junge,
ſchöne Füllen wird faſt mit Gold aufgewogen, dann frei zugeritten, zu freien, frohen Wettrennen be-
nutzt, bald hierauf mit Stricken an eine Kutſche geſpannt, doch immer noch mit Hafer gefüttert, es iſt
noch der Ruhm ſeines Kutſchers, der Stolz ſeines Neiters. Dann geht es an einen Lohnkutſcher
über, rohe Menſchen treiben es beinahe zu Tode. Es muß dennoch alltäglich wie ein Sklave ziehen;
es hinkt, dennoch muß es laufen. Jſt es ein Poſtpferd geworden, ſo geht es ihm nicht beſſer; es wird
halb oder ganz blind, ſeine Weichen und ſein Vorderrücken bluten vom Riemenwerk, ſein Bauch von
Bremſen ſtichen. Ein armer, roher Bauer hat es für wenige Thaler auf Leben und Tod gekauft,
es wird noch einige Jahre lang mit Stroh gefüttert, angeflucht, mit den groben Schuhen in die

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. XXXVIII[XXXVIII]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/48>, abgerufen am 22.11.2024.