auf welchem der Tendj sitzi, tüchtig zu schütteln, dann klammere sich dieser, aus Furcht herabzufallen, fest an und lasse sich ergreifen. Jch glaube, daß diese Fangart ergiebig ist, weil ich selbst sie öfters mit Erfolg auf junge Eichhörnchen angewendet habe.
Ungeachtet meines langjährigen Aufenthaltes in Afrika wurde es mir erst in der neuesten Zeit möglich, eigene Beobachtungen über das Gefangenleben der Galagos zu sammeln. Der Hamburger Thiergarten besitzt gegenwärtig den buschschwänzigen Ohrenaffen (Otolicnus erassicaudatus) und setzt mich hierdurch in den Stand, die vor ungefähr funfzig Jahren veröffentlichten und, soweit mir bekannt, alleinigen Beobachtungen anderer Forscher zu vervollständigen.
Der Kaufmann Bacle, welcher Anfangs unsers Jahrhunderts in Senegambien reiste, erhielt ein Pärchen von einem Neger, welcher es in den Gummiwäldern der südwestlichen Sahahra gefangen hatte. Man nannte die Galagos "Gummithiere" und versicherte, daß sie Mimosenharze sehr gern fräßen. Das gefangene Paar bestätigte diese Angabe durch die That, zog aber doch Kerbthiere jeder andern Nahrung vor. Während der Ueberfahrt geriethen beide augenblicklich in Bewegung, wenn ein Kerf an ihnen vorübersummte, sie lauerten auf Küchenschaben und schnappten sie schnell und sicher weg, sobald sie ihnen nahe genug kamen. Man ernährte sie mit Eiern, gekochten Speisen und Milch, und sie befanden sich ganz wohl dabei. Jn ihrem Betragen erinnerten sie ebensosehr an die Makis, wie an die Fledermäuse. Jhr Muthwille, ihre Lebhaftigkeit und namentlich ihre Kraft im Springen setzte alle Reisende in Erstaunen; das Merkwürdigste blieb aber doch die Bewegung ihrer Ohren. Diese konnten sie, wenn sie schlafen wollten, gänzlich verschließen. Zuerst runzeln und verkürzen sich die Ohren am Grunde, dann schlägt sich die Spitze derselben um und ein, so daß man von dem ganzen Ohre kaum noch Etwas sehen kann. Beim geringsten Geräusche aber schlägt sich die Ohrspitze wieder auf und die ganze Muschel spannt und glättet sich. Genau in derselben Weise verfahren einige Fledermäuse, um ihren so überaus feinen Gehörssinn abzustumpfen und in dem Gelärm des Tages ruhig zu schlafen.
Unser Gefangener bestätigt im Wesentlichen diese Angaben. Wir beherbergen ihn seit einigen Monaten. Bei Tage ruht er in sehr zusammengerollter Haltung, halb liegend, halb kanernd in der dunkelsten Ecke seines Käfigs. Er legt dabei seinen Kopf zwischen die Vorderhände, umhüllt ihn dicht mit seinem buschigen Schwanze und packt diesen mit den beiden Hinterhänden, welche er vorschiebt, so weit die langen Beine es gestatten. Auf diese Weise versteckt er den Kopf so vollständig, daß man außer den Ohren, welche niemals bedeckt werden, nicht das Geringste sieht. Eine Schwanzbiegung schließt gewöhnlich das eine Ohr ein und verdeckt dabei zugleich die Augen. Die Ohren werden in der Regel eingerollt; sie erscheinen dabei schlaff und zerknittert. Ungefähr um fünf Uhr abends erwacht er, dehnt und reckt sich und schaut spähend in die Runde, wobei er den Kopf abwechselnd vorschiebt und wieder zurückzieht. Dann putzt er sich, und nun endlich beginnt er zu klettern. Seine Bewegungen sind stets langsam und bedächtig, die Tritte vollkommen unhörbar. Die Finger werden beim Auf- treten weit gespreizt; der Schwanz schleift auf dem Boden nach. Auch beim Klettern ist unser Aeffer langsam, aber äußerst geschickt. Er klettert kopfoberst und kopfunterst, hängt sich an einem Vorder- oder an einem Hinterbein fest und schaukelt sich dann, geht an der Decke seines Käfigs hin etc. -- Wir füttern ihn mit Milchbrod, Fleisch und Früchten. Feigen und Rosinen frißt er leidenschaftlich gern; auf Kerbthiere und deren Larven oder Puppen ist er erpicht. Er faßt die ihm vorgehaltene Nahrung mit dem Munde oder mit den Händen; ihm noch Unbekanntes pflegt er leckend zu betasten. Unsere lebenden Vögel betrachtet er mit lüsternem, vielsagendem Auge. Auf seinen Wegen beschnuppert er zunächst jeden Gegenstand; dann erst betastet er ihn mit der Zunge. -- Er ist gutmüthig und läßt es sich gern gefallen, wenn man ihn kraut; nur wenn man ihn aufhebt, pflegt er zu beißen. Sein Aus- sehen deutet auf Verstand; die hübschen, braunen, stark gewölbten Augen sehen klug ins Weite. Bei Tage ist der Stern bis auf eine sehr kleine, schmale Ritze zusammengezogen; nachts erweitert er sich bedeutend. -- Kurz nach dem Erwachen stößt das Thier gewöhnlich seinen eigenthümlichen Ruf aus, welcher an das Rucksen mancher Tauben erinnert. Er beginnt mit dem leise hervorgestoßenen dumpfen
Brehm, Thierleben. 10
Beſchreibung. Vaterland. Nahrung. Neſt.
auf welchem der Tendj ſitzi, tüchtig zu ſchütteln, dann klammere ſich dieſer, aus Furcht herabzufallen, feſt an und laſſe ſich ergreifen. Jch glaube, daß dieſe Fangart ergiebig iſt, weil ich ſelbſt ſie öfters mit Erfolg auf junge Eichhörnchen angewendet habe.
Ungeachtet meines langjährigen Aufenthaltes in Afrika wurde es mir erſt in der neueſten Zeit möglich, eigene Beobachtungen über das Gefangenleben der Galagos zu ſammeln. Der Hamburger Thiergarten beſitzt gegenwärtig den buſchſchwänzigen Ohrenaffen (Otolicnus erassicaudatus) und ſetzt mich hierdurch in den Stand, die vor ungefähr funfzig Jahren veröffentlichten und, ſoweit mir bekannt, alleinigen Beobachtungen anderer Forſcher zu vervollſtändigen.
Der Kaufmann Bacle, welcher Anfangs unſers Jahrhunderts in Senegambien reiſte, erhielt ein Pärchen von einem Neger, welcher es in den Gummiwäldern der ſüdweſtlichen Sahahra gefangen hatte. Man nannte die Galagos „Gummithiere‟ und verſicherte, daß ſie Mimoſenharze ſehr gern fräßen. Das gefangene Paar beſtätigte dieſe Angabe durch die That, zog aber doch Kerbthiere jeder andern Nahrung vor. Während der Ueberfahrt geriethen beide augenblicklich in Bewegung, wenn ein Kerf an ihnen vorüberſummte, ſie lauerten auf Küchenſchaben und ſchnappten ſie ſchnell und ſicher weg, ſobald ſie ihnen nahe genug kamen. Man ernährte ſie mit Eiern, gekochten Speiſen und Milch, und ſie befanden ſich ganz wohl dabei. Jn ihrem Betragen erinnerten ſie ebenſoſehr an die Makis, wie an die Fledermäuſe. Jhr Muthwille, ihre Lebhaftigkeit und namentlich ihre Kraft im Springen ſetzte alle Reiſende in Erſtaunen; das Merkwürdigſte blieb aber doch die Bewegung ihrer Ohren. Dieſe konnten ſie, wenn ſie ſchlafen wollten, gänzlich verſchließen. Zuerſt runzeln und verkürzen ſich die Ohren am Grunde, dann ſchlägt ſich die Spitze derſelben um und ein, ſo daß man von dem ganzen Ohre kaum noch Etwas ſehen kann. Beim geringſten Geräuſche aber ſchlägt ſich die Ohrſpitze wieder auf und die ganze Muſchel ſpannt und glättet ſich. Genau in derſelben Weiſe verfahren einige Fledermäuſe, um ihren ſo überaus feinen Gehörsſinn abzuſtumpfen und in dem Gelärm des Tages ruhig zu ſchlafen.
Unſer Gefangener beſtätigt im Weſentlichen dieſe Angaben. Wir beherbergen ihn ſeit einigen Monaten. Bei Tage ruht er in ſehr zuſammengerollter Haltung, halb liegend, halb kanernd in der dunkelſten Ecke ſeines Käfigs. Er legt dabei ſeinen Kopf zwiſchen die Vorderhände, umhüllt ihn dicht mit ſeinem buſchigen Schwanze und packt dieſen mit den beiden Hinterhänden, welche er vorſchiebt, ſo weit die langen Beine es geſtatten. Auf dieſe Weiſe verſteckt er den Kopf ſo vollſtändig, daß man außer den Ohren, welche niemals bedeckt werden, nicht das Geringſte ſieht. Eine Schwanzbiegung ſchließt gewöhnlich das eine Ohr ein und verdeckt dabei zugleich die Augen. Die Ohren werden in der Regel eingerollt; ſie erſcheinen dabei ſchlaff und zerknittert. Ungefähr um fünf Uhr abends erwacht er, dehnt und reckt ſich und ſchaut ſpähend in die Runde, wobei er den Kopf abwechſelnd vorſchiebt und wieder zurückzieht. Dann putzt er ſich, und nun endlich beginnt er zu klettern. Seine Bewegungen ſind ſtets langſam und bedächtig, die Tritte vollkommen unhörbar. Die Finger werden beim Auf- treten weit geſpreizt; der Schwanz ſchleift auf dem Boden nach. Auch beim Klettern iſt unſer Aeffer langſam, aber äußerſt geſchickt. Er klettert kopfoberſt und kopfunterſt, hängt ſich an einem Vorder- oder an einem Hinterbein feſt und ſchaukelt ſich dann, geht an der Decke ſeines Käfigs hin ꝛc. — Wir füttern ihn mit Milchbrod, Fleiſch und Früchten. Feigen und Roſinen frißt er leidenſchaftlich gern; auf Kerbthiere und deren Larven oder Puppen iſt er erpicht. Er faßt die ihm vorgehaltene Nahrung mit dem Munde oder mit den Händen; ihm noch Unbekanntes pflegt er leckend zu betaſten. Unſere lebenden Vögel betrachtet er mit lüſternem, vielſagendem Auge. Auf ſeinen Wegen beſchnuppert er zunächſt jeden Gegenſtand; dann erſt betaſtet er ihn mit der Zunge. — Er iſt gutmüthig und läßt es ſich gern gefallen, wenn man ihn kraut; nur wenn man ihn aufhebt, pflegt er zu beißen. Sein Aus- ſehen deutet auf Verſtand; die hübſchen, braunen, ſtark gewölbten Augen ſehen klug ins Weite. Bei Tage iſt der Stern bis auf eine ſehr kleine, ſchmale Ritze zuſammengezogen; nachts erweitert er ſich bedeutend. — Kurz nach dem Erwachen ſtößt das Thier gewöhnlich ſeinen eigenthümlichen Ruf aus, welcher an das Ruckſen mancher Tauben erinnert. Er beginnt mit dem leiſe hervorgeſtoßenen dumpfen
Brehm, Thierleben. 10
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[145/0203]
Beſchreibung. Vaterland. Nahrung. Neſt.
auf welchem der Tendj ſitzi, tüchtig zu ſchütteln, dann klammere ſich dieſer, aus Furcht herabzufallen,
feſt an und laſſe ſich ergreifen. Jch glaube, daß dieſe Fangart ergiebig iſt, weil ich ſelbſt ſie öfters
mit Erfolg auf junge Eichhörnchen angewendet habe.
Ungeachtet meines langjährigen Aufenthaltes in Afrika wurde es mir erſt in der neueſten Zeit
möglich, eigene Beobachtungen über das Gefangenleben der Galagos zu ſammeln. Der Hamburger
Thiergarten beſitzt gegenwärtig den buſchſchwänzigen Ohrenaffen (Otolicnus erassicaudatus) und
ſetzt mich hierdurch in den Stand, die vor ungefähr funfzig Jahren veröffentlichten und, ſoweit mir
bekannt, alleinigen Beobachtungen anderer Forſcher zu vervollſtändigen.
Der Kaufmann Bacle, welcher Anfangs unſers Jahrhunderts in Senegambien reiſte, erhielt ein
Pärchen von einem Neger, welcher es in den Gummiwäldern der ſüdweſtlichen Sahahra gefangen
hatte. Man nannte die Galagos „Gummithiere‟ und verſicherte, daß ſie Mimoſenharze ſehr gern
fräßen. Das gefangene Paar beſtätigte dieſe Angabe durch die That, zog aber doch Kerbthiere jeder
andern Nahrung vor. Während der Ueberfahrt geriethen beide augenblicklich in Bewegung, wenn ein
Kerf an ihnen vorüberſummte, ſie lauerten auf Küchenſchaben und ſchnappten ſie ſchnell und ſicher
weg, ſobald ſie ihnen nahe genug kamen. Man ernährte ſie mit Eiern, gekochten Speiſen und Milch,
und ſie befanden ſich ganz wohl dabei. Jn ihrem Betragen erinnerten ſie ebenſoſehr an die Makis,
wie an die Fledermäuſe. Jhr Muthwille, ihre Lebhaftigkeit und namentlich ihre Kraft im Springen
ſetzte alle Reiſende in Erſtaunen; das Merkwürdigſte blieb aber doch die Bewegung ihrer Ohren.
Dieſe konnten ſie, wenn ſie ſchlafen wollten, gänzlich verſchließen. Zuerſt runzeln und verkürzen ſich
die Ohren am Grunde, dann ſchlägt ſich die Spitze derſelben um und ein, ſo daß man von dem ganzen
Ohre kaum noch Etwas ſehen kann. Beim geringſten Geräuſche aber ſchlägt ſich die Ohrſpitze wieder
auf und die ganze Muſchel ſpannt und glättet ſich. Genau in derſelben Weiſe verfahren einige
Fledermäuſe, um ihren ſo überaus feinen Gehörsſinn abzuſtumpfen und in dem Gelärm des
Tages ruhig zu ſchlafen.
Unſer Gefangener beſtätigt im Weſentlichen dieſe Angaben. Wir beherbergen ihn ſeit einigen
Monaten. Bei Tage ruht er in ſehr zuſammengerollter Haltung, halb liegend, halb kanernd in der
dunkelſten Ecke ſeines Käfigs. Er legt dabei ſeinen Kopf zwiſchen die Vorderhände, umhüllt ihn dicht
mit ſeinem buſchigen Schwanze und packt dieſen mit den beiden Hinterhänden, welche er vorſchiebt,
ſo weit die langen Beine es geſtatten. Auf dieſe Weiſe verſteckt er den Kopf ſo vollſtändig, daß man
außer den Ohren, welche niemals bedeckt werden, nicht das Geringſte ſieht. Eine Schwanzbiegung
ſchließt gewöhnlich das eine Ohr ein und verdeckt dabei zugleich die Augen. Die Ohren werden in der
Regel eingerollt; ſie erſcheinen dabei ſchlaff und zerknittert. Ungefähr um fünf Uhr abends erwacht er,
dehnt und reckt ſich und ſchaut ſpähend in die Runde, wobei er den Kopf abwechſelnd vorſchiebt und
wieder zurückzieht. Dann putzt er ſich, und nun endlich beginnt er zu klettern. Seine Bewegungen
ſind ſtets langſam und bedächtig, die Tritte vollkommen unhörbar. Die Finger werden beim Auf-
treten weit geſpreizt; der Schwanz ſchleift auf dem Boden nach. Auch beim Klettern iſt unſer Aeffer
langſam, aber äußerſt geſchickt. Er klettert kopfoberſt und kopfunterſt, hängt ſich an einem Vorder-
oder an einem Hinterbein feſt und ſchaukelt ſich dann, geht an der Decke ſeines Käfigs hin ꝛc. — Wir
füttern ihn mit Milchbrod, Fleiſch und Früchten. Feigen und Roſinen frißt er leidenſchaftlich gern;
auf Kerbthiere und deren Larven oder Puppen iſt er erpicht. Er faßt die ihm vorgehaltene Nahrung
mit dem Munde oder mit den Händen; ihm noch Unbekanntes pflegt er leckend zu betaſten. Unſere
lebenden Vögel betrachtet er mit lüſternem, vielſagendem Auge. Auf ſeinen Wegen beſchnuppert er
zunächſt jeden Gegenſtand; dann erſt betaſtet er ihn mit der Zunge. — Er iſt gutmüthig und läßt es
ſich gern gefallen, wenn man ihn kraut; nur wenn man ihn aufhebt, pflegt er zu beißen. Sein Aus-
ſehen deutet auf Verſtand; die hübſchen, braunen, ſtark gewölbten Augen ſehen klug ins Weite. Bei
Tage iſt der Stern bis auf eine ſehr kleine, ſchmale Ritze zuſammengezogen; nachts erweitert er ſich
bedeutend. — Kurz nach dem Erwachen ſtößt das Thier gewöhnlich ſeinen eigenthümlichen Ruf aus,
welcher an das Ruckſen mancher Tauben erinnert. Er beginnt mit dem leiſe hervorgeſtoßenen dumpfen
Brehm, Thierleben. 10
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/203>, abgerufen am 22.11.2024.
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