Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

uhr-Ladenschluß, und möchten ihn am liebsten heute noch beseitigen,
und sie erklärten sich auf das Entschiedenste gegen den gesetzlichen
Schutz der in der Landwirthschaft und im Gesindedienst thätigen
Kinder. Forderungen, die zu erfüllen eine selbstverständliche Aufgabe
des Liberalismus wäre, wie die der Gleichstellung der Frauen auf
öffentlich- und privatrechtlichem Gebiete, wurden von ihnen größten-
theils abgelehnt oder wenigstens mit Stillschweigen übergangen.
Das Einzige, wozu sie sich kürzlich aufzuschwingen vermochten, war
das Verlangen, den Frauen die Mitgliedschaft an sozialpolitischen
Vereinen zu gestatten, ein Verlangen, das die Bedeutungslosigkeit an
der Stirne trägt; denn, so lange es der Polizei überlassen bleibt, zu
beurtheilen, was sozialpolitisch und was politisch ist, so lange werden
die Frauen gleich rechtlos bleiben, ob es nun erfüllt wird oder nicht.
Von den Nationalliberalen also haben die Frauen nichts zu erwarten,
und für die Bettelbrocken, die den Hungrigen hier und da zugeworfen
werden, bedanken sie sich.

Die Freisinnige Volkspartei könnte, verglichen mit den
Nationalliberalen, beinahe etwas Anziehendes gewinnen. Sie
pflegt eine prinzipielle Gegnerin allzu starker Militär- und Flotten-
forderungen zu sein - obwohl sie Kanonenkredite ohne Zaudern
bewilligt -, sie bekämpft die Schutzzollpolitik - obwohl sie bei der
letzten großen Brotwucherei im Reichstag eine nichts weniger als
zweifelsfreie Haltung einnahm; sie tritt für die Erweiterung und
Sicherung des Koalitions- und des Vereins- und Versammlungs-
rechts ein - aber zu Gunsten der Frauen speziell hat sie es an
gehöriger Energie stets fehlen lassen. Die Verkürzung der Arbeitszeit
der Frauen wird von ihr befürwortet, dagegen spricht sie sich ebenso
wie die Nationalliberalen gegen einen allgemeinen Normalarbeitstag
aus. Jhre größte Leistung für die Frauen war, daß sie für ihr
Wahlrecht zu den Gewerbegerichten ihre Stimmen abgab, sie wurde
aber mehr als wett gemacht durch andere, die dem Volksinteresse
direkt entgegenwirken: so ist sie eine Gegnerin der Jnvaliditäts- und
Altersversicherung und ihr Führer konnte ohne Widerspruch in seinem
politischen A B C - Buch von 1901 erklären, daß der Zentrumsantrag,
der die Versicherungspflicht auf die Arbeiter der Großindustrie be-
schränken und den Reichszuschuß abschaffen wollte, "in der Richtung
auch der Freisinnigen Volkspartei lag", und hinzufügen, "daß die
schrittweise Aufhebung des ganzen Gesetzes" das "einzig Richtige
wäre". Auch die Krankenversicherung, die thatsächlich noch einen viel
zu engen Kreis von Menschen umfaßt, geht ihr in Bezug auf ihre Aus-
dehnung schon viel zu weit. Sie sprach sich gegen den Neunuhr-
Ladenschluß aus, ihrer zweideutigen Haltung ist die Aufrechterhaltung
der Gesindeordnungen mit zu verdanken, und kürzlich wandte sie sich
sogar gegen die gesetzlich geregelte Ruhezeit der Kellner. Was aber
den Frauen besonders eindrucksvoll sein dürfte, vor Allem denen,
deren eigene Kinder von der Schule weg auf die Rübenfelder und

uhr-Ladenschluß, und möchten ihn am liebsten heute noch beseitigen,
und sie erklärten sich auf das Entschiedenste gegen den gesetzlichen
Schutz der in der Landwirthschaft und im Gesindedienst thätigen
Kinder. Forderungen, die zu erfüllen eine selbstverständliche Aufgabe
des Liberalismus wäre, wie die der Gleichstellung der Frauen auf
öffentlich- und privatrechtlichem Gebiete, wurden von ihnen größten-
theils abgelehnt oder wenigstens mit Stillschweigen übergangen.
Das Einzige, wozu sie sich kürzlich aufzuschwingen vermochten, war
das Verlangen, den Frauen die Mitgliedschaft an sozialpolitischen
Vereinen zu gestatten, ein Verlangen, das die Bedeutungslosigkeit an
der Stirne trägt; denn, so lange es der Polizei überlassen bleibt, zu
beurtheilen, was sozialpolitisch und was politisch ist, so lange werden
die Frauen gleich rechtlos bleiben, ob es nun erfüllt wird oder nicht.
Von den Nationalliberalen also haben die Frauen nichts zu erwarten,
und für die Bettelbrocken, die den Hungrigen hier und da zugeworfen
werden, bedanken sie sich.

Die Freisinnige Volkspartei könnte, verglichen mit den
Nationalliberalen, beinahe etwas Anziehendes gewinnen. Sie
pflegt eine prinzipielle Gegnerin allzu starker Militär- und Flotten-
forderungen zu sein – obwohl sie Kanonenkredite ohne Zaudern
bewilligt –, sie bekämpft die Schutzzollpolitik – obwohl sie bei der
letzten großen Brotwucherei im Reichstag eine nichts weniger als
zweifelsfreie Haltung einnahm; sie tritt für die Erweiterung und
Sicherung des Koalitions- und des Vereins- und Versammlungs-
rechts ein – aber zu Gunsten der Frauen speziell hat sie es an
gehöriger Energie stets fehlen lassen. Die Verkürzung der Arbeitszeit
der Frauen wird von ihr befürwortet, dagegen spricht sie sich ebenso
wie die Nationalliberalen gegen einen allgemeinen Normalarbeitstag
aus. Jhre größte Leistung für die Frauen war, daß sie für ihr
Wahlrecht zu den Gewerbegerichten ihre Stimmen abgab, sie wurde
aber mehr als wett gemacht durch andere, die dem Volksinteresse
direkt entgegenwirken: so ist sie eine Gegnerin der Jnvaliditäts- und
Altersversicherung und ihr Führer konnte ohne Widerspruch in seinem
politischen A B C - Buch von 1901 erklären, daß der Zentrumsantrag,
der die Versicherungspflicht auf die Arbeiter der Großindustrie be-
schränken und den Reichszuschuß abschaffen wollte, „in der Richtung
auch der Freisinnigen Volkspartei lag“, und hinzufügen, „daß die
schrittweise Aufhebung des ganzen Gesetzes“ das „einzig Richtige
wäre“. Auch die Krankenversicherung, die thatsächlich noch einen viel
zu engen Kreis von Menschen umfaßt, geht ihr in Bezug auf ihre Aus-
dehnung schon viel zu weit. Sie sprach sich gegen den Neunuhr-
Ladenschluß aus, ihrer zweideutigen Haltung ist die Aufrechterhaltung
der Gesindeordnungen mit zu verdanken, und kürzlich wandte sie sich
sogar gegen die gesetzlich geregelte Ruhezeit der Kellner. Was aber
den Frauen besonders eindrucksvoll sein dürfte, vor Allem denen,
deren eigene Kinder von der Schule weg auf die Rübenfelder und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0035" n="36"/>
uhr-Ladenschluß, und möchten ihn am liebsten                         heute noch beseitigen,<lb/>
und sie erklärten sich auf das Entschiedenste                         gegen den gesetzlichen<lb/>
Schutz der in der Landwirthschaft und im                         Gesindedienst thätigen<lb/>
Kinder. Forderungen, die zu erfüllen eine                         selbstverständliche Aufgabe<lb/>
des Liberalismus wäre, wie die der                         Gleichstellung der Frauen auf<lb/>
öffentlich- und privatrechtlichem                         Gebiete, wurden von ihnen größten-<lb/>
theils abgelehnt oder wenigstens mit                         Stillschweigen übergangen.<lb/>
Das Einzige, wozu sie sich kürzlich                         aufzuschwingen vermochten, war<lb/>
das Verlangen, den Frauen die                         Mitgliedschaft an sozialpolitischen<lb/>
Vereinen zu gestatten, ein                         Verlangen, das die Bedeutungslosigkeit an<lb/>
der Stirne trägt; denn, so                         lange es der Polizei überlassen bleibt, zu<lb/>
beurtheilen, was                         sozialpolitisch und was politisch ist, so lange werden<lb/>
die Frauen                         gleich rechtlos bleiben, ob es nun erfüllt wird oder nicht.<lb/>
Von den                         Nationalliberalen also haben die Frauen nichts zu erwarten,<lb/>
und für die                         Bettelbrocken, die den Hungrigen hier und da zugeworfen<lb/>
werden,                         bedanken sie sich.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#b">Freisinnige Volkspartei</hi> könnte, verglichen mit                         den<lb/>
Nationalliberalen, beinahe etwas Anziehendes gewinnen. Sie<lb/>
pflegt eine prinzipielle Gegnerin allzu starker Militär- und Flotten-<lb/>
forderungen zu sein &#x2013; obwohl sie Kanonenkredite ohne Zaudern<lb/>
bewilligt &#x2013;, sie bekämpft die Schutzzollpolitik &#x2013; obwohl sie                         bei der<lb/>
letzten großen Brotwucherei im Reichstag eine nichts weniger                         als<lb/>
zweifelsfreie Haltung einnahm; sie tritt für die Erweiterung                         und<lb/>
Sicherung des Koalitions- und des Vereins- und Versammlungs-<lb/>
rechts ein &#x2013; aber zu Gunsten der Frauen speziell hat sie es an<lb/>
gehöriger Energie stets fehlen lassen. Die Verkürzung der Arbeitszeit<lb/>
der Frauen wird von ihr befürwortet, dagegen spricht sie sich ebenso<lb/>
wie die Nationalliberalen gegen einen allgemeinen Normalarbeitstag<lb/>
aus.                         Jhre größte Leistung für die Frauen war, daß sie für ihr<lb/>
Wahlrecht zu                         den Gewerbegerichten ihre Stimmen abgab, sie wurde<lb/>
aber mehr als wett                         gemacht durch andere, die dem Volksinteresse<lb/>
direkt entgegenwirken: so                         ist sie eine Gegnerin der Jnvaliditäts- und<lb/>
Altersversicherung und ihr                         Führer konnte ohne Widerspruch in seinem<lb/>
politischen A B C - Buch von                         1901 erklären, daß der Zentrumsantrag,<lb/>
der die Versicherungspflicht auf                         die Arbeiter der Großindustrie be-<lb/>
schränken und den Reichszuschuß                         abschaffen wollte, &#x201E;in der Richtung<lb/>
auch der Freisinnigen                         Volkspartei lag&#x201C;, und hinzufügen, &#x201E;daß die<lb/>
schrittweise                         Aufhebung des ganzen Gesetzes&#x201C; das &#x201E;einzig Richtige<lb/>
wäre&#x201C;. Auch die Krankenversicherung, die thatsächlich noch einen                         viel<lb/>
zu engen Kreis von Menschen umfaßt, geht ihr in Bezug auf ihre                         Aus-<lb/>
dehnung schon viel zu weit. Sie sprach sich gegen den                         Neunuhr-<lb/>
Ladenschluß aus, ihrer zweideutigen Haltung ist die                         Aufrechterhaltung<lb/>
der Gesindeordnungen mit zu verdanken, und kürzlich                         wandte sie sich<lb/>
sogar gegen die gesetzlich geregelte Ruhezeit der                         Kellner. Was aber<lb/>
den Frauen besonders eindrucksvoll sein dürfte, vor                         Allem denen,<lb/>
deren eigene Kinder von der Schule weg auf die Rübenfelder und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0035] uhr-Ladenschluß, und möchten ihn am liebsten heute noch beseitigen, und sie erklärten sich auf das Entschiedenste gegen den gesetzlichen Schutz der in der Landwirthschaft und im Gesindedienst thätigen Kinder. Forderungen, die zu erfüllen eine selbstverständliche Aufgabe des Liberalismus wäre, wie die der Gleichstellung der Frauen auf öffentlich- und privatrechtlichem Gebiete, wurden von ihnen größten- theils abgelehnt oder wenigstens mit Stillschweigen übergangen. Das Einzige, wozu sie sich kürzlich aufzuschwingen vermochten, war das Verlangen, den Frauen die Mitgliedschaft an sozialpolitischen Vereinen zu gestatten, ein Verlangen, das die Bedeutungslosigkeit an der Stirne trägt; denn, so lange es der Polizei überlassen bleibt, zu beurtheilen, was sozialpolitisch und was politisch ist, so lange werden die Frauen gleich rechtlos bleiben, ob es nun erfüllt wird oder nicht. Von den Nationalliberalen also haben die Frauen nichts zu erwarten, und für die Bettelbrocken, die den Hungrigen hier und da zugeworfen werden, bedanken sie sich. Die Freisinnige Volkspartei könnte, verglichen mit den Nationalliberalen, beinahe etwas Anziehendes gewinnen. Sie pflegt eine prinzipielle Gegnerin allzu starker Militär- und Flotten- forderungen zu sein – obwohl sie Kanonenkredite ohne Zaudern bewilligt –, sie bekämpft die Schutzzollpolitik – obwohl sie bei der letzten großen Brotwucherei im Reichstag eine nichts weniger als zweifelsfreie Haltung einnahm; sie tritt für die Erweiterung und Sicherung des Koalitions- und des Vereins- und Versammlungs- rechts ein – aber zu Gunsten der Frauen speziell hat sie es an gehöriger Energie stets fehlen lassen. Die Verkürzung der Arbeitszeit der Frauen wird von ihr befürwortet, dagegen spricht sie sich ebenso wie die Nationalliberalen gegen einen allgemeinen Normalarbeitstag aus. Jhre größte Leistung für die Frauen war, daß sie für ihr Wahlrecht zu den Gewerbegerichten ihre Stimmen abgab, sie wurde aber mehr als wett gemacht durch andere, die dem Volksinteresse direkt entgegenwirken: so ist sie eine Gegnerin der Jnvaliditäts- und Altersversicherung und ihr Führer konnte ohne Widerspruch in seinem politischen A B C - Buch von 1901 erklären, daß der Zentrumsantrag, der die Versicherungspflicht auf die Arbeiter der Großindustrie be- schränken und den Reichszuschuß abschaffen wollte, „in der Richtung auch der Freisinnigen Volkspartei lag“, und hinzufügen, „daß die schrittweise Aufhebung des ganzen Gesetzes“ das „einzig Richtige wäre“. Auch die Krankenversicherung, die thatsächlich noch einen viel zu engen Kreis von Menschen umfaßt, geht ihr in Bezug auf ihre Aus- dehnung schon viel zu weit. Sie sprach sich gegen den Neunuhr- Ladenschluß aus, ihrer zweideutigen Haltung ist die Aufrechterhaltung der Gesindeordnungen mit zu verdanken, und kürzlich wandte sie sich sogar gegen die gesetzlich geregelte Ruhezeit der Kellner. Was aber den Frauen besonders eindrucksvoll sein dürfte, vor Allem denen, deren eigene Kinder von der Schule weg auf die Rübenfelder und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-08-30T16:52:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-08-30T16:52:29Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/35
Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/35>, abgerufen am 24.11.2024.