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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Beschreibung des Eyra.

Der Eyra bethätigt sein vielversprechendes Aeußere nicht. Man möchte glauben, daß er alle
Eigenschaften der Katzen und Marder in sich vereinige: aber er ist auch nicht gewandter, als der
Yaguarundi, und nur sein unersättlicher Blutdurst, seine Grausamkeit stellt ihn, vom Raubthier-
standpunkte betrachtet, über jenen und beweist, daß seine Marderähnlichkeit denn doch noch ander-
weitig begründet ist. Auch er lebt paarweise in einem bestimmten Gebiete und hat so ziemlich das-
selbe Betragen, wie der Yaguarundi. Rengger hielt einige in der Gefangenschaft, ohne sie eigentlich
zähmen zu können. Sie waren noch so klein, daß sie sich kaum auf den Beinen halten konnten, und
griffen doch bereits das Geflügel an, obwohl es ihnen an Kraft fehlte, dasselbe zu überwältigen, ja,
einer der kleinen Raubmörder wurde vom Haushahn durch einen Spornschlag in den Hals getödtet.
Der andere mußte wegen seiner unbezähmbaren Raubsucht immer eingesperrt werden, und als er
einmal frei kam, würgte er in einem Augenblicke mehrere junge Enten ab. Diese Raubsucht abge-
rechnet, war er sehr zahm, spielte in seiner Jugend mit Katzen und Hunden, mit Pomeranzen und
Papier und war besonders einem Affen zugethan, wahrscheinlich, weil dieser ihn immer von den
Flöhen befreite. Mit zunehmendem Alter wurde er unfreundlicher gegen die anderen Thiere, blieb
aber zutraulich und sanft gegen die Menschen, sobald man ihn nicht bei dem Fressen störte. Uebrigens
machte er keinen Unterschied zwischen seinen Wärtern und ganz fremden Personen, und zeigte weder
Gedächtniß für empfangene Wohlthaten, noch für erlittene Beleidigungen.

Azara, der Entdecker des Eyra, versichert, daß keine andere Katze dieses kleine Raubthier hin-
sichtlich der Schnelligkeit übertreffen könne, mit welcher es einer einmal gefaßten Beute den Garaus
zu machen wisse.

Vor wenigen Jahren kamen zwei dieser schönen Katzen nach London. Von ihnen nahm J. Wolf
die Abbildung, welche wir hier benutzt haben.



Löwe, Tiger und Jaguar gelten mit Recht als die Herrscher im Katzengeschlecht, und jeder
von ihnen hat sich auch einen eignen Erdtheil zu seiner Herrschaft auserkoren. Aber wie sehr unter-
scheiden sie sich von einander, und namentlich die beiden letzteren von dem erstern! Tiger und
Jaguar sind vollständigere Katzen, als der Löwe, aber aus demselben Grunde auch blut- und raub-
gierigere Thiere, als jener. Der Löwe ist trotz seines Räuberthums ein edles, großartiges Thier, ein
offner Gewaltherrscher: Tiger und Jaguar aber sind schleichende, heimtückische und deshalb doppelt
gesährliche Feinde aller größeren Säugethiere, den Menschen mit inbegriffen. Jch nannte Tiger
und Jaguar vollendetere Katzen, als den Löwen, und ein einziger Blick auf Gestalt und Zeich-
nung des Thieres muß bewirken, daß man mir hierin beipflichtet. Man hat den Tiger in der Neu-
zeit zum Vertreter einer eignen Sippe erhoben und will höchstens noch den Nebelparder in sie
einordnen. Allein die Kennzeichen dieser Sippe sind doch nur sehr untergeordueter Art. Der Tiger
ist eine echte Katze ohne Mähne, mit etwas starkem Backenbart und mit Querstreifen auf seinem
bunten Felle. Aber er ist die furchtharste aller Katzen, ein Thier, welchem selbst der Mensch bisher
noch machtlos gegenüber steht. Kein Geschöpf kann mit seiner verführerischen Schönheit soviel Tücke
und Furchtbarkeit verbinden, keins die alte Fabel von der jungen naseweisen Maus, welche in der
Katze ein so schönes und liebenswürdiges Thier bewundert, besser bestätigen. Wollte man seine
Gefährlichkeit als Maßstab seiner Größe anlegen, so müßte man ihn unbedingt als das erste aller
Säugethiere erklären; denn er hat, bisher wenigstens, dem Herrscher der Erde noch in einer Weise
gegenübergestanden, wie kein anderes Geschöpf. Anstatt vertrieben und zurückgebrängt worden zu sein
durch den Anbau des Bodens und den weiter und weiter vordringenden Menschen, ist er gerade
hierdurch mehr zu ihm hingezogen worden und hat stellenweise den Menschen verscheucht, anstatt von
ihm vertrieben worden zu sein. Er zieht sich nicht so wie der Löwe aus bevölkerten Gegenden zurück,
der Gefahr, welche ihm Vernichtung droht, klüglich ausweichend, sondern geht ihr vielmehr dreist

Beſchreibung des Eyra.

Der Eyra bethätigt ſein vielverſprechendes Aeußere nicht. Man möchte glauben, daß er alle
Eigenſchaften der Katzen und Marder in ſich vereinige: aber er iſt auch nicht gewandter, als der
Yaguarundi, und nur ſein unerſättlicher Blutdurſt, ſeine Grauſamkeit ſtellt ihn, vom Raubthier-
ſtandpunkte betrachtet, über jenen und beweiſt, daß ſeine Marderähnlichkeit denn doch noch ander-
weitig begründet iſt. Auch er lebt paarweiſe in einem beſtimmten Gebiete und hat ſo ziemlich das-
ſelbe Betragen, wie der Yaguarundi. Rengger hielt einige in der Gefangenſchaft, ohne ſie eigentlich
zähmen zu können. Sie waren noch ſo klein, daß ſie ſich kaum auf den Beinen halten konnten, und
griffen doch bereits das Geflügel an, obwohl es ihnen an Kraft fehlte, daſſelbe zu überwältigen, ja,
einer der kleinen Raubmörder wurde vom Haushahn durch einen Spornſchlag in den Hals getödtet.
Der andere mußte wegen ſeiner unbezähmbaren Raubſucht immer eingeſperrt werden, und als er
einmal frei kam, würgte er in einem Augenblicke mehrere junge Enten ab. Dieſe Raubſucht abge-
rechnet, war er ſehr zahm, ſpielte in ſeiner Jugend mit Katzen und Hunden, mit Pomeranzen und
Papier und war beſonders einem Affen zugethan, wahrſcheinlich, weil dieſer ihn immer von den
Flöhen befreite. Mit zunehmendem Alter wurde er unfreundlicher gegen die anderen Thiere, blieb
aber zutraulich und ſanft gegen die Menſchen, ſobald man ihn nicht bei dem Freſſen ſtörte. Uebrigens
machte er keinen Unterſchied zwiſchen ſeinen Wärtern und ganz fremden Perſonen, und zeigte weder
Gedächtniß für empfangene Wohlthaten, noch für erlittene Beleidigungen.

Azara, der Entdecker des Eyra, verſichert, daß keine andere Katze dieſes kleine Raubthier hin-
ſichtlich der Schnelligkeit übertreffen könne, mit welcher es einer einmal gefaßten Beute den Garaus
zu machen wiſſe.

Vor wenigen Jahren kamen zwei dieſer ſchönen Katzen nach London. Von ihnen nahm J. Wolf
die Abbildung, welche wir hier benutzt haben.



Löwe, Tiger und Jaguar gelten mit Recht als die Herrſcher im Katzengeſchlecht, und jeder
von ihnen hat ſich auch einen eignen Erdtheil zu ſeiner Herrſchaft auserkoren. Aber wie ſehr unter-
ſcheiden ſie ſich von einander, und namentlich die beiden letzteren von dem erſtern! Tiger und
Jaguar ſind vollſtändigere Katzen, als der Löwe, aber aus demſelben Grunde auch blut- und raub-
gierigere Thiere, als jener. Der Löwe iſt trotz ſeines Räuberthums ein edles, großartiges Thier, ein
offner Gewaltherrſcher: Tiger und Jaguar aber ſind ſchleichende, heimtückiſche und deshalb doppelt
geſährliche Feinde aller größeren Säugethiere, den Menſchen mit inbegriffen. Jch nannte Tiger
und Jaguar vollendetere Katzen, als den Löwen, und ein einziger Blick auf Geſtalt und Zeich-
nung des Thieres muß bewirken, daß man mir hierin beipflichtet. Man hat den Tiger in der Neu-
zeit zum Vertreter einer eignen Sippe erhoben und will höchſtens noch den Nebelparder in ſie
einordnen. Allein die Kennzeichen dieſer Sippe ſind doch nur ſehr untergeordueter Art. Der Tiger
iſt eine echte Katze ohne Mähne, mit etwas ſtarkem Backenbart und mit Querſtreifen auf ſeinem
bunten Felle. Aber er iſt die furchtharſte aller Katzen, ein Thier, welchem ſelbſt der Menſch bisher
noch machtlos gegenüber ſteht. Kein Geſchöpf kann mit ſeiner verführeriſchen Schönheit ſoviel Tücke
und Furchtbarkeit verbinden, keins die alte Fabel von der jungen naſeweiſen Maus, welche in der
Katze ein ſo ſchönes und liebenswürdiges Thier bewundert, beſſer beſtätigen. Wollte man ſeine
Gefährlichkeit als Maßſtab ſeiner Größe anlegen, ſo müßte man ihn unbedingt als das erſte aller
Säugethiere erklären; denn er hat, bisher wenigſtens, dem Herrſcher der Erde noch in einer Weiſe
gegenübergeſtanden, wie kein anderes Geſchöpf. Anſtatt vertrieben und zurückgebrängt worden zu ſein
durch den Anbau des Bodens und den weiter und weiter vordringenden Menſchen, iſt er gerade
hierdurch mehr zu ihm hingezogen worden und hat ſtellenweiſe den Menſchen verſcheucht, anſtatt von
ihm vertrieben worden zu ſein. Er zieht ſich nicht ſo wie der Löwe aus bevölkerten Gegenden zurück,
der Gefahr, welche ihm Vernichtung droht, klüglich ausweichend, ſondern geht ihr vielmehr dreiſt

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[221/0283] Beſchreibung des Eyra. Der Eyra bethätigt ſein vielverſprechendes Aeußere nicht. Man möchte glauben, daß er alle Eigenſchaften der Katzen und Marder in ſich vereinige: aber er iſt auch nicht gewandter, als der Yaguarundi, und nur ſein unerſättlicher Blutdurſt, ſeine Grauſamkeit ſtellt ihn, vom Raubthier- ſtandpunkte betrachtet, über jenen und beweiſt, daß ſeine Marderähnlichkeit denn doch noch ander- weitig begründet iſt. Auch er lebt paarweiſe in einem beſtimmten Gebiete und hat ſo ziemlich das- ſelbe Betragen, wie der Yaguarundi. Rengger hielt einige in der Gefangenſchaft, ohne ſie eigentlich zähmen zu können. Sie waren noch ſo klein, daß ſie ſich kaum auf den Beinen halten konnten, und griffen doch bereits das Geflügel an, obwohl es ihnen an Kraft fehlte, daſſelbe zu überwältigen, ja, einer der kleinen Raubmörder wurde vom Haushahn durch einen Spornſchlag in den Hals getödtet. Der andere mußte wegen ſeiner unbezähmbaren Raubſucht immer eingeſperrt werden, und als er einmal frei kam, würgte er in einem Augenblicke mehrere junge Enten ab. Dieſe Raubſucht abge- rechnet, war er ſehr zahm, ſpielte in ſeiner Jugend mit Katzen und Hunden, mit Pomeranzen und Papier und war beſonders einem Affen zugethan, wahrſcheinlich, weil dieſer ihn immer von den Flöhen befreite. Mit zunehmendem Alter wurde er unfreundlicher gegen die anderen Thiere, blieb aber zutraulich und ſanft gegen die Menſchen, ſobald man ihn nicht bei dem Freſſen ſtörte. Uebrigens machte er keinen Unterſchied zwiſchen ſeinen Wärtern und ganz fremden Perſonen, und zeigte weder Gedächtniß für empfangene Wohlthaten, noch für erlittene Beleidigungen. Azara, der Entdecker des Eyra, verſichert, daß keine andere Katze dieſes kleine Raubthier hin- ſichtlich der Schnelligkeit übertreffen könne, mit welcher es einer einmal gefaßten Beute den Garaus zu machen wiſſe. Vor wenigen Jahren kamen zwei dieſer ſchönen Katzen nach London. Von ihnen nahm J. Wolf die Abbildung, welche wir hier benutzt haben. Löwe, Tiger und Jaguar gelten mit Recht als die Herrſcher im Katzengeſchlecht, und jeder von ihnen hat ſich auch einen eignen Erdtheil zu ſeiner Herrſchaft auserkoren. Aber wie ſehr unter- ſcheiden ſie ſich von einander, und namentlich die beiden letzteren von dem erſtern! Tiger und Jaguar ſind vollſtändigere Katzen, als der Löwe, aber aus demſelben Grunde auch blut- und raub- gierigere Thiere, als jener. Der Löwe iſt trotz ſeines Räuberthums ein edles, großartiges Thier, ein offner Gewaltherrſcher: Tiger und Jaguar aber ſind ſchleichende, heimtückiſche und deshalb doppelt geſährliche Feinde aller größeren Säugethiere, den Menſchen mit inbegriffen. Jch nannte Tiger und Jaguar vollendetere Katzen, als den Löwen, und ein einziger Blick auf Geſtalt und Zeich- nung des Thieres muß bewirken, daß man mir hierin beipflichtet. Man hat den Tiger in der Neu- zeit zum Vertreter einer eignen Sippe erhoben und will höchſtens noch den Nebelparder in ſie einordnen. Allein die Kennzeichen dieſer Sippe ſind doch nur ſehr untergeordueter Art. Der Tiger iſt eine echte Katze ohne Mähne, mit etwas ſtarkem Backenbart und mit Querſtreifen auf ſeinem bunten Felle. Aber er iſt die furchtharſte aller Katzen, ein Thier, welchem ſelbſt der Menſch bisher noch machtlos gegenüber ſteht. Kein Geſchöpf kann mit ſeiner verführeriſchen Schönheit ſoviel Tücke und Furchtbarkeit verbinden, keins die alte Fabel von der jungen naſeweiſen Maus, welche in der Katze ein ſo ſchönes und liebenswürdiges Thier bewundert, beſſer beſtätigen. Wollte man ſeine Gefährlichkeit als Maßſtab ſeiner Größe anlegen, ſo müßte man ihn unbedingt als das erſte aller Säugethiere erklären; denn er hat, bisher wenigſtens, dem Herrſcher der Erde noch in einer Weiſe gegenübergeſtanden, wie kein anderes Geſchöpf. Anſtatt vertrieben und zurückgebrängt worden zu ſein durch den Anbau des Bodens und den weiter und weiter vordringenden Menſchen, iſt er gerade hierdurch mehr zu ihm hingezogen worden und hat ſtellenweiſe den Menſchen verſcheucht, anſtatt von ihm vertrieben worden zu ſein. Er zieht ſich nicht ſo wie der Löwe aus bevölkerten Gegenden zurück, der Gefahr, welche ihm Vernichtung droht, klüglich ausweichend, ſondern geht ihr vielmehr dreiſt

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/283>, abgerufen am 25.11.2024.