Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_139.001 § 98. Die Lehrdichtung. pbo_139.018 *) pbo_139.029
Jn der Fabel über die Fabel. Vergl. Sammlung Göschen Nr. 7 pbo_139.030 Lessings Prosa S. 2. pbo_139.001 § 98. Die Lehrdichtung. pbo_139.018 *) pbo_139.029
Jn der Fabel über die Fabel. Vergl. Sammlung Göschen Nr. 7 pbo_139.030 Lessings Prosa S. 2. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0143" n="139"/><lb n="pbo_139.001"/> seine <hi rendition="#g">Paramythien</hi> zur Seite gestellt. Jn der Fabel <lb n="pbo_139.002"/> hört die Poesie <hi rendition="#g">bewußt</hi> auf, Selbstzweck zu sein. Sie spricht <lb n="pbo_139.003"/> ihre Anschauung von der Welt nicht mehr für sich selbst aus, <lb n="pbo_139.004"/> sondern mit direktem Bezug auf die abstrakte philosophische <lb n="pbo_139.005"/> <hi rendition="#g">Wahrheit.</hi> Sie fügt denn auch diese Wahrheit als <lb n="pbo_139.006"/> Lehre (meist moralischer Art: die „Moral der Fabel“) mit <lb n="pbo_139.007"/> gutem Recht am Schlusse an. Sie vergiebt sich dadurch nichts. <lb n="pbo_139.008"/> Die Poesie hat aus ihrem eigensten Schatze (der Vergleichung) <lb n="pbo_139.009"/> der strengen <hi rendition="#g">Lehre</hi> etwas geborgt. „Die Wahrheit <lb n="pbo_139.010"/> braucht die Anmut der Fabel“ sagt Lessing<note corresp="PBO_139_*" place="foot" n="*)"><lb n="pbo_139.029"/> Jn der Fabel über die Fabel. Vergl. <hi rendition="#g">Sammlung Göschen</hi> Nr. 7 <lb n="pbo_139.030"/> Lessings Prosa S. 2.</note>, der in diesen <lb n="pbo_139.011"/> Anlehen bei der Poesie zum Vorteil der Wahrheit unerschöpflich <lb n="pbo_139.012"/> war. Aber der Schwerpunkt ist dadurch in der <lb n="pbo_139.013"/> Fabel bereits aus dem Bereiche der reinen Poesie gerückt. <lb n="pbo_139.014"/> Er fällt in die Lehre und <hi rendition="#g">Lehrdichtung;</hi> an die Fabel <lb n="pbo_139.015"/> anknüpfend ist jedes äußerlich dichterische Erzeugnis, von dem <lb n="pbo_139.016"/> sich dies sagen läßt.</p> <lb n="pbo_139.017"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 98. Die Lehrdichtung.</hi> </head> <p><lb n="pbo_139.018"/> Es ist lange Zeit hindurch ein folgenschwerer Jrrtum der <lb n="pbo_139.019"/> Poetik gewesen, diese Grundwahrheit nicht erkannt zu haben <lb n="pbo_139.020"/> und, durch den pädagogischen Wert der Fabel und ihre Verbreitung <lb n="pbo_139.021"/> bei allen Völkern (der orientalische <hi rendition="#g">Lokman,</hi> der <lb n="pbo_139.022"/> griechische <hi rendition="#g">Aesop</hi> &c.) verführt, in ihr den Kern aller Poesie <lb n="pbo_139.023"/> zu erblicken (so auch die sonst um die Berichtigung und <lb n="pbo_139.024"/> Aufhellung der poetischen Theorie sehr verdienten <hi rendition="#g">Schweizer,</hi> <lb n="pbo_139.025"/> Bodmer und Breitinger). Aus diesem Grundirrtum folgte die <lb n="pbo_139.026"/> für die Stellung und die Ausübung der poetischen Kunst verderbliche <lb n="pbo_139.027"/> Ansicht, daß die Poesie erlernbar sei und behufs <lb n="pbo_139.028"/> einer „geschickten Anwendung der Wahrheit“ erlernt werden </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [139/0143]
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seine Paramythien zur Seite gestellt. Jn der Fabel pbo_139.002
hört die Poesie bewußt auf, Selbstzweck zu sein. Sie spricht pbo_139.003
ihre Anschauung von der Welt nicht mehr für sich selbst aus, pbo_139.004
sondern mit direktem Bezug auf die abstrakte philosophische pbo_139.005
Wahrheit. Sie fügt denn auch diese Wahrheit als pbo_139.006
Lehre (meist moralischer Art: die „Moral der Fabel“) mit pbo_139.007
gutem Recht am Schlusse an. Sie vergiebt sich dadurch nichts. pbo_139.008
Die Poesie hat aus ihrem eigensten Schatze (der Vergleichung) pbo_139.009
der strengen Lehre etwas geborgt. „Die Wahrheit pbo_139.010
braucht die Anmut der Fabel“ sagt Lessing *), der in diesen pbo_139.011
Anlehen bei der Poesie zum Vorteil der Wahrheit unerschöpflich pbo_139.012
war. Aber der Schwerpunkt ist dadurch in der pbo_139.013
Fabel bereits aus dem Bereiche der reinen Poesie gerückt. pbo_139.014
Er fällt in die Lehre und Lehrdichtung; an die Fabel pbo_139.015
anknüpfend ist jedes äußerlich dichterische Erzeugnis, von dem pbo_139.016
sich dies sagen läßt.
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§ 98. Die Lehrdichtung. pbo_139.018
Es ist lange Zeit hindurch ein folgenschwerer Jrrtum der pbo_139.019
Poetik gewesen, diese Grundwahrheit nicht erkannt zu haben pbo_139.020
und, durch den pädagogischen Wert der Fabel und ihre Verbreitung pbo_139.021
bei allen Völkern (der orientalische Lokman, der pbo_139.022
griechische Aesop &c.) verführt, in ihr den Kern aller Poesie pbo_139.023
zu erblicken (so auch die sonst um die Berichtigung und pbo_139.024
Aufhellung der poetischen Theorie sehr verdienten Schweizer, pbo_139.025
Bodmer und Breitinger). Aus diesem Grundirrtum folgte die pbo_139.026
für die Stellung und die Ausübung der poetischen Kunst verderbliche pbo_139.027
Ansicht, daß die Poesie erlernbar sei und behufs pbo_139.028
einer „geschickten Anwendung der Wahrheit“ erlernt werden
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Jn der Fabel über die Fabel. Vergl. Sammlung Göschen Nr. 7 pbo_139.030
Lessings Prosa S. 2.
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