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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Hunde. -- Wolf.
von der Herde weggewagt haben, oder beschleichen auch einzelne Pferde, springen ihnen an die Gurgek
und reißen sie nieder. Merken die übrigen Pferde den Wolf, so gehen sie ohne weiteres auf ihn zu
und hauen, wenn er nicht weicht, mit den Vorderhufen auf ihn los, ja die Hengste packen ihn auch
mit den Zähnen. Oft wird der Wolf schon auf den ersten Schlag erlegt, oft aber macht er eine schnelle
Wendung, packt das angreifende Pferd an der Gurgel und reißt es zu Boden. Auch viele zugleich
erscheinende Wölfe sind nicht im Stande, eine Pferdeherde zum Weichen zu bringen; sie sind im Gegen-
theil, wenn sie sich nicht bald zurückziehen, in Gefahr umringt und erschlagen zu werden." Jn Spanien
erzählte man mir, daß auch die Schweine, welche dort in den großen Eichwaldungen gehütet werden,
sich muthig vertheidigen, wenn sie von Wölfen angefallen werden. Eine starke Bache hatte in einem
solchen Kampfe zwei ihrer Feinde niedergerissen, war aber schließlich doch unterlegen, und man fand
die drei verendeten Thiere neben einander. Anders, als die Pferde, benehmen sich die Schafe der
Steppen gegen den Wolf, wie Kohl ebenfalls berichtet. "Hat dieser bemerkt, daß Schäfer und Hunde
nicht zur Hand sind, so packt er das erste, beste Schaf und reißt es nieder. Die übrigen fliehen zwei-
bis dreihundert Schritt weit, drängen sich dicht zusammen und gaffen mit den dümmsten Augen der
Welt nach dem Wolfe hin, bis er kommt und sich noch eins holt. Nun reißen sie wieder einige hundert
Schritt aus und erwarten ihn abermals." An die Rindviehherden wagt sich gewöhnlich kein Wolf,
weil der ganze Schwarm sich gleich über ihn hermacht und ihn mit den Hörnern zu spießen sucht. Er
trachtet nur darnach, abgesonderte Kälber oder auch erwachsene Rinder zu erlegen, und springt diesen
ebenso an die Kehle, wie dem Pferde. Schwächere Hausthiere sind verloren, wenn sie nicht rechtzeitig
einen sichern Zufluchtsort erreichen können, und der Wolf folgt ihnen auf seiner Jagd durch Sumpf
und Mor, ja selbst durch das Wasser.

Der Wolf besitzt alle Begabungen und Eigenschaften des Hundes: dieselbe Kraft und Ausdauer,
dieselbe Sinnesschärfe und denselben Verstand. Aber er ist einseitiger und erscheint weit unedler, als
der Hund, -- unzweifelhaft einzig und allein deshalb, weil ihm der Erzieher seines Verwandten, der
Mensch, fehlt. Der Haushund ohne den Menschen ist auch nicht mehr, als ein Wolf! Dieser ist einzig
und allein auf sich selbst angewiesen; seine guten Eigenschaften werden nicht geweckt: deshalb kommt er
uns oft als das gerade Gegentheil des Hundes vor. Sein Muth steht in gar keinem Verhältniß mit
seiner Kraft. So lange der Wolf nicht hungrig ist, ist er eines der feigsten und furchtsamsten Thiere,
die es giebt. Er flieht dann nicht blos vor Menschen und Hunden, vor einer Kuh oder einem Ziegen-
bock, sondern auch vor einer Herde Schafe, sobald sich die Thiere zusammenrotten und ihre Köpfe gegen
ihn richten. Hörnerklang und anderes Geräusch, das Klirren einer Kette, lautes Schreien u. s. w.
vertreibt ihn regelmäßig. Der ihm fehlende Muth wird aber durch seine natürliche Schlanheit und
List ersetzt. Bei seinen Jagden legt er oft genug Zeugniß ab von seinem Verstande. Er weiß die
Thiere, deren er sich bemächtigen will, so zu überraschen, daß es denselben nur selten gelingt, ihm
zu entgehen, und auch die, welche ihm an Stärke überlegen sind, überwältigt er durch seine List.
Den Pferden, Rindern, Hirschen und Elenthieren springt er in den Nacken, denn er kennt ihre
Waffen und weiß diesen sorgfältig auszuweichen. Es ist wiederholt von guten Beobachtern versichert
worden, daß der einzeln jagende Wolf, ehe er sich an Pferde schleicht, sich oft in Schlamm oder
wenigstens in Wasser wälze und dann dieses den Pferden in die Augen schleudere, um sie auf Augen-
blicke zu blenden, worauf er ihrer leicht Meister werden kann. Die muthigen Pferde und Rinder
werden, wenn eine Meute Wölfe sie überfällt, schließlich doch die Beute der Raubthiere, weil sie sich
nicht nach allen Seiten hin gleichmäßig vertheidigen können. Und so geschieht es, daß der feige
Räuber fogar das Auerkalb trotz der kräftigsten und gefahrdrohendsten Vertheidigung seiner Mutter
in seine Gewalt bekommt.

Die Sinne des Wolfes sind ebenso scharf, wie die des zahmen Hundes. Geruch, Gehör und
Gesicht sind gleich vortrefflich. Es wird behauptet, daß er nicht blos spüre, sondern auch auf große
Strecken hin wittere. Daß er auch leises Geräusch in bedeutender Entfernung vernimmt und zu
deuten weiß, ist sicher. Ebenso versteht er es genau, welchem Thiere eine Fährte angehört, die er zufällig

Die Raubthiere. Hunde. — Wolf.
von der Herde weggewagt haben, oder beſchleichen auch einzelne Pferde, ſpringen ihnen an die Gurgek
und reißen ſie nieder. Merken die übrigen Pferde den Wolf, ſo gehen ſie ohne weiteres auf ihn zu
und hauen, wenn er nicht weicht, mit den Vorderhufen auf ihn los, ja die Hengſte packen ihn auch
mit den Zähnen. Oft wird der Wolf ſchon auf den erſten Schlag erlegt, oft aber macht er eine ſchnelle
Wendung, packt das angreifende Pferd an der Gurgel und reißt es zu Boden. Auch viele zugleich
erſcheinende Wölfe ſind nicht im Stande, eine Pferdeherde zum Weichen zu bringen; ſie ſind im Gegen-
theil, wenn ſie ſich nicht bald zurückziehen, in Gefahr umringt und erſchlagen zu werden.‟ Jn Spanien
erzählte man mir, daß auch die Schweine, welche dort in den großen Eichwaldungen gehütet werden,
ſich muthig vertheidigen, wenn ſie von Wölfen angefallen werden. Eine ſtarke Bache hatte in einem
ſolchen Kampfe zwei ihrer Feinde niedergeriſſen, war aber ſchließlich doch unterlegen, und man fand
die drei verendeten Thiere neben einander. Anders, als die Pferde, benehmen ſich die Schafe der
Steppen gegen den Wolf, wie Kohl ebenfalls berichtet. „Hat dieſer bemerkt, daß Schäfer und Hunde
nicht zur Hand ſind, ſo packt er das erſte, beſte Schaf und reißt es nieder. Die übrigen fliehen zwei-
bis dreihundert Schritt weit, drängen ſich dicht zuſammen und gaffen mit den dümmſten Augen der
Welt nach dem Wolfe hin, bis er kommt und ſich noch eins holt. Nun reißen ſie wieder einige hundert
Schritt aus und erwarten ihn abermals.‟ An die Rindviehherden wagt ſich gewöhnlich kein Wolf,
weil der ganze Schwarm ſich gleich über ihn hermacht und ihn mit den Hörnern zu ſpießen ſucht. Er
trachtet nur darnach, abgeſonderte Kälber oder auch erwachſene Rinder zu erlegen, und ſpringt dieſen
ebenſo an die Kehle, wie dem Pferde. Schwächere Hausthiere ſind verloren, wenn ſie nicht rechtzeitig
einen ſichern Zufluchtsort erreichen können, und der Wolf folgt ihnen auf ſeiner Jagd durch Sumpf
und Mor, ja ſelbſt durch das Waſſer.

Der Wolf beſitzt alle Begabungen und Eigenſchaften des Hundes: dieſelbe Kraft und Ausdauer,
dieſelbe Sinnesſchärfe und denſelben Verſtand. Aber er iſt einſeitiger und erſcheint weit unedler, als
der Hund, — unzweifelhaft einzig und allein deshalb, weil ihm der Erzieher ſeines Verwandten, der
Menſch, fehlt. Der Haushund ohne den Menſchen iſt auch nicht mehr, als ein Wolf! Dieſer iſt einzig
und allein auf ſich ſelbſt angewieſen; ſeine guten Eigenſchaften werden nicht geweckt: deshalb kommt er
uns oft als das gerade Gegentheil des Hundes vor. Sein Muth ſteht in gar keinem Verhältniß mit
ſeiner Kraft. So lange der Wolf nicht hungrig iſt, iſt er eines der feigſten und furchtſamſten Thiere,
die es giebt. Er flieht dann nicht blos vor Menſchen und Hunden, vor einer Kuh oder einem Ziegen-
bock, ſondern auch vor einer Herde Schafe, ſobald ſich die Thiere zuſammenrotten und ihre Köpfe gegen
ihn richten. Hörnerklang und anderes Geräuſch, das Klirren einer Kette, lautes Schreien u. ſ. w.
vertreibt ihn regelmäßig. Der ihm fehlende Muth wird aber durch ſeine natürliche Schlanheit und
Liſt erſetzt. Bei ſeinen Jagden legt er oft genug Zeugniß ab von ſeinem Verſtande. Er weiß die
Thiere, deren er ſich bemächtigen will, ſo zu überraſchen, daß es denſelben nur ſelten gelingt, ihm
zu entgehen, und auch die, welche ihm an Stärke überlegen ſind, überwältigt er durch ſeine Liſt.
Den Pferden, Rindern, Hirſchen und Elenthieren ſpringt er in den Nacken, denn er kennt ihre
Waffen und weiß dieſen ſorgfältig auszuweichen. Es iſt wiederholt von guten Beobachtern verſichert
worden, daß der einzeln jagende Wolf, ehe er ſich an Pferde ſchleicht, ſich oft in Schlamm oder
wenigſtens in Waſſer wälze und dann dieſes den Pferden in die Augen ſchleudere, um ſie auf Augen-
blicke zu blenden, worauf er ihrer leicht Meiſter werden kann. Die muthigen Pferde und Rinder
werden, wenn eine Meute Wölfe ſie überfällt, ſchließlich doch die Beute der Raubthiere, weil ſie ſich
nicht nach allen Seiten hin gleichmäßig vertheidigen können. Und ſo geſchieht es, daß der feige
Räuber fogar das Auerkalb trotz der kräftigſten und gefahrdrohendſten Vertheidigung ſeiner Mutter
in ſeine Gewalt bekommt.

Die Sinne des Wolfes ſind ebenſo ſcharf, wie die des zahmen Hundes. Geruch, Gehör und
Geſicht ſind gleich vortrefflich. Es wird behauptet, daß er nicht blos ſpüre, ſondern auch auf große
Strecken hin wittere. Daß er auch leiſes Geräuſch in bedeutender Entfernung vernimmt und zu
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[404/0472] Die Raubthiere. Hunde. — Wolf. von der Herde weggewagt haben, oder beſchleichen auch einzelne Pferde, ſpringen ihnen an die Gurgek und reißen ſie nieder. Merken die übrigen Pferde den Wolf, ſo gehen ſie ohne weiteres auf ihn zu und hauen, wenn er nicht weicht, mit den Vorderhufen auf ihn los, ja die Hengſte packen ihn auch mit den Zähnen. Oft wird der Wolf ſchon auf den erſten Schlag erlegt, oft aber macht er eine ſchnelle Wendung, packt das angreifende Pferd an der Gurgel und reißt es zu Boden. Auch viele zugleich erſcheinende Wölfe ſind nicht im Stande, eine Pferdeherde zum Weichen zu bringen; ſie ſind im Gegen- theil, wenn ſie ſich nicht bald zurückziehen, in Gefahr umringt und erſchlagen zu werden.‟ Jn Spanien erzählte man mir, daß auch die Schweine, welche dort in den großen Eichwaldungen gehütet werden, ſich muthig vertheidigen, wenn ſie von Wölfen angefallen werden. Eine ſtarke Bache hatte in einem ſolchen Kampfe zwei ihrer Feinde niedergeriſſen, war aber ſchließlich doch unterlegen, und man fand die drei verendeten Thiere neben einander. Anders, als die Pferde, benehmen ſich die Schafe der Steppen gegen den Wolf, wie Kohl ebenfalls berichtet. „Hat dieſer bemerkt, daß Schäfer und Hunde nicht zur Hand ſind, ſo packt er das erſte, beſte Schaf und reißt es nieder. Die übrigen fliehen zwei- bis dreihundert Schritt weit, drängen ſich dicht zuſammen und gaffen mit den dümmſten Augen der Welt nach dem Wolfe hin, bis er kommt und ſich noch eins holt. Nun reißen ſie wieder einige hundert Schritt aus und erwarten ihn abermals.‟ An die Rindviehherden wagt ſich gewöhnlich kein Wolf, weil der ganze Schwarm ſich gleich über ihn hermacht und ihn mit den Hörnern zu ſpießen ſucht. Er trachtet nur darnach, abgeſonderte Kälber oder auch erwachſene Rinder zu erlegen, und ſpringt dieſen ebenſo an die Kehle, wie dem Pferde. Schwächere Hausthiere ſind verloren, wenn ſie nicht rechtzeitig einen ſichern Zufluchtsort erreichen können, und der Wolf folgt ihnen auf ſeiner Jagd durch Sumpf und Mor, ja ſelbſt durch das Waſſer. Der Wolf beſitzt alle Begabungen und Eigenſchaften des Hundes: dieſelbe Kraft und Ausdauer, dieſelbe Sinnesſchärfe und denſelben Verſtand. Aber er iſt einſeitiger und erſcheint weit unedler, als der Hund, — unzweifelhaft einzig und allein deshalb, weil ihm der Erzieher ſeines Verwandten, der Menſch, fehlt. Der Haushund ohne den Menſchen iſt auch nicht mehr, als ein Wolf! Dieſer iſt einzig und allein auf ſich ſelbſt angewieſen; ſeine guten Eigenſchaften werden nicht geweckt: deshalb kommt er uns oft als das gerade Gegentheil des Hundes vor. Sein Muth ſteht in gar keinem Verhältniß mit ſeiner Kraft. So lange der Wolf nicht hungrig iſt, iſt er eines der feigſten und furchtſamſten Thiere, die es giebt. Er flieht dann nicht blos vor Menſchen und Hunden, vor einer Kuh oder einem Ziegen- bock, ſondern auch vor einer Herde Schafe, ſobald ſich die Thiere zuſammenrotten und ihre Köpfe gegen ihn richten. Hörnerklang und anderes Geräuſch, das Klirren einer Kette, lautes Schreien u. ſ. w. vertreibt ihn regelmäßig. Der ihm fehlende Muth wird aber durch ſeine natürliche Schlanheit und Liſt erſetzt. Bei ſeinen Jagden legt er oft genug Zeugniß ab von ſeinem Verſtande. Er weiß die Thiere, deren er ſich bemächtigen will, ſo zu überraſchen, daß es denſelben nur ſelten gelingt, ihm zu entgehen, und auch die, welche ihm an Stärke überlegen ſind, überwältigt er durch ſeine Liſt. Den Pferden, Rindern, Hirſchen und Elenthieren ſpringt er in den Nacken, denn er kennt ihre Waffen und weiß dieſen ſorgfältig auszuweichen. Es iſt wiederholt von guten Beobachtern verſichert worden, daß der einzeln jagende Wolf, ehe er ſich an Pferde ſchleicht, ſich oft in Schlamm oder wenigſtens in Waſſer wälze und dann dieſes den Pferden in die Augen ſchleudere, um ſie auf Augen- blicke zu blenden, worauf er ihrer leicht Meiſter werden kann. Die muthigen Pferde und Rinder werden, wenn eine Meute Wölfe ſie überfällt, ſchließlich doch die Beute der Raubthiere, weil ſie ſich nicht nach allen Seiten hin gleichmäßig vertheidigen können. Und ſo geſchieht es, daß der feige Räuber fogar das Auerkalb trotz der kräftigſten und gefahrdrohendſten Vertheidigung ſeiner Mutter in ſeine Gewalt bekommt. Die Sinne des Wolfes ſind ebenſo ſcharf, wie die des zahmen Hundes. Geruch, Gehör und Geſicht ſind gleich vortrefflich. Es wird behauptet, daß er nicht blos ſpüre, ſondern auch auf große Strecken hin wittere. Daß er auch leiſes Geräuſch in bedeutender Entfernung vernimmt und zu deuten weiß, iſt ſicher. Ebenſo verſteht er es genau, welchem Thiere eine Fährte angehört, die er zufällig

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/472>, abgerufen am 22.11.2024.