Sonne am nächsten und daran sich anschließend Gelb, Grün, Blau, jedoch alle diese Farben mit einem lebhaften weißen Glanze gemischt, und nirgends rein hervortretend. Wir wollen jetzt sehen, was die Theorie der Brechung in Eisprismen uns für Bestimmun- gen giebt.
Daß die in der Luft sich bildenden Eisnadeln dreiseitige Pris- men und zwar gleichseitige sind, das nehmen wir mit gutem Grunde an, weil beim Gefrieren des Wassers sich überall die Crystallisationen in Winkeln von 60 Graden bilden, und weil die sechsspitzigen Schneesternchen Beweise für diese Crystallform liefern. Wir fragen also nun, wo kann bei den mannigfaltigen Lagen solcher kleinen Eisprismen, die gewiß sämmtlich Licht zurückwerfen, sich irgendwo eine hellere Erscheinung durch zurückgeworfene oder gebrochene Lichtstrahlen zeigen? Eine solche Licht-Erscheinung muß sich da zeigen, wo Prismen, die nicht ganz genau gleich lie- gen, doch die zurückgeworfenen Strahlen nach gleicher Richtung in das Auge senden, und dies findet bei den Prismen statt, in wel- chen die Brechung der Strahlen am kleinsten ist. Offenbar haben wir, so lange die Nadeln noch so klein sind, daß sie weder vom Winde noch von der Schwere mit bedeutender Gewalt fortgetrieben und in eine bestimmte Richtung gebracht werden, keinen Grund, eine einzige Richtung der Nadeln als vorwaltend anzusehen. Die Brechung in jeder dieser Nadeln zeigt uns also das Sonnenbild an einem andern Orte, so wie die durch das Prisma gesehenen Gegenstände ihren scheinbaren Ort ändern, wenn wir das Prisma nach und nach in andere Stellungen bringen; aber so wie wir es durch keine Drehung des Prisma's erzwingen können, daß der Gegenstand, den wir durch das Prisma sehen wollen, ganz nahe bei dem wahren Orte desselben erscheine, sondern selbst bei der möglichst geringsten Brechung, das heißt in dem Falle, wo der Strahl im Innern des Prisma's mit der Seite AIBI (Fig. 104.) parallel ist, ein bestimmter, noch sehr erheblicher schein- barer Abstand sOa des durch das Prisma gesehenen Gegenstandes vom wahren Orte desselben statt findet, ebenso kann uns auch durch jene Eisprismen das Sonnenbildchen zwar in sehr verschiedenen Entfernungen vom wahren Orte der Sonne, aber in keinem kleinern Abstande, als in jenem, den ich eben als den kleinsten angegeben
Sonne am naͤchſten und daran ſich anſchließend Gelb, Gruͤn, Blau, jedoch alle dieſe Farben mit einem lebhaften weißen Glanze gemiſcht, und nirgends rein hervortretend. Wir wollen jetzt ſehen, was die Theorie der Brechung in Eisprismen uns fuͤr Beſtimmun- gen giebt.
Daß die in der Luft ſich bildenden Eisnadeln dreiſeitige Pris- men und zwar gleichſeitige ſind, das nehmen wir mit gutem Grunde an, weil beim Gefrieren des Waſſers ſich uͤberall die Cryſtalliſationen in Winkeln von 60 Graden bilden, und weil die ſechsſpitzigen Schneeſternchen Beweiſe fuͤr dieſe Cryſtallform liefern. Wir fragen alſo nun, wo kann bei den mannigfaltigen Lagen ſolcher kleinen Eisprismen, die gewiß ſaͤmmtlich Licht zuruͤckwerfen, ſich irgendwo eine hellere Erſcheinung durch zuruͤckgeworfene oder gebrochene Lichtſtrahlen zeigen? Eine ſolche Licht-Erſcheinung muß ſich da zeigen, wo Prismen, die nicht ganz genau gleich lie- gen, doch die zuruͤckgeworfenen Strahlen nach gleicher Richtung in das Auge ſenden, und dies findet bei den Prismen ſtatt, in wel- chen die Brechung der Strahlen am kleinſten iſt. Offenbar haben wir, ſo lange die Nadeln noch ſo klein ſind, daß ſie weder vom Winde noch von der Schwere mit bedeutender Gewalt fortgetrieben und in eine beſtimmte Richtung gebracht werden, keinen Grund, eine einzige Richtung der Nadeln als vorwaltend anzuſehen. Die Brechung in jeder dieſer Nadeln zeigt uns alſo das Sonnenbild an einem andern Orte, ſo wie die durch das Prisma geſehenen Gegenſtaͤnde ihren ſcheinbaren Ort aͤndern, wenn wir das Prisma nach und nach in andere Stellungen bringen; aber ſo wie wir es durch keine Drehung des Prisma's erzwingen koͤnnen, daß der Gegenſtand, den wir durch das Prisma ſehen wollen, ganz nahe bei dem wahren Orte deſſelben erſcheine, ſondern ſelbſt bei der moͤglichſt geringſten Brechung, das heißt in dem Falle, wo der Strahl im Innern des Prisma's mit der Seite AIBI (Fig. 104.) parallel iſt, ein beſtimmter, noch ſehr erheblicher ſchein- barer Abſtand sOa des durch das Prisma geſehenen Gegenſtandes vom wahren Orte deſſelben ſtatt findet, ebenſo kann uns auch durch jene Eisprismen das Sonnenbildchen zwar in ſehr verſchiedenen Entfernungen vom wahren Orte der Sonne, aber in keinem kleinern Abſtande, als in jenem, den ich eben als den kleinſten angegeben
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Sonne am naͤchſten und daran ſich anſchließend Gelb, Gruͤn,
Blau, jedoch alle dieſe Farben mit einem lebhaften weißen Glanze
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was die Theorie der Brechung in Eisprismen uns fuͤr Beſtimmun-
gen giebt.
Daß die in der Luft ſich bildenden Eisnadeln dreiſeitige Pris-
men und zwar gleichſeitige ſind, das nehmen wir mit gutem
Grunde an, weil beim Gefrieren des Waſſers ſich uͤberall die
Cryſtalliſationen in Winkeln von 60 Graden bilden, und weil die
ſechsſpitzigen Schneeſternchen Beweiſe fuͤr dieſe Cryſtallform liefern.
Wir fragen alſo nun, wo kann bei den mannigfaltigen Lagen
ſolcher kleinen Eisprismen, die gewiß ſaͤmmtlich Licht zuruͤckwerfen,
ſich irgendwo eine hellere Erſcheinung durch zuruͤckgeworfene oder
gebrochene Lichtſtrahlen zeigen? Eine ſolche Licht-Erſcheinung
muß ſich da zeigen, wo Prismen, die nicht ganz genau gleich lie-
gen, doch die zuruͤckgeworfenen Strahlen nach gleicher Richtung in
das Auge ſenden, und dies findet bei den Prismen ſtatt, in wel-
chen die Brechung der Strahlen am kleinſten iſt. Offenbar haben
wir, ſo lange die Nadeln noch ſo klein ſind, daß ſie weder vom
Winde noch von der Schwere mit bedeutender Gewalt fortgetrieben
und in eine beſtimmte Richtung gebracht werden, keinen Grund,
eine einzige Richtung der Nadeln als vorwaltend anzuſehen. Die
Brechung in jeder dieſer Nadeln zeigt uns alſo das Sonnenbild
an einem andern Orte, ſo wie die durch das Prisma geſehenen
Gegenſtaͤnde ihren ſcheinbaren Ort aͤndern, wenn wir das Prisma
nach und nach in andere Stellungen bringen; aber ſo wie wir es
durch keine Drehung des Prisma's erzwingen koͤnnen, daß der
Gegenſtand, den wir durch das Prisma ſehen wollen, ganz nahe
bei dem wahren Orte deſſelben erſcheine, ſondern ſelbſt bei der
moͤglichſt geringſten Brechung, das heißt in dem Falle, wo
der Strahl im Innern des Prisma's mit der Seite AIBI
(Fig. 104.) parallel iſt, ein beſtimmter, noch ſehr erheblicher ſchein-
barer Abſtand sOa des durch das Prisma geſehenen Gegenſtandes
vom wahren Orte deſſelben ſtatt findet, ebenſo kann uns auch durch
jene Eisprismen das Sonnenbildchen zwar in ſehr verſchiedenen
Entfernungen vom wahren Orte der Sonne, aber in keinem kleinern
Abſtande, als in jenem, den ich eben als den kleinſten angegeben
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/222>, abgerufen am 22.11.2024.
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