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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

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[Gleich. 200] § 65. Dissociation und Temperatur.
hat, sobald die zwei Atome nur überhaupt chemisch verbunden
sind, d. h. sobald die beiden empfindlichen Bezirke überhaupt
in einander greifen, mögen sie nun mehr oder weniger tief in
einander greifen. Es wäre dies der Fall, wenn zwischen den
beiden Atomen in dem Momente, wo die empfindlichen Be-
zirke sich berühren, eine an allen Stellen der Oberfläche dieser
Bezirke gleiche, mächtige Anziehung aufträte, die jedoch sofort
wieder auf Null herabsänke, sobald die empfindlichen Bezirke
etwas tiefer in einander eindrängen. Es wäre dann kh die
constante Trennungsarbeit der beiden chemisch gebundenen
Atome oder umgekehrt die Arbeit, welche bei der chemischen
Verbindung derselben von der chemischen Anziehungskraft ge-
leistet wird.

Wenn alle in der Masseneinheit des Gases vorhandenen
a / G Atome anfangs unverbunden sind und sich nachher zu
a / 2 G Doppelatomen verbinden, so wird dabei die Arbeit akh / 2 G
geleistet; es ist also D = a kh / 2 G die gesammte, im Arbeits-
maasse gemessene Verbindungs- oder auch Dissociationswärme
der Masseneinheit des Gases und man hat:
199) kh = 2 G D / a, [Formel 1] .
200) [Formel 2] .
Die Masse 2 m1 nennt man in der Chemie "ein Molekül".
2 m1 D ist also die Dissociationswärme "eines Moleküles".

Man sieht leicht, dass kh für keine Constellation der Atome
von höherem Grade als höchstens logarithmisch unendlich
werden kann, da sonst die Wahrscheinlichkeit der betreffenden
Constellation unendlich von der Ordnung ekh würde, also so gross,
dass sich die Atome niemals trennen könnten. Was daher kh
auch immer für Function der Position der Atome sein mag,
so wird man kein qualitativ verschiedenes Resultat erhalten,
wenn man für kh immer seinen Mittelwerth für alle Positionen
setzt, wodurch man wieder zur Formel 200) gelangt, welche
also sicher auch im allgemeinen Falle einige Annäherung an
die Wirklichkeit bietet.

In dem Falle, wo kh constant ist, wird bei der Relativ-
bewegung der chemisch gebundenen Atome, so lange sie ge-

[Gleich. 200] § 65. Dissociation und Temperatur.
hat, sobald die zwei Atome nur überhaupt chemisch verbunden
sind, d. h. sobald die beiden empfindlichen Bezirke überhaupt
in einander greifen, mögen sie nun mehr oder weniger tief in
einander greifen. Es wäre dies der Fall, wenn zwischen den
beiden Atomen in dem Momente, wo die empfindlichen Be-
zirke sich berühren, eine an allen Stellen der Oberfläche dieser
Bezirke gleiche, mächtige Anziehung aufträte, die jedoch sofort
wieder auf Null herabsänke, sobald die empfindlichen Bezirke
etwas tiefer in einander eindrängen. Es wäre dann χ die
constante Trennungsarbeit der beiden chemisch gebundenen
Atome oder umgekehrt die Arbeit, welche bei der chemischen
Verbindung derselben von der chemischen Anziehungskraft ge-
leistet wird.

Wenn alle in der Masseneinheit des Gases vorhandenen
a / G Atome anfangs unverbunden sind und sich nachher zu
a / 2 G Doppelatomen verbinden, so wird dabei die Arbeit αχ / 2 G
geleistet; es ist also Δ = α χ / 2 G die gesammte, im Arbeits-
maasse gemessene Verbindungs- oder auch Dissociationswärme
der Masseneinheit des Gases und man hat:
199) χ = 2 G Δ / a, [Formel 1] .
200) [Formel 2] .
Die Masse 2 μ1 nennt man in der Chemie „ein Molekül“.
2 μ1 Δ ist also die Dissociationswärme „eines Moleküles“.

Man sieht leicht, dass χ für keine Constellation der Atome
von höherem Grade als höchstens logarithmisch unendlich
werden kann, da sonst die Wahrscheinlichkeit der betreffenden
Constellation unendlich von der Ordnung eχ würde, also so gross,
dass sich die Atome niemals trennen könnten. Was daher χ
auch immer für Function der Position der Atome sein mag,
so wird man kein qualitativ verschiedenes Resultat erhalten,
wenn man für χ immer seinen Mittelwerth für alle Positionen
setzt, wodurch man wieder zur Formel 200) gelangt, welche
also sicher auch im allgemeinen Falle einige Annäherung an
die Wirklichkeit bietet.

In dem Falle, wo χ constant ist, wird bei der Relativ-
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[189/0207] [Gleich. 200] § 65. Dissociation und Temperatur. hat, sobald die zwei Atome nur überhaupt chemisch verbunden sind, d. h. sobald die beiden empfindlichen Bezirke überhaupt in einander greifen, mögen sie nun mehr oder weniger tief in einander greifen. Es wäre dies der Fall, wenn zwischen den beiden Atomen in dem Momente, wo die empfindlichen Be- zirke sich berühren, eine an allen Stellen der Oberfläche dieser Bezirke gleiche, mächtige Anziehung aufträte, die jedoch sofort wieder auf Null herabsänke, sobald die empfindlichen Bezirke etwas tiefer in einander eindrängen. Es wäre dann χ die constante Trennungsarbeit der beiden chemisch gebundenen Atome oder umgekehrt die Arbeit, welche bei der chemischen Verbindung derselben von der chemischen Anziehungskraft ge- leistet wird. Wenn alle in der Masseneinheit des Gases vorhandenen a / G Atome anfangs unverbunden sind und sich nachher zu a / 2 G Doppelatomen verbinden, so wird dabei die Arbeit αχ / 2 G geleistet; es ist also Δ = α χ / 2 G die gesammte, im Arbeits- maasse gemessene Verbindungs- oder auch Dissociationswärme der Masseneinheit des Gases und man hat: 199) χ = 2 G Δ / a, [FORMEL]. 200) [FORMEL]. Die Masse 2 μ1 nennt man in der Chemie „ein Molekül“. 2 μ1 Δ ist also die Dissociationswärme „eines Moleküles“. Man sieht leicht, dass χ für keine Constellation der Atome von höherem Grade als höchstens logarithmisch unendlich werden kann, da sonst die Wahrscheinlichkeit der betreffenden Constellation unendlich von der Ordnung eχ würde, also so gross, dass sich die Atome niemals trennen könnten. Was daher χ auch immer für Function der Position der Atome sein mag, so wird man kein qualitativ verschiedenes Resultat erhalten, wenn man für χ immer seinen Mittelwerth für alle Positionen setzt, wodurch man wieder zur Formel 200) gelangt, welche also sicher auch im allgemeinen Falle einige Annäherung an die Wirklichkeit bietet. In dem Falle, wo χ constant ist, wird bei der Relativ- bewegung der chemisch gebundenen Atome, so lange sie ge-

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/207>, abgerufen am 28.03.2024.