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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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Kartoffeläcker kommandirt werden, ist die ablehnende Haltung der
Partei gegenüber der Forderung, auch die Landarbeit der Kinder zu
verbieten. Ja, einer ihrer Redner hatte sogar den traurigen Muth,
die Vortheile der Kinderlandarbeit begeistert zu schildern.

Unbefangener dem Klassenkampf, entgegenkommender den spe-
ziellen Arbeiterforderungen, wohlwollender und aufrichtiger den be-
und im Kampf gegen die Zollpolitik der Regierung und der Rechten
ist ihre Energie nicht erlahmt. Dafür aber ist sie in ihrer Begeisterung
und Bewilligungsfreudigkeit für Militarismus und Marinismus fast
ebenso weit gegangen wie die Nationalliberalen; sie hat sich sogar
herbeigelassen, die geforderte Vermehrung der Flotte auf Jahre
hinaus über künftige Reichstage hinweg festzusetzen, sie hat ohne
Besinnen nahe an 5000 Millionen dafür bewilligt - 5000 Millionen,
die das deutsche Volk für eine Weltmachtpolitik zu zahlen hat, für die
dem Proletariat alles direkte persönliche Jnteresse fehlen muß.

Würden Frauen, proletarische Frauen vor Allem, sich entschließen
können, die Politik des Freisinns zu unterstützen? Wohl haben wir
es hier mit den fortschrittlichsten Elementen der bürgerlichen Welt zu
thun, zwischen ihnen und den Konservativen gähnt ein Abgrund;
viele Verständigungsbrücken aber führen hinüber und herüber. Zwar
stehen die Jnteressen der Einen, der Vertreter des Großgrundbesitzes,
denen der Anderen, der Vertreter der Großindustrie, häufig diametral
gegenüber und Gegensätze zwischen den Parteien lassen sich nach allen
Richtungen verfolgen: sowohl politische als religiöse, aber selbst ein
freisinniger Demokrat, der für republikanische Verfassung, für volle
rechtliche und politische Gleichstellung des Weibes mit dem Mann,
des Arbeiters mit dem Unternehmer, gegen indirekte Steuern und
Schutzzölle, gegen Schiffe und Kanonen eintreten würde - leider
kennen wir einen solchen zunächst nicht! - bliebe immer noch in einem
gewissen Zusammenhang sogar mit den reaktionären Parteien, so
lange er nur die bestehende Staatsverfassung, nicht aber die vor-
handene Wirtschaftsordnung bekämpft. Wir werden ihn als Helfers-
helfer betrachten können, wie wir jeden heute schon als solchen be-
trachten, der der Arbeiterklasse auch nur einen Fuß breit Boden
gewinnen hilft, aber sein Parteigänger werden wir ebenso wenig sein
können wie der konservativen oder der Zentrumspartei. Und warum
nicht? Weil die politische Freiheit erst im Zusammenhang mit der
wirtschaftlichen Freiheit zu einem für Alle menschenwürdigen Dasein
führen kann.

Solange der Besitz in den Händen verhältnißmäßig Weniger
sich befindet und große Kapitalien sich in den Händen Einzelner an-
häufen, bleibt die Masse des Volkes, die Besitzlosen, abhängig von den
Besitzenden. So lange das Lohnsystem besteht, wonach der Arbeiter
nicht den vollen Ertrag seiner Arbeit erhält, sondern nur so viel, als
gerade notwendig ist, um seine Weiterarbeit zu ermöglichen, während

Kartoffeläcker kommandirt werden, ist die ablehnende Haltung der
Partei gegenüber der Forderung, auch die Landarbeit der Kinder zu
verbieten. Ja, einer ihrer Redner hatte sogar den traurigen Muth,
die Vortheile der Kinderlandarbeit begeistert zu schildern.

Unbefangener dem Klassenkampf, entgegenkommender den spe-
ziellen Arbeiterforderungen, wohlwollender und aufrichtiger den be-
und im Kampf gegen die Zollpolitik der Regierung und der Rechten
ist ihre Energie nicht erlahmt. Dafür aber ist sie in ihrer Begeisterung
und Bewilligungsfreudigkeit für Militarismus und Marinismus fast
ebenso weit gegangen wie die Nationalliberalen; sie hat sich sogar
herbeigelassen, die geforderte Vermehrung der Flotte auf Jahre
hinaus über künftige Reichstage hinweg festzusetzen, sie hat ohne
Besinnen nahe an 5000 Millionen dafür bewilligt – 5000 Millionen,
die das deutsche Volk für eine Weltmachtpolitik zu zahlen hat, für die
dem Proletariat alles direkte persönliche Jnteresse fehlen muß.

Würden Frauen, proletarische Frauen vor Allem, sich entschließen
können, die Politik des Freisinns zu unterstützen? Wohl haben wir
es hier mit den fortschrittlichsten Elementen der bürgerlichen Welt zu
thun, zwischen ihnen und den Konservativen gähnt ein Abgrund;
viele Verständigungsbrücken aber führen hinüber und herüber. Zwar
stehen die Jnteressen der Einen, der Vertreter des Großgrundbesitzes,
denen der Anderen, der Vertreter der Großindustrie, häufig diametral
gegenüber und Gegensätze zwischen den Parteien lassen sich nach allen
Richtungen verfolgen: sowohl politische als religiöse, aber selbst ein
freisinniger Demokrat, der für republikanische Verfassung, für volle
rechtliche und politische Gleichstellung des Weibes mit dem Mann,
des Arbeiters mit dem Unternehmer, gegen indirekte Steuern und
Schutzzölle, gegen Schiffe und Kanonen eintreten würde – leider
kennen wir einen solchen zunächst nicht! – bliebe immer noch in einem
gewissen Zusammenhang sogar mit den reaktionären Parteien, so
lange er nur die bestehende Staatsverfassung, nicht aber die vor-
handene Wirtschaftsordnung bekämpft. Wir werden ihn als Helfers-
helfer betrachten können, wie wir jeden heute schon als solchen be-
trachten, der der Arbeiterklasse auch nur einen Fuß breit Boden
gewinnen hilft, aber sein Parteigänger werden wir ebenso wenig sein
können wie der konservativen oder der Zentrumspartei. Und warum
nicht? Weil die politische Freiheit erst im Zusammenhang mit der
wirtschaftlichen Freiheit zu einem für Alle menschenwürdigen Dasein
führen kann.

Solange der Besitz in den Händen verhältnißmäßig Weniger
sich befindet und große Kapitalien sich in den Händen Einzelner an-
häufen, bleibt die Masse des Volkes, die Besitzlosen, abhängig von den
Besitzenden. So lange das Lohnsystem besteht, wonach der Arbeiter
nicht den vollen Ertrag seiner Arbeit erhält, sondern nur so viel, als
gerade notwendig ist, um seine Weiterarbeit zu ermöglichen, während

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[37/0036] Kartoffeläcker kommandirt werden, ist die ablehnende Haltung der Partei gegenüber der Forderung, auch die Landarbeit der Kinder zu verbieten. Ja, einer ihrer Redner hatte sogar den traurigen Muth, die Vortheile der Kinderlandarbeit begeistert zu schildern. Unbefangener dem Klassenkampf, entgegenkommender den spe- ziellen Arbeiterforderungen, wohlwollender und aufrichtiger den be- und im Kampf gegen die Zollpolitik der Regierung und der Rechten ist ihre Energie nicht erlahmt. Dafür aber ist sie in ihrer Begeisterung und Bewilligungsfreudigkeit für Militarismus und Marinismus fast ebenso weit gegangen wie die Nationalliberalen; sie hat sich sogar herbeigelassen, die geforderte Vermehrung der Flotte auf Jahre hinaus über künftige Reichstage hinweg festzusetzen, sie hat ohne Besinnen nahe an 5000 Millionen dafür bewilligt – 5000 Millionen, die das deutsche Volk für eine Weltmachtpolitik zu zahlen hat, für die dem Proletariat alles direkte persönliche Jnteresse fehlen muß. Würden Frauen, proletarische Frauen vor Allem, sich entschließen können, die Politik des Freisinns zu unterstützen? Wohl haben wir es hier mit den fortschrittlichsten Elementen der bürgerlichen Welt zu thun, zwischen ihnen und den Konservativen gähnt ein Abgrund; viele Verständigungsbrücken aber führen hinüber und herüber. Zwar stehen die Jnteressen der Einen, der Vertreter des Großgrundbesitzes, denen der Anderen, der Vertreter der Großindustrie, häufig diametral gegenüber und Gegensätze zwischen den Parteien lassen sich nach allen Richtungen verfolgen: sowohl politische als religiöse, aber selbst ein freisinniger Demokrat, der für republikanische Verfassung, für volle rechtliche und politische Gleichstellung des Weibes mit dem Mann, des Arbeiters mit dem Unternehmer, gegen indirekte Steuern und Schutzzölle, gegen Schiffe und Kanonen eintreten würde – leider kennen wir einen solchen zunächst nicht! – bliebe immer noch in einem gewissen Zusammenhang sogar mit den reaktionären Parteien, so lange er nur die bestehende Staatsverfassung, nicht aber die vor- handene Wirtschaftsordnung bekämpft. Wir werden ihn als Helfers- helfer betrachten können, wie wir jeden heute schon als solchen be- trachten, der der Arbeiterklasse auch nur einen Fuß breit Boden gewinnen hilft, aber sein Parteigänger werden wir ebenso wenig sein können wie der konservativen oder der Zentrumspartei. Und warum nicht? Weil die politische Freiheit erst im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Freiheit zu einem für Alle menschenwürdigen Dasein führen kann. Solange der Besitz in den Händen verhältnißmäßig Weniger sich befindet und große Kapitalien sich in den Händen Einzelner an- häufen, bleibt die Masse des Volkes, die Besitzlosen, abhängig von den Besitzenden. So lange das Lohnsystem besteht, wonach der Arbeiter nicht den vollen Ertrag seiner Arbeit erhält, sondern nur so viel, als gerade notwendig ist, um seine Weiterarbeit zu ermöglichen, während

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Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-08-30T16:52:29Z)

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/36>, abgerufen am 28.03.2024.