auf seinen Streifereien gefunden hat. Er folgt dieser dann, ohne sich um andere zu bekümmern: es wird behauptet, daß er, wenn er einer Fährte folgt, oft an anderen Thieren vorüberläuft. Seine elende Feigheit, seine List und die Schärfe seiner Sinne zeigt sich bei seinen Ueberfällen. Er ist dabei überaus vorsichtig und behutsam, um ja seine Freiheit und sein Leben nicht aufs Spiel zu setzen. Niemals verläßt er seinen Hinterhalt, ohne vorher genau ausgespürt zu haben, daß er auch sicher sei. Mit größter Vorsicht vermeidet er jedes Geräusch bei seinem Zuge. Sein Argwohn sieht in jedem Stricke, jeder Oeffnung, in jedem unbekannten Gegenstande eine Schlinge, eine Falle oder einen Hinterhalt. Deshalb vermeidet er es immer, durch ein offnes Thor in einen Hof einzudringen, falls er irgendwie über die Einfriedigung springen kann. Angebundene Thiere greift er ebenfalls nur im äußersten Nothfall an, jedenfalls weil er glaubt, daß sie nur als Köder für ihn hingestellt worden sind.
Anders benimmt er sich freilich, wenn ihn der quälende Hunger zur Jagd treibt. Dieser ver- ändert das Betragen und läßt den Wolf namentlich seine Vorsicht und List ganz vergessen, stachelt aber auch seinen Muth an. Der hungrige Wolf ist geradezu tollkühn und fürchtet sich vor gar Nichts mehr. Es giebt dann für ihn wirklich kein Schreckmitttel, und eine Rotte solcher Thiere ist deshalb für Mensch und Thier im höchsten Grad gefährlich. Gewöhnlich frißt der Wolf seine Beute gleich auf einmal auf, und seine Freßfähigkeit ist so großartig, daß er ein ganzes Schaf oder Reh recht gut be- wältigen kann. Hat er sich gesättigt, ohne seine Beute aufgezehrt zu haben, so nimmt er von dieser entweder noch einen tüchtigen Schlägel mit oder kehrt am nächsten oder zweiten Tage zu derselben zurück, um weiter zu fressen. Seinen Magen reinigt er, wie die Hunde, von den Knochensplittern durch Grasfressen.
Bei älteren Wölfen beginnt die Ranzzeit Ende Dezembers und währt bis Mitte Januars; bei jüngeren hingegen tritt sie erst Ende Januars ein und währt bis Mitte Februars. Die Männchen kämpfen auf Tod und Leben um die Weibchen, und ein im Zweikampf unterliegender liebesbrünstiger Wolf wird ohne große Umstände von seinem Nebenbuhler aufgefressen. Abweichend von dem Hunde tragen die Wölfe ziemlich lange, nämlich dreizehn, nach Anderen vierzehn Wochen. Das Weibchen wölft in einsamen düsteren Wäldern, entweder in einem selbstgegrabenen Loche, unter Baumwurzeln, an einem Ufer, auch in einem alten verlassenen Dachs- oder Fuchsbau, welchen es vergrößert hat, auf ein mit Mos ausgelegtes Lager, je nach ihrem Alter drei bis neun, gewöhnlich aber vier bis sechs Junge. Das Gewölfe bleibt neun bis vierzehn Tage lang blind und saugt fünf bis sechs Wochen. Die Mutter verbirgt es so lange, bis die Jungen laufen können, sorgfältig vor anderen Wölfen; denn der Herr Gemahl frißt ohne weiteres seine eigne Nachkommenschaft auf, wenn er sie erwischen kann. Jn der Nähe des Gewölfes vermeidet die Alte jede Räuberei, um das Lager ja nicht zu verrathen. Wittert sie bei der Zurückkunft von einem Ausfluge etwas Verdächtiges, so trägt sie die Jungen nach Hundeart weg in ein anderes Lager. Sie liebt und pflegt ihre Kinder mit großer Zärtlichkeit und vertheidigt sie aufopfernd gegen jede Gefahr, am allermuthigsten gegen die Angriffe, welche ihnen von anderen Wölfen drohen. Anfänglich kaut sie ihnen die Fleischnahrung vor, später bringt sie ihnen kleine Thiere, rupft diese und legt sie ihnen so vor, bis die jungen Wölfe im Stande sind, die ihnen lebend gebrachten Thiere selbst zu tödten und zu verzehren. Wie die Füchse, spielen auch die Wölfe vorher lange mit ihrer Beute und üben sich an ihr im Fangen. Nachdem das Gewölfe soweit gekommen ist, daß es selbst würgen kann, sucht die Mutter mit ihm die Gesellschaft anderer Wölfe wieder auf, und diese sollen den jungen Nachwuchs nunmehr mit großer Artigkeit und Liebe empfangen. Die Jungen wachsen bis ins dritte Jahr und werden in diesem fortpflanzungsfähig. Das Alter, welches sie überhaupt erreichen, dürfte sich auf 12 bis 15 Jahr belaufen. Viele mögen dem Hungertode erliegen; andere sterben an den vielen Kankheiten, welchen die Hunde überhaupt ausgesetzt sind. --
Durch vielfache Versuche ist es zur Genüge festgestellt, daß durch Paarung des Wolfes mit der Hündin, oder des Hundes mit der Wölfin Bastarde entstehen, welche wahrscheinlich wiederum fruchtbare Junge erzeugen. Diese Bastarde halten nicht immer die Mitte zwischen Wolf und Hund, und auch die Jungen eines Wurfes sind sehr verschieden. Jn der Regel sind sie mehr dem Wolfe ähnlich, obwohl
Seine Jagden. Fortpflanzung. Kreuzung mit Hunden.
auf ſeinen Streifereien gefunden hat. Er folgt dieſer dann, ohne ſich um andere zu bekümmern: es wird behauptet, daß er, wenn er einer Fährte folgt, oft an anderen Thieren vorüberläuft. Seine elende Feigheit, ſeine Liſt und die Schärfe ſeiner Sinne zeigt ſich bei ſeinen Ueberfällen. Er iſt dabei überaus vorſichtig und behutſam, um ja ſeine Freiheit und ſein Leben nicht aufs Spiel zu ſetzen. Niemals verläßt er ſeinen Hinterhalt, ohne vorher genau ausgeſpürt zu haben, daß er auch ſicher ſei. Mit größter Vorſicht vermeidet er jedes Geräuſch bei ſeinem Zuge. Sein Argwohn ſieht in jedem Stricke, jeder Oeffnung, in jedem unbekannten Gegenſtande eine Schlinge, eine Falle oder einen Hinterhalt. Deshalb vermeidet er es immer, durch ein offnes Thor in einen Hof einzudringen, falls er irgendwie über die Einfriedigung ſpringen kann. Angebundene Thiere greift er ebenfalls nur im äußerſten Nothfall an, jedenfalls weil er glaubt, daß ſie nur als Köder für ihn hingeſtellt worden ſind.
Anders benimmt er ſich freilich, wenn ihn der quälende Hunger zur Jagd treibt. Dieſer ver- ändert das Betragen und läßt den Wolf namentlich ſeine Vorſicht und Liſt ganz vergeſſen, ſtachelt aber auch ſeinen Muth an. Der hungrige Wolf iſt geradezu tollkühn und fürchtet ſich vor gar Nichts mehr. Es giebt dann für ihn wirklich kein Schreckmitttel, und eine Rotte ſolcher Thiere iſt deshalb für Menſch und Thier im höchſten Grad gefährlich. Gewöhnlich frißt der Wolf ſeine Beute gleich auf einmal auf, und ſeine Freßfähigkeit iſt ſo großartig, daß er ein ganzes Schaf oder Reh recht gut be- wältigen kann. Hat er ſich geſättigt, ohne ſeine Beute aufgezehrt zu haben, ſo nimmt er von dieſer entweder noch einen tüchtigen Schlägel mit oder kehrt am nächſten oder zweiten Tage zu derſelben zurück, um weiter zu freſſen. Seinen Magen reinigt er, wie die Hunde, von den Knochenſplittern durch Grasfreſſen.
Bei älteren Wölfen beginnt die Ranzzeit Ende Dezembers und währt bis Mitte Januars; bei jüngeren hingegen tritt ſie erſt Ende Januars ein und währt bis Mitte Februars. Die Männchen kämpfen auf Tod und Leben um die Weibchen, und ein im Zweikampf unterliegender liebesbrünſtiger Wolf wird ohne große Umſtände von ſeinem Nebenbuhler aufgefreſſen. Abweichend von dem Hunde tragen die Wölfe ziemlich lange, nämlich dreizehn, nach Anderen vierzehn Wochen. Das Weibchen wölft in einſamen düſteren Wäldern, entweder in einem ſelbſtgegrabenen Loche, unter Baumwurzeln, an einem Ufer, auch in einem alten verlaſſenen Dachs- oder Fuchsbau, welchen es vergrößert hat, auf ein mit Mos ausgelegtes Lager, je nach ihrem Alter drei bis neun, gewöhnlich aber vier bis ſechs Junge. Das Gewölfe bleibt neun bis vierzehn Tage lang blind und ſaugt fünf bis ſechs Wochen. Die Mutter verbirgt es ſo lange, bis die Jungen laufen können, ſorgfältig vor anderen Wölfen; denn der Herr Gemahl frißt ohne weiteres ſeine eigne Nachkommenſchaft auf, wenn er ſie erwiſchen kann. Jn der Nähe des Gewölfes vermeidet die Alte jede Räuberei, um das Lager ja nicht zu verrathen. Wittert ſie bei der Zurückkunft von einem Ausfluge etwas Verdächtiges, ſo trägt ſie die Jungen nach Hundeart weg in ein anderes Lager. Sie liebt und pflegt ihre Kinder mit großer Zärtlichkeit und vertheidigt ſie aufopfernd gegen jede Gefahr, am allermuthigſten gegen die Angriffe, welche ihnen von anderen Wölfen drohen. Anfänglich kaut ſie ihnen die Fleiſchnahrung vor, ſpäter bringt ſie ihnen kleine Thiere, rupft dieſe und legt ſie ihnen ſo vor, bis die jungen Wölfe im Stande ſind, die ihnen lebend gebrachten Thiere ſelbſt zu tödten und zu verzehren. Wie die Füchſe, ſpielen auch die Wölfe vorher lange mit ihrer Beute und üben ſich an ihr im Fangen. Nachdem das Gewölfe ſoweit gekommen iſt, daß es ſelbſt würgen kann, ſucht die Mutter mit ihm die Geſellſchaft anderer Wölfe wieder auf, und dieſe ſollen den jungen Nachwuchs nunmehr mit großer Artigkeit und Liebe empfangen. Die Jungen wachſen bis ins dritte Jahr und werden in dieſem fortpflanzungsfähig. Das Alter, welches ſie überhaupt erreichen, dürfte ſich auf 12 bis 15 Jahr belaufen. Viele mögen dem Hungertode erliegen; andere ſterben an den vielen Kankheiten, welchen die Hunde überhaupt ausgeſetzt ſind. —
Durch vielfache Verſuche iſt es zur Genüge feſtgeſtellt, daß durch Paarung des Wolfes mit der Hündin, oder des Hundes mit der Wölfin Baſtarde entſtehen, welche wahrſcheinlich wiederum fruchtbare Junge erzeugen. Dieſe Baſtarde halten nicht immer die Mitte zwiſchen Wolf und Hund, und auch die Jungen eines Wurfes ſind ſehr verſchieden. Jn der Regel ſind ſie mehr dem Wolfe ähnlich, obwohl
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[405/0473]
Seine Jagden. Fortpflanzung. Kreuzung mit Hunden.
auf ſeinen Streifereien gefunden hat. Er folgt dieſer dann, ohne ſich um andere zu bekümmern: es wird
behauptet, daß er, wenn er einer Fährte folgt, oft an anderen Thieren vorüberläuft. Seine elende
Feigheit, ſeine Liſt und die Schärfe ſeiner Sinne zeigt ſich bei ſeinen Ueberfällen. Er iſt dabei überaus
vorſichtig und behutſam, um ja ſeine Freiheit und ſein Leben nicht aufs Spiel zu ſetzen. Niemals
verläßt er ſeinen Hinterhalt, ohne vorher genau ausgeſpürt zu haben, daß er auch ſicher ſei. Mit
größter Vorſicht vermeidet er jedes Geräuſch bei ſeinem Zuge. Sein Argwohn ſieht in jedem Stricke,
jeder Oeffnung, in jedem unbekannten Gegenſtande eine Schlinge, eine Falle oder einen Hinterhalt.
Deshalb vermeidet er es immer, durch ein offnes Thor in einen Hof einzudringen, falls er irgendwie
über die Einfriedigung ſpringen kann. Angebundene Thiere greift er ebenfalls nur im äußerſten
Nothfall an, jedenfalls weil er glaubt, daß ſie nur als Köder für ihn hingeſtellt worden ſind.
Anders benimmt er ſich freilich, wenn ihn der quälende Hunger zur Jagd treibt. Dieſer ver-
ändert das Betragen und läßt den Wolf namentlich ſeine Vorſicht und Liſt ganz vergeſſen, ſtachelt
aber auch ſeinen Muth an. Der hungrige Wolf iſt geradezu tollkühn und fürchtet ſich vor gar Nichts
mehr. Es giebt dann für ihn wirklich kein Schreckmitttel, und eine Rotte ſolcher Thiere iſt deshalb für
Menſch und Thier im höchſten Grad gefährlich. Gewöhnlich frißt der Wolf ſeine Beute gleich auf
einmal auf, und ſeine Freßfähigkeit iſt ſo großartig, daß er ein ganzes Schaf oder Reh recht gut be-
wältigen kann. Hat er ſich geſättigt, ohne ſeine Beute aufgezehrt zu haben, ſo nimmt er von dieſer
entweder noch einen tüchtigen Schlägel mit oder kehrt am nächſten oder zweiten Tage zu derſelben
zurück, um weiter zu freſſen. Seinen Magen reinigt er, wie die Hunde, von den Knochenſplittern
durch Grasfreſſen.
Bei älteren Wölfen beginnt die Ranzzeit Ende Dezembers und währt bis Mitte Januars; bei
jüngeren hingegen tritt ſie erſt Ende Januars ein und währt bis Mitte Februars. Die Männchen
kämpfen auf Tod und Leben um die Weibchen, und ein im Zweikampf unterliegender liebesbrünſtiger
Wolf wird ohne große Umſtände von ſeinem Nebenbuhler aufgefreſſen. Abweichend von dem Hunde
tragen die Wölfe ziemlich lange, nämlich dreizehn, nach Anderen vierzehn Wochen. Das Weibchen
wölft in einſamen düſteren Wäldern, entweder in einem ſelbſtgegrabenen Loche, unter Baumwurzeln, an
einem Ufer, auch in einem alten verlaſſenen Dachs- oder Fuchsbau, welchen es vergrößert hat, auf
ein mit Mos ausgelegtes Lager, je nach ihrem Alter drei bis neun, gewöhnlich aber vier bis ſechs
Junge. Das Gewölfe bleibt neun bis vierzehn Tage lang blind und ſaugt fünf bis ſechs Wochen.
Die Mutter verbirgt es ſo lange, bis die Jungen laufen können, ſorgfältig vor anderen Wölfen; denn
der Herr Gemahl frißt ohne weiteres ſeine eigne Nachkommenſchaft auf, wenn er ſie erwiſchen kann.
Jn der Nähe des Gewölfes vermeidet die Alte jede Räuberei, um das Lager ja nicht zu verrathen.
Wittert ſie bei der Zurückkunft von einem Ausfluge etwas Verdächtiges, ſo trägt ſie die Jungen nach
Hundeart weg in ein anderes Lager. Sie liebt und pflegt ihre Kinder mit großer Zärtlichkeit und
vertheidigt ſie aufopfernd gegen jede Gefahr, am allermuthigſten gegen die Angriffe, welche ihnen von
anderen Wölfen drohen. Anfänglich kaut ſie ihnen die Fleiſchnahrung vor, ſpäter bringt ſie ihnen
kleine Thiere, rupft dieſe und legt ſie ihnen ſo vor, bis die jungen Wölfe im Stande ſind, die ihnen
lebend gebrachten Thiere ſelbſt zu tödten und zu verzehren. Wie die Füchſe, ſpielen auch die Wölfe
vorher lange mit ihrer Beute und üben ſich an ihr im Fangen. Nachdem das Gewölfe ſoweit gekommen
iſt, daß es ſelbſt würgen kann, ſucht die Mutter mit ihm die Geſellſchaft anderer Wölfe wieder auf,
und dieſe ſollen den jungen Nachwuchs nunmehr mit großer Artigkeit und Liebe empfangen. Die
Jungen wachſen bis ins dritte Jahr und werden in dieſem fortpflanzungsfähig. Das Alter, welches
ſie überhaupt erreichen, dürfte ſich auf 12 bis 15 Jahr belaufen. Viele mögen dem Hungertode
erliegen; andere ſterben an den vielen Kankheiten, welchen die Hunde überhaupt ausgeſetzt ſind. —
Durch vielfache Verſuche iſt es zur Genüge feſtgeſtellt, daß durch Paarung des Wolfes mit der
Hündin, oder des Hundes mit der Wölfin Baſtarde entſtehen, welche wahrſcheinlich wiederum fruchtbare
Junge erzeugen. Dieſe Baſtarde halten nicht immer die Mitte zwiſchen Wolf und Hund, und auch die
Jungen eines Wurfes ſind ſehr verſchieden. Jn der Regel ſind ſie mehr dem Wolfe ähnlich, obwohl
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/473>, abgerufen am 22.07.2024.
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