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Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.

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Aufgaben vorgehalten. Diejenigen Strophen, welche die Lyra pbo_088.002
des für sich selbst singenden und sagenden Dichters wählte, pbo_088.003
sind zwar metrisch noch immer ohne Vergleich kunstvoller, als pbo_088.004
die unsrigen. Doch folgen sie für gewöhnlich ohne die pbo_088.005
chorische Dreiheit von Strophe, Antistrophe und Epodos pbo_088.006
gleichgebaut eine der anderen. Sie sind kürzer, für gewöhnlich pbo_088.007
sogar nur Zwei- und Vierzeilen (Disticha und pbo_088.008
Tetrasticha). Es waren schon damals nicht grade die schwierigsten pbo_088.009
unter ihnen, welche die größte Beliebtheit erlangten. pbo_088.010
Einige besonders glückliche von diesen populären antiken pbo_088.011
Strophen haben sich, wie wir schon bei den einzelnen Versreihen pbo_088.012
vorbereitend bemerkten, in unsere rhythmische Versübung pbo_088.013
hinübergerettet. Als typisch können wir anführen die pbo_088.014
sapphische Strophe
(nach der bekannten aeolischen Dichterin pbo_088.015
Sappho), die aus drei kleineren sapphischen Versen und pbo_088.016
dem Adonius besteht:

pbo_088.017
Voller Gefühl des Jünglings weil' ich Tage pbo_088.018
Auf dem Roß und dem Stahl; ich seh' des Lenzes pbo_088.019
Grüne Bäume froh dann und froh des Winters pbo_088.020
Dürre beblütet!*)

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Die alcäische Strophe (nach dem aeolischen Dichter pbo_088.022
Alcäeus), aus zwei alcäischen Elfsilblern, einem katalektischen pbo_088.023
fünffüßigen Jambus und dem beschriebenen logaödischen Verse pbo_088.024
bestehend, den männlich anstürmenden Charakter so gut darstellend pbo_088.025
wie die Strophe Sapphos den weiblichen, ruhig abwallenden:

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pbo_088.027
Der Seraph stammelt und die Unendlichkeit pbo_088.028
Bebt durch den Umkreis ihrer Gefilde nach
*) pbo_088.029
Vergl. Sammlung Göschen Bd. 1. Nr. 30. Klopstock, der pbo_088.030
Frohsinn.

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Aufgaben vorgehalten. Diejenigen Strophen, welche die Lyra pbo_088.002
des für sich selbst singenden und sagenden Dichters wählte, pbo_088.003
sind zwar metrisch noch immer ohne Vergleich kunstvoller, als pbo_088.004
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Tetrasticha). Es waren schon damals nicht grade die schwierigsten pbo_088.009
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Einige besonders glückliche von diesen populären antiken pbo_088.011
Strophen haben sich, wie wir schon bei den einzelnen Versreihen pbo_088.012
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sapphische Strophe
(nach der bekannten aeolischen Dichterin pbo_088.015
Sappho), die aus drei kleineren sapphischen Versen und pbo_088.016
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Voller Gefühl des Jünglings weil' ich Tage pbo_088.018
Auf dem Roß und dem Stahl; ich seh' des Lenzes pbo_088.019
Grüne Bäume froh dann und froh des Winters pbo_088.020
Dürre beblütet!*)

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Die alcäische Strophe (nach dem aeolischen Dichter pbo_088.022
Alcäeus), aus zwei alcäischen Elfsilblern, einem katalektischen pbo_088.023
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Bebt durch den Umkreis ihrer Gefilde nach
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Zitationshilfe: Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/92>, abgerufen am 25.11.2024.