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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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private wie auf das öffentliche Recht ein ausgesprochener Feind
jeder auch nur annähernden Gleichstellung des Weibes mit dem
Manne, es hängt jedoch seiner Feindschaft, gerade wie die Kon-
servativen, das Mäntelchen der Ritterlichkeit um. Aber es genügt
ihm noch gar nicht, die Handlungs- und Bewegungsfreiheit der Frau
zu schmälern, auch ihren Geist will es in Fesseln schlagen, ihren
Kindern die Schätze des Wissens und der Erkenntniß rauben, indem
es die Schulen unter die Oberhoheit der Kirche zwingen möchte.
Außer Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion ist, so sagte ein
Zentrumsmitglied, alles andere "überflüssiger Luxus" für Volks-
schüler. Gefügige Sklaven - physisch und geistig - will es aus
den Kindern machen, willenlose Sklavinnen aus den Frauen. Nie
und nimmer können deshalb die Frauen, wenn anders sie frei
werden wollen von Noth und Knechtschaft, seinen Heerbann bilden!

Aber die Liberalen, sie sind es doch, die die Fahne der
Freiheit hochhalten? Betrachten wir sie näher! Ein buntes, in
allen Farben schillerndes Bild bieten sie, der in verschiedene Richtungen
zersplitterte traurige Rest einer großen, das einstmals wirklich frei-
denkende Bürgerthum repräsentirenden Partei. Jhr rechter Flügel,
die Nationalliberalen, nähern sich in ihrem Thun und Lassen mehr
und mehr den Konservativen. Wie ein Hohn auf ihre reaktionären
Wünsche klingt heute die Bezeichnung liberal, d. h. frei, denn, von
ihr gedeckt, haben sie jedem Versuch einer Knebelung des Volkes
ihren Beistand geliehen: von der Beschränkung der Koalitionsfreiheit
bis zum Kampf gegen das allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht.
Sie sind es, für deren Bewilligungseifer keine Militär- und keine
Marineforderung zu hoch ist, und die den Zolltarif nicht schnell
genug unter Dach und Fach bringen konnten. Nur selten, und dann
auch nur unter dem Widerspruch vieler ihrer Parteigänger, ent-
schließen sie sich zu Arbeiterschutzforderungen. So haben sie kürz-
lich, bedroht von dem Schreckgespenst der nahenden Wahlen, die ihre
Zahl weiter veringern dürften, den Zehnstundentag für jugendliche
Arbeiter und Arbeiterinnen im Reichstage beantragt. Wie wenig
ernst es ihnen damit ist, beweist der Umstand, daß einer ihrer Redner
fast zu gleicher Zeit in einem diesem Antrage entgegengesetzten
Sinne sprach, indem er von der armen Mutter gar rührend zu er-
zählen wußte, der man doch nicht verbieten könne, auch länger zu
arbeiten als elf Stunden. Als treue Wortführer der Unternehmer,
die den Arbeitern gegenüber das Recht auf unbegrenzte Ausbeutung
beanspruchen, und als Sprachrohr seiner Partei, bekämpfte er zu
gleicher Zeit die Beschränkung der Arbeitszeit der Männer mit der
pathetischen Begründung, daß dem Arbeiter unter keinen Umständen
das Recht verkümmert werden dürfe, so lange zu arbeiten, als seine
Kräfte es ihm erlauben. Und noch in anderer Beziehung zeigte es sich,
daß die Nationalliberalen zu typischen Vertretern des Unternehmer-
thums geworden sind: sie kämpften leidenschaftlich gegen den Neun-

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private wie auf das öffentliche Recht ein ausgesprochener Feind
jeder auch nur annähernden Gleichstellung des Weibes mit dem
Manne, es hängt jedoch seiner Feindschaft, gerade wie die Kon-
servativen, das Mäntelchen der Ritterlichkeit um. Aber es genügt
ihm noch gar nicht, die Handlungs- und Bewegungsfreiheit der Frau
zu schmälern, auch ihren Geist will es in Fesseln schlagen, ihren
Kindern die Schätze des Wissens und der Erkenntniß rauben, indem
es die Schulen unter die Oberhoheit der Kirche zwingen möchte.
Außer Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion ist, so sagte ein
Zentrumsmitglied, alles andere „überflüssiger Luxus“ für Volks-
schüler. Gefügige Sklaven – physisch und geistig – will es aus
den Kindern machen, willenlose Sklavinnen aus den Frauen. Nie
und nimmer können deshalb die Frauen, wenn anders sie frei
werden wollen von Noth und Knechtschaft, seinen Heerbann bilden!

Aber die Liberalen, sie sind es doch, die die Fahne der
Freiheit hochhalten? Betrachten wir sie näher! Ein buntes, in
allen Farben schillerndes Bild bieten sie, der in verschiedene Richtungen
zersplitterte traurige Rest einer großen, das einstmals wirklich frei-
denkende Bürgerthum repräsentirenden Partei. Jhr rechter Flügel,
die Nationalliberalen, nähern sich in ihrem Thun und Lassen mehr
und mehr den Konservativen. Wie ein Hohn auf ihre reaktionären
Wünsche klingt heute die Bezeichnung liberal, d. h. frei, denn, von
ihr gedeckt, haben sie jedem Versuch einer Knebelung des Volkes
ihren Beistand geliehen: von der Beschränkung der Koalitionsfreiheit
bis zum Kampf gegen das allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht.
Sie sind es, für deren Bewilligungseifer keine Militär- und keine
Marineforderung zu hoch ist, und die den Zolltarif nicht schnell
genug unter Dach und Fach bringen konnten. Nur selten, und dann
auch nur unter dem Widerspruch vieler ihrer Parteigänger, ent-
schließen sie sich zu Arbeiterschutzforderungen. So haben sie kürz-
lich, bedroht von dem Schreckgespenst der nahenden Wahlen, die ihre
Zahl weiter veringern dürften, den Zehnstundentag für jugendliche
Arbeiter und Arbeiterinnen im Reichstage beantragt. Wie wenig
ernst es ihnen damit ist, beweist der Umstand, daß einer ihrer Redner
fast zu gleicher Zeit in einem diesem Antrage entgegengesetzten
Sinne sprach, indem er von der armen Mutter gar rührend zu er-
zählen wußte, der man doch nicht verbieten könne, auch länger zu
arbeiten als elf Stunden. Als treue Wortführer der Unternehmer,
die den Arbeitern gegenüber das Recht auf unbegrenzte Ausbeutung
beanspruchen, und als Sprachrohr seiner Partei, bekämpfte er zu
gleicher Zeit die Beschränkung der Arbeitszeit der Männer mit der
pathetischen Begründung, daß dem Arbeiter unter keinen Umständen
das Recht verkümmert werden dürfe, so lange zu arbeiten, als seine
Kräfte es ihm erlauben. Und noch in anderer Beziehung zeigte es sich,
daß die Nationalliberalen zu typischen Vertretern des Unternehmer-
thums geworden sind: sie kämpften leidenschaftlich gegen den Neun-

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[35/0034] private wie auf das öffentliche Recht ein ausgesprochener Feind jeder auch nur annähernden Gleichstellung des Weibes mit dem Manne, es hängt jedoch seiner Feindschaft, gerade wie die Kon- servativen, das Mäntelchen der Ritterlichkeit um. Aber es genügt ihm noch gar nicht, die Handlungs- und Bewegungsfreiheit der Frau zu schmälern, auch ihren Geist will es in Fesseln schlagen, ihren Kindern die Schätze des Wissens und der Erkenntniß rauben, indem es die Schulen unter die Oberhoheit der Kirche zwingen möchte. Außer Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion ist, so sagte ein Zentrumsmitglied, alles andere „überflüssiger Luxus“ für Volks- schüler. Gefügige Sklaven – physisch und geistig – will es aus den Kindern machen, willenlose Sklavinnen aus den Frauen. Nie und nimmer können deshalb die Frauen, wenn anders sie frei werden wollen von Noth und Knechtschaft, seinen Heerbann bilden! Aber die Liberalen, sie sind es doch, die die Fahne der Freiheit hochhalten? Betrachten wir sie näher! Ein buntes, in allen Farben schillerndes Bild bieten sie, der in verschiedene Richtungen zersplitterte traurige Rest einer großen, das einstmals wirklich frei- denkende Bürgerthum repräsentirenden Partei. Jhr rechter Flügel, die Nationalliberalen, nähern sich in ihrem Thun und Lassen mehr und mehr den Konservativen. Wie ein Hohn auf ihre reaktionären Wünsche klingt heute die Bezeichnung liberal, d. h. frei, denn, von ihr gedeckt, haben sie jedem Versuch einer Knebelung des Volkes ihren Beistand geliehen: von der Beschränkung der Koalitionsfreiheit bis zum Kampf gegen das allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht. Sie sind es, für deren Bewilligungseifer keine Militär- und keine Marineforderung zu hoch ist, und die den Zolltarif nicht schnell genug unter Dach und Fach bringen konnten. Nur selten, und dann auch nur unter dem Widerspruch vieler ihrer Parteigänger, ent- schließen sie sich zu Arbeiterschutzforderungen. So haben sie kürz- lich, bedroht von dem Schreckgespenst der nahenden Wahlen, die ihre Zahl weiter veringern dürften, den Zehnstundentag für jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen im Reichstage beantragt. Wie wenig ernst es ihnen damit ist, beweist der Umstand, daß einer ihrer Redner fast zu gleicher Zeit in einem diesem Antrage entgegengesetzten Sinne sprach, indem er von der armen Mutter gar rührend zu er- zählen wußte, der man doch nicht verbieten könne, auch länger zu arbeiten als elf Stunden. Als treue Wortführer der Unternehmer, die den Arbeitern gegenüber das Recht auf unbegrenzte Ausbeutung beanspruchen, und als Sprachrohr seiner Partei, bekämpfte er zu gleicher Zeit die Beschränkung der Arbeitszeit der Männer mit der pathetischen Begründung, daß dem Arbeiter unter keinen Umständen das Recht verkümmert werden dürfe, so lange zu arbeiten, als seine Kräfte es ihm erlauben. Und noch in anderer Beziehung zeigte es sich, daß die Nationalliberalen zu typischen Vertretern des Unternehmer- thums geworden sind: sie kämpften leidenschaftlich gegen den Neun- 3*

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-08-30T16:52:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-08-30T16:52:29Z)

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/34>, abgerufen am 24.11.2024.