Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_052.001 pbo_052.008 § 41. Vers. pbo_052.021 pbo_052.001 pbo_052.008 § 41. Vers. pbo_052.021 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0056" n="52"/><lb n="pbo_052.001"/> am Verse und durch den Vers hat sich Musik <lb n="pbo_052.002"/> gebildet; die Kunst des reinen Klanges ist am Sinn erblüht, <lb n="pbo_052.003"/> und in seinem Dienste haben sich jene vielgestaltigen Ordnungen <lb n="pbo_052.004"/> des Klanges auseinandergelegt, die uns jetzt, der ursprünglichen <lb n="pbo_052.005"/> Tönung baar, als unverständliche Künsteleien <lb n="pbo_052.006"/> eines launenhaften Wortfügungstriebes in zahllosen dürren <lb n="pbo_052.007"/> Schemen die <hi rendition="#g">Metrik</hi> überliefert.</p> <p><lb n="pbo_052.008"/> Es gilt also festzuhalten, daß auch die strenge kunstmäßige <lb n="pbo_052.009"/> Wortfügung in festen, metrischen Gebilden vom Wortsinn <lb n="pbo_052.010"/> ursprünglich nicht zu trennen ist. Das rein musikalische <lb n="pbo_052.011"/> Element, das hier hinzukommt, ist <hi rendition="#g">der Takt.</hi> Der Takt ist der <lb n="pbo_052.012"/> rhythmische Träger einer Bewegung, zunächst der körperlichen <lb n="pbo_052.013"/> im Tanze, Marsche. Das wiederkehrende Zeitmaß beschwingt <lb n="pbo_052.014"/> die Bewegung, die sich danach richtet, macht sie leichter und <lb n="pbo_052.015"/> dauerhafter. Die Gründe führen weit und liegen tief. Die <lb n="pbo_052.016"/> Thatsache spricht für sich selbst. Dadurch nun, daß Sprache <lb n="pbo_052.017"/> eine Bewegung ist, sucht sie am Takt teilzunehmen. Das <lb n="pbo_052.018"/> Lied und seine sprachliche Unterlage, der Vers, ist gleichsam <lb n="pbo_052.019"/> ein Tanz der menschlichen Kehle.</p> <lb n="pbo_052.020"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 41. Vers.</hi> </head> <p><lb n="pbo_052.021"/><hi rendition="#g">Vers</hi> ist ein lateinisches Wort (versus) und entspricht <lb n="pbo_052.022"/> unserm Worte Wendung. Aus der naheliegenden etymologischen <lb n="pbo_052.023"/> Erklärung des Grundworts der metrischen Kunst braucht man <lb n="pbo_052.024"/> jedoch nicht gleich bündig zu schließen, daß aller Vers und <lb n="pbo_052.025"/> mit ihm jede Poesie vom Tanzlied den Ausgang genommen <lb n="pbo_052.026"/> habe. Es liegt wie gesagt in der Sprachbewegung als solcher <lb n="pbo_052.027"/> die Tendenz, auf den Takt als ihren beschwingenden Träger <lb n="pbo_052.028"/> hinzusteuern. Recht naiv offenbart sich dies in der sehr alten, <lb n="pbo_052.029"/> ursprünglichen, später vielleicht mit Absicht auf diesem Standpunkt <lb n="pbo_052.030"/> verharrenden heiligen Poesie der Bibel. Hier äußert </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0056]
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am Verse und durch den Vers hat sich Musik pbo_052.002
gebildet; die Kunst des reinen Klanges ist am Sinn erblüht, pbo_052.003
und in seinem Dienste haben sich jene vielgestaltigen Ordnungen pbo_052.004
des Klanges auseinandergelegt, die uns jetzt, der ursprünglichen pbo_052.005
Tönung baar, als unverständliche Künsteleien pbo_052.006
eines launenhaften Wortfügungstriebes in zahllosen dürren pbo_052.007
Schemen die Metrik überliefert.
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Es gilt also festzuhalten, daß auch die strenge kunstmäßige pbo_052.009
Wortfügung in festen, metrischen Gebilden vom Wortsinn pbo_052.010
ursprünglich nicht zu trennen ist. Das rein musikalische pbo_052.011
Element, das hier hinzukommt, ist der Takt. Der Takt ist der pbo_052.012
rhythmische Träger einer Bewegung, zunächst der körperlichen pbo_052.013
im Tanze, Marsche. Das wiederkehrende Zeitmaß beschwingt pbo_052.014
die Bewegung, die sich danach richtet, macht sie leichter und pbo_052.015
dauerhafter. Die Gründe führen weit und liegen tief. Die pbo_052.016
Thatsache spricht für sich selbst. Dadurch nun, daß Sprache pbo_052.017
eine Bewegung ist, sucht sie am Takt teilzunehmen. Das pbo_052.018
Lied und seine sprachliche Unterlage, der Vers, ist gleichsam pbo_052.019
ein Tanz der menschlichen Kehle.
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§ 41. Vers. pbo_052.021
Vers ist ein lateinisches Wort (versus) und entspricht pbo_052.022
unserm Worte Wendung. Aus der naheliegenden etymologischen pbo_052.023
Erklärung des Grundworts der metrischen Kunst braucht man pbo_052.024
jedoch nicht gleich bündig zu schließen, daß aller Vers und pbo_052.025
mit ihm jede Poesie vom Tanzlied den Ausgang genommen pbo_052.026
habe. Es liegt wie gesagt in der Sprachbewegung als solcher pbo_052.027
die Tendenz, auf den Takt als ihren beschwingenden Träger pbo_052.028
hinzusteuern. Recht naiv offenbart sich dies in der sehr alten, pbo_052.029
ursprünglichen, später vielleicht mit Absicht auf diesem Standpunkt pbo_052.030
verharrenden heiligen Poesie der Bibel. Hier äußert
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