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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Katzen. -- Luchs.
wurden im Jahre 1835 noch 316 Stück von regierungswegen ausgelöst; in Norwegen werden jetzt
noch jährlich über zwanzig Stück geschossen, in Rußland jedenfalls noch weit mehr. Auch die natur-
unkundigen Schweden unterscheiden mehrere Luchse nach der Färbüng. Die eine Abänderung neunen
sie Katlo, die andere Räflo, in Norwegen heißt er Gaupe, und unter diesen Namen ist er all-
gemein bekannt.

Der Luchs hält sich nur in großen, dichten, dunklen Gebirgswäldern und in öden und felsigen
Gegenden auf, wo er Klüfte und Höhlen zu seinem Obdache findet oder sich im Schilfe und hohen
Grafe oder im Dickicht verstecken kann. Richt selten dienen ihm Fuchs- und Dachsbaue zu seinem
Aufenthalte. Bei Tage sitzt er in einsamen Gegenden, wo er sich sicher glaubt, auf Felsspitzen und
abgestumpften Baumstämmen, um sich zu sonnen, nicht selten auf starken Aesten in ziemlicher Höhe
über dem Boden; denn er ist im Stande, Bäume zu erklettern, und springt wohl auch von hier herab
auf ein etwa vorübergehendes Thier. Wenn er auf dem Aste liegt, pflegt er, wie die wilden Katzen,
sich gern zu verstecken, so daß man ihn schwer bemerkt.

Seine Bewegungen sind ziemlich langsam, aber außerordentlich kräftig und ausdauernd; seine
Sinnesfähigkeiten stehen mit seiner Körperstärke im besten Einklang. Er vernimmt sehr gut, wittert
schärfer, als die anderen Katzenarten, und äugt so ausgezeichnet, daß sein Gesicht seit uralten Zeiten
zum Sprichworte geworden ist. Seine Stimme ist scharftönend und dem Geheul eines Hundes
nicht unähnlich.

Der Luchs ist in unserem an Jagdthieren so armen Europa ein außerordeutlich schädliches
Raubthier. Seine große Stärke befähigt ihn, nicht blos kleineres Wild, sondern auch Edelwild aller
Art, und zwar Jung wie Alt, zu bewältigen. Er lauert an den von ihm ausgespürten Wechseln, in
Mitteleuropa den Hirschen und Rehen, im Norden auch den Renthieren, ja selbst Elenthieren
auf, schleicht an sie heran und springt mit drei bis vier ungeheuren, zwölf bis vierzehn Fuß weiten
Sätzen auf seine Beute los, faßt sie, sich fest einbeißend, im Genick, schlägt seine Krallen tief ein, hält
sich somit fest und beißt nun mit seinen scharfen Zähnen die Schlagadern des Halses durch. Bis das
Thier verendet, bleibt er auf ihm sitzen: ja man kennt ein Beispiel, daß ein solcher furchtbarer Reiter
wider seinen Willen mit seinem Reitthier und Schlachtopfer weiter getragen worden ist, als ihm lieb
war. Eine norwegische Zeitung berichtete, daß eines Tages eine Herde Ziegen mitten am Tage aus
dem benachbarten Walde in höchster Eile nach dem Gute zugelaufen kamen. Ein Thier der Herde trug
auf seinem Rücken einen jungen Luchs, welcher seine Klauen so tief und fest in den Hals der Ziege
eingeschlagen hatte, daß er nicht wieder loskommen konnte. Die Ziege raunte in der Angst hin und her,
bis es den inzwischen hinzugekommenen Söhnen des Gutsbesitzer gelang, daß Raubthier zu erschießen,
ohne die Ziege zu verletzen. Fehlt der Luchs seinen Raub, so folgt er ihm nicht weiter, sondern legt
sich abermals auf die Lauer und sucht sich eine andere Beute auf. Von einem großen Thiere frißt er
natürlich verhältnißmäßig nur sehr wenig, zwei bis drei Pfund etwa, wenn er auch am nächsten Tage
noch einmal kommt, um eine zweite Mahlzeit zu halten. Das Uebrige läßt er liegen den Füchsen
und Wölfen zur Beute, welche ihn bald als freigebigen Wirth erkennen lernen und ihm folgen.
Deshalb ist der Schaden, welchen er verursacht, weit größer, als man erwarten sollte, und er begnügt
sich nicht einmal mit der Tödtung eines Thieres, sondern reißt in blinder Wuth und unersättlicher
Mordgier soviel zu Boden, als er kann. Bechstein erzählt, daß ein einziger Luchs in Thüringen in
einer Nacht dreißig Schafe getödtet habe, und Schinz kennt Beispiele, daß er in der Schweiz in kurzer
Zeit dreißig bis vierzig Stück kleines Vieh abgewürgt hat. Die Art, wie er raubt, und überhaupt
seine Lebensweise hat Tschudi am besten beschrieben und ich will deshalb die bezügliche Stelle aus dem
mustergiltigen Werke des ausgezeichneten Naturforschers hier folgen lassen.

"Wenn in den Alpen ein Luchs gespürt wird, so wird Alles aufgeboten, dieses reißenden und ge-
fährlichen Ränbers habhaft zu werden; doch weiß der sich gar gut zu verstecken. So lange er in seinen
Hochwäldern und Gebirgsklüften seine Nahrung findet, jagt er nicht weiter. Hier lebt er in den ein-
samsten und finstersten Schluchten mit seinem Weibchen und verräth seinen Aufenthalt nur selten durch

Die Raubthiere. Katzen. — Luchs.
wurden im Jahre 1835 noch 316 Stück von regierungswegen ausgelöſt; in Norwegen werden jetzt
noch jährlich über zwanzig Stück geſchoſſen, in Rußland jedenfalls noch weit mehr. Auch die natur-
unkundigen Schweden unterſcheiden mehrere Luchſe nach der Färbüng. Die eine Abänderung neunen
ſie Katlo, die andere Räflo, in Norwegen heißt er Gaupe, und unter dieſen Namen iſt er all-
gemein bekannt.

Der Luchs hält ſich nur in großen, dichten, dunklen Gebirgswäldern und in öden und felſigen
Gegenden auf, wo er Klüfte und Höhlen zu ſeinem Obdache findet oder ſich im Schilfe und hohen
Grafe oder im Dickicht verſtecken kann. Richt ſelten dienen ihm Fuchs- und Dachsbaue zu ſeinem
Aufenthalte. Bei Tage ſitzt er in einſamen Gegenden, wo er ſich ſicher glaubt, auf Felsſpitzen und
abgeſtumpften Baumſtämmen, um ſich zu ſonnen, nicht ſelten auf ſtarken Aeſten in ziemlicher Höhe
über dem Boden; denn er iſt im Stande, Bäume zu erklettern, und ſpringt wohl auch von hier herab
auf ein etwa vorübergehendes Thier. Wenn er auf dem Aſte liegt, pflegt er, wie die wilden Katzen,
ſich gern zu verſtecken, ſo daß man ihn ſchwer bemerkt.

Seine Bewegungen ſind ziemlich langſam, aber außerordentlich kräftig und ausdauernd; ſeine
Sinnesfähigkeiten ſtehen mit ſeiner Körperſtärke im beſten Einklang. Er vernimmt ſehr gut, wittert
ſchärfer, als die anderen Katzenarten, und äugt ſo ausgezeichnet, daß ſein Geſicht ſeit uralten Zeiten
zum Sprichworte geworden iſt. Seine Stimme iſt ſcharftönend und dem Geheul eines Hundes
nicht unähnlich.

Der Luchs iſt in unſerem an Jagdthieren ſo armen Europa ein außerordeutlich ſchädliches
Raubthier. Seine große Stärke befähigt ihn, nicht blos kleineres Wild, ſondern auch Edelwild aller
Art, und zwar Jung wie Alt, zu bewältigen. Er lauert an den von ihm ausgeſpürten Wechſeln, in
Mitteleuropa den Hirſchen und Rehen, im Norden auch den Renthieren, ja ſelbſt Elenthieren
auf, ſchleicht an ſie heran und ſpringt mit drei bis vier ungeheuren, zwölf bis vierzehn Fuß weiten
Sätzen auf ſeine Beute los, faßt ſie, ſich feſt einbeißend, im Genick, ſchlägt ſeine Krallen tief ein, hält
ſich ſomit feſt und beißt nun mit ſeinen ſcharfen Zähnen die Schlagadern des Halſes durch. Bis das
Thier verendet, bleibt er auf ihm ſitzen: ja man kennt ein Beiſpiel, daß ein ſolcher furchtbarer Reiter
wider ſeinen Willen mit ſeinem Reitthier und Schlachtopfer weiter getragen worden iſt, als ihm lieb
war. Eine norwegiſche Zeitung berichtete, daß eines Tages eine Herde Ziegen mitten am Tage aus
dem benachbarten Walde in höchſter Eile nach dem Gute zugelaufen kamen. Ein Thier der Herde trug
auf ſeinem Rücken einen jungen Luchs, welcher ſeine Klauen ſo tief und feſt in den Hals der Ziege
eingeſchlagen hatte, daß er nicht wieder loskommen konnte. Die Ziege raunte in der Angſt hin und her,
bis es den inzwiſchen hinzugekommenen Söhnen des Gutsbeſitzer gelang, daß Raubthier zu erſchießen,
ohne die Ziege zu verletzen. Fehlt der Luchs ſeinen Raub, ſo folgt er ihm nicht weiter, ſondern legt
ſich abermals auf die Lauer und ſucht ſich eine andere Beute auf. Von einem großen Thiere frißt er
natürlich verhältnißmäßig nur ſehr wenig, zwei bis drei Pfund etwa, wenn er auch am nächſten Tage
noch einmal kommt, um eine zweite Mahlzeit zu halten. Das Uebrige läßt er liegen den Füchſen
und Wölfen zur Beute, welche ihn bald als freigebigen Wirth erkennen lernen und ihm folgen.
Deshalb iſt der Schaden, welchen er verurſacht, weit größer, als man erwarten ſollte, und er begnügt
ſich nicht einmal mit der Tödtung eines Thieres, ſondern reißt in blinder Wuth und unerſättlicher
Mordgier ſoviel zu Boden, als er kann. Bechſtein erzählt, daß ein einziger Luchs in Thüringen in
einer Nacht dreißig Schafe getödtet habe, und Schinz kennt Beiſpiele, daß er in der Schweiz in kurzer
Zeit dreißig bis vierzig Stück kleines Vieh abgewürgt hat. Die Art, wie er raubt, und überhaupt
ſeine Lebensweiſe hat Tſchudi am beſten beſchrieben und ich will deshalb die bezügliche Stelle aus dem
muſtergiltigen Werke des ausgezeichneten Naturforſchers hier folgen laſſen.

„Wenn in den Alpen ein Luchs geſpürt wird, ſo wird Alles aufgeboten, dieſes reißenden und ge-
fährlichen Ränbers habhaft zu werden; doch weiß der ſich gar gut zu verſtecken. So lange er in ſeinen
Hochwäldern und Gebirgsklüften ſeine Nahrung findet, jagt er nicht weiter. Hier lebt er in den ein-
ſamſten und finſterſten Schluchten mit ſeinem Weibchen und verräth ſeinen Aufenthalt nur ſelten durch

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[296/0360] Die Raubthiere. Katzen. — Luchs. wurden im Jahre 1835 noch 316 Stück von regierungswegen ausgelöſt; in Norwegen werden jetzt noch jährlich über zwanzig Stück geſchoſſen, in Rußland jedenfalls noch weit mehr. Auch die natur- unkundigen Schweden unterſcheiden mehrere Luchſe nach der Färbüng. Die eine Abänderung neunen ſie Katlo, die andere Räflo, in Norwegen heißt er Gaupe, und unter dieſen Namen iſt er all- gemein bekannt. Der Luchs hält ſich nur in großen, dichten, dunklen Gebirgswäldern und in öden und felſigen Gegenden auf, wo er Klüfte und Höhlen zu ſeinem Obdache findet oder ſich im Schilfe und hohen Grafe oder im Dickicht verſtecken kann. Richt ſelten dienen ihm Fuchs- und Dachsbaue zu ſeinem Aufenthalte. Bei Tage ſitzt er in einſamen Gegenden, wo er ſich ſicher glaubt, auf Felsſpitzen und abgeſtumpften Baumſtämmen, um ſich zu ſonnen, nicht ſelten auf ſtarken Aeſten in ziemlicher Höhe über dem Boden; denn er iſt im Stande, Bäume zu erklettern, und ſpringt wohl auch von hier herab auf ein etwa vorübergehendes Thier. Wenn er auf dem Aſte liegt, pflegt er, wie die wilden Katzen, ſich gern zu verſtecken, ſo daß man ihn ſchwer bemerkt. Seine Bewegungen ſind ziemlich langſam, aber außerordentlich kräftig und ausdauernd; ſeine Sinnesfähigkeiten ſtehen mit ſeiner Körperſtärke im beſten Einklang. Er vernimmt ſehr gut, wittert ſchärfer, als die anderen Katzenarten, und äugt ſo ausgezeichnet, daß ſein Geſicht ſeit uralten Zeiten zum Sprichworte geworden iſt. Seine Stimme iſt ſcharftönend und dem Geheul eines Hundes nicht unähnlich. Der Luchs iſt in unſerem an Jagdthieren ſo armen Europa ein außerordeutlich ſchädliches Raubthier. Seine große Stärke befähigt ihn, nicht blos kleineres Wild, ſondern auch Edelwild aller Art, und zwar Jung wie Alt, zu bewältigen. Er lauert an den von ihm ausgeſpürten Wechſeln, in Mitteleuropa den Hirſchen und Rehen, im Norden auch den Renthieren, ja ſelbſt Elenthieren auf, ſchleicht an ſie heran und ſpringt mit drei bis vier ungeheuren, zwölf bis vierzehn Fuß weiten Sätzen auf ſeine Beute los, faßt ſie, ſich feſt einbeißend, im Genick, ſchlägt ſeine Krallen tief ein, hält ſich ſomit feſt und beißt nun mit ſeinen ſcharfen Zähnen die Schlagadern des Halſes durch. Bis das Thier verendet, bleibt er auf ihm ſitzen: ja man kennt ein Beiſpiel, daß ein ſolcher furchtbarer Reiter wider ſeinen Willen mit ſeinem Reitthier und Schlachtopfer weiter getragen worden iſt, als ihm lieb war. Eine norwegiſche Zeitung berichtete, daß eines Tages eine Herde Ziegen mitten am Tage aus dem benachbarten Walde in höchſter Eile nach dem Gute zugelaufen kamen. Ein Thier der Herde trug auf ſeinem Rücken einen jungen Luchs, welcher ſeine Klauen ſo tief und feſt in den Hals der Ziege eingeſchlagen hatte, daß er nicht wieder loskommen konnte. Die Ziege raunte in der Angſt hin und her, bis es den inzwiſchen hinzugekommenen Söhnen des Gutsbeſitzer gelang, daß Raubthier zu erſchießen, ohne die Ziege zu verletzen. Fehlt der Luchs ſeinen Raub, ſo folgt er ihm nicht weiter, ſondern legt ſich abermals auf die Lauer und ſucht ſich eine andere Beute auf. Von einem großen Thiere frißt er natürlich verhältnißmäßig nur ſehr wenig, zwei bis drei Pfund etwa, wenn er auch am nächſten Tage noch einmal kommt, um eine zweite Mahlzeit zu halten. Das Uebrige läßt er liegen den Füchſen und Wölfen zur Beute, welche ihn bald als freigebigen Wirth erkennen lernen und ihm folgen. Deshalb iſt der Schaden, welchen er verurſacht, weit größer, als man erwarten ſollte, und er begnügt ſich nicht einmal mit der Tödtung eines Thieres, ſondern reißt in blinder Wuth und unerſättlicher Mordgier ſoviel zu Boden, als er kann. Bechſtein erzählt, daß ein einziger Luchs in Thüringen in einer Nacht dreißig Schafe getödtet habe, und Schinz kennt Beiſpiele, daß er in der Schweiz in kurzer Zeit dreißig bis vierzig Stück kleines Vieh abgewürgt hat. Die Art, wie er raubt, und überhaupt ſeine Lebensweiſe hat Tſchudi am beſten beſchrieben und ich will deshalb die bezügliche Stelle aus dem muſtergiltigen Werke des ausgezeichneten Naturforſchers hier folgen laſſen. „Wenn in den Alpen ein Luchs geſpürt wird, ſo wird Alles aufgeboten, dieſes reißenden und ge- fährlichen Ränbers habhaft zu werden; doch weiß der ſich gar gut zu verſtecken. So lange er in ſeinen Hochwäldern und Gebirgsklüften ſeine Nahrung findet, jagt er nicht weiter. Hier lebt er in den ein- ſamſten und finſterſten Schluchten mit ſeinem Weibchen und verräth ſeinen Aufenthalt nur ſelten durch

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/360>, abgerufen am 23.11.2024.