pbo_052.001 am Verse und durch den Vers hat sich Musik pbo_052.002 gebildet; die Kunst des reinen Klanges ist am Sinn erblüht, pbo_052.003 und in seinem Dienste haben sich jene vielgestaltigen Ordnungen pbo_052.004 des Klanges auseinandergelegt, die uns jetzt, der ursprünglichen pbo_052.005 Tönung baar, als unverständliche Künsteleien pbo_052.006 eines launenhaften Wortfügungstriebes in zahllosen dürren pbo_052.007 Schemen die Metrik überliefert.
pbo_052.008 Es gilt also festzuhalten, daß auch die strenge kunstmäßige pbo_052.009 Wortfügung in festen, metrischen Gebilden vom Wortsinn pbo_052.010 ursprünglich nicht zu trennen ist. Das rein musikalische pbo_052.011 Element, das hier hinzukommt, ist der Takt. Der Takt ist der pbo_052.012 rhythmische Träger einer Bewegung, zunächst der körperlichen pbo_052.013 im Tanze, Marsche. Das wiederkehrende Zeitmaß beschwingt pbo_052.014 die Bewegung, die sich danach richtet, macht sie leichter und pbo_052.015 dauerhafter. Die Gründe führen weit und liegen tief. Die pbo_052.016 Thatsache spricht für sich selbst. Dadurch nun, daß Sprache pbo_052.017 eine Bewegung ist, sucht sie am Takt teilzunehmen. Das pbo_052.018 Lied und seine sprachliche Unterlage, der Vers, ist gleichsam pbo_052.019 ein Tanz der menschlichen Kehle.
pbo_052.020
§ 41. Vers.
pbo_052.021 Vers ist ein lateinisches Wort (versus) und entspricht pbo_052.022 unserm Worte Wendung. Aus der naheliegenden etymologischen pbo_052.023 Erklärung des Grundworts der metrischen Kunst braucht man pbo_052.024 jedoch nicht gleich bündig zu schließen, daß aller Vers und pbo_052.025 mit ihm jede Poesie vom Tanzlied den Ausgang genommen pbo_052.026 habe. Es liegt wie gesagt in der Sprachbewegung als solcher pbo_052.027 die Tendenz, auf den Takt als ihren beschwingenden Träger pbo_052.028 hinzusteuern. Recht naiv offenbart sich dies in der sehr alten, pbo_052.029 ursprünglichen, später vielleicht mit Absicht auf diesem Standpunkt pbo_052.030 verharrenden heiligen Poesie der Bibel. Hier äußert
pbo_052.001 am Verse und durch den Vers hat sich Musik pbo_052.002 gebildet; die Kunst des reinen Klanges ist am Sinn erblüht, pbo_052.003 und in seinem Dienste haben sich jene vielgestaltigen Ordnungen pbo_052.004 des Klanges auseinandergelegt, die uns jetzt, der ursprünglichen pbo_052.005 Tönung baar, als unverständliche Künsteleien pbo_052.006 eines launenhaften Wortfügungstriebes in zahllosen dürren pbo_052.007 Schemen die Metrik überliefert.
pbo_052.008 Es gilt also festzuhalten, daß auch die strenge kunstmäßige pbo_052.009 Wortfügung in festen, metrischen Gebilden vom Wortsinn pbo_052.010 ursprünglich nicht zu trennen ist. Das rein musikalische pbo_052.011 Element, das hier hinzukommt, ist der Takt. Der Takt ist der pbo_052.012 rhythmische Träger einer Bewegung, zunächst der körperlichen pbo_052.013 im Tanze, Marsche. Das wiederkehrende Zeitmaß beschwingt pbo_052.014 die Bewegung, die sich danach richtet, macht sie leichter und pbo_052.015 dauerhafter. Die Gründe führen weit und liegen tief. Die pbo_052.016 Thatsache spricht für sich selbst. Dadurch nun, daß Sprache pbo_052.017 eine Bewegung ist, sucht sie am Takt teilzunehmen. Das pbo_052.018 Lied und seine sprachliche Unterlage, der Vers, ist gleichsam pbo_052.019 ein Tanz der menschlichen Kehle.
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§ 41. Vers.
pbo_052.021 Vers ist ein lateinisches Wort (versus) und entspricht pbo_052.022 unserm Worte Wendung. Aus der naheliegenden etymologischen pbo_052.023 Erklärung des Grundworts der metrischen Kunst braucht man pbo_052.024 jedoch nicht gleich bündig zu schließen, daß aller Vers und pbo_052.025 mit ihm jede Poesie vom Tanzlied den Ausgang genommen pbo_052.026 habe. Es liegt wie gesagt in der Sprachbewegung als solcher pbo_052.027 die Tendenz, auf den Takt als ihren beschwingenden Träger pbo_052.028 hinzusteuern. Recht naiv offenbart sich dies in der sehr alten, pbo_052.029 ursprünglichen, später vielleicht mit Absicht auf diesem Standpunkt pbo_052.030 verharrenden heiligen Poesie der Bibel. Hier äußert
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Es gilt also festzuhalten, daß auch die strenge kunstmäßige pbo_052.009
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die Bewegung, die sich danach richtet, macht sie leichter und pbo_052.015
dauerhafter. Die Gründe führen weit und liegen tief. Die pbo_052.016
Thatsache spricht für sich selbst. Dadurch nun, daß Sprache pbo_052.017
eine Bewegung ist, sucht sie am Takt teilzunehmen. Das pbo_052.018
Lied und seine sprachliche Unterlage, der Vers, ist gleichsam pbo_052.019
ein Tanz der menschlichen Kehle.
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§ 41. Vers. pbo_052.021
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hinzusteuern. Recht naiv offenbart sich dies in der sehr alten, pbo_052.029
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Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/56>, abgerufen am 28.07.2024.
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