Bachida, so hieß die Löwin, hatte früher Latif-Pascha, dem egyptischen Statthalter im Ostsudahn, angehört und war einem meiner Freunde zum Geschenk gemacht worden. Sie gewöhnte sich in kürzester Zeit in unserm Hofe ein und durfte dort frei herumlaufen. Bald folgte sie mir wie ein Hund, liebkoste mich bei jeder Gelegenheit und wurde blos dadurch lästig, daß sie zu- weilen auf den Einfall kam, mich nachts auf meinem Lager zu besuchen und dann durch ihre Lieb- kofungen aufzuwecken.
Nach wenigen Wochen hatte sie sich die Herrschaft über alles Lebende auf dem Hofe angemaßt, jedoch mehr in der Absicht, mit den Thieren zu spielen, als um ihnen Leid zu thun. Nur zweimal tödtete und fraß sie Thiere; einmal einen Affen, das andere Mal einen Widder, mit welchem sie vor- her gespielt hatte. Die meisten Thiere behandelte sie mit dem größten Uebermuthe und neckte und ängstigte sie auf jede Weise. Ein einziges Thier verstand es, sie zu bändigen. Dies war ein Marabu, welcher, als beide Thiere sich kennen lernten, ihr mit seinem gewaltigen Keilschnabel zu Leibe ging und sie dergestalt abprügelte, daß sie ihm, wenn auch nach langem Kampfe, den Sieg zugestehen mußte. Oft machte sie sich das Vergnügen, sich nach Katzenart auf den Boden zu legen und Einen von uns auf das Korn zu nehmen, über welchen sie dann plötzlich herfiel, wie eine Katze über die Maus, aber blos in der Absicht, um uns zu necken. Gegen uns benahm sie sich stets liebenswürdig und ehrlich. Falschheit kannte sie nicht; selbst als sie einmal gezüchtigt worden war, kam sie schon nach wenigen Minuten wieder und schmiegte sich ebenso vertraulich an mich an, wie früher. Jhr Zorn verrauchte augenblicklich, und eine Liebkosung konnte sie gleich besänftigen.
Auf der Reife von Charthum nach Kairo, welche wir auf dem Nile zurücklegten, wurde sie, so- lange das Schiff in Fahrt war, in einen Käfig eingesperrt, sobald wir aber anlegten, jedesmal frei- gelassen. Dann sprang sie wie ein übermüthiges Füllen lange Zeit umher und entleerte sich jedesmal ihres Unraths; denn ihre Reinlichkeitsliebe war so groß, daß sie niemals ihren Käfig während der Fahrt beschmuzte. Bei diesen Ausflügen ließ sie sich mehrere Male dumme Streiche zu Schulden kommen. So erwürgte sie unter Anderm in einem Dorfe ein Lamm und fing sich in einem andern einen kleinen Negerknaben: doch konnte ich zum Glück den Bedrängten leicht befreien, da sie sich gegen mich überhaupt nie widerspenstig zeigte. Jn Kairo konnte ich, sie an der Leine führend, mit ihr spaziren gehen, und auf der Ueberfahrt von Alexandrien nach Triest holte ich sie tagtäglich auf das Verdeck herauf zur allgemeinen Freude aller Mitreisenden. Sie kam nach Berlin, und ich sah sie zwei Jahre nicht wieder. Nach dieser Zeit besuchte ich sie und wurde augenblicklich von ihr erkannt. -- Jch habe nach allem Diesen keinen Grund, an den vielen ähnlichen anderen Berichten, welche wir schon über gefangene Löwen haben, zu zweifeln.
Bei guter Nahrung dauert, wie schon bemerkt, der Löwe viele Jahre in der Gefangenschaft aus. Er bedarf etwa acht Pfund gutes Fleisch täglich. Dabei befindet er sich wohl und wird beleibt und fett. Schlechtes Fleisch verursacht ihm leicht Krankheiten, und deshalb gehen den Thierbudenbesitzern viele von ihren Löwen zu Grunde.
Es hält nicht gerade schwer, ein Löwenpaar in der Gefangenschaft zur Begattung zu bringen. Ja selbst der Löwe und der Tiger paaren sich. Bis jetzt ist es aber immer nur ausnahmsweise ge- lungen, in der Gefangenschaft geborne Junge groß zu ziehen; sie sterben gewöhnlich am Zahnen. Die wenigen aber, welche aufkamen, wurden zahm wie Hunde, so zahm, daß man sie sogar auf der Bühne auftreten lassen konnte. Ein in Europa geborner Löwe wenigstens wurde im Convent-Garden- Theater in London, und zwar in der Oper Alexander und Darius, mehrere Male verwendet.
Ueber wenige Thiere ist von jeher soviel gefabelt worden und wird noch heutigen Tages soviel gefabelt, als über den Löwen. Die Nachrichten über ihn laufen, wie leicht begreiflich, bis in das graueste Alterthum zurück. Die Bibel erwähnt ihn an vielen Orten, und die Hebräer haben nicht weniger als zehn Namen für ihn. So soll das Wort Gur vorzugsweise einen jungen Löwen bedeuten, welcher noch saugt oder noch bei der Mutter wohnt; denn die Ableitung ist nicht ganz sicher. Mit Kephir bezeichnet man einen jungen Löwen und zwar einen solchen, welcher schon auf
Die Raubthiere. Katzen. — Der Löwe der Berberei.
Bachida, ſo hieß die Löwin, hatte früher Latif-Paſcha, dem egyptiſchen Statthalter im Oſtſudahn, angehört und war einem meiner Freunde zum Geſchenk gemacht worden. Sie gewöhnte ſich in kürzeſter Zeit in unſerm Hofe ein und durfte dort frei herumlaufen. Bald folgte ſie mir wie ein Hund, liebkoſte mich bei jeder Gelegenheit und wurde blos dadurch läſtig, daß ſie zu- weilen auf den Einfall kam, mich nachts auf meinem Lager zu beſuchen und dann durch ihre Lieb- kofungen aufzuwecken.
Nach wenigen Wochen hatte ſie ſich die Herrſchaft über alles Lebende auf dem Hofe angemaßt, jedoch mehr in der Abſicht, mit den Thieren zu ſpielen, als um ihnen Leid zu thun. Nur zweimal tödtete und fraß ſie Thiere; einmal einen Affen, das andere Mal einen Widder, mit welchem ſie vor- her geſpielt hatte. Die meiſten Thiere behandelte ſie mit dem größten Uebermuthe und neckte und ängſtigte ſie auf jede Weiſe. Ein einziges Thier verſtand es, ſie zu bändigen. Dies war ein Marabu, welcher, als beide Thiere ſich kennen lernten, ihr mit ſeinem gewaltigen Keilſchnabel zu Leibe ging und ſie dergeſtalt abprügelte, daß ſie ihm, wenn auch nach langem Kampfe, den Sieg zugeſtehen mußte. Oft machte ſie ſich das Vergnügen, ſich nach Katzenart auf den Boden zu legen und Einen von uns auf das Korn zu nehmen, über welchen ſie dann plötzlich herfiel, wie eine Katze über die Maus, aber blos in der Abſicht, um uns zu necken. Gegen uns benahm ſie ſich ſtets liebenswürdig und ehrlich. Falſchheit kannte ſie nicht; ſelbſt als ſie einmal gezüchtigt worden war, kam ſie ſchon nach wenigen Minuten wieder und ſchmiegte ſich ebenſo vertraulich an mich an, wie früher. Jhr Zorn verrauchte augenblicklich, und eine Liebkoſung konnte ſie gleich beſänftigen.
Auf der Reife von Charthum nach Kairo, welche wir auf dem Nile zurücklegten, wurde ſie, ſo- lange das Schiff in Fahrt war, in einen Käfig eingeſperrt, ſobald wir aber anlegten, jedesmal frei- gelaſſen. Dann ſprang ſie wie ein übermüthiges Füllen lange Zeit umher und entleerte ſich jedesmal ihres Unraths; denn ihre Reinlichkeitsliebe war ſo groß, daß ſie niemals ihren Käfig während der Fahrt beſchmuzte. Bei dieſen Ausflügen ließ ſie ſich mehrere Male dumme Streiche zu Schulden kommen. So erwürgte ſie unter Anderm in einem Dorfe ein Lamm und fing ſich in einem andern einen kleinen Negerknaben: doch konnte ich zum Glück den Bedrängten leicht befreien, da ſie ſich gegen mich überhaupt nie widerſpenſtig zeigte. Jn Kairo konnte ich, ſie an der Leine führend, mit ihr ſpaziren gehen, und auf der Ueberfahrt von Alexandrien nach Trieſt holte ich ſie tagtäglich auf das Verdeck herauf zur allgemeinen Freude aller Mitreiſenden. Sie kam nach Berlin, und ich ſah ſie zwei Jahre nicht wieder. Nach dieſer Zeit beſuchte ich ſie und wurde augenblicklich von ihr erkannt. — Jch habe nach allem Dieſen keinen Grund, an den vielen ähnlichen anderen Berichten, welche wir ſchon über gefangene Löwen haben, zu zweifeln.
Bei guter Nahrung dauert, wie ſchon bemerkt, der Löwe viele Jahre in der Gefangenſchaft aus. Er bedarf etwa acht Pfund gutes Fleiſch täglich. Dabei befindet er ſich wohl und wird beleibt und fett. Schlechtes Fleiſch verurſacht ihm leicht Krankheiten, und deshalb gehen den Thierbudenbeſitzern viele von ihren Löwen zu Grunde.
Es hält nicht gerade ſchwer, ein Löwenpaar in der Gefangenſchaft zur Begattung zu bringen. Ja ſelbſt der Löwe und der Tiger paaren ſich. Bis jetzt iſt es aber immer nur ausnahmsweiſe ge- lungen, in der Gefangenſchaft geborne Junge groß zu ziehen; ſie ſterben gewöhnlich am Zahnen. Die wenigen aber, welche aufkamen, wurden zahm wie Hunde, ſo zahm, daß man ſie ſogar auf der Bühne auftreten laſſen konnte. Ein in Europa geborner Löwe wenigſtens wurde im Convent-Garden- Theater in London, und zwar in der Oper Alexander und Darius, mehrere Male verwendet.
Ueber wenige Thiere iſt von jeher ſoviel gefabelt worden und wird noch heutigen Tages ſoviel gefabelt, als über den Löwen. Die Nachrichten über ihn laufen, wie leicht begreiflich, bis in das graueſte Alterthum zurück. Die Bibel erwähnt ihn an vielen Orten, und die Hebräer haben nicht weniger als zehn Namen für ihn. So ſoll das Wort Gur vorzugsweiſe einen jungen Löwen bedeuten, welcher noch ſaugt oder noch bei der Mutter wohnt; denn die Ableitung iſt nicht ganz ſicher. Mit Kephir bezeichnet man einen jungen Löwen und zwar einen ſolchen, welcher ſchon auf
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0270"n="210"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Die Raubthiere.</hi> Katzen. —<hirendition="#g">Der Löwe der Berberei.</hi></fw><lb/><p><hirendition="#g">Bachida,</hi>ſo hieß die Löwin, hatte früher <hirendition="#g">Latif-Paſcha,</hi> dem egyptiſchen Statthalter im<lb/>
Oſtſudahn, angehört und war einem meiner Freunde zum Geſchenk gemacht worden. Sie gewöhnte<lb/>ſich in kürzeſter Zeit in unſerm Hofe ein und durfte dort frei herumlaufen. Bald folgte ſie mir<lb/>
wie ein Hund, liebkoſte mich bei jeder Gelegenheit und wurde blos dadurch läſtig, daß ſie zu-<lb/>
weilen auf den Einfall kam, mich nachts auf meinem Lager zu beſuchen und dann durch ihre Lieb-<lb/>
kofungen aufzuwecken.</p><lb/><p>Nach wenigen Wochen hatte ſie ſich die Herrſchaft über alles Lebende auf dem Hofe angemaßt,<lb/>
jedoch mehr in der Abſicht, mit den Thieren zu ſpielen, als um ihnen Leid zu thun. Nur zweimal<lb/>
tödtete und fraß ſie Thiere; einmal einen <hirendition="#g">Affen,</hi> das andere Mal einen <hirendition="#g">Widder,</hi> mit welchem ſie vor-<lb/>
her geſpielt hatte. Die meiſten Thiere behandelte ſie mit dem größten Uebermuthe und neckte und<lb/>
ängſtigte ſie auf jede Weiſe. Ein einziges Thier verſtand es, ſie zu bändigen. Dies war ein <hirendition="#g">Marabu,</hi><lb/>
welcher, als beide Thiere ſich kennen lernten, ihr mit ſeinem gewaltigen Keilſchnabel zu Leibe ging und<lb/>ſie dergeſtalt abprügelte, daß ſie ihm, wenn auch nach langem Kampfe, den Sieg zugeſtehen mußte.<lb/>
Oft machte ſie ſich das Vergnügen, ſich nach Katzenart auf den Boden zu legen und Einen von uns<lb/>
auf das Korn zu nehmen, über welchen ſie dann plötzlich herfiel, wie eine Katze über die Maus, aber<lb/>
blos in der Abſicht, um uns zu necken. Gegen uns benahm ſie ſich ſtets liebenswürdig und ehrlich.<lb/>
Falſchheit kannte ſie nicht; ſelbſt als ſie einmal gezüchtigt worden war, kam ſie ſchon nach wenigen<lb/>
Minuten wieder und ſchmiegte ſich ebenſo vertraulich an mich an, wie früher. Jhr Zorn verrauchte<lb/>
augenblicklich, und eine Liebkoſung konnte ſie gleich beſänftigen.</p><lb/><p>Auf der Reife von Charthum nach Kairo, welche wir auf dem Nile zurücklegten, wurde ſie, ſo-<lb/>
lange das Schiff in Fahrt war, in einen Käfig eingeſperrt, ſobald wir aber anlegten, jedesmal frei-<lb/>
gelaſſen. Dann ſprang ſie wie ein übermüthiges Füllen lange Zeit umher und entleerte ſich jedesmal<lb/>
ihres Unraths; denn ihre Reinlichkeitsliebe war ſo groß, daß ſie niemals ihren Käfig während der<lb/>
Fahrt beſchmuzte. Bei dieſen Ausflügen ließ ſie ſich mehrere Male dumme Streiche zu Schulden<lb/>
kommen. So erwürgte ſie unter Anderm in einem Dorfe ein Lamm und fing ſich in einem andern<lb/>
einen kleinen Negerknaben: doch konnte ich zum Glück den Bedrängten leicht befreien, da ſie ſich<lb/>
gegen mich überhaupt nie widerſpenſtig zeigte. Jn Kairo konnte ich, ſie an der Leine führend, mit ihr<lb/>ſpaziren gehen, und auf der Ueberfahrt von Alexandrien nach Trieſt holte ich ſie tagtäglich auf das<lb/>
Verdeck herauf zur allgemeinen Freude aller Mitreiſenden. Sie kam nach Berlin, und ich ſah ſie zwei<lb/>
Jahre nicht wieder. Nach dieſer Zeit beſuchte ich ſie und wurde augenblicklich von ihr erkannt. — Jch<lb/>
habe nach allem Dieſen keinen Grund, an den vielen ähnlichen anderen Berichten, welche wir ſchon<lb/>
über gefangene Löwen haben, zu zweifeln.</p><lb/><p>Bei guter Nahrung dauert, wie ſchon bemerkt, der Löwe viele Jahre in der Gefangenſchaft aus.<lb/>
Er bedarf etwa acht Pfund gutes Fleiſch täglich. Dabei befindet er ſich wohl und wird beleibt und<lb/>
fett. Schlechtes Fleiſch verurſacht ihm leicht Krankheiten, und deshalb gehen den Thierbudenbeſitzern<lb/>
viele von ihren Löwen zu Grunde.</p><lb/><p>Es hält nicht gerade ſchwer, ein Löwenpaar in der Gefangenſchaft zur Begattung zu bringen.<lb/>
Ja ſelbſt der Löwe und der <hirendition="#g">Tiger</hi> paaren ſich. Bis jetzt iſt es aber immer nur ausnahmsweiſe ge-<lb/>
lungen, in der Gefangenſchaft geborne Junge groß zu ziehen; ſie ſterben gewöhnlich am Zahnen. Die<lb/>
wenigen aber, welche aufkamen, wurden zahm wie Hunde, ſo zahm, daß man ſie ſogar auf der Bühne<lb/>
auftreten laſſen konnte. Ein in Europa geborner Löwe wenigſtens wurde im Convent-Garden-<lb/>
Theater in London, und zwar in der Oper <hirendition="#g">Alexander und Darius,</hi> mehrere Male verwendet.</p><lb/><p>Ueber wenige Thiere iſt von jeher ſoviel gefabelt worden und wird noch heutigen Tages ſoviel<lb/>
gefabelt, als über den Löwen. Die Nachrichten über ihn laufen, wie leicht begreiflich, bis in das<lb/>
graueſte Alterthum zurück. Die Bibel erwähnt ihn an vielen Orten, und die Hebräer haben nicht<lb/>
weniger als zehn Namen für ihn. So ſoll das Wort <hirendition="#g">Gur</hi> vorzugsweiſe einen jungen Löwen<lb/>
bedeuten, welcher noch ſaugt oder noch bei der Mutter wohnt; denn die Ableitung iſt nicht ganz<lb/>ſicher. Mit <hirendition="#g">Kephir</hi> bezeichnet man einen jungen Löwen und zwar einen ſolchen, welcher ſchon auf<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[210/0270]
Die Raubthiere. Katzen. — Der Löwe der Berberei.
Bachida, ſo hieß die Löwin, hatte früher Latif-Paſcha, dem egyptiſchen Statthalter im
Oſtſudahn, angehört und war einem meiner Freunde zum Geſchenk gemacht worden. Sie gewöhnte
ſich in kürzeſter Zeit in unſerm Hofe ein und durfte dort frei herumlaufen. Bald folgte ſie mir
wie ein Hund, liebkoſte mich bei jeder Gelegenheit und wurde blos dadurch läſtig, daß ſie zu-
weilen auf den Einfall kam, mich nachts auf meinem Lager zu beſuchen und dann durch ihre Lieb-
kofungen aufzuwecken.
Nach wenigen Wochen hatte ſie ſich die Herrſchaft über alles Lebende auf dem Hofe angemaßt,
jedoch mehr in der Abſicht, mit den Thieren zu ſpielen, als um ihnen Leid zu thun. Nur zweimal
tödtete und fraß ſie Thiere; einmal einen Affen, das andere Mal einen Widder, mit welchem ſie vor-
her geſpielt hatte. Die meiſten Thiere behandelte ſie mit dem größten Uebermuthe und neckte und
ängſtigte ſie auf jede Weiſe. Ein einziges Thier verſtand es, ſie zu bändigen. Dies war ein Marabu,
welcher, als beide Thiere ſich kennen lernten, ihr mit ſeinem gewaltigen Keilſchnabel zu Leibe ging und
ſie dergeſtalt abprügelte, daß ſie ihm, wenn auch nach langem Kampfe, den Sieg zugeſtehen mußte.
Oft machte ſie ſich das Vergnügen, ſich nach Katzenart auf den Boden zu legen und Einen von uns
auf das Korn zu nehmen, über welchen ſie dann plötzlich herfiel, wie eine Katze über die Maus, aber
blos in der Abſicht, um uns zu necken. Gegen uns benahm ſie ſich ſtets liebenswürdig und ehrlich.
Falſchheit kannte ſie nicht; ſelbſt als ſie einmal gezüchtigt worden war, kam ſie ſchon nach wenigen
Minuten wieder und ſchmiegte ſich ebenſo vertraulich an mich an, wie früher. Jhr Zorn verrauchte
augenblicklich, und eine Liebkoſung konnte ſie gleich beſänftigen.
Auf der Reife von Charthum nach Kairo, welche wir auf dem Nile zurücklegten, wurde ſie, ſo-
lange das Schiff in Fahrt war, in einen Käfig eingeſperrt, ſobald wir aber anlegten, jedesmal frei-
gelaſſen. Dann ſprang ſie wie ein übermüthiges Füllen lange Zeit umher und entleerte ſich jedesmal
ihres Unraths; denn ihre Reinlichkeitsliebe war ſo groß, daß ſie niemals ihren Käfig während der
Fahrt beſchmuzte. Bei dieſen Ausflügen ließ ſie ſich mehrere Male dumme Streiche zu Schulden
kommen. So erwürgte ſie unter Anderm in einem Dorfe ein Lamm und fing ſich in einem andern
einen kleinen Negerknaben: doch konnte ich zum Glück den Bedrängten leicht befreien, da ſie ſich
gegen mich überhaupt nie widerſpenſtig zeigte. Jn Kairo konnte ich, ſie an der Leine führend, mit ihr
ſpaziren gehen, und auf der Ueberfahrt von Alexandrien nach Trieſt holte ich ſie tagtäglich auf das
Verdeck herauf zur allgemeinen Freude aller Mitreiſenden. Sie kam nach Berlin, und ich ſah ſie zwei
Jahre nicht wieder. Nach dieſer Zeit beſuchte ich ſie und wurde augenblicklich von ihr erkannt. — Jch
habe nach allem Dieſen keinen Grund, an den vielen ähnlichen anderen Berichten, welche wir ſchon
über gefangene Löwen haben, zu zweifeln.
Bei guter Nahrung dauert, wie ſchon bemerkt, der Löwe viele Jahre in der Gefangenſchaft aus.
Er bedarf etwa acht Pfund gutes Fleiſch täglich. Dabei befindet er ſich wohl und wird beleibt und
fett. Schlechtes Fleiſch verurſacht ihm leicht Krankheiten, und deshalb gehen den Thierbudenbeſitzern
viele von ihren Löwen zu Grunde.
Es hält nicht gerade ſchwer, ein Löwenpaar in der Gefangenſchaft zur Begattung zu bringen.
Ja ſelbſt der Löwe und der Tiger paaren ſich. Bis jetzt iſt es aber immer nur ausnahmsweiſe ge-
lungen, in der Gefangenſchaft geborne Junge groß zu ziehen; ſie ſterben gewöhnlich am Zahnen. Die
wenigen aber, welche aufkamen, wurden zahm wie Hunde, ſo zahm, daß man ſie ſogar auf der Bühne
auftreten laſſen konnte. Ein in Europa geborner Löwe wenigſtens wurde im Convent-Garden-
Theater in London, und zwar in der Oper Alexander und Darius, mehrere Male verwendet.
Ueber wenige Thiere iſt von jeher ſoviel gefabelt worden und wird noch heutigen Tages ſoviel
gefabelt, als über den Löwen. Die Nachrichten über ihn laufen, wie leicht begreiflich, bis in das
graueſte Alterthum zurück. Die Bibel erwähnt ihn an vielen Orten, und die Hebräer haben nicht
weniger als zehn Namen für ihn. So ſoll das Wort Gur vorzugsweiſe einen jungen Löwen
bedeuten, welcher noch ſaugt oder noch bei der Mutter wohnt; denn die Ableitung iſt nicht ganz
ſicher. Mit Kephir bezeichnet man einen jungen Löwen und zwar einen ſolchen, welcher ſchon auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/270>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.